„Es ist ein blendender erster Eindruck“

Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nur nach einer vorherigen, bescheinigten Beratung straffrei möglich. Organisationen und Einrichtungen, die sich für sexuelle und reproduktive Rechte schwangerer Personen einsetzen, geraten in einem sich nach rechts verschiebenden Diskurs zunehmend unter Rechtfertigungsdruck. Gleichzeitig versuchen Netzwerke von Abtreibungsgegner*innen auch in Berlin mit der Etablierung eigener Angebote Beratungssuchende zu beeinflussen und in gesellschaftliche Debatten zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper hineinzuwirken. Wie gehen Vereine von Abtreibungsgegner*innen in Berlin vor? Welche Auswirkungen haben ihre Strategien auf Schwangere? Was müsste sich verändern, damit alle, die danach suchen, Zugang zu einer ergebnisoffenen Beratung erhalten? Auf diese Fragen der MBR für die „Berliner Zustände 2019“ antwortet Sibylle Schreiber, Landesgeschäftsführerin von pro familia Berlin. pro familia ist als eine staatlich anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zur Ausstellung von Beratungsbescheinigungen berechtigt.

 

Berliner Zustände: Gegner*innen sexueller und reproduktiver Rechte scheinen in der öffentlichen Debatte zuletzt zunehmend an Einfluss zu gewinnen. Teilen Sie diese Wahrnehmung? Inwiefern hat sich Ihre Arbeit in den letzten Jahren verändert?

Sibylle Schreiber (pro familia): Auch wir nehmen wahr, dass Argumente und Infragestellungen in der öffentlichen Debatte zu unseren Themen auftauchen, die vor einigen Jahren niemand öffentlich geäußert hätte. Organisierte Netzwerke von Gegner*innen der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung gibt es schon sehr lange, aber durch das Erstarken der AfD und auch deren Bemühung, die Grenze des öffentlich Sagbaren zu verschieben, hat sich der Diskurs deutlich verändert.

Organisierte Netzwerke von Gegner*innen der sexuellen und reproduktiven Selbstbestimmung gibt es schon sehr lange, aber durch das Erstarken der AfD und auch deren Bemühung, die Grenze des öffentlich Sagbaren zu verschieben, hat sich der Diskurs deutlich verändert.

Wir sind dadurch umsichtiger geworden und versuchen, wieder mehr zu erklären, statt davon auszugehen, dass bestimmte Positionen Allgemeingut sind. Zudem müssen wir häufiger Stellung beziehen und unsere Arbeit rechtfertigen, da es sehr viele kleine Anfragen der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus gibt. Andere Landesverbände der pro familia berichten auch von öffentlichen Falschaussagen über pro familia durch die AfD, denen dann auch juristisch begegnet werden muss. Das alles ist aufwendig und manchmal auch nervenaufreibend.

Die Bundesvorsitzende Dörte Frank-Boegner berichtet im Editorial zur Ausgabe 01/2020 des pro familia-Magazins von (politischen) Angriffen auf den Verband und seine Beratungsstellen. Inwieweit macht sich diese Entwicklung auch in Berlin bemerkbar?

In Berlin wurde unsere direkte Arbeit bisher nicht beeinträchtigt, bis auf die oben erwähnten kleinen Anfragen der AfD. Unser Fahrradständer, der draußen vor der Beratungsstelle steht, wird ab und zu mal von Anti-Choice-Aktivist*innen beklebt oder mit Parolen beschmiert. Aber das ist kein neues Phänomen.

Abtreibungsgegner*innen sind dazu übergegangen, Büros zu eröffnen, in denen sie vorgeben, ebenfalls Schwangerschaftskonfliktberatung anzubieten. Welche Strategie steckt dahinter?

Meines Erachtens ist das ein praktischer Teil ihrer Argumentationslinie. Männer und Frauen haben innerhalb dieser Ideologie ganz klare natürliche Aufgaben in der Gesellschaft. Eine Frau ist dazu bestimmt, Mutter zu sein und in dieser Rolle aufzugehen. Ich kann mir vorstellen, dass sich in den Beratungsgesprächen mit den Frauen darauf stark fokussiert wird. Diese Organisationen und deren Beratungsstellen geben sich zwar den Anschein der Vertretung eines modernen, emanzipierten Frauenbildes und nutzen vor allem Protagonistinnen, die dies öffentlich verkörpern. Die Werte, für die sie sich einsetzen, sind demgegenüber aber ultrakonservativ.

Zudem kann man so seinen „Anhängern“ darstellen, dass man ganz praktisch tätig ist, und es lassen sich damit auch sehr gut Spenden generieren. Was verkauft sich besser als ein Bild einer jungen Mutter mit einem Baby auf dem Arm, die „gerettet“ wurde?

Das ist der eine Teil. Der andere Teil der Strategie ist sicherlich, gesellschaftsfähiger, renommierter zu wirken und perspektivisch auch Kompetenzen nachzuweisen, wenn es um praktische Erfahrungswerte in der Debatte geht.

Diese Organisationen und deren Beratungsstellen geben sich zwar den Anschein der Vertretung eines modernen, emanzipierten Frauenbildes und nutzen vor allem Protagonistinnen, die dies öffentlich verkörpern. Die Werte, für die sie sich einsetzen, sind demgegenüber aber ultrakonservativ.

Welche dieser Anti-Choice-Beratungsstellen gibt es und sind diese auch in Berlin aktiv?

Eine der bekanntesten Beratungsstelle ist die von pro femina. Sie haben schon lange ein Onlineangebot, bei dem ein sogenannter „Abtreibungstest“ im Zentrum steht. Durch diesen Fragebogen erhalten die Berater*innen sehr viele Vorab-Information über die aktuelle Situation der Frau und können so ihre Argumentationslinie für das folgende Gespräch aufbauen. Letztes Jahr wurde auch eine Filiale in Berlin eröffnet.
Oder der Verein „Aktion Lebensrecht für Alle“ e.V. , der sogar eine 24-Stunden-Hotline anbietet. Bei diesem Verein können Frauen wenigstens durch den Namen schon das Programm dahinter erfahren. Bei pro femina, die sich zu der beabsichtigten Namensähnlichkeit zu pro familia auch bekennen, ist das schon sehr viel schwieriger und man muss etwas mehr recherchieren. pro femina ist Initiator der Aktion „1000plus – Hilfe statt Abtreibung“, die schon seit 2009 existiert. Es handelt sich dabei um eine Plattform, um Spenden zu sammeln, die mit vielen süßen Babyfotos, übrigens ausschließlich von weißen Babys, wirbt. Sie sind z.B. auch in Kirchengemeinden aktiv und sammeln Spenden nach dem Gottesdienst. Auch hier ist der Name Programm: Durch die Beratung sollen Frauen dazu bewegt werden, eine Schwangerschaft auszutragen – 1000plus mehr Kinder. Aber es gibt noch mehr lokale Beratungsstellen dieser Art.

 Was wissen Sie über die Arbeit dieser Vereine und wie schätzen Sie die möglichen Auswirkungen auf Beratungsnehmende ein?

In einigen Fällen kommen Frauen, die dort beraten wurden, zu uns, da sie nicht wussten, dass diese Beratungsstellen keine Beratungsbescheinigung ausstellen dürfen, die zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruches aber notwendig ist. Sie bemängelten, dass dies nicht gleich kommuniziert wurde; dadurch sind sie in einigen Fällen in Zeitdruck geraten. Oder es wurden immer weitere Beratungsgespräche vereinbart, wahrscheinlich auch, um weitere Zeit verstreichen zu lassen. Andere berichteten, dass ihnen private finanzielle Unterstützung angeboten wurde, wenn sie die Schwangerschaft austragen würden. Oder die Frauen wurden immer wieder von der Beratungsstelle kontaktiert, auch wenn sie dies nicht mehr wünschten.

Manche dieser Anti-Choice-Beratungsstellen scheinen sich bewusst ein Erscheinungsbild zu geben, das denen von anderen Beratungsstellen zum Verwechseln ähnlich sieht. Wie bewerten Sie als Landesgeschäftsführerin von pro familia Berlin dieses Vorgehen, und welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für ihre Arbeit?

Das ist natürlich eine perfide Strategie, denn sie baut auf unserem guten Namen auf. Sie nutzen zum Teil die gleichen Wörter und beziehen sich auf Menschenrechte. Bei den wohlformulierten Texten muss man schon sehr genau lesen, um die Unterschiede in den Haltungen wahrzunehmen. Das verwirrt vielen Menschen, die sich damit noch nicht befasst haben. Und es führt sicher auch zu vielen irritierten Frauen, die bei einer ungeplanten Schwangerschaft schon genug um die Ohren haben.

Grundsätzlich können wir rechtlich nicht wirklich etwas dagegen tun. Zudem handelt es sich um finanziell gut ausgestattet Netzwerke und Organisationen, die sich rechtlich absichern und auch über sehr gute PR-Strategien verfügen. Es ist ein blendender erster Eindruck.

Bei den wohlformulierten Texten muss man schon sehr genau lesen, um die Unterschiede in den Haltungen wahrzunehmen. Das verwirrt vielen Menschen, die sich damit noch nicht befasst haben. Und es führt sicher auch zu vielen irritierten Frauen, die bei einer ungeplanten Schwangerschaft schon genug um die Ohren haben.

Wir betonen inzwischen öffentlich wirksamer, dass wir eine staatlich anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle und berechtigt sind, Beratungsbescheinigungen auszustellen. Ein Vorteil sind bestimmt auch die vielen zufriedenen Menschen, die wir beraten haben: Sie berichten über ihre positiven Erfahrungen. Auch empfehlen uns sehr viele Ärzt*innen ihren Patient*innen. Zudem stehe ich auf dem Standpunkt, dass sich Qualität langfristig durchsetzt. Eine schöne Webseite ersetzt keine hochqualifizierte, wirklich ergebnisoffene Beratung.

Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit künftig alle Schwangeren auch tatsächlich Zugang zu einer gesetzlich verankerten, ergebnisoffenen Beratung erhalten?

Die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, die Mitglied im Berliner Paritätischen Wohlfahrtsverband sind, setzen sich dafür ein, über die Hintergründe der Beratungsstellen der Abtreibungsgegner*innen aufzuklären. Zudem würde es uns helfen, wenn sich nur staatlich anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen auch so nennen dürfen.

 

Das Interview wurde im April 2020 geführt.

    Der Berlin-Blog vom
    Kontakt

    mail@apabiz.de   [PGP-Key]

    Berlin rechtsaußen
    c/o apabiz e.V.
    Lausitzerstr. 10
    10999 berlin

    Piwik