„Inter-View“: Wie junge Erwachsene antimuslimischen Rassismus erfahren

Menschen, die von erlebtem Rassismus berichten, wird häufig vorgeworfen, sie seien emotional und ihre Geschichten seien Einzelfälle. Die Aussagen der Jugend­lichen, die an dem Projekt »Inter-View« teilgenommen haben, sind jedoch weit mehr als die Erzählung ver­meintlicher Einzelfälle. Sie machen Muster antimuslimi­scher Rassismen greifbar. Denn Rassismus ist nicht die Summe individueller Ressentiments und Einstellungen, sondern ein System, das strukturell und institutionell verankert ist.

 

Die Interviews geben Hinweise darauf, welche Funktion Islambilder in der Aufrechterhaltung rassistischer Erzäh­lungen erfüllen. Rassismus in seiner biologistischen Form ist in weiten Teilen der Gesellschaft unsagbar geworden. Stattdessen wird von Kulturkreisen und Religionen gespro­chen, um Menschen in homogene, unveränderliche Grup­pen einzuteilen. Laila (20 Jahre) schildert ein Gespräch mit ihrer Kollegin:

»Neulich hat mich meine Kollegin gefragt: ›Wie ist denn das, ist dein Vater kulturell total streng? Hast du überhaupt dei­ne Freiheiten? Trägst du dein Kopftuch freiwillig?‹« (Laila, 20 Jahre) 

»Antiislamdiskurse wirken immer häufiger als Querfrontstrategie.«

Antimuslimischer Rassismus ist also ein »Rassismus ohne Rassen« und geistert durch Medien, Satiremagazine, Poli­tik und Pegida-Slogans als »Kritik am Islam«. Eine Kritik an der »Kritik« wird als Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit diffamiert. Dabei wird sich nicht selten humoröser Mittel bedient – und das nicht erst seit der Veröffentlichung rassistischer Karikaturen in der Zeitschrift Charlie Hebdo. Humor ist eine perfide Strategie zur Grenz­ziehung zwischen Ingroup und Outgroup, zwischen denen, die lachen dürfen, und denen, auf deren Kosten der Witz geht und die nicht mitlachen können. Ebenso wie Religi­onskritik entzieht sich auch Humor widerständigen Strate­gien, denn wer sich wehrt, gilt als kritikunfähig und humor­los. Deutlich wird das in der Geschichte von Dalia (27 Jahre), die von einem Erlebnis aus der 7. Klasse berichtet:

»Ich war auch die einzige mit Hidschāb in der Klasse. Ich habe auf einmal festgestellt, dass sich die Deutschlehrerin genau vor mich hingestellt hat und mit den Händen her­umfuchtelte, als würde sie Gebärdensprache sprechen. Ich habe sie irritiert angeguckt, weil ich gemerkt habe, dass die um mich herum gelacht haben. Sie meinte daraufhin: ›Nein, nein, Kinder, lacht nicht, Dalia kann nicht richtig hören mit ihrem Kopftuch.‹ Die Kinder haben sich natürlich kaputtgelacht. Ich war sprachlos in dem Augenblick, ich wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte. Ich wusste nicht, ob sie mich jetzt, auf Deutsch gesagt, verarscht, oder ob sie das jetzt ernsthaft denkt.« (Dalia, 27 Jahre)

Antiislamdiskurse wirken immer häufiger als Querfront­strategie, um Rechte und die sogenannte Mitte der Ge­sellschaft an einen Tisch – und, wie Pegida beweist – gemeinsam auf die Straße zu bringen. Die interviewten Jugendlichen beschreiben, wie antimuslimischer Rassis­mus nicht nur und nicht vornehmlich ein Rassismus einer radikalen Rechten ist, sondern der weißen Mittelschicht entspringt. Antimuslimischer Rassismus begegnet den jun­gen Erwachsenen in bürgerlichen Institutionen, in staatli­chen Strukturen, geht vor allem von ihren Lehrer_innen, von Sachbearbeiter_innen, Polizist_innen, Arbeitgeber_ innen, Kontrolleur_innen aus. Es sind Menschen, die über Arbeits- und Schulkarrieren, Aufenthaltsstatus und Hartz IV Anträge entscheiden – und damit über die Verteilung von Ressourcen. Dieses Machtgefälle erlaubt ihnen, Ein­fluss auf die Lebensumstände und Biographien der Betroffenen zu nehmen. Dass Handlungsspielräume dadurch begrenzt werden, zeigt Hauraas Schilderung eines Vorfalls in ihrer Schule:

»Ich hatte Angst, dazu etwas zu sagen, da ich meine Prü­fungen bei ihr habe. Deshalb habe ich mich nicht gewehrt.« (Hauraa, 19 Jahre)

»Widerstand gegen Rassismus wird als aggressives Fehlverhalten abgeurteilt.«

Ebenso das Beispiel von Laila, der bei einer Polizeikontrol­le ihre Rechte verweigert wurden:

»Ich meinte, dass er kein Recht dazu habe, mich hier zu durchsuchen. Er hat mir gedroht und irgendwas von Beam­tenbeleidigung gelabert und gesagt, wenn ich mich dagegen wehre, muss ich mit aufs Revier. Mir war das so unange­nehm vor meinem Papa und ich habe dann klein beigege­ben.« (Laila, 20 Jahre)

Das Zusammenspiel zwischen strukturellem Rassismus und ökonomischen Abhängigkeiten hat Laila auch als Erzieherin erlebt: Nach einem Verweis für das Feiern des Zuckerfestes in ihrer Kita-Gruppe, offener Anfeindungen rechtsradikaler Eltern und wiederholter rassistischer Be­merkungen durch ihre Kolleg_innen hat sie versucht, ihre Situation durch einen Arbeitsplatzwechsel zu verändern:

»Ich wollte kündigen, ich habe nach einer anderen Kita gesucht. Ich war todunglücklich und wollte da einfach nur noch raus. Ich war aber leider von dem Gehalt abhängig, weil dieser Scheißträger gut bezahlt hat und ich nichts Ver­gleichbares gefunden habe.«

Der Widerstand gegen Rassismus wird immer wieder als aggressives Fehlverhalten abgeurteilt und gegen die Betroffenen verwendet, um sie zu disziplinieren. Rassistische Stereotype werden so zu einer sich selbst erfüllenden Pro­phezeiung:

»Ich wurde mal gefragt, weil mein Papa aus Pakistan kommt, wann ich denn heiraten würde und ob ich meinen Mann denn vorher kennen lernen dürfe. Der Person habe ich eine geklatscht. Ich war 19. Und dann hieß es: ›Ja, ja, so seid ihr halt.‹« (Laila, 20 Jahre)

Jamil beschreibt es folgendermaßen:

»Die wollen uns auf die Palme bringen, sodass wir sie hauen und sie dann wieder sagen können: ›Guck mal, die aggressi­ven Moslems!‹« (Jamil, 21 Jahre)

Fremdzuschreibung und Rechtfertigungsdruck

Jugendliche erfahren antimuslimischen Rassismus durch die Entwertung der Dinge, Räume, (kulturellen) Aus­drucksformen und Körperpraktiken, die für sie wichtig sind und Bedeutung haben. Der Islam und seine Alltags­praxen werden terrorverdächtig(t), die Bezirke, in denen sie aufwachsen und die für sie Heimat und kulturelle Spielflächen sind, werden als Ghettos und Problembezirke abgewertet, ihre Sprache wird zum Marker von angeblicher Bildungsferne. Ihre Mehrsprachigkeit gilt nicht als Kapital sondern als Defizit:

»Auf der Schule, auf der ich war, waren nur Deutsche. Die haben meine Sprache immer nachgeäfft. Ich war voll per­plex, ich habe das am Anfang überhaupt nicht verstanden. Erst als ich mich damit befasst habe, habe ich realisiert, was mit meiner Sprache gemacht wurde. Ich rede ja so, mit die­sem -sch. Isch und nicht ich. Und die Leute dachten auto­matisch, ich wäre dumm. Ich war im Deutsch Leistungskurs. Die anderen meinten dann: ›Was suchst du denn hier? Du hast gar nicht die Sprache dafür.‹ Immer diese komischen Sprüche.« (Esma, 20 Jahre)

Einseitige Integrationsforderungen beinhalten dann die Überwindung von Religion (Säkularisierung), Sprache und kultureller Performance und die Veränderung ihrer Körper, die nur in ihrer angepassten Form (sprich bart- und kopf­tuchlos) von der Mehrheitsgesellschaft akzeptiert werden. Jafar und Jamil berichten von verschiedenen Situationen:

»Einmal war ich mit meinem Vater in der Ausländerbehör­de – das sind die größten Schweine. Sie [die Sachbearbei­terin] war richtig ekelhaft zu meinem Vater: ›Das nächste mal kommen Sie bitte mit frisch rasiertem Bart.‹« (Jafar, 21 Jahre)

»Neulich sind sie [meine Brüder] mit dem Bus gefahren. Sie lachen, sie haben Spaß. Da waren zwei Leute, die ha­ben meine Brüder so komisch angeguckt. Die beiden steigen aus und klopfen da, wo meine Brüder sitzen, von außen ans Busfenster und machen Gesten, die zeigen sollen: ›Schneidet mal euren Bart, rasiert euch mal.‹« (Jamil, 21 Jahre)

»Die Lehrerin entgegnete: ›Hier bestimme ich. O.K. Sie will nicht hören?‹ Sie ist zu meiner Mitschülerin gegangen und hat versucht, ihr das Kopftuch abzureißen.« (Jafar, 21 Jahre)

»Junge Muslim_innen stehen unter ständiger Beobachtung.«

Junge Muslim_innen stehen unter ständiger Beobachtung, beispielsweise durch Türsteher_innen, Pädagog_innen, Polizei, Kontrolleur_innen und Richter_innen, und per­manentem Rechtfertigungsdruck:

»Ich rechtfertige mich dann nicht für die IS-Leute, die kön­nen mir gestohlen bleiben, aber ich muss mich dann für mei­ne Religion rechtfertigen. Und ich rechtfertige mich für alle wahren Muslime auf dieser Welt.« (Jafar, 21 Jahre)

»Über meine Religion kann ich nur mit anderen Muslimen reden, weil ich da was lerne, weil es schön ist. Ich kann nicht mit Nicht-Muslimen reden. Mit denen ist das ein ständiger Kampf. Die wissen immer alles besser über meine Religion: ›Ja, ja, aber ich habe das und das gehört… Ich habe gehört, dass das und das im Koran steht…‹ Ich will nicht mehr dar­über diskutieren. Man muss sich immer rechtfertigen, immer rechtfertigen, immer rechtfertigen, immer verteidigen. Und das macht mich so müde.« (Esma, 21 Jahre)

In ihrem Interview beschreibt Esma, wie sich nicht mehr nur die Wissenschaft, sondern auch Privatpersonen aller politischen Couleur in ihrer Freizeit der Koranexegese wid­men und vermeintlich objektives Wissen über den_die Andere_n produzieren. So entsteht die eine Geschichte über den Islam und die Muslim_innen, die keine Vielfalt, keine Unterschiedlichkeit, keine Widersprüchlichkeiten zulässt. Jamil erklärt:

»Das ist richtig ekelig, wenn die alle – IS, Salafisten, Mos­lems – in einen Topf schmeißen. Das sind Idioten und Hohl­köpfe, die den Islam nicht verstehen. Aber wir müssen alle darunter leiden.« (Jamil, 21 Jahre)

Wer nicht zu den »bösen Muslim_innen« gehören will, der_die muss beweisen, dass er_sie zu den »Guten« gehört: »Distanziert euch«, ist und war das Mantra, das den Mord am niederländischen Filmregisseur Theo van Gogh im No­vember 2004, den Überfall auf einen Rabbiner in Berlin 2012 und den Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris begleitet hat. Jamil, Laila und Esma machen deutlich, wie rassistische Fremdbilder Selbstbilder bestimmen und die Möglichkeit nehmen, sich selbst zu repräsentieren:

»Ich und mein Freund wollten bei Penny was einkaufen ge­hen. Da kam so ein Besoffener an und schrie: ›Äh, bist du IS oder bist du Kobanê?‹ Was ist das für ’ne Frage?! Ich bin deutscher Staatsangehöriger. Und ich bin Moslem.« (Jamil, 21 Jahre)

»Ich selber dachte dann: ›O.K., Moslems sind also Terroristen.‹ Ich habe meiner Lehrerin geglaubt. Später habe ich dann gemerkt: Laila, was glaubst du für eine Scheiße? Deine Familie – das sind keine Terroristen!« (Laila, 20 Jahre)

»Es gibt keinen Menschen mehr, der nicht an Terrorist denkt, wenn er Moslem hört. Das ist der Fail des Jahrhun­derts. Sie haben es geschafft, dass selbst wir ein einseitiges Bild von uns haben. Was für eine krasse Gehirnwäsche ist das denn, wenn das möglich ist!?« (Esma, 21 Jahre)

Vor allem in öffentlichen Räumen und (mehrheits-)gesellschaflichen Institutionen stehen die Jugendlichen unter dem Druck, Selbstbilder und eigene Geschichten entlang gesellschaftlich dominanter Bilder erzählen zu müssen.

Erfahrungen, Wissen, Widerstand

Gleichzeitig zeigen die Interviews, dass antirassistischer Widerstand möglich ist und erfolgreich sein kann. Denn die Geschichte von antimuslimischem Rassismus wird nicht nur von denen geschrieben, die Rassismus ausüben, sondern auch von denen, die sich dagegen wehren. Die interviewten Jugendlichen erzählen davon, wie sie sich bei Schulleiter_innen und Vertrauenslehrer_innen über rassis­tische Lehrer_innen beschweren und bewirken, dass diese die Schule verlassen müssen. Sie berichten von rassismus­kritischen Theaterstücken, die sie auf die Bühne bringen, von Demonstrationen, die sie organisieren, davon, wie sie Kontrolleur_innen konfrontieren und intervenieren, wenn andere rassistisch angegriffen und beleidigt werden. Die Geschichten sind keine Einzelfälle, sondern offenbaren ein Wissen über das Funktionieren rassistischer Struktu­ren und das Wirken antirassistischer Gegenwehr. Sie geben einen Einblick in die Realitäten und den Alltag von Ins­titutionen und institutionalisierter Diskriminierung. Und sie erklären, wie Diskurse über den_die »gefährliche_n Andere_n« und den_die »sicherheitsgefährdende_n Terrorist_in« mit materieller Diskriminierung zusammenhän­gen. Dieses Wissen stellt einen wichtigen Ausgangspunkt für die Analyse von antimuslimischem Rassismus und die Entwicklung widerständiger Strategien dar.

Über sechs Monate hinweg haben sich im Jahr 2014 Ju­gendliche aus verschiedenen Organisationen (Jugendthea­terBüro Berlin, M.A.H.D.I. e.V. und Stark ohne Gewalt e.V.) im Rahmen des Projektes »Inter-View« getroffen, um sich der Frage zu nähern, wie antimuslimischer Rassismus in Deutschland funktioniert. In einer Workshopreihe, orga­nisiert und durchgeführt von ReachOut, haben sie eigene Erfahrungen und Widerstandsstrategien geteilt. Das Ergeb­nis ist die Broschüre »Blicke reichen aus. Antimuslimischer Rassismus in Deutschland – Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen« und eine Soundcollage der Interviews, die die beteiligten Jugendlichen miteinander, mit Freund_innen und Bekann­ten geführt haben.

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