Rechte V-Leute: Die Katze beisst sich in den Schwanz

Aus aktuellem Anlass dokumentieren wir auf Berlin rechtsaußen einen Artikel aus dem Jahre 2001, der sich aus der damaligen Sicht mit der Arbeit des Inlandsgeheimdienstes "Verfassungsschutz" in der neonazistischen Szene beschäftigte. Der Artikel kommt bereits vor zehn Jahren zu dem Schluss:

 

„Obwohl die extreme Rechte seit Jahrzehnten von Informanten des Verfassungsschutzes durchsetzt ist, wuchs die Szene kontinuierlich an. Die Ursachen hierfür sind klar zu benennen:

– die politikwissenschaftlich unhaltbare “Extremismustheorie”, die durch die Verbannung der entscheidenden Ideologieelemente der extremen Rechten an den Rand der Gesellschaft eine wirkungsvolle Auseinandersetzung mit diesen verhindert, diffamiert damit gleichzeitig auch antifaschistische Aktivitäten

– die Verfassungsschutzämter unterliegen einer parteipolitischen Instrumentalisierung und es fehlt gänzlich an schlüssigen Konzepten bei der Bekämpfung der extremen Rechten1

– die Schlapphüte legitimieren die eigene Arbeit durch Duldung, Förderung und Finanzierung neonazistischer Strukturarbeit

– als quasi in die Gesellschaft vorgelagerter Staatsschutz klären die Ämter damit über Strukturen auf, an deren Aufbau sie selbst beteiligt waren und beanspruchen die Definitionshoheit über das Thema Rechtsextremismus

All dies sind Gründe, weswegen der Verfassungsschutz als Institution, als Stichwortgeber für Diskussionen um die extreme Rechte in der Gesellschaft und als pädagogische Instanz grundlegend abzulehnen ist und keinerlei Legitimation hat.“


Der Artikel stammt aus monitor – Rundbrief des apabiz Nr.1, August 2001.

Wie sich der Verfassungsschutz am Aufbau rechter Strukturen beteiligt und was dabei herauskommt

Mitte September vergangenen Jahres durchsuchte die Polizei bundesweit unzählige Wohnungen von Mitgliedern der Vereinigung Blood & Honour (B&H) und setzte damit das Verbot des neonazistischen Skinheadnetzwerkes um. Dabei schauten die Ermittler auch bei dem B&H-Führungskader Marcel D. aus Gera vorbei – und fanden nichts. Grund: D. war bereits seit längerem Informant des thüringischen Verfassungsschutzes und bekam kurz vor der Durchsetzung des Verbotes einen Tipp, dass er seine Wohnung säubern solle. “Eine solche Warnung an einen Informanten des Geheimdienstes ist etwas völlig Normales”,[1] berichteten Insider einer thüringischen Tageszeitung.

Dass der Verfassungsschutz seit Jahrzehnten den Aufbau von neonazistischen Strukturen forciert und indirekt subventioniert ist hinlänglich bekannt. Die vergangenen Monate haben eindrucksvoll die skandalösen Dimensionen dieser Aktivitäten veranschaulicht: Nahezu alle bekannt gewordenen Informanten haben mit Duldung der jeweils zuständigen Verfassungsschutzämter den Auf- und Ausbau neonazistischer Strukturen vorangetrieben und teilweise mit ihren Informantengehältern finanziert.

Beispiele systematischen Strukturaufbaus

So gibt der ehemalige Führungskader des militanten Thüringer Heimatschutzes (THS), Tino Brandt, in einem Interview zu Protokoll, dass der “VS nur Interesse an Informationen” gehabt hätte, “er hat sich nie in meine politischen Entscheidungen eingemischt”.[2] Was Tino Brandt lapidar als “politische Entscheidungen” bezeichnet, waren beispielsweise der Aufbau von militanten Anti-Antifa-Strukturen in Thüringen[3] und der Aufbau internationaler Kontakte, u.a. nach Südafrika.

Unter der Aufsicht seiner staatlichen Arbeitgeber entwickelte sich Brandt zu einer zentralen Figur in der deutschen Neonazi-Szene. Er war Mitarbeiter der extrem rechten Monatszeitschrift Nation & Europa, wurde im September 2000 Sprecher der neonazistischen Revolutionären Plattform und schaffte kurz vor seiner Enttarnung den Sprung in den Beirat der Gesellschaft für freie Publizistik. Außerdem war er Inhaber der Internetadressen des Deutschen Rechtsbüros, des Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerks und des Kaindl-Förderwerks.

Michael G., ab 1997 Informant des LfV Mecklenburg-Vorpommern, gab nach seiner Enttarnung an, dass ihm seine damaligen V-Mann-Führer empfahlen, sich zum Kreisvorsitzenden der NPD Wismar-Nordmecklenburg wählen zu lassen.[4] Ende 1997 hatte G. es in diese Position geschafft und avancierte auch zum Kandidaten auf der Landesliste der NPD für die Landtagswahlen im September 1998. Nach ideologischen Richtungsstreits gründeten ehemalige NPD-Mitglieder – unter ihnen G. – Anfang 1999 die militante Soziale Volkspartei.

Exemplarisch auch der ehemalige stellvertretende Landesvorsitzende der NPD Mecklenburg-Vorpommern, Matthias M. Dieser war von 1998 bis Ende 1999 Informant des Bundesamtes für Verfassungsschutz und baute in jener Zeit den paramilitärischen “Kampfbund Nord” auf.[5]

Das extremste Beispiel dieser Arbeitsweise der Verfassungsschützer war schlussendlich Carsten Sz., seines Zeichens Mitglied der Nationalrevolutionären Zellen – eines terroristischen Zusammenschlusses in Berlin und Brandenburg.[6] Der Königs-Wusterhausener Neonazi war im Mai 1992 wegen der versuchten Tötung des Nigerianers Steve E. zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt und später vom Verfassungsschutz angeworben worden. Im Gefängnis blieb er politisch aktiv. Er gab weiterhin Skinhead-Zeitungen heraus[7], in denen er sich positiv zur Gewalt äußerte. Als Freigänger konnte er an politischen Demonstrationen und Skinhead-Konzerten teilnehmen, auch außerhalb des Landes Brandenburg[8].  Silvester 1999 besuchte er Gesinnungsgenossen der Nationalsozialistik Front in Schweden und war neben seinem Engagement in der militanten Neonazi-Szene auch als Organisationsleiter der NPD Berlin-Brandenburg aktiv.

Wissen ohne Wirkung

Angeworbene V-Leute sollen Einschätzungen und Fakten weitergeben und anhand von gezeigten Fotos etc. weitere Informationen ausplaudern. So hat der heutige stellvertretende JN-Bundesvorsitzende Mike Layer – der Mitte der 90er Jahre für den Verfassungsschutz tätig geworden war – nach Angaben von Frank Schwerdt anhand von Fotos Gesinnungsgenossen identifiziert, die daraufhin strafrechtlich belangt wurden.[9] Der NPD-Mann G. gab gar an, dass ihm Listen von Linken gezeigt worden seien, damit er nähere Angaben dazu mache.

Unklar bleibt hingegen, welche Informationen der Verfassungsschutz auf diesem Wege erlangt und wie die verschiedenen Behörden mit dem Wissen verfahren. Einerseits werden die Informationen der Schlapphüte den Strafverfolgern vorenthalten. So suchte beispielsweise die Staatsanwaltschaft in Mecklenburg-Vorpommern nach einer Wahlkampfveranstaltung der NPD mit dem verurteilten Terroristen Manfred Roeder händeringend nach Zeugen für dessen volksverhetzende Aussagen. V-Mann Michael G., der die Veranstaltung organisiert hatte und vor Ort gewesen war, wurde aber weder befragt noch als Zeuge herangezogen.[10] Ähnlich verhält es sich im Fall Tino Brandt: Obwohl der V-Mann die zentrale Figur des Thüringer Heimatschutzes war, konnten drei gesuchte Bombenbastler aus Jena – alle Mitglieder des THS – 1997 abtauchen und sind bis heute verschwunden.

Andererseits wurde jedoch z. B. im Frühjahr 2000 in Berlin und Brandenburg die terroristische Gruppierung Nationalrevolutionäre Zellen von den Strafverfolgungsbehörden hochgenommen. Es ist zu vermuten, dass dies aufgrund der Informationen von V-Leuten, wie etwa Carsten Sz., geschah.

Auch garantiert das Führen von V-Leuten durch die Dienste nicht, dass die Informanten nicht an schwerwiegenden Straftaten beteiligt sind. So verübte beispielsweise Michael G. mit weiteren Gesinnungsgenossen im März 1999 einen Brandanschlag auf eine Pizzeria in Grevesmühlen.

Wohin die Gelder fließen

Der Verfassungsschutz duldet oder initiiert neonazistische Strukturen, Aktivitäten und Straftaten nicht nur mit. Die Ämter sorgen auch für die finanzielle Unterstützung ihrer Informanten und deren Bestrebungen. So erhielt Carsten Sz. ein monatliches Salär von 1000 DM.[11]

Als sich der Neonazi Thomas Dienel im Juni 2000 als Informant des Thüringer Verfassungsschutzes outete, wurde bekannt, dass er zwischen 1500 und 1800 DM im Monat erhalten hatte.[12] Hinzu kamen 1997/98 monatliche Lohnkostenzuschüsse durch das Arbeitsamt in Höhe von ca. 2000 DM für Dienels Arbeit im extrem rechten Verlag Neues Denken. Letzteres wurde vom Verfassungsschutz zumindest nicht verhindert.

Es scheint, als ob die Verwendung der Honorare durch die Informanten keinen Einschränkungen unterliegen würden. Tino Brandt beispielsweise gibt an, dass es “mit Sicherheit mehr als 100.000 DM” gewesen seien, die er für seine Tätigkeiten erhalten habe. Wenn man seinen Aussagen glauben schenkt, so hat er die Gelder in Aufkleber, Flugblätter, Telefonrechungen, Demofahrten und verschiedene andere Projekte investiert.[13] Einen außergewöhnlichen, sehr personenbezogenen Dank erhielt im Sommer 1999 Matthias M. Ihm spendierte der Verfassungsschutz einen Rundflug über die Insel Rügen.

Verfassungsschutz: Vom Jäger zum Gejagten?

Folgt man den Ausführungen Horst Mahlers – seines Zeichens Vertreter der NPD im gegenwärtigen Verbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht –, dann wird die Benennung von Informanten des Verfassungsschutzes einer der wenigen helfenden Strohhalme gegen das drohende Verbot der Partei sein. Denn jeder herangezogene Beweis zur Begründung eines Verbotes der NPD verlöre an Bedeutung, wenn sich die Mitwisserschaft und/oder -täterschaft des Verfassungsschutzes herausstellen würde.

Die NPD hat ihrerseits selbst keinen stringenten Umgang mit Informanten des Verfassungsschutzes. Einerseits verwies die Parteizeitung Deutsche Stimme in der Vergangenheit darauf, dass es keine Zusammenarbeit geben dürfe: “Den ‚Müllers‘, ‚Meiers‘ und ‚Hubers‘ von der Firma Horch & Lausch grundsätzlich die ‚Rote Karte‘ zu zeigen, sollte daher nicht als Empfehlung, sondern als eindringliche Handlungsanweisung aufgefasst werden”.[14] In diesem Sinne lehnte auch der NPD-Länderrat ein “Angebot an Spitzel zum Ausstieg” vom Mai 2001 ab, da dessen Verfasser eine Wiedereingliederung von Informanten – die sich offenbaren und niemandem geschadet haben – in die Szene nicht ausschlossen.

Andererseits traten NPDler aber auch wiederholt in Absprache mit Führungskadern der Partei in die Dienste des Verfassungsschutzes. So wussten zumindest Michael Wendland und Holger Apfel von der Tätigkeit des damaligen JN-Stützpunktleiters Ludwigsburg, Mike Layer. Hinter dieser Vorgehensweise steht die Idee, die Jäger des Verfassungsschutzes zu Gejagten zu machen. So könne man durch die V-Männer “Informationen über eventuelle Spitzel und Provokateure erhalten”, wie es der NPD-Landesvorstand Mecklenburg-Vorpommern im Fall Mattias M. formulierte.[15] Als publik wurde, dass Layer als V-Mann arbeitete, konnte sich der Parteivorsitzende Udo Voigt mit seinen Ausschlussforderungen nicht durchsetzen. Vielmehr bekam Layer die Absolution seiner Kameraden und hat inzwischen den Posten des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der JN inne.

Resümee

Obwohl die extreme Rechte seit Jahrzehnten von Informanten des Verfassungsschutzes durchsetzt ist, wuchs die Szene kontinuierlich an. Die Ursachen hierfür sind klar zu benennen:

– die politikwissenschaftlich unhaltbare “Extremismustheorie”, die durch die Verbannung der entscheidenden Ideologieelemente der extremen Rechten an den Rand der Gesellschaft eine wirkungsvolle Auseinandersetzung mit diesen verhindert, diffamiert damit gleichzeitig auch antifaschistische Aktivitäten

– die Verfassungsschutzämter unterliegen einer parteipolitischen Instrumentalisierung und es fehlt gänzlich an schlüssigen Konzepten bei der Bekämpfung der extremen Rechten[16]

– die Schlapphüte legitimieren die eigene Arbeit durch Duldung, Förderung und Finanzierung neonazistischer Strukturarbeit

– als quasi in die Gesellschaft vorgelagerter Staatsschutz klären die Ämter damit über Strukturen auf, an deren Aufbau sie selbst beteiligt waren und beanspruchen die Definitionshoheit über das Thema Rechtsextremismus

All dies sind Gründe, weswegen der Verfassungsschutz als Institution, als Stichwortgeber für Diskussionen um die extreme Rechte in der Gesellschaft und als pädagogische Instanz grundlegend abzulehnen ist und keinerlei Legitimation hat.

Patrick Schwarz | Björn Falter

Anmerkungen

  1. Thüringische Landeszeitung, 30. Mai 01: “Geheimdienst warnte Neonazi”.
  2. Homepage von Stoertebeker.net, Juli 01: “Interview mit Tino Brandt”.
  3. Neues Deutschland, 21. Oktober 99, S. 5: “Junge Gemeinde wird bedroht”.
  4. Berliner Zeitung, 2. November 99, S. 5: “Geheimdienst legte Listen von Linken vor”.
  5. Berliner Zeitung, 11. Juli 00, S. 6: “Kamerad Spitzel”.
  6. Der Spiegel, Nr. 45/00 vom 6. November 00, S. 29: “Schilys anonyme Zeugen”.
  7. Das maßgeblich von ihm mit herausgegebene Nazi-Fanzine United Skins wurde weitergeführt und war teilweise nur über die Postadresse der britischen Blood & Honour-Sektion erhältlich.
  8. Sonderansage des Nationalen Infotelefons Hamburg, 11. Juli 00.
  9. Homepage des Thüringer Heimatschutz, Juli 01: “Der Fall Mike Layer”.
  10. Berliner Zeitung, 2. November 99, S. 5: “Geheimdienst legte Listen von Linken vor”.
  11. Die Tageszeitung, 11. Juli 00, S. 7: “Die Zecken lagen am Boden”.
  12. Frankfurter Rundschau, 7. Juni 00: “Verfassungsschutz soll Neonazi bezahlt haben”.
  13. Homepage von Stoertebeker.net, Juli 01: “Interview mit Tino Brandt”.
  14. Deutsche Stimme, Nr. 8/00, S. 1: “Doppelspiel an unsichtbarer Front”.
  15. Berliner Zeitung, 11. Juli 00, S. 6: “Kamerad Spitzel”.
  16. Etwa wenn der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen die Zeitschrift Junge Freiheit als “rechtsextrem” bewertet und der brandenburgische Innenminister Schönbohm selbiger als Interviewpartner zur Verfügung stand.
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