PEGIDA plus – Von der Sorge, die Aggression ist

Dieser kleine Beitrag verdankt sich den vielen Diskussi­onen und Beobachtungen in den Medien zu der Frage, warum es denn PEGIDA gibt oder gab. Dabei stellte ich fest, dass die (im Umfeld von Erklärungen des Antisemi­tismus, der Homophobie, des Rassismus gegen Muslime, gegen Roma und Sinti und vielen anderen) gestellten Fra­gen nach den Ursachen in meinem direkten politischen und kirchlichen Umfeld in schöner Dissonanz beantwor­tet werden.

 

Die Ursachensuche changiert zwischen Armut, bildungs­ferne, krisenhafter Post-89er-Einheitsverarbeitung der Ostdeutschen (Männer?), Angstphänomenen und Ähn­lichem. Dabei fällt auf, dass in der Regel die Geschichte rassistischer und antisemitischer Haltungen und Ein­stellungsmuster, die sie weit über Vorurteile hinaus seit Jahrhunderten wirksam sein lassen, ausgeblendet wird. Außerdem kommt auch die Perspektive rassismuserfah­rener Menschen nicht darin vor. Diese erleben nicht die »Opfer-/Angst-/Deprivationsseite« der aggressiveren Ak­tivitäten und aktiven PegidistInnen und Anderer, sondern deren TäterInnenseite – nicht nur individuell, sondern als historisch gewachsene, gewaltvolle Versuche der Hegemo­nie in allen Lebensbereichen.

Ich will das Modell von Aggressivität gegen den oder die konstruierte Andere aus Angst – Angst vor sozialem Abstieg, Globalisierung, Auflösung des eigenen Umfeldes; auch der Angst vor sich selbst, was denn wieder passieren könnte, wenn es ökonomisch so schlecht zuginge, wie es zu beginn der NS-Zeit angeblich zugegangen sei – nicht gänzlich in Abrede stellen. bildet es doch auch die Grund­lage für eine mir nicht gänzlich fern liegende theoretische Begründung für Chauvinismus, Rassismus und Antisemi­tismus, nämlich die zur Autoritären Persönlichkeit, die die Kritische Theorie hervor gebracht hat. Aber ich möchte doch versuchen, wichtige Perspektiven zu ergänzen oder gar vornan zu stellen.

Von einer Überraschung, die keine sein kann

Nun ist der größte Schreck über PEGIDA überwunden, die Bewegung teilt sich, andere sagen, zerlegt sich, und die Me­dien schweigen. Verwundert reibt mensch sich die Augen und fragt sich, wohin denn die Riesenwelle sich verlaufen hat? Hat sie sich verlaufen? Die Demonstrationen gehen mit verminderter Besetzung weiter und die Menschen, die sich nicht an der Zwielichtigkeit der DemoanmelderInnen und den rassistischen Parolen störten, gibt es noch. Inter­essant ist, dass der Schreck über etwas entstanden ist, was mensch hätte wissen können. Denn mit den medial so (zu) aufmerksam verfolgten Demonstrationen bestätigte sich, was (nicht ganz selten) von KennerInnen gesagt und von Forschungsinstituten in der Regel herausgestellt wird: Die politische Mitte ist fragil. Die Zahlen schwanken zwischen ca. 20 % (Judenfeindlichkeit) und mindestens 55 % (feind­liche Einstellungen gegen Roma und Sinti, auch mit Recht Rassismus genannt). Das hat sich durch PEGIDA nicht geändert. Geändert hat sich die Lage der Angefeindeten: Die Zahl der Übergriffe in Sachsen auf Menschen anderer Herkunft haben sich seit Beginn der PEGIDA-Demonstrationen verdoppelt.

Von Erklärungsmustern, die rechtfertigen, statt zu erklären

Und wieder einmal werden die alten Erklärungsmuster reanimiert: mal sind es die Abgehängten (Ost von West), mal die Krisengeschüttelten (sei es deutsche Einheit, sei es Neoliberalismus), mal die, die sich fürchten, Angst vor Abstieg, Angst vor Neuem, Angst vor Armut, Angst vor Terrorismus, aber auch und immer gerne genommen Po­litikverdrossenheit. Diesen Erklärungsmustern ist gemein­sam, dass sie die aggressive Haltung der DemonstrationsteilnehmerInnen auf deren Selbstverständnis als Opfer zurückführen, oder ihnen gar eines anheften.

»Selbstbeschreibungen als Opfer kennen wir von den »TabubrecherInnen«, die das sagen, was so viele denken, aber angeblich durch »political correctness« daran gehindert werden.«

So tönt es nicht erst seit PEGIDA. Sarrazin war ein promi­nenter Vertreter dieses Genres. Ich will nicht übergehen, dass es auch andere Stim­men gab, die sehr entschieden auf den Rassismus der Pegida-Anhänger und weniger -Anhängerinnen hinwiesen. Darunter gab es leider auch viele, die es als Problem des Ostens beschrieben, das so in Dortmund oder Köln nicht vorkommen könnte, dabei aber geflissentlich übersahen, dass es in Dortmund eine angeblich »national befreite Zone« und in Köln doch immerhin »pro Köln« gibt.
Der Ost-West-Reflex in dieser Diskussion mit den schon länger bekannten Polen Empathieversuch mit Rechtfertigungscharakter auf der einen und erstaunliche Überheblichkeit auf der anderen Seite erscheint mir einer gesonderten Betrachtung wert. Dabei will ich nicht in Abrede stellen, dass es mit Dresden eine besondere histori­sche und aktuelle Bewandtnis hat. Aber dass es im Westen keine pegidaförmigen Denk- und Handlungsweisen in ei­ner relevanten Größenordnung gäbe, entspricht weder den Umfrageergebnissen, noch meiner Erfahrung.

Vom Unsinn der Sorge

Die Quintessenz der MotivsammlerInnen: Die Menschen haben Sorgen und die gelte es ernst zu nehmen. Wie aber lassen sich Sorgen ernst nehmen, die so offenkundigen Unsinn beschreiben wie die Angst vor der Islamisierung Dresdens oder gar Sachsens mit 0,1 % muslimischer Bevöl­kerung? Nun wird gesagt, die sogenannte Angst vor der Islamisierung sei Angst vor der Globalisierung, auf jeden Fall natürlich nicht vor der Islamisierung Dresdens, sondern der Welt und Angst vor islamistischem Terror. Dazu käme die Angst vor sozialem Abstieg. Und hinter der Parole »Wir sind das Volk« verberge sich nicht etwa Nationalismus und Rassismus, sondern die Sorge um die eigene Zukunft, um das Gemeinwohl wegen der Schere zwischen Arm und Reich und mangelnde Partizipationsmöglichkeiten – also, so wollen es diese InterpretInnen wohl scheinen lassen, lauter ehrenwerte und verständliche Motive, die vielleicht beschränkt und ein wenig egoistisch, aber nicht aggressiv seien. Die nicht repräsentative Untersuchung des Wis­senschaftszentrums Berlin für Sozialforschung hat die De­monstrierenden nach ihren Ängsten und Sorgen gefragt, allerdings nur 123 der 25.000. Sie antworteten:
… vor dem Verlust nationaler Identität und Kultur (80 %); …davor, dass es den kommenden Generationen in Deutschland eher schlechter gehen wird (80 %); … davor, dass unser Land immer mehr in die in die Euro­päische Union einzahlt (78 %).
Diese Elemente tauchen in allen bisherigen Unter­suchungen in unterschiedlicher Akzentuierung auf. Aller­dings sind sie alle von eingeschränkter Repräsentativität.

Von der Verteidigung, die ein Angriff ist

Da so viel schon über die Gründe und Grundlosigkeiten der genannten Befürchtungen geschrieben wurde, möchte ich einen Aspekt herausgreifen, der nur selten thematisiert wird: Die sogenannte Angst vor dem Verlust der nationa­len Identität scheint mir ein Motiv dafür zu liefern, warum sich diese »Furcht« an eine so wenig erfahrbare Wirklichkeit wie die Islamisierung heftet. Exekutieren die PegidistInnen an den Fremden, der Politik, der EU, der Zukunft nicht die Bedrohung von außen, sondern das Fehlen des Wissens um die eigene Identität? Oder noch schärfer ge­fragt: Ist das Stichwort der Islamisierung nicht vielmehr Ausdruck des eigenen Wunsches nach – noch stärkerer – kultureller Hegemonie? Könnte die – zu Unrecht – in Anspruch genommene Selbstbeschreibung Christentum also die Chiffre für althergebrachte weltumspannende Hegemonieansprüche sein? Steht dafür das schwarz-rot­-golden umwickelte Kreuz, das in der Kirchengeschichte – wenn auch ohne Nationalfarben – häufig schon zu ei­nem Kampfinstrument wurde? So könnte das Pathos der Verteidigung des Abendlandes – nicht das erste mal – in Wahrheit der Attacke dienen. Hierin läge dann auch die Erklärung für das aggressive Verhalten und die Verweige­rung öffentlicher Kommunikation. Übrigens: Es ist nicht der Islam, der weltweit die stärksten Wachstumsraten aufweist, sondern es sind die Pfingstkirchen.

Von herrschaftlichen oder geschlossenen Identitätskonstruktionen

Suchen wir vor diesem Hintergrund nach Handlungsop­tionen von Gesellschaft und Kirche, von (kirchlicher) Bil­dungsarbeit, dann fallen mir zwei wichtige Elemente ein:
Um die Sorgen der PegidistInnen – nämlich die Sorge um die eigene Herrschaft – angemessen ernst zu nehmen, müsste man also zunächst ihrem Verständnis ei­nes heute noch immer hegemonialen christlichen Abend­landes widersprechen. Auch die apologetische und gleich­zeitig – oder gerade deshalb – aggressive Verbindung von nationaler Identität und sogenanntem christlichen Abend­land sollte Gegenstand einer kritischen und aufklärerischen (kirchlichen) Bildungsarbeit sein. Nation ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts und sicher keine biblisch und kirchlich begründbare Kategorie. Aus christlicher und auch säkularer Perspektive ist hier Widerspruch notwendig, um solche hermetischen Identitätskonstruktionen zumindest zu irritieren.

Soweit das Negative, aber wo bleibt das Positive?

Hier nun sei mir ein dezidiert christliches Wort erlaubt in der Hoffnung, dass es säkular nachvollziehbar ist. Ein Konzept offener Identitäten, eines von gelebter und erzählter Geschichte, die immer vielfältiger und offe­ner ist, als Identitätskonstruktionen welcher Gestalt auch immer, scheint mir säkular andockfähig, oder umgekehrt, das Christliche bündnisfähig. Aus biblischer Perspektive also werden wir nicht fertig, nicht mit uns, nicht mit der Welt, nicht als Person, nicht als Kollektiv. Das heißt, dass wir nicht einfach die sind, die wir sind, sondern je anders werden – wie z. b. Paulus: den Griechen ein Grieche, den Juden ein Jude; oder wie Abraham und Sara: sie werden im eigentlich nach menschlichem Ermessen zeugungs- und empfängnisunfähigen, hohen Alter noch Eltern – der­lei Geschichten gibt es zuhauf in der Bibel. Das bedeutet, dass im zitierten Falle Paulus den jeweilig anderen einer der ihren wird. Entscheidend ist also nicht sein Kern, seine Person, seine ethnische oder religiöse »Identität«, sondern die des Gegenübers. Im Falle des hochbetagten Paares wird eine biologisch so sicher geglaubte Zuschreibung aufgelöst. Dabei ist übrigens der historische Wahrheitsgehalt dieser Geschichten nicht wichtig. Wichtig ist, dass die Bilder der Möglichkeiten und Geschlossenheiten unserer gegenwär­tigen menschlichen und konstruierten Identität durchbro­chen werden.
Für Menschen, denen Glauben fremd ist und herrschaflich scheint, ist sicher schwer zu sehen, beziehungs­weise für relevant zu halten: Gott erkennt uns, wir aber kennen uns nur bruchstückhaft.

»Nation ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts und sicher keine biblisch und kirchlich begründbare Kategorie.«

Christliche »Identität« ist also durchlässig. Darü­ber hinaus orientiert sich christliche Anthropologie an der Ebenbildlichkeit Gottes, nicht nur im Ansehen der eigenen, sondern auch und besonders der anderen Person. Könnte es sein, dass Christen dieses biblische Bild nicht laut ge­nug kundtun, verkündigen in geistiger und materieller Ge­stalt? Können Christenmenschen es vielleicht selbst kaum glauben und geben deshalb immer wieder dem Bedürfnis nach, das Ich und Wir zu beschwören und gerade nicht vom Anderen her zu denken, sondern vom Ich? Wie heißt es so unschön in der Postbank Reklame: »Am Ende zähl ich«. Der jüdische Philosoph Emmanuel Levinas hat aus seinen biblisch-talmudischen Reflexionen die wohl radi­kalste Antwort auf solche Selbstbezogenheit gegeben: »Ego bedeutet Krieg«. Christlich gesprochen ist solches egobezogene Den­ken Sünde. Das sollte dann auch laut und deutlich gesagt werden, wie immer altertümlich das Wort Sünde auch da­herkommt! Dabei ist zentral, dies nicht überheblich zu tun.

»In jedem guten rassismuskritischen Ansatz wissen wir, oder sollten wissen, dass wir als Weiße Teil des Problems sind, so sehr wir uns auch dagegen stemmen wollen.«

In christlicher Sprache sind wir Teil der Gemeinschaft der SünderInnen, die auf die Gnade Gottes angewiesen sind, von der die hebräische Bibel und das Neue Testament zu erzählen wissen. Hier ist eine Bildungsaufgabe nicht nur, aber be­sonders für Kirche beschrieben: Angebote für offene und mehrschichtige Identitätsbeschreibungen gegen Wagen­burgidentitäten (Nation, Ethnien, Kultur) attraktiv zu ma­chen und zu leben. Heimat ist eben da, wo noch niemand war, dann muss sie auch nicht gegen »Eindringlinge« ver­teidigt werden. Es ist wichtig wahrzunehmen, wie viele Menschen gegen die verschiedenen patriotischen Verteidiger des Abendlandes aufgestanden sind. Sie stellten, blicken wir auf die gesamte Republik, auf der Straße die Mehrheit. Diese sind das Volk, deren Sorgen um die Bedrohung des Abendlandes und dem dort mühsam errungenen und noch immer unvollendeten und umkämpften Humanum durch Pegida aller Ernstnahme wert wären und sind. Davon wäre in den Medien verstärkt zu reden.

Im Arbeitsbereich Demokratische Kultur und Kirche der Evangelische Akademie zu Berlin setzen wir uns mit den the­oretischen Grundlagen und praktischen Auswirkungen von Rechtsextremismus, Rassismus, autoritären Denkstrukturen und Antisemitismus auseinander. Es geht um eine Analyse dieser Einstellungen außerhalb und innerhalb der Kirche. Handlungsmöglichkeiten in Kirche, Politik und Bildung wer­den erkundet und unterschiedliche Gruppen ins Gespräch gebracht.

Der Text ist eine erweiterte Fassung eines fast gleichnamigen Beitrages für die Zeitschrift Forum Erwachsenenbildung des Comenius Institutes (Heft 2/2015)

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