Am 1. November 2014 gelang dem Kreisvorsitzenden der Pankower NPD Christian Schmidt ein besonderes Kunststück. Bei einer Kundgebung in Weißensee versammelten sich eine Handvoll Neonazis mit einer NPD-Fahne und selbstgebastelten Pappschildern, um gegen ein Flüchtlingsheim zu demonstrieren. Schmidt, der langjährige Neonazi, forderte in seiner Rede ein »nationales und sozialistisches Deutschland« und betonte, der »Gedanke des Nationalsozialismus ist noch lange nicht tot«. Rund zwei Stunden später im Pankower Ortsteil Buch hielt eben jener Christian Schmidt ebenfalls eine Rede. Hier stand er vor rund 200 Zuhörer_innen. Von der NPD-Fahne war dieses mal allerdings nichts zu sehen. Genauso schien Schmidt auf der Fahrt zur Kundgebung entfallen zu sein, dass er NPD-Kreisvorsitzender ist und dass er für ein »nationales und sozialistisches« Deutschland steht. Lammfromm begrüßte er die Anwesenden im Namen einer nicht näher benannten Bürgerinitiative und solidarisierte sich mit den vermeintlichen Sorgen der Anwesenden um die Sicherheit des Bezirks aufgrund einer in 2015 eröffnenden Unterkunft für Geflüchtete.
In vielerlei Hinsicht stellt das Jahr 2014 ein besonderes dar, betrachtet man die rechtsextremen und rassistischen Mobilisierungen und das darüber abgerufene Potential. Vor allem der Rassismus gegen Geflüchtete bestimmte die rechtsextreme Agenda – wie auch die der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Kundgebungen sind eine von zahlreichen und vielfältigen Aktivitäten, die sich vor allem gegen geplante oder im Bau befindliche Sammelunterkünfte für Flüchtlinge richteten. In eher bürgerlichen Stadtteilen ohne nennenswerte rechtsextreme Akteure gingen diese oftmals von einzelnen Personen und Nachbarschaften aus. Auffällig war der pseudo-humanistische Anstrich, den die Flüchtlings-Gegner_innen ihren Ressentiments zu geben versuchten. So argumentierte ein Besucher einer Infoveranstaltung in Steglitz-Zehlendorf, dass nur ein dünner Zaun die geplante Unterkunft von der Kita seiner Enkelin trennen würde, und es für die Flüchtlingskinder nicht zu ertragen sei, wenn diese permanent »glückliche Kinder« sehen würden. Nachbar_innen sammelten Unterschriften, bereiteten Klagen vor, reichten sie ein und suchten Wege, über persönliche Kontakte und Einflussnahmen die Errichtung der Unterkünfte zu verhindern. Anders äußerten sich die Proteste in Stadtteilen, in denen rechtsextreme Gruppierungen und Akteure bereits vor den Planungen für neue Sammelunterkünfte eine gewisse Verankerung besaßen. Hier kam es vermehrt zu Sachbeschädigungen, Schmierereien und offener rassistischer Hetze.
Neonazis in Berlin
Die Ankündigung des Senats im Oktober 2014 an sechs Standorten jeweils rund 500 Personen in Containern unterzubringen, führte im Laufe des Jahres 2014 an vier dieser Standorte zu lang anhaltenden Protesten. Während die beiden geplanten Containerunterkünfte in Steglitz-Zehlendorf keine dauerhaften Proteste hervorriefen, gelang es Rechtsextremen in Marzahn, Köpenick, Buch und Hohenschönhausen durch koordiniertes und strategisches Vorgehen große Teile des vor Ort vorhandenen rassistischen Potentials zu mobilisieren. Im Unterschied zu 2013, als dies vor allem die NPD unter eigener Flagge mit mäßigen Erfolg versucht hatte, agierten die Rechtsextremen in diesem Fall als selbsternannte Bürgerinitiativen beziehungsweise -bewegungen und verschleierten vordergründig jeden Bezug zur rechtsextremen Szene. Vor allem auf Facebook generierten sie schnell Aufmerksamkeit und bauten ein Netzwerk mit einigen tausend Personen auf, über das Demonstrationsankündigungen und Hetze gegen Flüchtlinge, Unterstützer_innen und Politiker_innen verbreitet wurden. Mit Hilfe dieser Inszenierung boten sie all jenen eine Plattform, die öffentlich gegen den Zuzug von Flüchtlingen in »ihren« Stadtteil protestieren wollten, ohne dabei »in die rechte Ecke gestellt« zu werden. Um die Tarnung als lokale Bürgerinitiative zu entlarven, bedurfte es keinesfalls besonders intensiver Kenntnisse der rechtsextremen Szene.
»Lokal und landesweit bekannte Neonazis übernahmen zumeist alle wichtigen Funktionen auf durchgeführten Demonstrationen, Kundgebungen und anderen Aktionen von der Anmeldung über den Ordnerdienst bis hin zu den Redebeiträgen.«
Die Infrastruktur für die Demonstrationen wurde in so gut wie allen Fällen von Mitgliedern der neonazistischen Partei »Die Rechte«, Mitgliedern der Berliner NPD oder angrenzender Brandenburger Kreisverbände oder nicht-organisierten Neonazis gestellt. Die Parolen auf Transparenten waren eindeutig rechtsextrem, beziehungsweise wurden rechtsextreme Veranstaltungen wie der jährliche Großaufmarsch »Tag der Deutschen Zukunft« beworben. Am Rande der Demonstrationen und Kundgebungen kam es regelmäßig zu Gewalt, Bedrohungen und Einschüchterungen gegenüber Gegendemonstrant_innen und Journalist_innen. Diese Aktionen wurden oftmals koordiniert oder umgesetzt von bekannten Berliner Neonazis aus dem Umfeld des ehemaligen Netzwerks »Nationale Widerstand Berlin«. In den zuvor genannten Stadtteilen kam es jedoch auch abseits der Demonstrationen zu Bedrohungen und Angriffen gegenüber antirassistisch Engagierten. In Marzahn wurden Politiker_innen und mehrfach Mitglieder der Initiative »Hellersdorf hilft« bedroht, unter anderem kam es zu einem Angriff auf das Ladenlokal der Initiative, der von den Anwesenden selbst abgewehrt werden musste.
All diese und zahlreiche weitere Belege für den eindeutigen Charakter der vermeintlich unpolitischen Bürgerinitiativen haben zahlreiche Anwohner_innen nicht davon abgehalten, sich durch Teilnahme an den Aktionen, Hetze per Facebook oder andere Sympathiebekundungen eindeutig auf Seiten der rassistischen Akteure zu positionieren. Den Höhepunkt erreichte die rassistische Mobilisierung am 24. November, als knapp 1.000 Personen durch Marzahn marschierten, nachdem ihre Demonstration nur zwei Tage zuvor von engagierter Zivilgesellschaft und Antifaschist_innen verhindert werden konnte.
Wie konnte das geschehen?
Die Behauptung, die Proteste seien von außen initiierte und von angereisten Neonazis gesteuerte Aktivitäten, ist unzureichend und irreführend. Richtig ist, dass zu so gut wie allen größeren Demonstrationen und Kundgebungen auch Neonazis aus anderen Bezirken oder aus Brandenburg anreisten und die Organisation unterstützten. Maßgeblich verantwortlich waren an allen vier Standorten mit nennenswerten und andauernden Protesten aber lokal verankerte und wohnhafte Neonazis, die dementsprechend auch mit Recht als Anwohner_innen auftreten konnten und ihren rechtsextremen Hintergrund zwar nicht prominent erwähnten, ihn jedoch auch nicht versteckt haben. So wurde der Berliner NPD- Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke auf einer flüchtlingsfeindlichen Veranstaltung als »Politiker«, der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Voigt als »Abgeordneter im Europaparlament« vorgestellt. Ebenfalls nahmen zahlreiche andere Anwohner_innen an den Protesten teil, skandierten rechtsextreme und rassistische Parolen und beteiligten sich teilweise auch an gewalttätigen Ausbrüchen.
Den Neonazis gelang es zeitweise, eine Klientel auf der Straße und in den sozialen Netzwerke zu aktivieren, welche in diversen Studien im Laufe der letzten Jahre immer wieder thematisiert wurde, welche sich bisher vor allem im privaten Raum oder im Internet zu rassistischen und rechtsextremen Positionen bekannt hat. Vor allem dort, wo den rechtsextremen Mobilisierungen kaum oder keine lokal verankerten und breit aufgestellten zivilgesellschaftlichen, antifaschistischen und antirassistischen Aktivitäten entgegengesetzt werden konnten, waren die Proteste besonders erfolgreich. Während es im Jahr 2013 in Marzahn-Hellersdorf noch gelang, mit einer dauerhaften Mahnwache im Stadtteil nahe der Unterkunft in der Carola-Neher-Straße die Stimmung zu beeinflussen, liefen derartige Aktionen 2014 eher schleppend. Die Hemmschwelle, gemeinsam mit organisierten Neonazis auf die Straße zu gehen, ist eindeutig gesunken und es steht zu befürchten, dass bei kommenden Anlässen eine ähnliche oder gar größere Mobilisierung erneut gelingen könnte. Gerade auch, weil im Zuge der jüngsten flüchtlingsfeindlichen Proteste bereits Nachwuchs für zukünftige Kampagnen rekrutiert werden konnte.
Um die Umstände zu verstehen, die ein relativ erfolgreiches Handeln von rechtsextremen Akteuren in bestimmten Sozialräumen möglich machen, sollten auch allgemeine gesellschaftspolitische Aspekte einbezogen werden: Eine Politik, die Flüchtlinge als Problem behandelt, befördert die organisierte wie spontane rassistische Aufladung von Auseinandersetzungen, beispielsweise um die Unterbringung von Geflüchteten.
Dabei geht es zum Einen um Sprache: In welchen Begriffen wird das Schicksal von schutzsuchenden Menschen verhandelt? Wo Assoziationen wie Welle, Flut oder Strom verwandt werden, erscheinen Flüchtlinge nicht länger als Individuen mit subjektiven Biographien sondern als einheitliche und bedrohliche Masse. Die Signalwirkung einer solchen Sprache beeinflusst auch die Art, wie über politische Maßnahmen zu diesem Thema gedacht wird: Einer Naturgewalt muss man sich erwehren, nicht zuletzt weil sie von außen kommt und die Gemeinschaft bedroht. Doch es ist nicht allein eine bestimmte (offizielle) Sprache, die Anschlüsse an rassistische Mobilisierungen erlaubt. Eine Unterbringung von Menschen in Massenunterkünften, Containern oder Traglufthallen produziert Bilder, die einer flüchtlingsfeindlichen Mobilisierung Vorschub leisten. Das gilt auch für die unvermittelte Beschlagnahmung von Turnhallen, die von Vereinen zum Kinder-und Jugendtraining genutzt werden. Nicht zuletzt werden rassistische Mobilisierungen von einem gesetzlichen Rahmen befördert, der es den Menschen erschwert oder sogar untersagt zu arbeiten und der ein dauerhaftes Bleiberecht in immer weniger Fällen und oft erst nach langwierigen Prozessen garantiert.
Was sollte getan werden?
Um rassistischen Stimmungen entgegenzutreten bedarf es verschiedener Maßnahmen. Die dringendste ist der Schutz der Menschen in den Aufnahmeeinrichtungen. Dieses Erfordernis belegen die dramatisch gestiegenen Zahlen rassistischer Übergriffe eindrücklich. In Berlin kam es laut Auskunft des LKA im Jahr 2014 zu mindestens 41 rechten Straftaten gegen Geflüchtete und deren Unterkünfte, darunter fallen unter anderem Körperverletzungen, Brandstiftungen und Sachbeschädigungen.
»Die Notwendigkeit, Einrichtungen von Geflüchteten besser zu schützen, betonen antirassistische Initiativen seit jeher.«
Die Resonanz der verantwortlichen Stellen ist gering, zumal die Frage der Verantwortung oftmals nur vage geklärt ist. So beschäftigen die meisten Betreiber_innen von Flüchtlingsunterkünften private Sicherheitsdienste. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin konnte durch Schulungen dazu beitragen, die eingesetzten Mitarbeiter_innen der Einrichtungen und der Sicherheitsdienste im Erkennen von und im Umgang mit rechtsextremen Aktivitäten zu unterstützen. Ob jedoch der Schutz von Menschen vor rassistischer Gewalt eine Angelegenheit privater Unternehmen sein sollte, bleibt eine wichtige Frage. Nicht umsonst werden verschiedene andere bedrohte Objekte in Berlin vom polizeilichen Zentralen Objektschutz bewacht. Neben dem Objektschutz ist es auch von Bedeutung, sprachliche, institutionelle und soziale Barrieren abzubauen, die es Geflüchteten erschweren, über Angriffe zu berichten und/oder diese zur Anzeige zu bringen. Rassistische Mobilisierungen stellen jedoch auch unabhängig von physischen Angriffen eine Bedrohung für die Bewohner_innen dar. Aufmärsche, Kundgebungen, Sprühereien und Aufkleber prägen die Stimmung im Stadtteil ebenso wie Pöbeleien und Bedrohungen durch Anwohner_innen und erzeugen ein feindseliges Klima. Hier sollten sich alle Nachbar_innen angesprochen fühlen und gemeinsam dafür sorgen, dass rassistische Propaganda nicht unwidersprochen stehen bleibt und so hegemonial werden kann. Es ist entscheidend, inwieweit Menschen, Initiativen, Unternehmen und Vereine vor Ort sich in die Gestaltung lokaler Demokratie einmischen – und natürlich inwieweit eine solche Beteiligung von Politik und Verwaltung befördert oder behindert wird.
»Werte wie Solidarität, Demokratie und Menschenrechte müssen im konkreten Alltag praktisch bewiesen werden.«
Dies bedeutet, atmosphärisch wie materiell zu kommunizieren, dass die Menschen hier dauerhaft willkommen sind. Unterbringungen, die auf einen Aufenthalt von wenigen Tagen ausgelegt sind, kommunizieren das Gegenteil sowohl an die Flüchtlinge, wie auch an die Menschen der Nachbarschaft. Einen wesentlichen Beitrag zu einer lokal verankerten Kultur der Solidarität können Kindergärten, Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen leisten, indem sie Kontakte und Aktivitäten ermöglichen. Auch Sportvereine können durch Trainingsangebote Beschäftigung und Stressausgleich anbieten und darüber hinaus zu einer guten Nachbarschaft beitragen. Christliche und muslimische Gemeinden können darüber hinaus Gottesdienste für die Menschen in den Unterkünften anbieten.
Für eine Kultur der Solidarität ist es wichtig, dass Menschen, die sich für Geflüchtete und gegen Rassismus und Neonazis engagieren, Anerkennung erfahren, statt Verleumdung oder gar Kriminalisierung. Warnen beispielsweise Polizei oder Innenbehörde davor, dass vermeintliche »Linksextreme« das Thema »instrumentalisieren«, so verunsichern sie dadurch andere Akteure und erschweren Bündnisse und gemeinsame Aktivitäten. Effektiv führt dies zu einer Schwächung der demokratischen Kultur vor Ort und verbessert die Bedingungen rechtsextremer Mobilisierungen. Das Ziel, welches auch von Senat und Verwaltung geteilt werden sollte, ist die Vernetzung verschiedener Akteure zur Unterstützung von Geflüchteten und zur Zurückdrängung von Rassismus. Die Arbeit der Engagierten wird auch dadurch unterstützt, dass Mobilisierungen gegen Flüchtlinge als Rassismus benannt werden, auch wenn sie vermeintliche oder tatsächliche »Sorgen und Ängste« artikulieren. Ebenso muss deutlich kommuniziert werden, dass die Unterbringung von Geflüchteten humanitäre Selbstverständlichkeit, Erfüllung internationaler Abkommen und Konsequenz aus der Erklärung der Menschenrechte ist. Wer jedoch der Forderung der rechten Initiativen, dass die Anwohner_innen darüber zu entscheiden haben, ob und wo Flüchtlinge untergebracht werden, mit Verständnis begegnet, der stellt bereits die genannten prinzipiellen Beweggründe in Frage und befördert zusätzlich eine Wahrnehmung von Geflüchteten als Problem.
Ebenso klar sollte Rassismus dort verurteilt werden, wo soziale Probleme der Gesellschaft (Altersarmut, sozialer Abstieg, mangelnde Kinderbetreuung etc.) auf Einwanderung zurückgeführt werden. Diesen Rassismus zu benennen ist Bedingung für beides: die Lösung sozialer Probleme und die demokratische Gestaltung von Migration. Mittelfristig muss es gelingen, soziale Unzufriedenheit demokratisch zu bearbeiten. Hier kommt Parteien und politischen Initiativen ebenso wie den Gewerkschaften und Sozialverbänden eine wichtige Aufgabe zu: Werden soziale Probleme in ihrem sozialen Charakter beschrieben, werden zum einen rassistische Deutungen präventiv verhindert, zum anderen treten demokratische und nicht nationalistische Lösungsmöglichkeiten in den Blick. So können zum Beispiel Räume gemeinsamer solidarischer Handlungsmacht von Anwohner_innen und den Bewohner_innen der Unterkünfte entstehen, wenn diese als gemeinsam Betroffene bestimmter sozialräumlicher Entwicklungen zusammenkommen und gemeinsame Handlungsmöglichkeiten entwickeln.
Ein derartiges community organizing – die gemeinsame Organisierung zur Durchsetzung sozialer Interessen beispielsweise in einer Nachbarschaft – würde nicht nur soziale Anliegen basisdemokratisch artikulieren, sondern gleichzeitig auch zu einem offenen Verständnis von community beitragen und dadurch auch langfristig antirassistisch wirken. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das von der Initiative »Hellersdorf hilft« betriebene Ladenlokal »LaLoka«. Dort können alte und neue Nachbar_innen gemeinsame Angebote wahrnehmen. So kann eine Praxis entstehen, die eine Aufteilung in »die« und »wir« dadurch aufhebt, indem sie an der Abschaffung der Bedingungen arbeitet.
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) bietet all jenen Beratung und Unterstützung an, die mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus konfrontiert sind und sich für die Stärkung demokratischer Kultur einsetzen wollen. Unter Berücksichtigung der jeweiligen lokalen Gegebenheiten entwickelt die MBR gemeinsam mit den Menschen vor Ort passgenaue Handlungsstrategien.