Der Schwarze Atlantik ist der Himmel, unter dem wir uns verbinden – Vorstellung von EACH ONE, einer Beratungsstelle von und für Schwarze Menschen

Anti-Schwarzer Rassismus ist tief in der Gesellschaft verwurzelt. Institutionen nehmen hier oftmals ein komplizenschaftliches Verhältnis ein. Dringend bedarf es der öffentlichen Sensibilisierung und der Etablierung umfassender, effektiver Maßnahmen des Diskriminierungsschutzes für Schwarze Menschen und People of Color.

 

EACH ONE ist eine neue Beratungsstelle in Berlin von und für Schwarze, Afrikanische und Afrodiasporische Menschen in Fällen rassistischer und damit verwobener Diskriminierung. Die EACH-ONE-Beratung ist bei Each One Teach One (EOTO) e. V. angesiedelt, einem Verein von und für Schwarze, Afrikanische und Afrodiasporische Menschen mit dem Ziel der Zusammenkunft in einem geschützten Raum und des Aufbaus eines heilenden, kreativen Ortes des Empowerment. Die Beratung findet somit an einem besonderen Ort statt, der sich als Schwarz Atlantisch bezeichnen lässt.

Wenn Schwarze sprechen, beginnt die Erde zu beben

Schwarz Atlantisch verweist in Anlehnung an Paul Gilroys Werk The Black Atlantic (1993) darauf, dass Schwarze im Zuge der Versklavung und Kolonisierung durch europäische Akteure während des transatlantischen Handels durch das Überqueren der Meere, die Afrika, Amerika und Europa trennen, Schwarze Kulturen und Identitäten entwickelten. Der Atlantik ist somit ein Raum, in dem Schwarze ihre Kulturen des Überlebens und der Zusammenkunft jenseits sprachlicher, religiöser, vergeschlechtlichter Differenzen, im dynamischen Austausch – herstellen.

Transatlantische Erfahrung ist ein integraler Bestandteil der Schwarzen Erfahrung und Geschichte. Das heißt, dass Schwarze, wo auch immer sie sich befinden, den Atlantik in sich tragen – als kleine Welle, kleines Element eines größeren Ganzen, die die Unendlichkeit und die Tiefe Schwarzer Erfahrung, die stets dynamisch ist, in sich spiegelt.

Der Atlantik ist der Himmel, unter dem sich Schwarze verbinden. Unter diesem Himmel findet die EACH-ONE-Beratung statt. In ihr fließen vielfältige Routen und Verortungen Schwarzer Menschen zusammen. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Orten der Welt, den Diasporas in Amerika und anderen Siedlerkolonien, Asien, aus Afrikanischen Ländern oder sind aus Familien, die bereits seit zwei, drei oder mehr Generationen in Deutschland bzw. Europa leben. Ihre Erzählungen geben uns Einsicht in die Muster und Strukturen einer von Anti-Schwarzem Rassismus, intersektionaler Diskriminierung und institutionalisierten Ausschlussprozessen und Grenzregimen geprägten Gesellschaft. Wie Gilroy betont, ist die Schwarze Erfahrung integraler Bestandteil der Moderne, der westlichen Gesellschaft, die in westlichen nationalstaatlichen Kontexten jedoch ausgeblendet wird. Schwarze Erzählungen ernst zu nehmen verändert den Blick auf Gesellschaft und Institutionen. Denn die Geschichten, die Schwarze über Berlin und Deutschland, Europa und die neokoloniale Welt erzählen, offenbaren die Abgründe eines von Kolonialität geprägten Gesellschaftssystems. Sie bringen die Erde zum Beben…

Berliner Zustände aus der Sicht von Schwarzen

Die folgenden Berichte erzählen von Berliner Zuständen. Sie verweisen auf die tiefe Verwurzelung von Anti-Schwarzem-Rassismus im Hier und Jetzt und darauf, wie Institutionen und Gesellschaft dabei oftmals in einem komplizenschaftlichen Verhältnis zueinanderstehen. Sie verbildlichen die Dringlichkeit der öffentlichen Sensibilisierung für Anti-Schwarzen-Rassismus und, vor allem, der Etablierung umfassender, effektiver Maßnahmen des Diskriminierungsschutzes für Schwarze Menschen und People of Color im Allgemeinen.

Kwame (31) ist aus Ghana nach Berlin gezogen, um mit seiner Partnerin, einer deutschen Frau, und ihrer gemeinsamen Tochter Akua (5) zu leben. Nach langer Suche nach einer Wohnung im Stadtzentrum Berlins, zieht die Familie nach Köpenick. Die anliegende Natur und der weitläufige Wohnraum seien, so die Frau, eine ideale Umgebung. Leider rechnete sie nicht mit der offen rassistischen Feindseligkeit gegenüber Schwarzen Menschen, die Berliner Randbezirke auf besondere Weise prägt und im Zusammentreffen mit Nachbar*innen, Mitarbeiter*innen des öffentlichen Transports, Polizist*innen wie auch Erzieher*innen in der Kita zutage tritt.

Verheerender Weise bietet auch der familiäre Rahmen keinen geschützten Raum. Eheliche Konflikte bringen die Mutter dazu, Kwame über das Jugendamt das Umgangsrecht zu entziehen. Die dortige Sozialarbeiterin positioniert sich, wie allzu oft, prompt aufseiten der Mutter, deren Version der Geschichte sie im Vergleich zu der des Vaters – den sie als „temperamentvoll“ (ein klassisches kriminalisierendes Stereotyp gegen Schwarze und andere People of Color) beurteilt – den Vorzug gibt. Vor Gericht spricht sie sich zulasten des Vaters aus. Kwame verliert sein Recht, Akua frei betreuen zu können. Es werden feste Tage vereinbart, an denen er sie von der Kita nach Hause bringen und Zeit mit ihr verbringen kann. Als Kwame Akua eines Tages auf Wunsch der Mutter an einem nicht vom Gericht festgesetzten Nachmittag abholen will, entsteht ein Streit mit dem Erzieher, der dem Schwarzen Vater ohnehin bereits feindselig gegenübergetreten war. Die Situation eskaliert, Kwame wird gewaltsam festgehalten. Dieses unverhältnismäßige Verhalten macht den Vater wütend und er spricht den Rassismus an, der der Eskalation zugrunde liegt. Ihm wird daraufhin mit einer Anzeige gedroht.

Der ganze Vorfall ereignet sich im Beisein der Tochter, die nicht das erste Mal Zeugin der Gewalt gegen ihren Vater wird. Akua beginnt Fragen darüber zu stellen, was es bedeute „Schwarz“ zu sein. Anhaltende, oft abfällige Bemerkungen über ihr Anderssein in der Kita belasten sie. Sie verweigert immer öfter, in die Kita zu gehen. Der besorgte Vater setzt sich dafür ein, dass Akua in eine andere Kita kommt und stellt den Kontakt zu anderen Schwarzen Kindern her, in deren Kreis sie „sein kann, wie sie ist“. EACH ONE unterstützt die beiden dabei.

Für stark diskriminierte Gruppen kommt eine Diskriminierung selten allein, sondern es ergeben sich Diskriminierungsketten, die verhängnisvoll sein können. Es sind unzählige Fälle dokumentiert, in denen Schwarze Menschen rassistische Angriffe erleiden und daraufhin selbst auf die Anklagebank geraten, sie Zeit, Nerven und Geld aufbringen müssen, um sich vor Gericht zu verteidigen.

Für stark diskriminierte Gruppen kommt eine Diskriminierung selten allein, sondern es ergeben sich Diskriminierungsketten, die verhängnisvoll sein können. Es sind unzählige Fälle dokumentiert, in denen Schwarze Menschen rassistische Angriffe erleiden und daraufhin selbst auf die Anklagebank geraten, sie Zeit, Nerven und Geld aufbringen müssen, um sich vor Gericht zu verteidigen. Aufgrund ihrer geringen „Macht zur Beschwerde“ (Johanna Mohrfeldt und Sebastian Friedrich) haben sie in solchen Verfahren (insbesondere bei Fällen, in denen die Polizei involviert ist) wenig Aussichten auf ein Urteil, das sie für nicht schuldig erklärt. Und nicht selten ergeben sich dadurch Probleme mit Aufenthaltstiteln, Arbeitgeber*innen oder Vermieter*innen.

Mamadou (31) ist mit zwei Freunden, Kalil und Ibou, des Nachts in Friedrichshain unterwegs. Sie sehen, dass am Ende der Straße Trubel herrscht, Polizei- und Krankenwagen mit Blaulicht im Einsatz. Sie erkennen ihren Freund Saliou (25), der verletzt im Krankenwagen sitzt. Sie gehen zu ihm, um ihn zu fragen, was los sei. Es habe einen Konflikt mit einem weißen Mann gegeben, zwei weitere Schwarze Männer seien vor der Polizei weggelaufen. Plötzlich werden Mamadou Handschellen angelegt. Ihm wird vorgeworfen, den weißen Mann angegriffen zu haben. Der weiße Mann hatte ihn vage identifiziert: „So jemand wie er…“

Diese Verwechslung hat schwere Folgen: Es kommt zu einem Strafprozess gegen Mamadou. Niemand im Gericht geht der Verwechslung sachlich auf den Grund. Auch nicht Mamadous eigener Strafverteidiger, demgegenüber er seine Unschuld betont hatte. Es wird ein „Deal“[1] vereinbart, in dem er wegen Körperverletzung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt wird. Dies wirkt sich wiederum auf Mamadous aufenthaltsrechtliches Verfahren aus, denn er muss nun das Ende der Bewährung abwarten, um einen Antrag auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu stellen. Was ihn und seine kleine Familie (Mélissa, 28, und Meï, 4) in eine anhaltende prekäre Lage versetzt, da Arbeits- und Wohnungssuche ohne festen Status erschwert sind.

Auch die folgende Diskriminierungskette begann mit einem rassistischen Vorfall und endete mit einer Gefängnisstrafe, die weitere Diskriminierungen nach sich zog.

Sarafina (39) wird, wie so oft, auf der Straße von weißen Männern rassistisch belästigt. Sie gerät in Wut. Versehentlich trifft sie durch beim Gestikulieren ein Kind, was die Anwesenden als Angriff deuten. Die Polizei wird herbeigerufen und die Frau wird wegen „auffälligem Verhalten“ festgenommen und abgeführt. Im darauffolgenden Prozess lassen tonlose Kameraaufnahmen und missgünstige Zeug*innenaussagen die Situation als eindeutig erscheinen: Das Kind sei angegriffen worden. Sarafina versucht sich zu erklären, was ihr unter Vorwurf der Uneinsichtigkeit als weiterer Strafgrund aufgebürdet wird. Die Hintergründe des Vorfalls bleiben unberücksichtigt, was mitunter damit zu tun hat, dass nicht für eine adäquate Übersetzung gesorgt wurde und die Kammer Sarafina die Verteidigung durch ihren regulären Anwalt verweigerte und einen Verteidiger beiordnete, mit dem sie im Vorfeld nicht kommuniziert hatte. Das Gericht gibt Sarafina die Wahl zwischen drei Monaten Gefangenschaft oder zwei Jahren in einer geschlossenen Gefängnisklinik. Sie entscheidet sich für die Haftstrafe.

Im Frauengefängnis ist Sarafina die einzige Schwarze Frau. Sie wird durch das Personal kontinuierlich schikaniert und belästigt. Sie telefoniert täglich mit ihrer Tochter Iminathi (19), die in Berlin lebt, und erzählt ihr von den Vorfällen. Iminathi setzt sich für ihre Mutter ein, jedoch werden ihre Beschwerden abgewehrt: Es wird mit Unverständnis reagiert, falsche Angaben gemacht, bei ungemütlichen Nachfragen wird der Hörer aufgelegt. Unterdessen nimmt die Schikane hinter den Gefängnistoren nicht ab, sondern zu.

Ohne Neuanhörung wird Sarafinas Strafe nach zwei Monaten unter Anführung von Formfehlern auf ein Jahr erhöht. In Zusammenarbeit mit Sarafinas regulärem Anwalt und EACH ONE organisiert die Tochter eine Anhörung, um dem Gericht die Perspektive der Mutter, die bis dahin nicht angemessen Platz gefunden hatte, nahezulegen. Sie nutzt die Gelegenheit, um auf die Schikane im Gefängnis zu sprechen zu kommen: Wie kann es an einem Ort, an dem es überall Kameras gibt, passieren, dass Inhaftierte von Männern belästigt werden, kein Essen erhalten oder des Nachts in abgeschiedene Teile des Gefängnisses verlegt werden? Der Gefängnisleiter gibt an, dass nicht überall Kameras angebracht seien. Dies erscheint Iminathi als fragwürdig, zumal die Anhörung nach diesen ungemütlichen Fragen schnell ein Ende findet und ihre Mutter, der eingangs noch ein Jahr Haft bevorstand, zum nächsten Tag auf Bewährung freigelassen wird. Iminathi nimmt ihre Mutter zu sich auf und unterstützt sie dabei, wieder ins Leben zu kommen. Die Vorfälle im Gefängnis bleiben bislang unaufgeklärt. Die Zeit wird zeigen, ob es uns gelingt, effektive Beschwerdewege in der Institution Gefängnis aufzubauen.

Dies sind nur drei von vielen Beispielen, die die Schwere Anti-Schwarzer Berliner Zustände aufzeigen. Und auch diese biographischen Ausschnitte spiegeln noch bei weitem nicht den Alltagsrassismus, der das Leben von Kwame, Akua, Mamadou und Sarafina kontinuierlich prägt. Sie zeigen aber gleichzeitig, mit wieviel Beständigkeit und Mut Schwarze Menschen innerhalb dieser Verhältnisse navigieren, sie in Frage stellen und sich sicherere Freiräume schaffen; das Aufeinander-Aufpassen in der Familie, in der Community ist ihre Stärke. Die EACH-ONE-Beratung ist als ein solcher Ort des Aufeinander-Aufpassens zu verstehen.

Gesellschaft Schwarz-Atlantisch-neu denken

Die geschilderten Beispiele zeigen, dass Antidiskriminierungsarbeit für Schwarze Menschen nach einem breit aufgestellten Unterstützungsnetzwerk ruft, das Peer-to-Peer-, Antidiskriminierungs-, Opfer-, Rechts- und psychologische Beratung sowie solidarische Aktion umfasst. Dieses muss indessen auch Schwarze Menschen an Orten erreichen, die gemeinhin aus dem Blickfeld geraten oder abgeschieden sind, z.B. Gefängnisse, Psychiatrien, Krankenhäuser, Behindertenwerkstätte, Schulen und Wohnheime.

Für EACH ONE bedeutet dies auch, darauf hinzuarbeiten, den Schwarzen Atlantik intersektional zu verbinden, jede einzelne Person, each one, in ihrer Verortung mitzudenken. So kann der Schwarze Atlantische Himmel, unter dem sich Schwarze bewegen, sichtbar gemacht und sein schützendes Potenzial ausgebreitet werden – durch das Zusammenkommen, die gemeinsame Aufarbeitung, zum Aufbau einer anderen Gesellschaft.

Gesamtgesellschaftlich bedeutet Schwarz Atlantisch zu denken, Schwarze, Afrikanische und Afrodiasporische Menschen als bildenden Teil der Berliner bzw. deutschen oder westlichen Gesellschaft zu verstehen. Schwarze Atlantische Erfahrung sichtbar zu machen, öffnet im Hinblick auf das Projekt des Antirassismus einen neuen Blick auf Migration, auf die rassifizierten Grenzen der Nation und Berlins sowie ihrer Geschichte, die für die Komplexität Schwarzer Erfahrung, Kultur und Politik konstitutiv ist. Die Frage, wem Berlin Hier und Jetzt gehört, beantwortet der Schwarze Atlantik mit der Vision einer grenzenlosen Stadt, die global, über die Meere verbunden ist.

 


EACH ONE ist eine bei Each One Teach One (EOTO) e.V. angesiedelte Beratungsstelle in Berlin für Schwarze, Afrikanische und Afrodiasporische Menschen in Fällen von Diskriminierung. Soziale Jugendberatung ergänzt die Antidiskriminierungsberatung, indem sie junge Schwarze in prekären Lebenslagen unterstützt. Der Aufbau des Beratungsprojekts ist im Kontext der UN-Dekade für Menschen Afrikanischer Herkunft (2015-2024) zu verstehen. Ihrem menschenrechtlichen Anspruch folgend hat EACH ONE zum Ziel, Schwarzen Menschen, die in Deutschland auf vielfältigen, intersektionalen Ebenen strukturell diskriminiert werden, Zugang zu Unterstützungsangeboten zur Bewältigung der Hürden, Benachteiligungen und Ausschlüsse zu verschaffen, sowie Wissen zu Anti-Schwarzem Rassismus anhand ihrer Erfahrungen sichtbar zu machen. Der Blick auf die Situation Schwarzer Menschen in Berlin wurde im Koalitionsvertrag explizit festgehalten und durch Projektförderungen wie die EACH ONEs durch die Berliner Landesantidiskriminierungsstelle (Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung) konkretisiert.

  1.  Im Gegenzug zu einem Geständnis stellt das Gericht bei einem Deal eine vermeintlich mildere Strafe in Aussicht. Dies sehen Strafverteidiger*innen manchmal als Lösung für ihre Klient*innen, härteren Strafen zu entkommen – u.U. auch, wenn sie unschuldig sind, jedoch keine Aussichten auf einen Freispruch sehen.
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