Wo Schüler sich mit Säbeln schlagen

Rechte Umtriebe in akademischen Burschenschaften sind seit mehreren Jahren ein Thema. In Berlin will sich am kommenden Wochenende nun der burschenschaftliche Nachwuchs des Allgemeinen Pennälerrings zum jährlichen, bundesweiten „Pennälertag“ mit Säbelmensur, Convent, Festkommers und Grillen bei der Berliner Burschenschaft Gothia treffen. Das letzte Jahrestreffen des extrem rechten APR in Hamburg, laut eigenen Angaben von 9 Mitgliedsbünden und über 40 Teilnehmern besucht, hatte breiten Protest hervorgerufen.

 
Screenshot Facebook-Seite Burschenschaft Gothia

Dem Allgemeinen Pennälerring (APR) gehören ein Dutzend Schülerburschenschaften, hauptsächlich aus Norddeutschland, an. Diese bezeichnen sich selbst als „national-freiheitliche und wehrhafte Pennalkorporationen“ und bekennen sich zum burschenschaftlichen Prinzip, wie es für die studentischen Verbindungen die DB vertritt. Ihren eigenen Nachwuchs „keilen“ (werben) die braunen Pennäler außer im rechten Spektrum natürlich an den Schulen, wo sie vertreten sind. „Der Keilbetrieb wird direkt in den Schulklassen umgesetzt, wobei hier leider ein schlechter Zeitgeist herrscht“, berichtete beispielsweise die Gymnasiale Burschenschaft Germania Kiel für das Jahr 2012. Aus dieser Pennalie kommt auch der aktuelle Sprecher des APR, Lennart Krakow. Ein Hans Dampf in allen Gassen, der zwischen Burschenschaften, Identitärer Bewegung und anderen rechten Gruppierungen Kontakte knüpft.

Gegründet wurde der APR 1990 ursprünglich von fünf Pennalien, darunter die Pennale Burschenverbindung Teutonia Hamburgia über die der Hamburger Verfassungsschutz in einem vertraulichem Bericht 1993 schrieb, es handele sich bei der Teutonia um eine „eindeutig rechtsextremistische Verbindung“, der „auch ausschließlich Rechtsextremisten angehören.“ Kein Wunder, die Hamburger Teutonen veranstalteten damals mit anderen Burschenschaftern und Neonazis Wehrsportübungen in Niedersachsen.

Ein anderer APR-Bund, die Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg wird aktuell in den Berichten des Hamburger Geheimdienstes aufgeführt. In der jüngsten Vergangenheit fiel die Chattia durch Doppelmitgliedschaften mit der NPD auf. Gleich zwei Hamburger Chatten verloren wegen neonazistischer Aktivitäten ihren Job als Lehrer bzw. Filial-Leiter einer Bank: Der Banker, weil er 2008 einen braunen Bestseller namens „Blutzeugen“ über gefallene NS-Kämpfer in der Weimarer Republik veröffentlichte. Ein inzwischen aus der Szene ausgestiegener Chatte war 2010 für den Ordnerdienst der Hamburger NPD aktiv. Auch der Kameradschaftsführer und aktuelle Vize der thüringischen NPD, Thorsten Heise, taucht unter dem Tarnnamen „Ulex“ bei der Chattia auf. Er hatte nicht nur nachgewiesene Kontakte zu Beschuldigten im NSU-Prozess, sondern 2012 war auch eine Wanderung der Chattia zu ihrem Alten Herren Heise geplant.

Angesichts von antifaschistischen Protesten und geheimdienstlicher Beobachtung verwundern die Benutzung von Tarnnamen und konspiratives Verhalten nur wenig. Schließlich befinden sich unter den Alten Herren des APR oder ihrer Einzelbünde nicht nur Neonazis, sondern auch viele Akademiker mit honorigen Berufen, die um ihren Ruf fürchten. „Wir befähigen … junge Menschen zu Führungsaufgaben in der nationalen Arbeit und ihrem späteren Berufsleben“, beschreibt der APR seine elitären Ziele. Im Falle von Michael Büge (Erste Berliner Schülerverbindung Iuvenis Gothia) wurde ein APR-Bursche sogar zeitweilig Staatssekretär. Dass die Chattia mit Heise einen Alten Herren ohne Abitur in ihren Reihen hat, ist die Ausnahme, bei ihr dürfen sogar Frauen mitmachen. Die Aufkündigung des Maturitätsprinzips und die Mischung der Geschlechter sind allerdings im APR umstritten.

Völkische Ideologie

Als quasi programmatische Grundlage veröffentlichte der APR 2005 ein „Geleitheft der konservativen Jugend – Identitätssuche, Pflichterfüllung und Rebellion“. Die schwülstigen Texte strotzen nur so vom Bekenntnis zu Männerbund, Elite, Führertum und völkischem Nationalismus. „Jugend unseres Volkes!…Erhebe dich aus den Trümmern unserer Zeit, befreie dich von allem, was dich peinigt – breite deine Flügel über unser ew‘ges Vaterland und benetze sie mit deinem Schweiß und Blute … ignoriere die Schwätzer und achte deine Führer!“, heißt es dort im Epilog. Gepriesen wird auch das wohl bekannteste Lied des Jungvolks in der Hitler-Jugend (HJ) „Auf hebt unsre Fahnen“, in dem Werte besungen werden, welche als Vorbild für die Pennäler gelten sollen. Sogar aus Hitlers Rede 1935 vor 50.0000 HJ-Angehörigen wird, allerdings leicht abgeändert, zitiert. „Zäh wie Leder – schnell wie die Windhunde – hart wir Kruppstahl“, so müsse auch die heutige „konservative“ Jugend laut APR-Heft sein. Die Weltkriegsgeneration habe diese Unbedingtheit noch unter Beweis gestellt; und was auch heute noch gelte, „im Zweifelsfalle steht hier die Ehre höher als das Leben.“

In klassisch kulturpessimistischem Duktus mahnt man, die Pennäler seien verpflichtet, „den hohen geistigen und sittlichen Anforderungen des Deutschtums letztendlich treu zu bleiben – auf dass wir nicht in Kulturlosigkeit, Barbarei und Dekadenz traurig herabsinken!“. Wobei das „Deutschtum“ natürlich völkisch abgeleitet wird. Als letztendliches Ziel des APR gilt: „das Reich aller Deutschen und die abendländische Erneuerung“ –  Schöner könnte es die NPD kaum formulieren.

Mit Säbeln auf den nackten Oberkörper

Für Samstagmorgen ist vom APR eine blutige Säbelmensur nach der „Linzer Pauk- und Ehrenordnung von 1958“ (LPO) geplant. Bei den ritualisierten Körperverletzungen wird nicht wie bei den studentischen Verbindungen auf den Kopf geschlagen, sondern mit stumpfem Säbeln auf den nackten Oberkörper. Die entstehenden Riss- und Quetschwunden bleiben so anschließend unter der Kleidung verborgen, denn Schülermensuren waren früher verboten. In der LPO ist auch geregelt, wer überhaupt die Säbelduelle austragen darf: Schüler, „die das 14. Lebensjahr vollendet haben, sowie alle Personen, welchen der ‚Allgemeine Ehrenkodex’ die Waffenehre zuspricht,“ es „ gelten die Bestimmungen des Waidhofner Abkommens“. Mit den im österreichischem Waidhofen gefassten Prinzipien wurde von deutschnationalen und völkischen Verbindungen Ende des 19. Jahrhunderts beschlossen, „in Anbetracht der vielen Beweise, die auch der jüdische Student von seiner Ehrlosigkeit und Charakterlosigkeit gegeben, und da er überhaupt der Ehre nach unseren deutschen Begriffen völlig bar ist, fasst die heutige Versammlung deutscher wehrhafter Studentenverbindungen den Beschluß: Dem Juden auf keine Waffe mehr Genugtuung zu geben, da er deren unwürdig ist!“. Bei den Schülerburschenschaften ist der radikale Antisemitismus, den die meisten Verbindungen vom Wilhelminismus bis zum Ende des Nationalsozialismus propagierten, bis heute virulent. Der APR beansprucht weiterhin durch seine Erziehung, deren Teil die Mensur ist, militärische und charakterbildende Werte zu schaffen, weil der moderne, selbstgefällige Jugendliche der Massengesellschaft „abgestiegen (ist) vom Krieger und Arbeiter zum Sportler und Ästhet. Dies ist gleichbedeutend mit Charakterschwäche und Tugendlosigkeit“.

Pennale und akademische Burschenschaften

Die völkischen Schüler sind eng vernetzt mit der DB und hier besonders mit deren extrem rechten Kartell Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG), das immer wieder durch geplante „Arier-Beschlüsse“ in die Schlagzeilen gerät. Da die finanzschwachen Schülerverbindungen meistens keine eigenen Häuser haben, stellen DB-Burschenschaften oft ihre Räume zur Verfügung. Diesmal stellt die Berliner Burschenschaft Gothia das Haus ihrer Nachwuchs-Pennalie Iuvenis Gothia, Wahlspruch „Deutsch, Frei und Stark“, für die Ausrichtung der APR-Tagung zur Verfügung.

Die akademischen Burschenschaften leisten auch finanzielle sowie ideelle Unterstützung und halten mit den Pennalien gemeinsame Veranstaltungen ab. Die akademischen Verbindungen wissen, dass sie sich hier einen verlässlichen rechten Nachwuchs heranbilden. So war in der Zeitung der DB, den Burschenschaftlichen Blättern 1/2004 zu lesen: „Eine Pennalie als ‚Vorfeldorganisation’ zur Ausbildung des couleurstudentischen Nachwuchses sichert vielen einen vollen Fuchsenstall“. Füchse nennt man die jungen Anwärter in Burschenschaften. Viele Alte Herren des APR sind dementsprechend Mitglieder in akademischen Burschenschaften und meistens sind es die am äußersten rechten Rand. Auch der notorische Norbert Weidner, dessen rechte burschenschaftliche Aktivitäten mittlerweile bundesweit bekannt sind, ist Alter Herr des APR-Bundes „Pennale Burschenschaft Hoffmann von Fallersleben“.

Umstrittener Veranstaltungsort

Auch die Burschenschaft Gothia, die ihr Haus in der Königstraße zur Verfügung stellt, ist seit Jahren umstritten. Sie wirbt mit dem Spruch „politisch unkorrekt seit 1877“ und gilt in der Verbindungsszene als „braune Wolfsschanze aus Zehlendorf“, in Anspielung auf Hitlers ehemaliges Hauptquartier.

In die Schlagzeilen geriet die Burschenschaft aber vor allem, weil ihrem Alten Herrn Michael Büge die Burschenehre seiner beiden Gothias wichtiger war, als die Staatsräson. Im Mai letzten Jahres wurde Büge deshalb als Staatsekretär in Berlin entlassen. Dass Fass zum Überlaufen brachte die Meldung, dass laut damaligem Semesterprogramm seiner Burschenschaft vor einigen Jahren eine „Kleine Deutsche Kunstausstellung“ mit Holzschnitten von belasteten NS-Künstlern zur Präsentation im Gothenhaus angekündigt wurde. Die Vernissage mit Sekt, Damenbegleitung und Einführung in die Werke von Dombrowski, Sluyterman und Warnecke wurde für Dezember 2006 beworben. Der Titel war eine direkte Anspielung auf die „Große Deutsche Kunstausstellung“, die Hitler 1937 eröffnete und die fortan bis 1944 jährlich in München unter seiner Schirmherrschaft stattfand.

Einen Monat zuvor war ins Burschenhaus der österreichische Neonazi Richard Melisch mit dem Thema „Der Verdrängungskampf um die letzten Ölreserven“ eingeladen worden. Einen Vortrag mit gleichem Titel hatte Melisch in der März-Ausgabe des NPD-Organs „Deutsche Stimme“ publiziert. In den neonazistischen Huttenbriefen erklärte er 2004 den Terror Bin Ladens zum „Freiheitskampf gegen die USA und den Zionistenstaat Israel“. Ebenfalls 2006 soll Melisch außerdem bei der Nazikameradschaft Märkischer Heimatschutz – Sektion Berlin referiert haben. 2005 wurde im Gothenhaus gar unter dem Titel „Verräter verfallen der Feme“ über die rechtsterroristische Organisation Consul berichtet, deren prominentestes Opfer Außenminister Walther Rathenau war.

Doch nicht nur Kunstwerke aus dem Dritten Reich und neonazistische Referenten wurden von der Gothia in ihren Semesterprogrammen schon beworben. Auch Michael Paulwitz, Stamm-Autor der neurechten Blattes Junge Freiheit, Erik Lehnert Geschäftsführer des konservativ-revolutionären Instituts für Staatspolitik, aber auch Norbert Geis (damals MdB-CDU) oder Ex-Minister Jörg Schönbohm wurden beispielsweise in den letzten zehn Jahren als Referenten präsentiert. Die Türen des Burschenhauses in der Berliner Königstraße scheinen weit geöffnet zu sein für alle die irgendwie rechts sind. Vom neonazistischen Chattia-Pennäler über neurechte Ideologen bis hin zum konservativen Spitzenpolitiker – alle sind willkommen.

Der Artikel erschien zuerst bei publikative.org am 1. Juli 2014.

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