„Es geht uns um das gefühlte Ungleichgewicht in der Behandlung“

Seit drei Jahren vernetzt die „Anwohner*inneninitiative für Zivilcourage – gegen Rechts“ Menschen rund um die Torstraße in Mitte, unabhängig und überparteilich, aber geschlossen gegen rechtsextremes Gedankengut. Sie organisiert Diskussionsveranstaltungen und Bildungsangebote für die Kiezbewohner*innen, mobilisierte aber auch tausende Menschen zu Protesten gegen die Aufmärsche von „Wir für Deutschland“, die regelmäßig durch die Nachbarschaft zogen. Die Anwohner*inneninitiative konnte nicht nur prominente Redner*innen für ihre Kundgebungen gewinnen, sondern stellte dabei auch immer wieder ein beachtliches Kulturprogramm auf die Beine: von Bernadette La Hengst über Reinald Grebe & Die Kapelle der Versöhnung bis Kafvka. Zudem formulierte sie früh Kritik am Umgang der Polizei mit den von ihr angemeldeten und organisierten Kundgebungen. Im Interview mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) für die „Berliner Zustände 2019“ berichten Aktive der Initiative über ihre Wahrnehmung von Polizeiabsperrungen, wie sie sich gegen die empfundene Markierung als „gefährlich“ gewehrt haben sowie über die Pläne ihrer Anwohner*inneninitiative für 2020.

 
Foto: Berlin gegen Nazis

Berliner Zustände: Schön, dass ihr euch Zeit genommen und für das Interview zusammengefunden habt! Ich würde euch als erstes bitten zu erzählen, wie es dazu kam, dass ihr euch 2017 hier in der Spandauer Vorstadt in Mitte zu einer Anwohner*inneninitiative zusammengeschlossen habt. Was war der Anlass, und wie habt ihr zueinander gefunden?

Anwohner*inneninitiative für Zivilcourage – gegen Rechts: Wenn ich mich richtig entsinne, war der konkrete Anlass ein Naziaufmarsch hier durch den Kiez. Über 1000 Rechte sind an diesem Tag durch die Auguststraße gezogen. Es war ein Aufmarsch des inzwischen angeblich aufgelösten Vereins „Wir für Deutschland“. In den engen Straßen wirkte das sehr bedrohlich. Wir konnten nur mit einer Handvoll Leuten am Straßenrand stehen und dachten: Da müssen wir etwas tun. Das führte dazu, dass wir beschlossen haben, uns zusammenzusetzen. Einige kannten sich schon vorher aus der Tucholsky-Buchhandlung. Viel lief anschließend über Mund-zu-Mund Propaganda und über Mailverteiler. Zu den ersten beiden sehr gut besuchten Nachbarschaftstreffen wurden vor allem Kund*innen der Tucholskybuchhandlung eingeladen und andere Menschen, die regelmäßig in den Kiezbuchladen kamen. Daraus ist dann unsere Initiative entstanden.

Die zentrale Gegendemo zu diesem Aufmarsch 2017 ist vom Rosenthaler Platz aus zum Hauptbahnhof gelaufen. Etwa 50 Leute aus dem Kiez haben sich getroffen und sind mit selbstgemalten Schildern zusammen zur Auftaktkundgebung gelaufen. Sie wurden allerdings aufgehalten. Der gemeinsame Weg wurde als nicht angemeldete Versammlung aufgefasst. Es war gleichzeitig für viele der erste Kontakt mit der Polizei. Als Initiative haben wir danach gesagt, wir wollen etwas Eigenes bei uns vor Ort machen. Das Ergebnis war dann, dass wir beim nächsten Aufmarsch drei Straßen im Viertel mit von uns organisierten Kundgebungen besetzt haben.

Es ging danach mit regelmäßigen Sitzungen weiter. Am Anfang war da eine unglaubliche Dynamik. Es gab Reaktionen aus der ganzen Welt. Sogar die „New York Times“ hat sich für uns interessiert. Rund um den 3. Oktober wurden Proteste gegen den Naziaufmarsch organisiert und den Rest des Jahres Lesungen, Veranstaltungen, Diskussionen und Workshops. Mit der Zeit hat sich die Zahl der Mitstreiter etwas reduziert. Ein harter Kern ist aber bis heute geblieben.

Machen wir einen kleinen Sprung in das Jahr 2019. Ihr wurdet im letzten Jahr vom Regierenden Bürgermeister mit dem „Band für Mut und Verständigung“ ausgezeichnet. Wenn ihr die Zeit seit der Gründung Revue passieren lasst: Was waren Erfolge oder auch Meilensteine, die euch in Erinnerung geblieben sind? Was waren aber vielleicht auch Herausforderungen?

Ich denke, was wirklich besonders war, war unsere Kundgebung im Jahr 2018 am Pappelplatz. Da kam beides zusammen. Es waren bis zu 1500 Leute da. Wir hatten ein tolles Programm. Gleichzeitig wurde dieser positive Eindruck davon getrübt, wie die Polizei mit denjenigen umgegangen ist, die für Demokratie einstehen wollten. Das war dann der Ausgangspunkt dafür, dass wir uns später auch mit dem Innensenator auseinandergesetzt haben. Denn für uns fühlte es sich wie Willkür an. Wir konnten zum Beispiel nicht den uns eigentlich angemeldeten Platz nutzen. Der Wasserwerfer, der dem Naziaufmarsch voran fuhr, war gegen unsere Kundgebung gerichtet, obwohl von uns im Gegensatz zu den Nazis keinerlei Aggression ausging.

Die Preise, die wir bekommen haben, waren natürlich auch schöne Zeichen der Anerkennung. Gleichzeitig ist es immer ein bisschen befremdlich, wenn von der Politik auf der einen Seite Initiativen wie unsere gelobt werden, aber auf der anderen Seite die Unterstützung an so vielen Stellen schwächelt. Damit hat auch ein Projekt wie „Berlin gegen Nazis“ zu kämpfen, das uns fast von Anfang an begleitet hat und auf dessen Unterstützung wir auch angewiesen sind. Von „Berlin gegen Nazis“ bekamen wir wichtige Informationen zur Organisation unserer Kundgebungen.

Gleichzeitig ist es immer ein bisschen befremdlich, wenn von der Politik auf der einen Seite Initiativen wie unsere gelobt werden, aber auf der anderen Seite die Unterstützung an so vielen Stellen schwächelt.

Eine ebenso verbindende wie motivierende Spezifik unserer Arbeit ist, dass wir über unsere regelmäßigen Treffen hinaus mittlerweile auch einen gemeinsamen Informationsaustausch haben. Es ist ein Bewusstsein gewachsen, dass wir das, wofür Zivilgesellschaft steht, in den öffentlichen Raum hineintragen wollen. Die Zusammenarbeit in der Nachbarschaft hat dabei geholfen, die Lähmung, die angesichts der politischen Situation manchmal da ist, zu überwinden. Sie ist eine wichtige Antriebskraft, weiter zu machen. Die Schweigenden können nicht weiter schweigen, dafür brennt es gerade zu sehr! Wichtig ist, wir machen als Initiative keine Klientelpolitik. Wir legen uns mit der schweigenden Masse an und sagen: Hey, macht mal die Tür auf und kommt raus!

Ihr habt über eure Erfahrungen mit der Polizei gesprochen, die es von Beginn an gab, aber besonders bei der Kundgebung am Pappelplatz am 3. Oktober 2018. Ihr habt euch danach hingesetzt und verschiedene Briefe geschrieben, an Politiker*innen aus dem Abgeordnetenhaus, die lokale Bundestagsabgeordnete und den Innensenator Andreas Geisel. Was war euer Anliegen, was waren die Kritikpunkte, die ihr in diesen Briefen formuliert habt?

Es ging uns vor allem um das gefühlte Ungleichgewicht in der Behandlung. Was uns sehr aufgestoßen ist, sind Situationen, in denen die Polizeieinheiten, die für uns zuständig waren, mit einem Eingreifen gedroht haben, weil zum Beispiel eine Person ihre Kapuze auf hatte. Wenn man sich dann vor Augen führt, welches Maß an Bedrohungen von den Neonazis ausging, dann gibt es schon sehr zu denken, dass die Polizei dort dann nicht eingegriffen hat. Wir hatten teilweise das Gefühl, dass das aggressive Verhalten der Nazis eher noch belohnt wurde.

Was wir in den Briefen eingefordert haben, war eine andere Art der Kommunikation. Am 3. Oktober 2018 war die Situation bei unserer Kundgebung teilweise so, dass es keine offenen Zugangswege mehr gab. Eine Maßnahme, die uns nicht mal der Verbindungsbeamte der Polizei erklären konnte. Es gab Musiker*innen und andere Künstler*innen, die wir eingeladen hatten, bei uns aufzutreten, denen aber an den Polizeiabsperrungen der Zutritt verwehrt wurde. Wir konnten uns nicht mehr frei bewegen, und die Menschen, die zu uns kommen wollten, konnten unsere Kundgebung nicht mehr, bzw. nur unter Inkaufnahme großer Umwege erreichen. Das war eine Art der Markierung als „gefährlich“, gegen die wir uns mit unseren offenen Briefen gewehrt haben.

Die Politik hat auf eure Briefe mit verschiedenen Gesprächsangeboten reagiert. Ihr saßt im Jahr 2019 u.a. mit Innensenator Andreas Geisel zusammen. Beim zweiten Termin hatte Herr Geisel auch einen Vertreter der Versammlungsbehörde und einen Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei mitgebracht. Welches Fazit zieht ihr nach den Gesprächen, und was würdet ihr euch von der Polizeiführung und der Politik zukünftig wünschen?

Wir haben die Situation so erlebt, dass von der Politik bis zu einem bestimmten Punkt wohlwollende Unterstützung für unsere und andere Initiativen signalisiert wird. Eine Kooperation, die aber an ihre Grenzen stößt, wenn die vermeintlich bewährten Routinen infrage gestellt werden. An diesem Punkt geraten viele Gespräche ins Stocken und führen nicht mehr weiter. Genau das haben wir auch in den beiden Gesprächen mit Herrn Geisel im letzten Jahr erlebt. Irgendwann hatten wir das Gefühl, es wiederholen sich nur noch die gleichen Argumentationsstränge und man redet eigentlich nur noch aneinander vorbei. Die Rollen sind klar verteilt. Die Schublade geht auf und dann wieder zu. Die Auseinandersetzung geht schnell ins Formale über, und es stellt sich die Frage, wie viel bringt das eigentlich?

Am darauf folgenden 3. Oktober 2019 wirkte die Polizei im Umgang mit unserer Kundgebung dann allerdings etwas offener und auch insgesamt bemühter. An der Gesamtsituation hat sich damit aber noch nichts geändert. Zwischen uns und den Rechten steht die Polizei und die Gesichter der Polizist*innen sind uns zugewandt. In ihrer Logik sind wir vor allem die, die stören wollen. Während die Nazis hinter der Polizeiabsperrung zu uns herüberrufen: „Wenn wir wollen, schlagen wir euch tot!“ Die Polizei hat uns gesagt, die Beamt*innen – sowohl die für unsere Kundgebung als auch die für die Kundgebung der Rechtsextremen zuständigen – hätten es nicht mitbekommen. Das ist logisch, weil sie eben nicht hingeschaut haben. Aber sie hätten es hören müssen, diese Rufe waren laut genug und sind auch dokumentiert.

Wir bereuen aber nicht, die Gespräche geführt zu haben. Die Termine waren es sicherlich wert, wahrgenommen zu werden, da uns die politisch Verantwortlichen so einmal persönlich kennen gelernt haben. Es ist jetzt für sie nicht mehr so einfach möglich, uns in irgendeine extreme Ecke zu rücken. Ob sich dadurch aber tatsächlich das Agieren der Polizei grundsätzlich verändern wird, das wagen wir zu bezweifeln. Es scheint manchmal eine gewisse Diskrepanz zu geben zwischen dem, was der Innensenator sagt und dem, was die Polizei dann umsetzt. Wir gehen davon aus, dass die Polizei eine friedliche Demonstration, an der zudem viele Familien mit Kindern teilnehmen, schützten sollte. Unser Eindruck war dann aber eher, dass die Polizei nicht auf beiden Augen gleich gut sieht.

Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung könnte die geplante Einführung eines unabhängigen Polizeibeauftragten sein, der nicht nur für Polizist*innen ansprechbar ist, ohne dass sie über ihre Vorgesetzten gehen müssen, sondern an den oder an die wir uns auch als Bürger*innen wenden können. Das ist eine Sache, die helfen könnte, mehr Vertrauen zu entwickeln.

Vom Umgang der Polizei mit euren Kundgebungen und den Reaktionen der Politik nochmal zurück zu den Rechtsextremen, die wiederholt hier in den umliegenden Straßen aufmarschiert sind. Ihr hattet es anfangs schon angesprochen: Der Verein „Wir für Deutschland“ hat sich nach eigenen Angaben Ende 2019 selbst aufgelöst. Fühlt sich das für euch auch ein bisschen wie euer Erfolg an, und wie denkt ihr, wie wird es nun in Mitte weitergehen?

Wir empfinden die Auflösung von „Wir für Deutschland“ erst mal als sehr positiv. Die Gegenwehr, die wir und andere gegen ihre Aufmärsche organisiert haben, hat sicherlich ihren Teil dazu beigetragen. Als größten Erfolg würden wir uns aber zuschreiben, dass wir den Anwohner*innen im Kiez ein Angebot gemacht haben. Wir haben einen Ort geschaffen, an dem sie öffentlich zeigen konnten, dass sie Naziaufmärsche durch das Viertel, in dem sie leben, nicht wollen. Jeder von uns, der schon mal alleine in seiner Wohnung am Fenster stand und die Nazis hat unten vorbei laufen sehen, wird das Gefühl der Machtlosigkeit kennen. Da hilft es ungemein zu wissen, wo man hingehen kann.

Als größten Erfolg würden wir uns aber zuschreiben, dass wir den Anwohner*innen im Kiez ein Angebot gemacht haben. Wir haben einen Ort geschaffen, an dem sie öffentlich zeigen konnten, dass sie Naziaufmärsche durch das Viertel, in dem sie leben, nicht wollen.

Dass dieser Erfolg nicht ausreichen wird und die nächsten solcher rechtsextremen Organisationen schon in den Startlöchern stehen, ist uns aber auch klar. Sich darauf verlassen, dass die nun alle wieder verschwinden, wäre ein Trugschluss. Dafür haben die Rechten in unserer Gesellschaft allgemein gerade viel zu viel Oberwasser. Die Gefahr ist nach wie vor akut. Insofern werden auch wir uns als Initiative jetzt sicher nicht auflösen. Wir haben auch schon vor der Auflösung von „Wir für Deutschland“ häufig darüber diskutiert, ob es eigentlich ausreicht, dass wir nur rechten Mobilisierungen hinterherlaufen. Wir haben schließlich auch eigene politische Anliegen, und mit denen wollen wir positiv in die Gesellschaft hineinwirken.

Ihr seid motiviert weiterzumachen. Daran anknüpfend, könnt ihr denn schon verraten, wie es mit eurer politischen Arbeit weitergeht? Was sind eure Pläne für das Jahr 2020?

Es wird für uns nun verstärkt darum gehen, die Auseinandersetzung um den Zustand unserer Gesellschaft zu führen. Wir müssen dabei unsere eigenen Positionen hinterfragen, aber gleichzeitig auch für und gemeinsam mit den Menschen, mit denen wir hier zusammenleben, die sich ausbreitenden antidemokratischen und freiheitsraubenden Entwicklungen angehen. Es wird verstärkt um die Frage gehen: Wie gestalten wir eigentlich unsere Gesellschaft? Wir werden weiter Angebote machen, etwa in Form von Veranstaltungen, einige davon sind auch schon fest geplant. Aber als Initiative werden wir auch Aktionen von anderen unterstützen. So planen wir beispielsweise, uns am 9. Mai an den „glänzenden Aktionstagen“ des Kulturnetzwerks „Die Vielen“ zu beteiligen.

Es gab und gibt viel Verunsicherung angesichts des offenen Auftretens gewalttätiger rechter Gruppen, das haben wir in den letzten drei Jahren gemerkt. Diese Angst muss überwunden werden, und das geht nur, indem man einen Schwarm bildet. Je stärker der Schwarm ist, desto größer wird auch seine Handlungsfähigkeit sein. Wir wollten zum Beispiel nach Neukölln gehen und uns mit den Menschen solidarisieren, die dort gegen Rassismus und die Angriffe von Neonazis auf die Straße gehen. Wir werden andere Formen entwickeln, um aktiv zu werden, anstatt nur auf den 3. Oktober zu starren. Aber eins steht fest, wenn da wieder was kommt, dann werden wir da sein! Aber uns geht es um mehr!

Vielen Dank für die engagierten Abschlussworte und für das Gespräch!

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