Seit einiger Zeit drängen Wirtschaftsverbände und die Industrie- und Handelskammer darauf, das Arbeitsverbot für Asylbewerber_innen aufzuheben, um sie für deutsche Unternehmen rekrutieren zu dürfen. Denn sie wissen, was eine Studie im Auftrag des Auswärtigen Amtes 2014 feststellte: Asylbewerber_innen haben im Durchschnitt einen höheren Bildungsgrad als Deutsche, Migrant_innen aus dem Nahen Osten und Afrika eine »fast doppelt so hohe Akademikerquote« im Vergleich mit Deutschen. Während man sich also in deutschen Unternehmen fragt, wie es möglich sein könnte, die Abschlüsse von Nicht-EU-Bürger_innen leichter anerkennen zu lassen und die Hürden zur (Weiter-) bildung abzubauen, ist das Thema mit der Formierung des Unistreiks/Bildungsstreiks und von education no limitation im letzten Jahr erstmals an den Universitäten und Fachhochschulen angekommen.
Inklusion als Kernforderung der Refugee-Bewegung
Education no limitation entstand Anfang 2014 aus einer Veranstaltung mit RosAlumni, Refugee March-Aktivist_innen und Jugendliche ohne Grenzen. Für Protagonist_innen des Refugee marches tauchte nach dem »brechen der Isolation« durch Verlassen der Flüchtlingsunterkünfte, dem Marsch nach Berlin und den vielen Protestaktionen und Besetzungen in den letzten Jahren die Frage der Teilhabe auf. Auf dem Non-Citizen-Kongress, der 2013 in München stattfand, wurde der konsequente Ausschluss von Geflüchteten und Migrant_innen aus der bundesdeutschen Gesellschaft von Protagonist_innen des Refugee marches erstmals öffentlich debattiert.
»Die Frage der Bildung ist eine der zentralen Fragen, wenn es um gesellschaftliche Teilhabe und den Zusammenhalt einer Gesellschaft geht.«
Deutschland ist im OECD-weiten Vergleich eines der undurchlässigsten Länder was die Bildungsbiografen von Bildungsinländern betrifft. Der »zu erwartende Bildungsabschluss« hängt hier »wesentlich mit dem elterlichen Hintergrund zusammen« und »bildungsbezogene Mobilität« ist »eher mit Abstieg als mit Aufstieg verbunden«. Was jedoch in den OECD-Studien nicht erfasst wird, ist die steigende Zahl von Kindern in Deutschland, die gar nicht zur Schule gehen, da sie sich aufgrund der Dublin-Regelungen gemeinsam mit ihren Eltern verstecken müssen oder weil es vielerorts keine adäquaten beziehungsweise ausreichenden Schulplätze für sie gibt. In Berlin, so schreibt die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, gibt es bisher kein »landesweites Schulkonzept« für »junge Flüchtlinge und Zuwander_innen«, vielmehr seien im Zuge der letzten Schulreform die Schulplätze sogar »bewusst reduziert« worden.
Von der Unmöglichkeit, einen Zugang zu Bildung zu finden
Seit 2005 treten junge Geflüchtete und Migrant_innen im Rahmen der Initiative »Jugendliche ohne Grenzen« selbst für das Recht auf Bildung ein, das ihnen Deutschland offiziell seit der Unterzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention zugesteht. Trotz zahlreicher Kampagnen und Mobilisierungen konnte jedoch bisher kein grundsätzliches Umdenken erreicht werden. Beispiele wie die »SchlaU-Schule« (schulanaloger Unterricht für junge Flüchtlinge) in München sind Ausnahmen und gründen auf dem Engagement Einzelner. Berlin etwa ist eines der Bundesländer, in denen Menschen, die einen Asylantrag stellen oder den Status einer so genannten Duldung haben, in der Regel den Stempel »Studium nicht gestartet« in ihre Aufenthaltserlaubnis gedrückt bekommen. Wäre jetzt aber ein_e Asylantragsteller_in so verwegen, sich davon nicht abschrecken zu lassen, dann müsste die betreffende Person zunächst der jeweiligen Hochschule oder der mittlerweile an den meisten deutschen Hochschulen vorgelagerten Prüfstelle »uni-assist« die bisherigen Zeugnisse im Original vorlegen. Nun kommt es – gerade bei politisch verfolgten Menschen oder Kriegsflüchtlingen – vor, dass sie diese Zeugnisse nicht (mehr) besitzen und auch nicht wieder erlangen können, zum Beispiel weil die betreffenden Hochschulen angewiesen sind, keine Zeugnisse an politisch aktive Student_innen auszugeben oder weil etwa die Schule oder Universität zerstört wurde. In diesem Fall müsste die gesamte Bildungslaufbahn im Prinzip wiederholt werden, denn Testverfahren sind im Allgemeinen nicht zugelassen oder werden an deutschen Hochschulen nicht angewandt.
Wenn nun ein Zeugnis einer Schule oder Hochschule im Original vorliegt beziehungsweise beschafft werden kann, dann wird es von »uni-assist« in einem mehr oder minder professionellen und je nach Bundesland mehr oder weniger transparenten Verfahren geprüft. Die Kosten trägt die_der Bewerber_in. Eine Garantie für Sorgfältigkeit und ein faires Verfahren gibt es nicht, weshalb derzeit der Allgemeine Studierendenausschuss (AstA) der Freien Universität Berlin den Akademischen Senat aufgefordert hat, sich wieder selber um die Bewerbungen zu kümmern und es bereits eine Musterklage eines Studenten der Humboldt-Universität gegen »uni-assist« gibt.
»Abschlüsse von außerhalb der OECD-Länder werden in der Regel abgewertet.«
Abschlüsse von außerhalb der OECD-Länder werden in der Regel abgewertet, was dann meistens den Besuch eines Studienkollegs obligatorisch macht. Die Plätze in Studienkollegs sind in den letzten Jahren – ganz im Gegensatz zu den Bewerber_innenzahlen – deutlich weniger geworden, weil viele Hochschulen auch an dieser Stelle Geld sparen wollen. Um sich aber auf einen Platz in einem Studienkolleg bewerben zu können, muss die_der Betreffende bereits einen Deutschtest für das Level b2 erfolgreich absolviert haben. Dafür ist im Durchschnitt ein Jahr Deutschunterricht nötig. Die Kosten belaufen sich auf ca. 250 Euro monatlich; wenn nun noch die Kosten für eine Monatskarte der öffentlichen Verkehrsmittel dazu gerechnet werden, dann wäre das die Summe, die ein_e Asylbewerber_in insgesamt monatlich zur Verfügung hat. Um allerdings überhaupt von der Ausländerbehörde die Erlaubnis zur Aufnahme eines Studiums zu bekommen, ist in der Regel das Ausscheiden aus dem Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und der Nachweis eines gesicherten Unterhalts, einschließlich einer Krankenversicherung, Bedingung. Da aber neben dem Studienverbot auch das Arbeitsverbot besteht, müsste diese Quelle ein Stipendium beziehungsweise bAföG sein. Nun ist aber ein_e Asylantragsteller_in grundsätzlich nicht bAföG-berechtigt und damit auch oftmals nicht berechtigt, ein Stipendium zu erhalten.
Wenn nun diese ganzen Hürden überwunden worden wären (und hier bewegen wir uns nun vollständig im Konjunktiv) und es die betreffende Person nach einigen Jahren auch noch vermocht hätte, einen Platz in einem Studienkolleg zu ergattern, dann lehnen viele Hochschulen diese Bewerber_innen bisher mit der Begründung ab, dass jemand mit einem ungesichertem Aufenthaltsstatus jederzeit des Landes verwiesen werden könnte und daher nicht mit Sicherheit ihr_sein Studium zu Ende bringen können würde.
Für alle diese Probleme und auch die Fragen von Geflüchteten und Migrant_innen, die eine Ausbildung fortsetzen oder beginnen wollen, gibt es in ganz Berlin eine einzige Beratungsstelle: das Betreuungs- und Beratungszentrum für junge Flüchtlinge und Migranten (bbZ) in der Turmstraße. Alle anderen Stellen sind angewiesen, ausschließlich Aussiedler_innen und Menschen, deren Asylantrag bereits genehmigt wurde, zu beraten.
Ausblick
Seit dem letzten Jahr haben sich nun Protagonist_innen des Refugee march, Student_innen, Schüler_innen und Dozent_innen aufgemacht, »den Prozess zu beginnen« und Bildungshürden abzubauen. Ziel ist, neben dem Zugang zu (Hochschul-) bildung, auch die weitere Theoriebildung zu Themen wie Inklusion, Migration, Citizenship und postkolonialen Studien in Deutschland. Im Kulturbereich hat sich hier in den letzten Jahren ein Umbruch hin zu postmigrantischen Themen und Protagonist_innen vollzogen und es steht zu erwarten, dass die erste deutsche Refugee-Bewegung, die seit drei Jahren für die Grundrechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus eintritt, auch die öfentlichen Diskurse in Deutschland nachhaltig verändern wird. In einer Zeit, in der Zwang und Kontrolle zunehmend sozialstaatliche Programme ersetzen und in einer Stadt wie Berlin immer mehr Menschen ohne Zugang zu staatlichen Leistungen oder Programmen (über-)leben, ist die Frage der Inklusion eine der zentralen Fragen unserer Zeit.
»Vielmehr sind Investitionen in die Bildung und der Abbau von Bildungshürden notwendig.«
Nachdem es in Berlin seit einiger Zeit Bündnisse von Refugee-Bewegung und Recht-auf-Stadt-Bewegungen gibt, ist das nächste Feld, auf dem die Debatte um Teilhabe eröffnet wird, die Bildung. Das Interesse von Wirtschaftsunternehmen – zusammen mit Bürgerprotesten, die einen noch konsequenteren Ausschluss von Geflüchteten und Migrant_innen fordern – könnte zu einer weiteren Aushöhlung des Asylrechts führen. Die aktuellen Vorlagen der Regierungsparteien für die Gestaltung der Einwanderung lassen erahnen, dass Menschen, deren Arbeitskraft für Deutschland von Interesse ist, auch leichter Zugang zu einem gesicherten Aufenthalt erhalten sollen. Dies kann nicht die Perspektive einer auf Inklusion und Partizipation ausgerichteten Gesellschaft sein, vielmehr sind Investitionen in die Bildung und der Abbau von Bildungshürden notwendig und nicht die »Abschöpfung« bereits gut ausgebildeter Menschen für die deutsche Wirtschaft zum Nulltarif.
Education no limitation! setzt sich für die (Rück-) Gewinnung von Bildungseinrichtungen für das öffentliche Interesse und die Partizipation aller ein. Statt »Elite Clustern« und Greencards für eine internationale Bildungselite wollen wir Bildung ohne Ausschluss! Education no limitation! ist eine Initiative von Refugee-March-Aktivist_innen, Student_innen und Dozent_innen an Berliner Universitäten, die sich für den freien Zugang zu Bildung einsetzt.