Die beschriebene Situation, so zugetragen während der vierten sogenannten »Montagsdemo« am 24. November 2014 in Marzahn, ist exemplarisch. Immer wieder wurden Ende 2014 Journalist_innen am Rande rassistischer Aufmärsche bedroht und attackiert – vor allem in Marzahn. Die TäterInnen waren teils stadtbekannte, vorbestrafte und gewaltbereite Neonazis, die den Aufmarsch als OrdnerInnen begleiteten und koordiniert gegen die Presse vorgingen, diese bedrohten und bedrängten, sie versuchten einzuschüchtern und tätlich angingen. Die Polizei unterband die Aktionen nicht und zeigte auch bei direkten Aufforderungen keinerlei Reaktion. Um sich selbst vor weiteren Angriffen zu schützen, zogen sich die Pressevertreter_innen zurück. Auch das apabiz musste letztlich aus Sicherheitsgründen die Dokumentation in Marzahn einstellen. Berlins Polizeichef Klaus Kandt verstieg sich nach öffentlicher Kritik im Innenausschuss des Senats zu der Aussage, Personenschutz für Journalisten_innen sei nicht Aufgabe der Polizei. Mit diesem Affront verweigerte er eine der grundsätzlichen Aufgaben polizeilicher Arbeit zu erfüllen und die im Grundgesetz verbriefe Pressefreiheit zu schützen. Aufgrund der Bedrohungslage fanden die neonazistischen Aufmärsche in Marzahn 2014 faktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Ein besorgniserregender wie skandalöser Zustand.
Das Problem heißt nach wie vor Rassismus
An dieser Stelle eine eigentlich selbstverständliche, aber dennoch wichtige und notwendige Klarstellung: Es sind rassistische Motive, die seit November 2014 die Menschen nicht nur in Marzahn, sondern auch an vielen anderen Orten wöchentlich vom Sofa auf die Straße treiben. Sozialwissenschafliche Studien verweisen seit Jahren regelmäßig auf ein beängstigendes Potential extrem rechter und vor allem rassistischer Einstellungen, von dem jetzt ein Teil aktiv geworden ist. Die Abneigung und Aggressivität richtet sich in erster Linie gegen alle Nicht-Weißen, die als »anders« oder »fremd« markiert werden und damit den RassistInnen als störend für das »deutsche Volk« gelten. Als Chiffre für den mal mehr, mal weniger offen und unverhohlen artikulierten (antimuslimischen) Rassismus dienen wahlweise Geflüchtete, wie in Marzahn, oder die vermeintliche »Islamisierung des Abendlandes«, wie im Falle PEGIDA und der zahlreichen Resonanz-GIDAs. Zuwider sind den rassistischen »Wutbürgern« darüber hinaus all diejenigen, die ihren völkischen Rassismus nicht teilen oder gar Kritik äußern und diesem widersprechen. Geradezu verhasst sind ihnen jene, die sich für eine emanzipatorische und diskriminierungsfreie Gesellschaft stark machen oder gar empathisch und solidarisch mit Geflüchteten und Asylsuchenden sind: Gemeint sind antifaschistische und antirassistische Gegendemonstrant_innen, nicht-reaktionäre Politiker_innen und Journalist_innen, die eine kritische, nicht-rechte und nicht-rassistische Berichterstatung verfolgen und daher als »Lügenpresse« bezeichnet werden.
Senatsgeförderte Dokumentation unter Druck
Eine zentrale Aufgabe des apabiz ist die Dokumentation extrem rechter Aktivitäten in Berlin. Seit dem Jahr 2008 wird ein Teil dieser Arbeit durch das Landesprogramm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus des Berliner Senats gefördert. Über die Jahre wurden seitdem zahlreiche Aufmärsche, Kundgebungen und Saal-Veranstaltungen professionell in Bild und Ton dokumentiert, die Redebeiträge transkribiert und das Material so für die eigene Arbeit, aber auch für andere Interessierte aufbereitet und nutzbar gemacht. Die damit eigens geschaffenen Dokumente sind oftmals die einzigen öffentlich zugänglichen Quellen und Belege dieser Art. Das Jahr 2014 stellte diese Dokumentationsarbeit in zweierlei Hinsicht vor neue Herausforderungen und zeigte diesbezüglich Grenzen auf. Im Vergleich zu den Vorjahren haben deutlich mehr neonazistische und extrem rechte Veranstaltungen in Berlin stattgefunden. Einen regelrecht sprunghaften Anstieg gab es ab Ende Oktober 2014, als die Errichtung von aus antirassistischer Perspektive zu verurteilenden, sogenannten Containerunterkünften für Geflüchtete in sechs Berliner Stadtteilen bekannt gegeben wurde. Seitdem fanden mehrmals wöchentlich rassistische und extrem rechte Aufmärsche und Kundgebungen statt, neben Marzahn auch in Buch, Köpenick und Hohenschönhausen.
Das apabiz hat 2014 insgesamt 47 extrem rechte Veranstaltungen in Berlin dokumentieren können, 23 davon hatten ein offen rassistisches Motto. Im Vergleich dazu waren es 2013 insgesamt 31 solcher Dokumentationen, ein in erster Linie rassistischer Anlass war bei 14 davon festzustellen. Dabei ist ein immenser und kaum zu bewältigender Umfang an Bild- und Tonmaterial entstanden. Die Anzahl der stattgefundenen rechten Veranstaltungen ist allerdings noch deutlich höher. bei Weitem nicht alle konnten abgedeckt und von uns dokumentarisch begleitet werden. Aufgrund der eingangs beschriebenen Bedrohungssituation in Marzahn waren wir jedoch darüber hinaus mit dem sehr viel schwerwiegenderen Sicherheitsproblem konfrontiert. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wäre es unverantwortlich gewesen, Kolleg_innen mit der Dokumentation der rassistischen »Montagsdemos« zu beauftragen. Durch die hohe Gewaltbereitschaft aus den Aufmärschen heraus und den nicht gewährten Schutz durch die Berliner Polizei war die Gefahr eines körperlichen Angriffs einfach zu hoch.
Marzahn: ein besonderes Pflaster
Die rassistischen Aktivitäten sind nicht neu. Und sie dürfen auch nicht überraschen. Berliner Neonazis haben bereits seit 2011 verstärkt auf das Thema gesetzt und mit zahlreichen Aktivitäten provoziert. Meist waren sie dabei unter sich und führten Kleinstkundgebungen durch. Mit der Einrichtung der Notunterkunft für Geflüchtete in der Carola-Neher-Straße in Hellersdorf änderte sich jedoch die Situation. Bei der Informationsveranstaltung des Bezirks, später bekannt als »brauner Dienstag«, traten zahlreiche bisher inaktive extrem rechte und rassistische AnwohnerInnen aus ihrer Passivität heraus und verschafften auch in den folgenden Wochen und Monaten ihrem Rassismus Luft. Zwar konnten antirassistisch Engagierte dem Treiben in Teilen effektiv entgegenwirken. Aber es gab immer wieder neonazistische Angriffe und eine anhaltende Hetze über die Facebook-Seite der neonazistischen »Bürgerbewegung Marzahn-Hellersdorf« beziehungsweise die der »Bürgerbewegung Marzahn« und der »Bürgerbewegung Hellersdorf«.
Als Ende Oktober 2014 die Errichtung der sogenannten Containerunterkünfte bekannt gegeben wurde, waren sie dann wieder da: Nach einigen Monaten der relativen Ruhe traten die bedrohlichen Allianzen in Marzahn, Köpenick, Hohenschönhausen und Buch erneut auf den Plan. Als berlinweites Label für die Aufmärsche und Kundgebungen wurde »Berlin wehrt sich! Gemeinsam gegen Asylmissbrauch« etabliert, verbunden mit der unverhohlenen Drohung »Wache auf – Handeln statt klagen«. Verantwortlich für die Organisation und Infrastruktur der Aufmärsche sind in allen Bezirken bekannte Personen aus den neonazistischen Strukturen von »Die Rechte«, der NPD, dem ehemaligen »Nationalen Widerstand Berlin« (NW Berlin) sowie den neonazistischen »Bürgerbewegungen«. In Marzahn waren vor allem die bekannten Neonazis René U. (enger Vertrauter vom Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke) und Patrick Krüger (»Die Rechte« Berlin) tonangebend. Hinsichtlich der Mobilisierungsstärke und des Bedrohungspotentials stach Marzahn von Beginn an hervor. Erstmalig am 3. November 2014 marschierten spontan etwa 150 Neonazis und rassistische AnwohnerInnen durch Marzahn. Anmelder war hier Uwe Dreisch, Vorsitzender des Berliner Landesverbands von »Die Rechte«. In den folgenden Wochen hatten die Aufmärsche einen besorgniserregenden Zulauf. Der bedrohlichste Höhepunkt wurde am 24. November erreicht, als etwa 1.000 Neonazis, rechte Hooligans und rassistische AnwohnerInnen durch Marzahn zogen. Zweifelsohne waren die Aufmärsche auch inhaltlich von Beginn an als extrem rechte Veranstaltungen zu klassifizieren. Offen rassistische und neonazistische Sprechchöre und Transparente dominierten die Außenwahrnehmung. Die sogenannten empörten AnwohnerInnen nahmen die Inhalte widerspruchslos an und machten sie sich zu eigen. Auch wenn die Beteiligung danach kontinuierlich abnahm, blieben die Aufmärsche durch aggressive Neonazis und teilweise alkoholisierte, von den HoGeSa-Aktivitäten (»Hooligans gegen Salafismus) motivierte rechte Hooligans geprägt, die für ein hohes Gewaltpotential sorgten.
Folgenlose Angriffe auf die Presse
Immer wieder wurden Pressevertreter_innen nicht nur bedroht, sondern auch direkt an ihrer Arbeit gehindert oder gar attackiert. Durch Sprechchöre wie »Lügenpresse halt die Fresse. Lügenpresse auf die Fresse«, Gejohle und Applaus angestachelt, taten sich dabei bekannte und teilweise aufgrund von Gewaltdelikten verurteilte Neonazis wie David G., Stephan A., Oliver O. und Christian B. hervor. Offensichtlich eingebunden in die Ordnerstruktur gingen sie dabei gezielt und koordiniert vor, bewegten sich an der Spitze der Demo, bedrängten und störten Pressevertreter_ innen, fotografierten diese aus nächster Nähe, sprachen sie namentlich und drohend an und attackierten sie teilweise. Die Polizei ließ sie gewähren und griff nicht ein. Auf Nachfrage rieten die Beamt_innen den Journalist_innen auf Distanz zum Aufmarsch zu gehen. Außerdem gaben sie an taktisch vorzugehen und damit eine Eskalation verhindern zu wollen. Eine Einschätzung, der dringend widersprochen werden muss. Denn damit wird suggeriert, dass das eigentliche Problem die Journalist_innen sind, die durch ihre Arbeit erst für Unruhe sorgen. Außerdem wird die reale Bedrohung heruntergespielt. Folglich hatte es den Anschein, dass die Neonazis durch die Passivität der Polizei in ihrem aggressiven Auftreten bestärkt und zusätzlich Teile der Hooligans zu entsprechendem Handeln ermutigt wurden.
Fakt ist, die Polizei war meist in viel zu geringer Zahl vor Ort, zeigte sich offensichtlich überfordert und nicht gewillt, aktiv zu werden und die Pressevertreter_innen zu schützen. So erhielten Journalist_innen die Aufforderung von Polizist_innen, sich zurückzuziehen, da für ihre Sicherheit nicht garantiert werden könne. Meist waren die Journalist_ innen in der Tat gezwungen die Arbeit nach kurzer Zeit und noch vor dem eigentlichen Start des Aufmarsches zu beenden. Gelang es doch einmal den Aufmarsch zumindest ein Stück zu begleiten, musste jederzeit mit Angriffen aus dem Aufmarsch heraus gerechnet werden. Das Bedrohungspotential erhöhte sich für einige Pressefotograf_innen noch einmal ungemein, als ein neonazistischer Steckbrief mit Fotos und Namen vermeintlicher »Antifa-Fotografen« im Internet verbreitet wurde. In Konsequenz dieser Erfahrungen wurde nicht etwa das Polizeiaufgebot am Rande der Aufmärsche erhöht. Dies blieb allenfalls sporadisch, während die zahlenmäßig meist sehr geringen Gegenproteste von einem unverhältnismäßig großen Polizeiaufgebot abgeschirmt wurden. Auch als die skandalösen Umstände öffentlich kritisiert wurden, änderte das nichts. Ein offener Beschwerdebrief an Polizeipräsident Klaus Kandt und Innensenator Frank Henkel von Andreas Köhn, dem Vorsitzenden der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union bei ver.di (dju) für Berlin-Brandenburg, hatte keinen Effekt. Die Antwort erfolgte erst Monate später im Februar 2015 – mit der gleichen skandalösen Aussage, Personenschutz für Journalist_innen sei nicht Aufgabe der Polizei. Die Beamt_innen verhalten sich in Marzahn nun also auch mit höchst offizieller Rückendeckung passiv bei Bedrohungen und Angriffen von Neonazis auf Journalist_innen. Um sich selbst zu schützen, blieb daher als einzige Lösung der Rückzug.
Von Entwarnung keine Spur
Auch wenn die Zahl der Teilnehmenden bei den Aufmärschen in Marzahn deutlich zurückging, kann von Entwarnung keine Rede sein. Es marschiert bis heute ein harter Kern von mehreren Dutzend Neonazis, Hooligans und RassistInnen Montag für Montag durch Marzahn. Das Ganze passiert unter einem von Neonazis erzwungenen und von der Berliner Polizei mit zu verantwortenden Ausschluss der Öffentlichkeit. Es gibt kaum bis gar keine unabhängigen Informationen über die Geschehnisse in Marzahn. Fakt ist: Die Aufmärsche werden nicht nur weitergehen, sondern es ist zu befürchten, dass sie wieder stärkeren Zulauf erhalten. Denn bisher ist die Unterkunft noch nicht einmal errichtet. Sollte dies aber erst der Fall sein und die ersten Geflüchteten dort einziehen, ist zu befürchten, dass wieder deutlich mehr Neonazis, Hooligans und rassistische AnwohnerInnen aufmarschieren. Ob es dann einen angemessen geschützten Rahmen für Journalist_innen geben wird, um die Aufmärsche zu begleiten, ist fraglich und – so wichtig der Schutz der Pressefreiheit auch sein mag – in dem Fall nebensächlich. Denn dann müssen andere, viel dringlichere Fragen gestellt werden: Wird es bei den Aufmärschen bleiben? Und wird es einen ausreichenden Schutz für die Geflüchteten geben? Denn dass ganz andere Gefahren drohen, haben die erschreckend hohen Zahlen rassistischer Angriffe gegen Geflüchtete und Brandanschläge auf deren Unterkünfte gezeigt. Es wäre fatal und geradezu fahrlässig, diese Gefahr für Marzahn auszublenden. Das Jahr 2014 hat einen bitteren Vorgeschmack geliefert, dass das Potential vorhanden und zu was es möglicherweise fähig ist.