Blinder (Re)Aktionismus – Der »Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma« des Berliner Senats

Als erstes deutsches Bundesland setzt Berlin die Vorgaben der EU zur Einbeziehung der Rom_nja um – oder versucht es jedenfalls. Der »Aktionsplan zur Einbeziehung ausländischer Roma« wurde vom Senat am 16.7.2013 beschlossen und beinhaltet Maßnahmen in den Bereichen Wohnen, Bildung, Gesundheitsversorgung, Partizipation und Sensibilisierung für Antiziganismus. Viele Berliner NGOs – Roma-Selbstorganisationen, aber ebenso Flüchtlingsrat und Medibüro – begrüßten ihn vor allem mit Kritik – und das zu Recht.

 

Zwar ist es positiv zu sehen, dass Berlin als erstes Land hier einen Vorstoß unternimmt. Die Bundesregierung hatte die von der EU zur Verfügung gestellten Gelder mit der Begründung abgelehnt, es gebe keinen besonderen Bedarf für Rom_nja. Migrant_innen würden mit den regulären Programmen etwa des BAMF ausreichend gefördert. Als dann die deutschen Kommunen Anfang 2013 auf den sehr wohl vorhandenen Bedarf aufmerksam machten, waren Vertreter_innen der Bundesregierung unter den ersten, die diese Äußerung aufgriffen und darauf eine rassistische Hetze gegen die sogenannte Armutseinwanderung aufbauten. Vor diesem Hintergrund ist es zweifellos anerkennenswert, dass das Land Berlin nun gleich einen ganzen Katalog an wohlmeinenden Maßnahmen vorgeschlagen hat, wo andere Länder im Lamentieren über die Situation verharren oder repressiv vorgehen.

Einzelne Maßnahmen des Berliner Aktionsplans sind durchaus vielversprechend. Dies betrifft vor allem das letzte Kapitel des Aktionsplans. Dort wird die umfassende Diskriminierung von Rom_nja dargestellt und darauf hingewiesen, dass stabile Selbsthilfestrukturen und Netzwerke der Roma- Community in Berlin bisher kaum vorhanden und nicht ausreichend finanziert sind. Die Community aufzubauen ist deshalb erklärtes Ziel. Ein Modellprojekt zur Stärkung der Roma-Community, das den Schwerpunkt auf Familiensozialarbeit und Selbsthilfestrukturen legt, soll ausgebaut werden, ebenso die »Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter sowie Roma«, die von Amaro Foro e.V. und südost Europa Kultur e.V. betrieben wird. Es wird sogar betont, dass die Dokumentation antiziganistischer Vorfälle wichtig ist und dass solche auch in Behörden und anderen öffentlichen Einrichtungen vorkommen. Es sind also einige wichtige Ansätze und Ideen im Aktionsplan enthalten. Umso bedauerlicher ist es, dass er dennoch insgesamt zu sehr auf falschen Schuldzuweisungen und stereotypen Darstellungen beharrt und die meisten der geplanten Maßnahmen weit hinter der tatsächlich nötigen Förderung zurückbleiben.

Kapitulation vor dem Wohnungsmarkt

Unter der Überschrift »Wohnen und Konflikte im Stadtraum« versucht der Aktionsplan, die zweifellos zentralen Probleme bei der Unterbringung von Rom_nja in geeigneten Wohnungen in den Blick zu nehmen. Ganz richtig wird eingangs dargestellt, dass Rom_nja bei diesem Thema nur besonders stark betroffen sind von einem viel größeren Problem: dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum in der Berliner Innenstadt. In ihrem Fall kommen zusätzliche Probleme hinzu, wie etwa Verständigungsprobleme, Unkenntnis des deutschen Mietrechts und eine massive Diskriminierung auf dem regulären Wohnungsmarkt. So kommt es zu den aus den Medien inzwischen hinlänglich bekannten Phänomenen der überteuerten Vermietung von Schrott-Immobilien (teilweise ohne Strom und Heizung), der irregulären Vermietung und der Überbelegung von Wohnungen. Nicht zuletzt aufgrund der Notwendigkeit einer behördlichen Meldeadresse sind Rom_nja ebenso wie andere Bevölkerungsgruppen häufig gezwungen, sich mangels Alternativen auf desolate Wohnsituationen einzulassen. Nach der Schilderung der Ausgangssituation wird die Bedeutung der aufsuchenden Beratung zum Mietrecht für Rom_nja betont, die unter anderem durch die vom Senat finanzierte Anlaufstelle geleistet wird. Auch die chronische Überlastung und Unterfinanzierung der Anlaufstelle werden erwähnt; hier wird ein Änderungsbedarf erkannt. Der Senat schlägt jedoch nur drei konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnsituation vor: Er will »alle rechtlich möglichen Anstrengungen« unternehmen, um unseriöse Vermietungspraktiken aktiv zu bekämpfen, außerdem schlägt er spezielle Informationsveranstaltungen für Rom_nja zum Thema Mietrecht vor, und vor allem soll eine vorübergehende Unterkunft für Familien mit Kindern eingerichtet werden, wo diese für einige Tage bis zur Klärung ihrer Ansprüche untergebracht werden können.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen bleiben erstaunlich vage, mit Ausnahme der neuen Wohnungslosenunterkunft. Und die ist ein Tropfen auf den heißen Stein und zudem in dieser Konzeption problematisch: Es gibt in Berlin einen schon seit Jahren offenkundigen Bedarf an Wohnungslosenunterkünften, die für Familien geeignet sind. Zudem sind alle Berliner Wohnungslosenunterkünfte hoffnungslos überlastet und es ist für Wohnungslose absurd kompliziert, dort unterzukommen: Dafür muss nämlich ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGBII oder SGBXII nachgewiesen werden – und dieser Nachweis ist für rumänische und bulgarische Staatsbürger_innen nicht so ohne Weiteres zu bekommen. Der Europäische Gerichtshof wird erst 2015 ihre Ansprüche eindeutig klären, bisher entscheiden die deutschen Sozialgerichte unterschiedlich darüber, ob EU-Bürger_innen in anderen EU-Ländern als ihrem Heimatland Sozialleistungen bekommen können. Das alles sind keine Roma-Phänomene. Hier treffen verschiedene strukturelle Probleme aufeinander. Deshalb sollte man sie auch als solche angehen und nicht durch die Einrichtung einer speziellen Unterkunft für Roma-Familien eine unnötige Ethnisierung befördern. Es ist im Übrigen angesichts drastisch zunehmender Anschläge und Angriffe auf Migrant_innenhäuser eine sehr fragwürdige Idee, nun eine spezielle »Roma-Obdachlosenunterkunft« einzurichten. Tatsächlich wäre es eine zentrale und gesamtgesellschaftlich wichtige Aufgabe des Senats, endlich die verfehlte Wohnungspolitik der letzten beiden Jahrzehnte durch eine völlige Kehrtwende zu korrigieren. Würden diese Probleme angegangen, hätten auch Rom_nja nicht mehr solche Schwierigkeiten, eine erträgliche Wohnung zu finden. Der Senat scheint jedoch öffentlichkeitswirksame ethnische Sonderbehandlungen einer wirklichen Wahrnehmung seiner Aufgaben vorzuziehen.

Seuchenschutz statt Krankenversicherung

In dem vergleichsweise ausführlichen Kapitel »Gesundheitliche Versorgung und Soziales« thematisiert der Senat die bestehenden Schwierigkeiten bei der Gesundheitsversorgung, die in den meisten Fällen durch die fehlende Krankenversicherung zustande kommen. Die Berliner Angebote für Menschen ohne Krankenversicherung sind rettungslos überlastet. Als Ursache für die fehlende Krankenversicherung wird unter anderem die bereits im Heimatland fehlende Krankenversicherung angegeben, da deutsche Krankenkassen den Nachweis von Vorversicherungszeiten fordern, bevor sie jemanden aufnehmen. Eine fehlende Versicherung im Heimatland ist aber dort erst mal kein Problem, weil sie bei bestehender Notfallversorgung nicht nötig ist bzw. darüber hinaus keine Leistungen versichert. Das Problem liegt auf deutscher Seite: die unverhältnismäßig hohen Hürden für die Aufnahme in eine deutsche Krankenversicherung. Weshalb sind Vorversicherungszeiten überhaupt notwendig? Weshalb werden rückwirkende Beiträge erhoben, wenn jemand überhaupt keine Leistungen erhalten hat? Und wann werden endlich die Beitragssätze vor allem für Selbstständige und prekär Beschäftigte auch nur in Sichtweite der gesellschaftlichen Realität gebracht?

Im Aktionsplan fallen zu diesem Thema vor allem die Stichworte Schwangerschaft bzw. Entbindung, Prostitution und Tuberkulose. Künftig sollen Geburten nicht krankenversicherter Frauen einfacher finanziert werden können, im schlimmsten Fall über einen Notfallfonds, außerdem sollen flächendeckende Schutzimpfungen bezahlt werden. Ferner will man den Fragebogen zur Kostenerstattung von Notfallbehandlungen vereinfachen. Was ist aber mit Menschen, die an einer Grippe erkranken, Zahnbehandlungen brauchen und vor allem chronische Leiden haben? Ihre Lage verbessert sich durch diese Maßnahmen nicht – die Notfallversorgung für Unversicherte bleibt auf Seuchenschutz und sexuell übertragbare Krankheiten fokussiert, außerdem zu kompliziert und rudimentär, und vor allem bleiben zu viele Menschen auf sie angewiesen. Das trifft nicht nur den rumänischen Rom, der als Selbstständiger auf der Baustelle arbeitet, sondern ebenso alle möglichen anderen Gruppen, übrigens auch deutsche Staatsbürger_innen, die sich die Krankenversicherung einfach nicht mehr leisten können.

Auch hier ist das eigentliche Problem viel größer. Im Gegensatz zur Wohnungspolitik ist die überfällige Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung allerdings eine Aufgabe der Bundespolitik. Der Senat könnte jedoch versuchen, durch gezielte Netzwerke mit Kommunen und Versicherungshäusern in den Herkunftsländern von Roma-Migrant_ innen bürokratische Hürden abzubauen, sodass der Zugang zum Versicherungsschutz erleichtert wird und eben das Problem an der Wurzel gepackt wird.

„Was ist aber mit Menschen, die an einer Grippe erkranken, Zahnbehandlungen brauchen und vor allem chronische Leiden haben? Ihre Lage verbessert sich durch diese Maßnahmen nicht – die Notfallversorgung für Unversicherte bleibt auf Seuchenschutz und sexuell übertragbare Krankheiten fokussiert.“

Spezialisierte Beratung von Betroffenen wäre hier ebenso eine angemessene Maßnahme gewesen. Das wäre jedenfalls sachdienlicher als ethnisiertes Herumbasteln am System der Notfallversorgung, das ja wohl nicht langfristig die Gesundheitsversorgung ganzer Bevölkerungsgruppen sichern soll.

Segregation im Bildungssystem

Unter der Überschrift »Bildung, Jugend und Ausbildungschancen« konstatiert der Senat, dass der Zugang zum Berliner Schulsystem für Kinder aus Roma-Familien eine »besondere Aufgabe« sei. Als Gründe werden das Fehlen jeglicher Schulerfahrung bzw. von schulischen Basiskenntnissen, fehlende Deutschkenntnisse und teilweise fehlende Alphabetisierung benannt. Um diese »besondere Aufgabe« zu lösen, richtet das Land Berlin bereits seit 2011 sogenannte »Lerngruppen für Neuzugänge ohne Deutschkenntnisse« ein (Anfang 2013 gab es davon bereits 168). In diesen Kleingruppen sollen die Kinder auf die Regelklasse vorbereitet werden, in die sie dann nach einigen Monaten bis einem Jahr integriert werden. Zwar sieht der Aktionsplan auch einige positiv zu bewertende Maßnahmen vor – etwa soll es älteren Kindern durch verschiedene Programme ermöglicht werden, trotz fortgeschrittenen Alters einen Schulabschluss zu erreichen und eine Berufsausbildung zu machen; außerdem sollen außerschulische Angebote wie Ferienschulen, Kindertagesbetreuung und Bildungs- und Freizeitangebote am Nachmittag ebenso wie die Schulsozialarbeit ausgebaut werden. Die wichtigste Maßnahme bleiben jedoch die »Lerngruppen«, und die sind aus der Perspektive der Betroffenen sehr kritisch zu sehen.

Obwohl es inzwischen in jedem Berliner Bezirk solche separaten »Lerngruppen« gibt, fehlt nicht nur ein einheitliches landesweites Konzept für die konkrete Ausgestaltung, sondern es gibt auch keinen empirischen Nachweis über den tatsächlichen Nutzen solcher »Lerngruppen«. Das Konzept der segregierenden Beschulung von Migrant_innen ist nichts Neues, auch andere migrantische Communities in Deutschland haben damit Erfahrungen gemacht. Viele NGOs (ebenso wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft), darunter viele Migrantenselbstorganisationen, kritisieren diese Praxis schon länger. Obwohl es inzwischen in jedem Berliner Bezirk solche separaten »Lerngruppen« gibt, fehlt nicht nur ein einheitliches landesweites Konzept für die konkrete Ausgestaltung, sondern es gibt auch keinen empirischen Nachweis über den tatsächlichen Nutzen solcher »Lerngruppen«. Bekanntermaßen ist das sogenannte »Sprachbad« für ein Kind der beste Weg, eine fremde Sprache zu lernen – der Aufenthalt in einer Umgebung, in der alle die fremde Sprache sprechen. Dafür wäre eine Regelklasse viel geeigneter als eine »Lerngruppe«, die an Schulen auch unter der Bezeichnung »Roma-Klasse« läuft. Da die Trennung der Kinder mit migrantischem Hintergrund von den übrigen Kindern in diesem jungen Alter eine Zäsur bedeutet und als abwertende Segregation erlebt wird, müsste der pädagogische Nutzen zumindest erwiesen sein, bevor man dieses Modell flächendeckend praktiziert. Als nächster Schritt müsste ein einheitliches Konzept her: Wird ausschließlich in der »Lerngruppe« unterrichtet oder handelt es sich um eine ergänzende Förderung zusätzlich zum Unterricht in der Regelklasse? Welche Unterrichtsinhalte werden in den »Lerngruppen« vermittelt? Wie lange bleiben die Schüler_innen dort und wer entscheidet anhand welcher Kriterien über ihren Wechsel in die Regelklasse? Die Berliner Praxis sieht leider viel zu häufig so aus, dass Kinder viel zu lange in den Kleinklassen bleiben, Lehrer_innen ohne transparente Kriterien über den Wechsel entscheiden können und manche Lehrer_innen offenbar nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch deutsche Kultur in der Kleingruppe vermitteln sollen. Es ist eine Manifestierung von ohnehin bestehender sozialer Segregation und eine Sonderbehandlung aufgrund der ethnischen Herkunft.

Problematisch ist auch die Defizitorientierung dieser Bildungspolitik, die im Aktionsplan zum Ausdruck kommt: »fehlende Schulerfahrung«, »fehlende Deutschkenntnisse«, »fehlende Alphabetisierung«. An anderer Stelle ist gar von der sozialen Entwicklung und den motorischen Fähigkeiten der Roma-Kinder die Rede, die gefördert werden müssten, ebenso müsste bei Kindern und Eltern das Bewusstsein für die Bedeutung schulischer Bildung erhöht werden. Seit wann haben Roma-Kinder größere motorische oder soziale Defizite als andere Kinder? Und wieso wird hier suggeriert, dass es Rom_nja pauschal an der Wertschätzung der Schulbildung mangele? Es mutet auch merkwürdig an, dass bei Roma-Jugendlichen zur Begründung ihrer speziellen Bedürftigkeit eine »Arbeitsmarktdistanz« konstatiert wird. Dieser Begriff meint normalerweise, dass jemand aufgrund persönlicher Defizite schwer in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren ist. Rumänische und bulgarische Staatsbürger_innen durften zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Aktionsplans in Deutschland nicht abhängig beschäftigt arbeiten – sicher, das kann man schon mal als Arbeitsmarktdistanz bezeichnen.

Natürlich wird etwa eine gerade eingereiste 6-jährige rumänische Romni die Benimmregeln eines deutschen Klassenzimmers nicht kennen – aber zum einen kennen die viele Kinder bei der Einschulung nicht und zum anderen bringt sie dafür ganz andere Kenntnisse und Erfahrungen mit, die man auch mal anerkennen könnte. Besonders Roma- Kinder sind zum Beispiel meistens multilingual und sprechen neben Romanes noch die Amtssprache ihres Herkunftslandes, zum Teil sogar weitere Sprachen. So etwas könnte man auch als Bereicherung bewerten und fördern, anstatt nur auf fehlende Deutschkenntnisse zu blicken. Es wäre zumindest ein Signal an die Schüler_innen und ihre Familien, dass ihre Kompetenzen auch wahrgenommen werden und wertvoll sind. Stattdessen konstatiert der Aktionsplan bei vielen Roma-Eltern eine »erhebliche Skepsis« gegenüber deutschen Behörden und Bildungsinstitutionen. Der Senat will deshalb pädagogisches Personal hinsichtlich der Roma-Kultur und -Geschichte qualifizieren. Man ist fast versucht, einmal nachzufragen, was der Senat sich unter »der Roma-Kultur und -Geschichte« vorstellt. Was soll das sein? Schon unter den bulgarischen und rumänischen Rom_nja kann von einer einheitlichen Kultur und Geschichte kaum die Rede sein. Es wäre wesentlich sinnvoller, mit dem pädagogischen Personal regelmäßige Sensibilisierungstrainings durchzuführen, um Diskriminierung erfolgreich zu erkennen und zu bekämpfen. Vielleicht würden dann Roma-Eltern nicht mehr die Erfahrung machen, dass ihr Kind, obwohl es vier Sprachen spricht, ein Jahr lang in einer Kleinklasse vor sich hin dümpelt, weil die Lehrerin offenbar glaubt, einem lebhaften Roma-Kind noch mehr deutschen Benimm beibringen zu müssen. Dann würde sich vielleicht auch die Skepsis gegenüber dem deutschen Bildungssystem allmählich auflösen.

Sicherlich sind viele Lehrkräfte und Schulleitungen hoffnungslos überfordert und sehen nicht, wie sie Roma-Kinder in den bestehenden Schulalltag integrieren können. Das ist aber mehr ein Problem des Schulalltags als der Rom_nja. Deutschland wird seit Jahrzehnten kritisiert, wegen zu großer Schulklassen, zu wenig (sozial)pädagogischer Betreuung der Schüler_innen und wegen eines zu undurchlässigen Schulsystems. Da Bildung in Deutschland Ländersache ist, hätte der Senat hier durchaus die Möglichkeit, Veränderungen vorzunehmen. Es ist klar, dass bei einer Schulklasse von 25 Schüler_innen bereits fünf nicht gut deutsch sprechende Roma- Kinder die Lehrkraft überfordern. Hier zeigen viele Lehrer_innen eine »Das Maß ist voll«-Einstellung und fühlen sich durch den Aktionsplan bestätigt darin, dass genau die fünf Roma-Kinder nun zu viel für die Klasse sind und ausgelagert werden sollten.

Die Reproduktion von Stereotypen zieht sich wie ein roter Faden durch den Aktionsplan. An vielen Stellen ist zudem nicht klar, warum eine bestimmte Problemlage durch ihr Erscheinen im Aktionsplan ethnisiert wird – zumal immer wieder betont wird, dass Fallzahlen nur geschätzt sind, da die ethnische Zugehörigkeit in Deutschland aus gutem Grund nicht erfasst wird. Woher stammt also das Wissen, dass es sich hier um Rom_nja- Probleme handelt und damit die Grundlage des Aktionsplans schlechthin? Es wird außerdem mehrfach betont, dass die vorgeschlagenen Lösungen allen Betroffenen zugute kommen sollen, nicht nur Rom_nja. Wenn aber von einem Problem nicht nur Rom_nja betroffen sind, dann sollte es auch nicht mit Geldern, die für die Roma-Inklusion vorgesehen sind, gelöst werden – das befördert in der Öffentlichkeit eine Wahrnehmung, die die NPD in einem Wahlslogan so formuliert hat: »Mehr Geld für die Oma statt für Sinti und Roma«. Die Finanzierung von speziellen Roma-Projekten erweckt dann den Eindruck, als wären Rom_nja besonders hilfebedürftig und würden deshalb besonders viel Geld bekommen. Wenn bei einem solchen Projekt aber gar kein Bezug zu einer ethnischen Zugehörigkeit zu erkennen ist bzw. dieser nur künstlich hergestellt ist, dann sollte es anders finanziert und präsentiert werden.

Darüber hinaus ist der gesamte Prozess der Entwicklung des Aktionsplans problematisch gewesen. Die Kommunikation mit den Selbstorganisationen und ihre Einbeziehung waren nicht ausreichend. Bereits die Auswahl der Organisationen, die eingeladen wurden, war nicht transparent und zum Teil nicht nachvollziehbar. Außerdem wurde mit den NGOs und Roma-Vertreter_innen keine Diskussion auf Augenhöhe geführt, in der es möglich gewesen wäre, Teile des Aktionsplans insgesamt in Frage zu stellen, Teile selbst mitzuschreiben, gegenzulesen oder in einem engen Kreis von Expert_innen die Gesamtrichtung des Aktionsplanes zu diskutieren. Es war nur das Vorschlagen einzelner Maßnahmen erwünscht, sodass zumindest phasenweise der Eindruck entstand, es handle sich hier um eine Scheinbeteiligung der Betroffenen. Vor diesem Hintergrund können die Passagen des Aktionsplans, die Selbstbestimmung fordern und Rassismus kritisieren, nicht überzeugen. Dazu wäre der erste Schritt die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit bestehenden Selbstorganisationen gewesen, die vom Senat verweigert wurde. Als Ergebnis ist nun ein Aktionsplan entstanden, der – neben einigen begrüßenswerten Punkten – Maßnahmen vorsieht, die ungeeignet sind, vom Umfang her zu gering oder gar segregierend. Zudem erweckt der gesamte Aktionsplan von Inhalt und Sprache her den Eindruck der Defizitorientierung und mangelnden Differenzierung. Immerhin spricht man von »Roma in Berlin« – Rom_nja sind eine Gruppe, die in Europa auf eine Größe von 12 Millionen Menschen geschätzt wird. Gemeint sind aber lediglich Zugewanderte aus Rumänien und Bulgarien, unter denen es Rom_nja gibt. Rom_nja unterscheiden sich, wenn überhaupt, dann in einer Hinsicht von der Mehrheitsgesellschaft: sie sind aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit massiver Diskriminierung ausgesetzt, die sich in allen Lebensbereichen auswirkt. Einzig ein Aktionsplan, der diese Diskriminierung in den Mittelpunkt stellt und dort den größten Handlungsbedarf erkennt, hätte ein Recht, das Wort »Roma« bereits im Titel zu erwähnen.

Amaro Foro e.V. (»Unsere Stadt«) ist der Berliner Landesverband von Amaro Drom e.V. und ein Verein von jungen Roma und Nicht-Roma mit dem Ziel, jungen Menschen durch Empowerment, Mobilisierung, Selbstorganisation und Partizipation Raum zu schaffen. Der Verein unterstützt eine Jugendgruppe und betreut ein Kinderprogramm, fördert Bildung und Weiterbildung von jungen Roma, engagiert sich in Kultur- und Community-Building-Projekten sowie an Berliner Schulen und betreibt eine Sozialberatungsstelle für Roma-Migrant_innen aus neuen EU Mitgliedsländern.

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