Neue Unübersichtlichkeit

Das Jahr 2014 hielt für Beobachter_innen der extremen Rechten in Berlin einige Überraschungen bereit: die »Mahnwachen für den Frieden«, »Reichsbürger«, »Hooligans gegen Salafismus« oder »Berlin gegen die Islamisierung des Abendlandes« betraten mit Kundgebungen und Demonstrationen die öffentliche Bühne. Die Proteste dieser teilweise neuen, teilweise mit neuem Namen auftretenden Gruppierungen machen vor allem eines deutlich: Es ist unübersichtlich geworden.

 

Am 3. Oktober war diese neue Konstellation vor dem Reichstag zu besichtigen. Drei Kundgebungen verdammten den demokratischen status quo. Die Redner_innen wetterten gegen die deutsche »Nazi-Kolonie«, riefen »Ami go home« und beschworen die Kraft der Liebe gegen den Krieg und gegen eine »gelenkte Presse«. Vor den Bühnen mischten sich Schaulustige und Unterstützer_innen, Hooligans und Antifas, NPD-Kader und Friedensaktivist_innen. Die neue Unübersichtlichkeit geht auf mehrere Entwicklungen im Protestgeschehen zurück. Sie hat mit den Pegida-Demonstrationen und ihren Ablegern zum Jahreswechsel nicht nur überregionale Aufmerksamkeit, sondern auch eine bedrohliche Wendung bekommen. Drohungen und Angriffe gegen geflüchtete Menschen und solche, die als Muslime identifiziert werden, häufen sich. Aber auch Journalist_innen und gewählte Vertreter_innen sind zunehmend Anfeindungen ausgesetzt. Wie im Rest der Republik hat sich in Berlin das Klima deutlich verändert.

Ein Ausgangspunkt für die verworrene Situation sind die »Mahnwachen für den Frieden«. Über Facebook von Einzelpersonen organisiert, nahmen die Kundgebungen im April 2014 in Berlin an Fahrt auf und breiteten sich von hier aus in der Republik aus. Schon der Aufruf zur ersten Kundgebung imaginierte die Federal Reserve Bank, die Zentralbank der USA, als verantwortlich für die Übel der Welt. Dieser Aufruf öffnete die Kundgebungen für teils antisemitische Verschwörungsideologien, aber auch für andere krude esoterische und simplifizierende Weltbilder. Mit den Montagsmahnwachen etablierte sich ein vereinfachendes Deutungsmuster: auf der einen Seite wähnten sich die Demonstrierenden mit einem Interesse an »der Wahrheit« und an einem friedlichen miteinander, auf der anderen Seite machten sie »gleichgeschaltete Medien« und korrupte Politiker aus, die »die Wahrheit« verbergen und sich vom »Volk« entfernen würden. Die Anrufung des »Volkes« und der Wunsch nach der Aufhebung der Kategorien »links« und »rechts«, die Ablehnung der USA und Sympathien für Russland und schließlich die verallgemeinerte Kritik an Politiker_innen und gebührenfinanzierten Journalist_innen sowie die latente Annahme, sie würden durch Dritte gesteuert sind eine Mischung, die mit den Mahnwachen das erste mal auf der Straße einen Raum bekam. Die damit verbundene ultraliberale Haltung, jede_r könne sich äußern, solange sie oder er für den Frieden sei, hat dabei die Abgrenzung zur extremen Rechten bröckeln lassen. Die auf den Montagswachen geäußerte Kritik mobilisierte zunächst viele, die vorher nicht politisch aktiv waren. Die simple Einteilung in Gut und Böse und die damit verbundenen Gefahren wurden zwar von Parteien, Medien und zivilgesellschaftlichen Initiativen zurückgewiesen. Das führte aber innerhalb der Szene nur zu einer Schließung: die Kritik von außen beweise gerade die Berechtigung der eigenen Position. Das Grundgerüst der simplifizierenden Kritik wurde bei den Pegida-Protesten aufgenommen und mit offen rassistischen und völkischen Ideologien vermischt. Zwar erklärten Vertreter_innen der Montagsmahnwachen ihre Ablehnung von Pegida, viele fanden sich aber später bei deren antiamerikanischen Ablegern Pegada und Endgame wieder ein.

Für die extreme Rechte ist die Protestwelle in mehrerer Hinsicht als Erfolg zu werten. Zum einen sind ihre Deutungsmuster mit Pegida weithin sichtbar und für viele auch sagbar geworden. Die Rede von »Volksverrätern«, »Lügenpresse« und »Scheinasylanten« wird zwar unzweideutig zurückgewiesen. Das ist ein eindeutiger Gewinn an demokratischer Substanz gegenüber den 1990er Jahren. Aber wie bei den Montagsmahnwachen fühlt sich die eingeschworene Gemeinschaft der Protestierenden und ein auf Foren wie Facebook sichtbarer, erschreckend großer Kreis von Sympathisant_innen durch die Kritik eher bestätigt als irritiert. Zum anderen hat Pegida einen Resonanzraum eröffnet, der die Aktivitäten der extremen Rechten als von einem bedeutenden Teil der Bevölkerung gedeckt erscheinen lässt. So wittern NPD und Kameradschaften an vielen Orten Morgenluft. Sie organisieren Proteste gegen die Unterbringung von Asylsuchenden unter einem -gida-Label und sie sehen sich zu Übergriffen und Anschlägen ermuntert. Die Proteste gegen die Unterbringung von Geflüchteten haben damit neuen Auftrieb bekommen. In Hellersdorf und anderswo hatte die extreme Rechte schon vor Pegida erfolgreich Konflikte um neue Unterkünfte geschürt. Auf Facebook und auf der Straße gelang NPD-Kadern der Schulterschluss mit Normalbürger_innen. Unter dem Label »Bürgerinitiative« werden neue Unterkünfte systematisch mit rassistischen Bedrohungsszenarien verknüpf und Anwohner_innen zu Protestmärschen mobilisiert. Diese Entwicklungen, vor allem aber die Mahnwachen und Bärgida, stellen alle, die sich für eine demokratische Kultur engagieren, vor neue Herausforderungen. Sie stehen für ein weit verbreitetes Unbehagen in der Demokratie, das sich auch an anderer Stelle äußert. Darauf muss es eine Antwort geben, die den Raum für menschenfeindliche Positionen nicht erweitert, sondern Irritationen schafft und Grenzüberschreitungen deutlich markiert.

Die im Schattenbericht 2014 gesammelten Beiträge nehmen die Entwicklungen des letzten Jahres genauer unter die Lupe. Sie beschreiben Montagsmahnwachen und Bärgida, Übergriffe und antimuslimischen Rassismus, aber auch den Streit um die Deutung von Antisemitismus und die Situation der Geflüchteten in der Stadt, die auch im letzten Jahr ihren Protest gegen das europäische Grenzregime und die deutsche Flüchtlingspolitik aufrechterhalten haben. Die Situation mag unübersichtlich geworden sein. Aber die Orientierung an einer demokratischen und diskriminierungsfreien politischen Kultur sollte als Kompass genügen, um rassistische und menschenfeindliche Aktivitäten öffentlich zurückzuweisen.

Der Verein für Protest- und Bewegungsforschung will eine Institution in Berlin schaffen, an der die Themen Protest, soziale Bewegungen und Widerstand erforscht werden. In Zusammenarbeit mit der TU Berlin und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung laufen im Zentrum Technik und Gesellschaft der TU mehrere Drittmittelprojekte, u.a. zu Konflikten um die Unterbringung von Asylsuchenden, zur Videoüberwachung von Protesten und zu den Kontextbedingungen für lokale Initiativen gegen Rechts.

Mehr Informationen finden sich auf der Webseite der Initiative: protestinstitut.eu.

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