Na wat denn nu? Antimuslimischer Rassismus oder ›Islamkritik‹ ?

Der Text beschäftigt sich mit dem Begriff Rassismus im Allgemeinen und antimuslimischem Rassismus im Be­sonderen. Da antimuslimischer Rassismus nicht aus­schließlich ein Problem der Mitte der Gesellschaft oder des rechten Randes ist, werden wir auch den antimus­limischen Rassismus innerhalb weißer linker Gruppen thematisieren.

 

Zu Beginn ein Lese-Hinweis: In diesen Text werden wir sarkastische und ironische Elemente einbauen, da wir dies als eine Strategie empfinden, uns nicht vollkommen emotional ausgeliefert zu fühlen. Wer sich davon bedroht fühlt, möge sich nochmals diesen Satz zu Gemüte führen. In diesem Text geht es außerdem nicht um den ›Islam‹ – und schon gar nicht wollen wir in die immer wieder in verschiedenen Medien wiederholten Rechtfertigungs- und Verteidigungsdiskurse einsteigen. Antimuslimischer Ras­sismus ist nämlich nur eine spezifische Form von Ras­sismus unter vielen anderen. Sich dagegen einzusetzen bedarf also keiner Verteidigung. Es geht uns dabei nicht darum, irgendeine Religion oder den Glauben von Men­schen zu verteidigen oder zu bewerten. Vielmehr geht es uns um den Rassismus, welcher in der vermeintlichen ›Islamkritik‹ steckt – diesen wollen wir nicht unkommentiert lassen. Dieser Text handelt von den Strukturen, die uns in unserer Arbeit in Berlin begegnen und bezieht sich somit in erster Linie auf rassistische Strukturen innerhalb einer weiß dominierten Gesellschaft und geht nicht weiter auf die Verbindungen von Rassismus und Kolonialismus ein.

Antimuslimischen Rassismus benennen

Rassismus ist eine von vielen Unterdrückungsformen. Er ist in unserer Gesellschaft präsent und wirkt sich unter­schiedlich auf Menschen aus. Rassismus basiert auf einer Ideologie, die von weißen, euro-christlich und westlich geprägten Wissen-Schaffenden konstruiert wurde. Diese Ideologie geht davon aus, dass es unterschiedliche Grup­pen (›Rassen‹) von Menschen gibt, die unterschiedliche Eigenschafen und Fähigkeiten besitzen. Diese Gruppen werden dann hierarchisiert und jene Hierarchie wird durch die Ausübung von Macht auch verfestigt, wobei Weiße ganz oben stehen und alle weiteren Gruppen darunter. Mit diesen Theorien wurde und wird Gewalt, Ausbeutung, Ver­sklavung, Plünderung, Unterdrückung etc. gerechtfertigt.

»Wir erleben täglich durch Blicke und Verhalten, dass wir nicht als Teil dieser Gesellschaft anerkannt werden.«

Heute sind wir, zumindest oberflächlich betrachtet, weiter. Wir haben gelernt, dass es keine ›Rassen‹ gibt. Es ist sogar offiziell verpönt, überhaupt von menschlichen ›Rassen‹ zu sprechen. Dennoch ist Rassismus – also die Unterdrü­ckung und Benachteiligung von bestimmten Gruppen so­wie die Anwendung von Gewalt gegen diese in weiß dominierten Gesellschaften – noch lange nicht überwunden. Wir erleben täglich durch Blicke und Verhalten, dass wir nicht als Teil dieser Gesellschaft anerkannt werden. Viele hier lebenden Menschen erleben psychische und physische Gewalt, werden auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt so­wie im Bildungssystem benachteiligt. Geflüchteten wird der Zugang zu bestimmten Institutionen und Ressourcen (z.b. Schule, Arbeitsplatz, Gesundheitsversorgung) er­schwert und teilweise sogar gänzlich verwehrt. Auch im Fall von antimuslimischem Rassismus wird zuerst eine bestimmte Gruppe homogenisiert, das heißt als einheitlich wahrgenommen. Ihr werden negative Eigenschaften zugesprochen und diese Vorstellung wird dann durch Macht gesamtgesellschaftlich verbreitet und durch­gesetzt. Ansatz- und Orientierungspunkt hinsichtlich der Kategorisierung der Menschen, ›die irgendwie nicht ins weiß-christliche Schema passen‹, ist dabei immer der ›Islam‹. Was früher ›Türken, Kurden, Araber, Menschen mit Migrationshintergrund‹ und so weiter waren – und teil­weise noch immer sind –, sind heute oft pauschal einfach alle ›Moslems‹. Dabei ist es völlig egal, ob diese Menschen muslimischen Glaubens sind und/oder eine Religion prak­tizieren oder nicht. Antimuslimischer Rassismus betrifft all diejenigen, die vom Mainstream als Muslima_e gelesen werden, ganz unabhängig vom persönlichen Glauben.
Genau aus diesem Grund betrachten wir den an­timuslimischen Rassismus auch nicht ausschließlich als eine Form der Diskriminierung gegenüber muslima_en.

»Der Islam muss in diesem Fall einfach nur dafür herhalten, ein bestimmtes Feindbild konstruieren zu können.«

Er eignet sich gut als ein Topf, in den ein bisschen Terro­rismus, eine Prise Sexismus, etwas Rückständigkeit und Unterentwicklung hineingeworfen werden können. Ganz genau so, wie man es gerade haben will. So werden (Vor-) Urteile über den Islam formuliert und die Diskriminie­rung von Menschen, welche als Muslima_e markiert sind, legitimiert. Gleichzeitig wird das Selbstbild dabei schön aufgewertet, denn alle als negativ empfundenen Eigenschaften können ja den ›Anderen‹ zugeschrieben werden. Diese (Vor-)Urteile werden im Mainstream jedoch nicht als negative Ressentiments oder gar Rassismus bezeichnet, sondern oft als ›Islamkritik‹ umschrieben und beschönigt. Folglich geht es bei der sogenannten Islamkritik selten um die Kritik an einer bestimmten Religion, sondern um das Schüren von Ressentiments. Es ist wichtig, sich klar vor Augen zu führen, dass antimuslimischer Rassismus ein verzerrtes Bild von Muslima_en wiedergibt. Er basiert auf Vorurteilen und sagt somit mehr über diejenigen aus, die Ressentiments bedienen und füttern, als über diejenigen, die dadurch diskriminiert werden. Der Gegensatz zwischen ›Islam‹ beziehungsweise sogenannten ›orientalischen‹ Werten auf der einen und ›westlichen Werten‹ auf der anderen Seite ist ein künstli­cher Gegensatz, der beide Konstrukte zu unveränderlichen Einheiten festschreibt. Diese haben mit der Realität kaum etwas zu tun. Die Konstruktionen entstehen durch jahrelange Prägung im Kopf und haben gewaltvolle Auswirkun­gen in der Praxis. Daher müssen wir diese ansozialisierten Konstruktionen auch im Kopf aufbrechen, überwinden und uns der gewaltvollen Praxis des antimuslimischen Rassismus entgegenstellen.

Antimuslimischen Rassismus erkennen

Wenn wir uns einige Diskurse in der Gesamtgesellschaft und den Medien anschauen, wird schnell deutlich, wie antimuslimischer Rassismus verbreitet wird. Vor allem seit 9/11 wird der Islam meist mit Terrorismus und Gewalt in Verbindung gebracht. Antimuslimischen Rassismus beziehungsweise Diskriminierung von muslima_en gab es bereits vor dem An­schlag auf das World Trade Center. Nach dem 11. Septem­ber 2001 wurde jedoch das Feindbild ›Islam‹ als mächtiges Bild und Bedrohung weiter ausgebaut und etabliert. Die­ses Feindbild baut dabei auf jahrhundertealten Ressenti­ments auf, geht aber darüber hinaus. Es waren dann nicht mehr einzelne, als homogen konstruierte Gruppen wie ›Türken‹, ›Kurden‹, ›Araber‹ etc., die diskriminiert und als minderwertig dargestellt wurden. Erst indem sie zu einer größeren Gruppe zusammengefasst – und dadurch zu Muslima_en oder ›dem Islam‹ gemacht wurden –, wur­de der Islam zu einem derart mächtigen und feindlichen Bedrohungsszenario aufgebauscht, welches nicht nur als minderwertig wahrgenommen wurde, sondern als eine Gefahr, gegen die der ›Krieg gegen den Terror‹ ausgerufen werden muss. Auflagenstarke Wochenzeitschriften wie Focus, Spiegel und Stern veröffentlichen regelmäßig (Leit-)Artikel über ›den Islam‹ und diskutieren darüber, ob ›der Islam‹ denn nun gewalttätig ist oder nicht und ob und wie lange er ›Europa‹ bedroht. Beim vermeintlichen Gegensatz ›islamischer Orient‹ und ›christlicher Okzident‹ wird der his­torische Hintergrund, beziehungsweise der gemeinsame (auch geographische) Ursprung der drei monotheistischen Religionen – Christentum, Islam, Judentum – gern beiseite gelassen.

»Gemeinsamkeiten passen halt nicht gut rein in die Konstruktion von Feindbildern.«

Bei der unermüdlichen Berichterstattung über ›den Islam‹ wurden immer wieder dumpfe, unkreative Motive für die Titelbilder eben erwähnter Wochenzeitschriften verwen­det – Motive, die lang existierende orientalistische Bil­der wiedergeben. Immer vor einem bedrohlichen schwar­zen Hintergrund, um ganz einfältig zu verdeutlichen, wie schlecht und böse diese Religion doch ist. Ein Griff in den altbewährten rassistischen Baukasten, der dunkel mit schlecht assoziiert. Hier wird auch deutlich, dass antimuslimischer Rassismus nicht unabhängig von ande­ren Formen des Rassismus existiert. Eine Burka tragende Frau mit gesenktem Kopf. Der Titel lautet: »Allahs recht­lose Töchter« (Spiegel-Titel 47/2004). Dieses Bild soll uns vermitteln, dass ausnahmslos alle muslimischen Frauen unterdrückt werden, beziehungsweise alle muslimischen Männer unterdrücken. Außerdem lehren uns jene Bilder auch, dass ausschließlich kopftuchtragende Frauen Mus­lima sein können. Ihnen wird selbstverständlich auch kein eigener Wille oder gar eine eigene Meinung zugesprochen. Alice Schwarzer – die selbstgekrönte Königin aller weißen Feminist_innen – untermauert dieses Bild dann weiter in Talkshows, indem auch sie immer wieder davon spricht, dass ein Kopftuch sinnbildlich für die Unterdrü­ckung der Frau stehe. Vollkommen ausgeblendet wird da jedoch von Frau Schwarzer, dass sie selbst den freien Wil­len einer Frau nicht beachtet und paternalistisch die Frei­heit der Frau und die Form, in der diese auszuleben ist, ganz alleine bestimmt. Dass dies ebenfalls Unterdrückung ist, fällt ihr irgendwie nicht auf. Ein weiteres Titelbild zeigt das Brandenburger Tor vor einem schwarzen Hintergrund und über dem Wahrzeichen Berlins leuchten Halbmond und Stern. Titel des Bildes: »Mekka Deutschland – die stille Islamisierung« (Spiegel-Titel 13/2007). Sowohl Bild als auch Titel illustrieren deutlich die Haltung, der Islam ge­höre nicht in diese Gesellschaft, und allein die Anwesen­heit von Muslima_en sei eine Bedrohung.

»Angst wird geschürt, weil angeblich im Stillen so etwas wie eine Unterwanderung passiert: die ›Islamisierung‹.«

Einige Weiße aus der Öffentlichkeit profitieren nicht nur ohnehin strukturell von Rassismus, sondern verdienen auch noch ihr Geld mit dem Schüren von unter anderem antimuslimischem Rassismus. Da wir seine rassistischen Thesen nicht reproduzieren wollen, würden wir Thilo Sarrazin an dieser Stelle als prominentes Beispiel am liebs­ten unerwähnt lassen. Doch bietet er mit seinem Buch »Deutschland schafft sich ab« gleichzeitig eine zu gute Vorlage, antimuslimischen Rassismus beispielhaft darzu­stellen. In seinem Buch unterstellt er Muslima_en Dumm­heit, Faulheit und schlechte Gene. Damit ist zum einen klar, dass nicht nur praktizierende Muslima_e gemeint sind, sondern alle als muslimisch Wahrgenommenen, weil er an einigen Stellen klarmacht, dass er über sogenannte ›Türken‹ und ›Araber‹ schreibt. Diese Methode, Vorurteile mit der Verfälschung und (absichtlichen) Fehlinterpreta­tion von Statistiken zu untermauern, ist ein vollkommen rassistischer Akt. Wenn wir uns die Geschichte Deutschlands anse­hen, ist dies keinesfalls etwas Neues, leider ist das aber den meisten Menschen aus der weißen deutschen Gesell­schaft ziemlich egal. Sie fühlen sich gar bestätigt in ihren rassistischen Vorstellungen und Ressentiments. Durch Sarrazins Buch wurde antimuslimischer Rassismus noch salonfähiger gemacht, als er sowieso schon war. Es ist eine Sache, dass solche rassistischen Texte überhaupt verfasst werden, es ist aber umso trauriger, dass Sarrazins Hetze so viel Zuspruch fand. Auch Parteikollege Heinz Buschkowsky, mittlerweile Ex-Bürgermeister von Neukölln, erhielt in etlichen Talkshows eine Plattform für seine antimuslimischen Ressentiments und veröffentlichte sie dann auch noch in gebundener Version. Ein SPD-Bezirksbürgermeis­ter, der unverblümt durch seine rassistischen Pauschalisierungen einen Großteil von Neuköllns Bewohner_innen diskriminierte.

Antimuslimischer Rassismus und die weiße Linke

Die Relevanz und Wirkmächtigkeit von antimuslimischem Rassismus sehen wir vor allem auch in der Tatsache, dass diese Form von Rassismus nicht nur von weiten Teilen der gesamten Gesellschaft vertreten wird. Auch innerhalb weißer linker Strukturen wird dieser nicht als Rassismus wahrgenommen. Es gibt starke Vorbehalte und Widerstän­de dagegen, diesen zu thematisieren und abzubauen. Da Religions- und Ideologiekritik zum linken Selbstverständ­nis gehören, scheint es schwierig nachzuvollziehen, dass es sich bei der sogenannten Islamkritik nicht um eine Kritik an einer Religion handelt, sondern schlicht um Rassismus. Rassismus, der sich als legitime Religionskritik ausgibt – ähnlich wie ihn sich auch Pegida und seine Ableger zu Eigen machen, und wie so viele andere diskriminierende Strukturen auch. Hinter dem Bedürfnis, den ›Islam‹ kritisieren zu wollen und zu können, stecken auch viele, mit dem eu­ropäischen Kolonialismus entstandene, orientalistische Bilder vom Anderen / Fremden. Die Notwendigkeit, spezifsch von antimuslimischem Rassismus zu sprechen und nicht nur allgemein von Rassismus, ergibt sich genau aus der Realität, dass diese Form des Rassismus nicht nur auch in der weißen Linken verbreitet ist, sondern darüber hin­aus nicht als Rassismus wahrgenommen wird. Rassistische Bilder sind nicht spezifisch weiß-links. Das Problem liegt aber darin, dass sich die linke Szene zwar selbst als emanzipatorisch, herrschaftskritisch und vor allem auch an­ti-rassistisch versteht, dabei aber den hegemonialen Dis­kurs mitträgt. Gerade zu einer Zeit, in der sich psychische und physische Gewalt des antimuslimischen Rassismus in Deutschland zuspitzt, wäre es von einer emanzipatorischen Linken zu erwarten, Menschen zuzuhören und sich zu solidarisieren, anstatt den rassistischen Mainstream zu reproduzieren.

»Wir wollen eine gleichberechtigte Auseinandersetzung.«

Menschen, die sich mit antimuslimischem Rassismus kon­frontiert sehen – und zwar überwiegend unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit – sind vor wichtige Fragen ge­stellt, die sie nicht nur persönlich betreffen, sondern denen sich die gesamte Linke stellen muss, wenn sie ihrem emanzipatorischen Ideal und Selbstverständnis gerecht werden will: Wie können wir uns in einer linken Szene verorten, welchen Platz haben wir darin, wenn wir nur aufgrund zu­geschriebener Zugehörigkeiten als Aggressor_innen und Feind_innen wahrgenommen werden? Welche Meinun­gen und Positionen haben Platz in der weißen deutschen Linken, und wie unterscheidet sie sich, bezogen auf ihre Machtstrukturen, von der Mehrheitsgesellschaft bezie­hungsweise vom Mainstream? Wie können Menschen mit der eigenen Religionskritik, der Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie umgehen, ohne dass diese Ausein­andersetzungen sofort als Rechtfertigung und vermeintli­cher Anknüpfungspunkt für Rassismus gesehen wird? Das Phänomen des antimuslimischen Rassismus ist, wie Rassismus überhaupt, nichts Neues – Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen of Colour weisen schon seit Jahrzehnten darauf hin. Wir fordern von der weißen lin­ken Szene, sich mit ihrem Rassismus auseinanderzusetzen und nicht nur oberflächlich ›bedürftigen Opfern‹ helfen zu wollen. Wir wollen eine gleichberechtigte Auseinanderset­zung. Wir wollen rassistische Strukturen aufbrechen und eine Gesellschaft ohne Diskriminierung. Mit diesen Forde­rungen sehen wir uns als Teil der Linken. Somit verstehen wir diese Kritik als eine Innenansicht, nicht als Angriff von außen, gerade weil wir selbst Teil der deutschen Linken sind und diesen Platz auch weiterhin einfordern!

Das Bündnis gegen Rassismus hat sich nach dem Bekannt­werden der NSU-Mordserie mit dem Bedürfnis gegründet, Menschen, die Rassismus erfahren, eine Plattform zu bieten und gemeinsam mit solidarischen, reflektierten Menschen gegen Rassismus zu kämpfen. Das Bündnis gegen Rassismus setzt sich heute aus unterschiedlich positionierten Menschen zusammen: von verschiedenen Rassismen diskriminierte Personen, darunter auch Muslima und Muslime oder als sol­che Gelesene, und Weiße.

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