Räume besetzen

Die extreme Rechte versucht, Berliner Kieze unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Ostteil der Stadt scheint in der Übergangszeit nach dem Mauerfall vieles möglich. Neben linken Aktivistinnen und Aktivisten nutzen auch Neonazis diese Gelegenheit, um eigene Strukturen aufzubauen. In Lichtenberg etabliert sich eine überregional vernetzte Neonazi-Szene.

 

20. April 1990, Weitlingstraße 122, Lichtenberg: Neonazi-Stützpunkt in der Weitling­straße

Im November 1989 fällt die Berliner Mauer. Die DDR existiert noch ein knappes Jahr weiter, staatliche Autoritäten spielen aber kaum noch eine Rolle. In Ost-Berlin werden ganze Straßen­züge von linken Gruppen besetzt. Auch die extreme Rechte profitiert von der Situation. Mit der Nationalen Alternative wird in der DDR erstmals eine neonazistische Partei gegründet. Mitglieder besetzen ein Haus in Lichtenberg. Die städtische Wohnungsverwaltung bietet den Hausbesetzern ein Ersatzobjekt in der Weitlingstraße 122 an.

Am 20. April 1990 können die Neonazis den Mietvertrag unterschreiben. Das Haus wird zur Parteizentrale der Nationalen Alternative. Außerdem werden dort Waffen und Propagandamaterial gelagert. Die Weitlingstraße 122 entwickelt sich zum Anlaufpunkt für Neonazis aus der DDR, der Bundesrepublik und Österreich. Von hier aus werden Angriffe auf Häuser unternommen, die von Linken besetzt sind. Dagegen formiert sich Protest. Im Sommer demonstrieren Tausende gegen den Neonazi-Stützpunkt. Auch auf Drängen der Wohnungsverwaltung müssen die Neonazis ihr Haus Ende des Jahres schließlich aufgeben.

Der Mythos Weitlingstraße wirkt in der extremen Rechten bis heute nach. Der Weitlingkiez bleibt lange eine Neonazi-­Hochburg mit rechten WGs, Kneipen und Läden. Seit den 2000er-Jahren arbeitet der Bezirk zusammen mit Anwohnerinnen und Anwohnern, Gewerbetreibenden und antifaschistischen Initiativen er­folgreich gegen die rechte Hegemonie.

Aufruf zur antifaschistischen Demonstration in Lichtenberg Juni 1990: „Keinen Fußbreit den Faschisten!“ – unter diesem Motto mobilisiert ein Bündnis im Juni 1990 zu einer Demonstration in Lichtenberg. Zuvor hat es mehrere Übergriffe auf linke Strukturen gegeben. Über 3.000 Menschen folgen dem Aufruf. In der Weitlingstraße kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die Neonazis haben sich mit Steinen und Benzin bewaffnet und verharren auf dem Dach. | Quelle: apabiz

 

Glossar

Die Nationale Alternative wird im Januar 1990 als erste neonazistische Partei der DDR gegründet. Sie geht aus der Ost-Berliner Skinhead-Gruppe Lichtenberger Front hervor. Die Partei arbeitet eng mit Neonazis aus der Bundesrepublik und Österreich zusammen. In der Übergangszeit nach dem Mauerfall spielt sie eine wichtige Rolle beim Ausbau neonazistischer Strukturen in der DDR. Bei Wahlen hat sie allerdings keine Relevanz.

Hausbesetzungen: In den 1970er-Jahren entsteht in der Bundesrepublik und West-Berlin eine linke Hausbesetzer-­Bewegung. Die Besetzung leerstehender Gebäude gilt als Akt des politischen Widerstandes. Zugleich werden Räume für alternative Lebensweisen geschaffen. Nach dem Mauerfall greift die Bewegung auf Ost-Berlin über. Bald sind dort ganze Kieze von besetzten Häusern geprägt. Mit der Besetzung mehrerer Häuser in Lichtenberg eignen sich Neonazis auch eine traditionell linke Aktionsform an.

Hegemonie: Die extreme Rechte strebt nach „kultureller Hegemonie“. Sie will nicht nur den politischen Diskurs, sondern auch die herrschende Kultur verändern. Das Konzept der „kulturellen Hegemonie“ geht auf den marxistischen Theoretiker Antonio Gramsci (1891–1937) zurück. Nach Gramsci kann eine radikale Veränderung der Gesellschaft nur gelingen, wenn sie auf einem breiten Konsens beruht. Um einen Konsens zu erreichen, müsse eine Gegenkultur geschaffen werden, die möglichst viele Menschen erreicht und überzeugt.

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