Racial Profiling – Mehr als ein Polizeiproblem!

Racial Profiling hat sich in den letzten ein bis zwei Jahren in Berlin beinahe schon zu einem geflügelten Modewort entwickelt. Die Integrationssenatorin kann mittlerweile sogar Kampagnenarbeit gegen Racial Profiling im Berliner Olympiastadion prämieren, konkrete Maßnahmen gegen Racial Profiling im Görlitzer Park und anderen Orts bleiben jedoch aus. Der Görlitzer Park wird auch weiterhin in erster Linie als sicherheitspolitisches Problem verhandelt.

 

Racial Profiling bezeichnet eine Praktik in der Polizeiarbeit, in der Polizist_innen ohne Vorliegen einer konkreten Verdächtigenbeschreibung Menschen anhalten, befragen, durchsuchen oder verhaften, weil sie ihnen aufgrund rassifizierter Merkmale wie Herkunft, Hautfarbe, Nationalität oder Religion verdächtiger als andere Menschen erscheinen.[1]

2013 erhielten die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP) und der Migrationsrat Berlin-Brandenburg e.V. für den ersten Dokumentarfilm über Racial Profiling in Deutschland[2] den ersten Preis des Berliner Ratschlags für Demokratie. Überreicht wurde er von Dilek Kolat, der Berliner Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen. Den dritten Preis des Wettbewerbs »Respekt gewinnt!« für Berliner Demokratieinitiativen erhielt der Verein Joliba – Interkulturelles Netzwerk in Berlin e.V. für seine Arbeit im Rahmen des Themenjahres »Zerstörte Vielfalt« zur Geschichte Schwarzer Menschen während der NS-Diktatur und während der Vor- und Nachkriegszeit.[3]

Joliba hat sich darüber hinaus auch in seiner Arbeit gegen Racial Profiling im Berliner Görlitzer Park hervorgetan. Sie haben Black Media Infos zum Görlitzer Park und der Debatte um ›afrikanische Drogendealer‹ zusammengestellt, sich in die politische Debatte eingemischt und praktische Unterstützung bei Problemen wie der Wohnungssuche, dem Aufenthalt oder der Berufsorientierung geleistet. Katharina Oguntoye von Joliba plädiert für die Entkriminalisierung der User und Kleindealer und hält Unterstützungsangebote für sinnvoller als Polizeieinsätze. Ebenfalls 2013 reichte Joliba im Büro der Integrationsbeauftragten des Berliner Senats einen Antrag zum Erhalt und Ausbau ihrer Unterstützungsangebote im Rahmen des neu ausgeschriebenen Partizipations- und Integrationsprogramms ein. Ihr Antrag wurde abgelehnt.

Sicherheitspolitische Problematisierung – verdeckter Ausschluss und Kriminalisierung

Die dem Inneren und der Sicherheit unterstellten Behörden haben einen sehr eingegrenzten Zuständigkeitsbereich und damit auch einen sehr eingeschränkten Denk- und Handlungshorizont. Die Polizei ist dafür zuständig illegalisiertes Handeln zu verfolgen und zu unterbinden. Die Mittel, die ihr dafür zur Verfügung gestellt werden, sind u.a. Personenkontrollen, Durchsuchungen, Beschlagnahmung, Freiheitsentzug und bewaffnete Gewalt. Diese Mittel sind repressiv, weil sie einen Eingriff der Staatsgewalt in die garantierten Grund- und Menschenrechte eines Individuums darstellen. Im eingeschränkten Horizont der Polizei spielen die durch andere Behörden verhängten Arbeitsverbote, Vorrangigkeitsprüfungen, meist kostspielige und nicht anerkannte Zeugnis- und Dokumentprüfungen und andere legal verweigerte Zugänge zum Arbeitsmarkt keine Rolle. Wenn die Stadtverwaltung von Berlin-Mitte festlegt, dass auf der Straße nur Brezel und Würstchen verkauft werden dürfen, dann interessiert sich die Polizei nicht dafür, ob Migrant_innen durch diese Regelungen benachteiligt und ausgegrenzt werden. Die Polizei sorgt nur dafür, dass diejenigen, die sich an diese Regeln nicht halten, bestraft werden können.

So wird im Görlitzer Park und anderen, von der Polizei als ›kriminalitätsbelastet‹ stigmatisierten Orten in Berlin nicht nur Cannabis beschlagnahmt, sondern auch Kochutensilien, Musikinstrumente und andere lebensunterhalt-sichernde Gegenstände entwendet. Das dahintersteckende verwaltungspolitische Regulationsregime, »das den Straßenhandel weitestgehend verbietet und damit kriminalisiert«, beschreibt Noa Ha[4] pointiert in ihrem Artikel »Kriminalisierte Mobilität. Straßenhandel als postkoloniales Recht auf Stadt?«[5]

Wer als unterprivilegierter Neuankömmling in Berlin überleben will, ist auf die behördliche Erteilung einer Arbeitsgenehmigung angewiesen oder muss Praktiken entwickeln, um den eigenen Lebensunterhalt trotz des rigiden Ausschluss- und Kontrollregimes von Polizei, Ordnungsbehörden (bspw. Ausländerbehörde) sowie privater Sicherheitsdienste sichern zu können. Die einen finden durch soziale, oftmals in nicht-staatlicher Selbstorganisation getragene Unterstützungsangebote legale Zugänge zum Arbeitsmarkt, die anderen treten mit dem Gesetz in Konflikt. Spätestens dann befinden sie sich in der Situation, von der Polizei weder Schutz noch Hilfe annehmen zu können, wenn beispielsweise ihre Arbeitgeber_innen ihnen widerrechtlich ihre Dokumente entwenden oder ihre Löhne nicht auszahlen. Sie sind in der rassistischen Organisationsstruktur von ›Ausbeutung – Diskriminierung – Dämonisierung‹ verhaftet: »Die legale Ausgrenzung und die Ausbeutung müssen dabei zusammen gedacht werden: Nur durch die Dämonisierung und Verweigerung eines sicheren gesellschaftlichen Status ist die wirtschaftliche Ausbeutung von Menschen überhaupt möglich«, so Biplab Basu[6] in seiner Rede zum Berliner Landesaktionsplan gegen Rassismus und ethnische Diskriminierung.

Soziale Infrastruktur und Transparenz vs. Repressionen und Intransparenz

Wären die aufenthalts-, arbeits- und sozialrechtlichen Unterstützungsangebote für Menschen im Görlitzer Park von Joliba in das »Partizipations- und Integrationsprogramm« aufgenommen worden, so wäre Joliba durch die Berliner Transparenzinitiative dazu verpflichtet gewesen, alle Projektkosten offenzulegen. Durch die Berichts- und Dokumentationspflicht müsste Joliba außerdem offenlegen, wie viele Menschen sie mit ihrer Beratung erreichen konnten und ob bzw. wie es ihnen möglich war, für sie Zugänge zu schaffen. Die Arbeit der Polizei hingegen ist weitestgehend intransparent, selbst dann, wenn Abgeordnete Kleine Anfragen stellen. Es ist bekannt, dass 2013 113 Polizeirazzien mit insgesamt 7.749 Einsatzstunden im Görlitzer Park stattfanden. Dabei wurden bei 229 Menschen freiheitsentziehende Maßnahmen ergriffen und 114 Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Drogenhandel eingeleitet.[7]

Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2012 für Berlin weist auf eine kontinuierliche Zunahme von Racial Profiling in der Polizeiarbeit hin, die 2012 ihren Höchststand erreicht. Innensenator Henkel kann in seiner Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dirk Behrendt[8] (GRÜNE) jedoch nicht beantworten, wie viele Polizist_innen an den Razzien beteiligt waren und welche Kosten dabei entstanden sind. Er kann auch nicht beantworten, welche Drogen in welcher Menge beschlagnahmt wurden. Er kann nicht sagen, was mit den 229 Festgenommenen geschehen ist. Er kann nicht sagen, wie viele dieser 229 Festgenommenen ›lediglich‹ zur Identitätsfeststellung ohne weitere Maßnahmen festgehalten wurden und bei wie vielen Personen Untersuchungshaft beantragt wurde. Er könnte sicherlich auch nicht beantworten, bei wie vielen Festgenommenen Maßnahmen zur Durchführung einer Abschiebung eingeleitet wurden. Er kann außerdem nicht sagen, ob es zu irgendwelchen Verurteilungen kam oder ob die Razzien einen spürbaren Einfluss auf die Verfügbarkeit von Drogen im Görlitzer Park gehabt hätten.

In einem demokratischen Rechtsstaat sollten Berufsgruppen, die Menschen die Freiheit entziehen und Waffengewalt einsetzen dürfen, strengen Normen der Rechenschaftspflicht und strikten Aufsichtsmechanismen unterliegen. In Berlin mangelt es offensichtlich an effektiven Beobachtungs- und Kontrollmechanismen der Polizeiarbeit. Auf dieses Demokratiedefizit wurde bereits in der letzten Legislaturperiode im Rahmen des Landesaktionsplans gegen Rassismus und ethnische Diskriminierung (LAPgR) hingewiesen und Maßnahmen formuliert, die a) vorsehen Daten zu erheben, die Auskunft über Racial Profiling in der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden geben könnten, und b) Handlungsvorschriften, Weisungen und Gesetzte auf ihre Wirkkraft bezüglich Racial Profiling zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern.

Mit der Umsetzung dieser Maßnahmen ist ohne gesellschaftlichen Druck wohl auch in der jetzigen Legislaturperiode nicht zu rechnen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik 2012 für Berlin weist vielmehr auf eine kontinuierliche Zunahme von Racial Profiling in der Polizeiarbeit hin, die 2012 ihren Höchststand erreicht, bei gleichzeitigem Absinken der Aufklärungsquote, die ebenfalls 2012 an ihrem Tiefpunkt ankommt.[9]

Aufenthalts-, arbeits- und sozialrechtliche Ausschlüsse, Kriminalisierung des Straßenhandels und polizeiliche Repressionen sind die Todfeinde einer jeden ›Willkommenskultur‹ und demokratischen Gesellschaft, die die Würde eines jeden Menschen achtet und schützt. Was wir brauchen ist eine Legalisierung und Wiederbelebung des Straßenhandels und den Aufbau einer institutionalisierten Infrastruktur an Unterstützungs- und Beratungsangeboten für unterprivilegierte Migrant_innen, die langfristig auf eine rechtliche, soziale und politische Gleichstellung hinwirkt. »Das selbstbestimmte Leben von postkolonialen Migrant_innen in den Städten, die das Recht haben, Arbeit, Wohnort, Ausbildung und Schule frei zu wählen, gehört noch lange nicht zu den stadtpolitischen Aufgaben einer inkludierenden Stadt. Bisher ist die Politik viel zu stark in die diskriminatorischen Logiken einer hierarchisierenden Integrations- und Arbeitspolitik verstrickt, um urbane Barrierefreiheit und sozio-politische Sicherheit von postkolonialen Migrant_innen zu fördern,« schreibt Noa Ha.

Der bisherige politische Umgang mit dem Görlitzer Park spiegelt diese diskriminatorische Logik auch in der Integrationspolitik Berlins wieder. Mit der Förderung der Arbeit von Joliba im Görlitzer Park hätte das Büro der Integrationsbeauftragten des Berliner Senats diese Logik des Ausschlusses und der Kriminalisierung von (Post-)Migrant_innen, Geflüchteten, Schwarzen Deutschen und People of Color zumindest im Ansatz durchbrechen können. Das Büro hat jedoch seine selbstgesteckten Ziele des »Empowerments« und der »Stärkung von Migrantenselbstorganisationen« verfehlt. Bleibt zu hoffen, dass die Integrationsbeauftragte einen anderen Fördertopf für die Unterstützungsangebote von Joliba ausfindig machen kann.

Angelina Weinbender arbeitet für den Migrationsrat Berlin- Brandenburg e.V. und ist aktiv in der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt. Von 2010 bis 2011 hat sie die Arbeitsgruppe ›Polizei‹ im Rahmen des Berliner Landesaktionsplans gegen Rassismus und ethnische Diskriminierung koordiniert.

Der Beitrag ist erstmalig erschienen in der Newsletterausgabe 1|2014 des Migrationsrats Berlin-Brandenburg e.V.

  1.  Vgl. Sebastian Friedrich und Johanna Mohrfeld: »Das ist normal« – Mechanismen des institutionellen Rassismus in polizeilicher Praxis, in Opferperspektive e.V. (Hrsg.): Rassistische Diskriminierung und rechte Gewalt. 2013.
  2.  ID-WITHOUTCOLORS; Filmemacher: Riccardo Valsecchi
  3.  Die Arbeit beinhaltet Fotos von betroffenen Familien und einen Denkmalentwurf für die schwarzen Opfer von Kolonialismus, Nationalsozialismus und Rassismus.
  4.  Noa Ha ist asiatischdeutsche Stadtforscherin, Mutter, Aktivistin. Sie engagiert sich bei korientation, einem asiatischdeutschen Netzwerk, im Netzwerk ›decoloniality europe‹ und ist im Vorstand des MRBB.
  5.  Der Beitrag ist erstmalig erschienen in der iz3w 332 September / Oktober 2012
  6.  Biplab Basu ist Mitbegründer der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt – KOP und arbeitet für die Beratungsstelle ReachOut. Die Rede ist nachzulesen in der Broschüre des MRBB »Institutioneller Rassismus – Ein Plädoyer für deutschlandweite Aktionspläne gegen Rassismus und ethnische Diskriminierung«.
  7.  Im Zeitraum 01. Januar – 30. September 2013 (vgl. Antwort auf die Kleine Anfrage, Drucksache 17/12862).
  8.  Kleine Anfrage vom 12. November 2013: Ergebnisse der Razzien im Görlitzer Park.
  9.  Vgl. hierzu die Stellungnahme zur Polizeilichen Kriminalstatistik 2012 »Mehr Racial Profiling, weniger Aufklärung« des MRBB.
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