Rechter Totenkult

Nach jahrelangen Auseinandersetzungen um die Überreste von Horst Wessels Grab in Berlin verschwanden nun die letzten Spuren des einstigen „Märtyrers der Bewegung“. Die rechtsextreme Szene schäumt vor Wut. Ein Gastbeitrag von Theo Schneider, zuerst erschienen auf blick nach rechts.

 
Der Grabstein für Horst Wessel wurde entfernt; Photo: Theo Schneider.
Der Grabstein für Horst Wessel wurde entfernt; Photo: Theo Schneider.

Direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde 1945 der pompöse Marmorstein der Familie Wessel auf dem St. Nikolai Friedhof im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg von den Alliierten wie die meisten nationalsozialistischen Denkmäler demontiert. Übrig blieb ein kümmerlicher Brocken mit der Inschrift „Pfarrer Ludwig W“. Sie galt dem Vater der einstigen NS-Symbolfigur, der als ehemaliger Gemeindepfarrer des Friedhofs dort zusammen mit seinen Söhnen begraben war und durch seine frühere Funktion der Demontage entkam.

Gewalt und Sachbeschädigungen

Lange Zeit war damit Ruhe um die Todesstätte des 1930 verstorbenen früheren SA-Sturmführers, bis ab 1989 wieder erste Neonazis zu dem Stein pilgerten. Fortan bekam der Ort eine zunehmende Bedeutung in der Szene: Spätestens seit 1997 versuchten organisierte rechte Gruppen dem SA-Schläger jährlich mit Blumen oder Kränzen am Todestag zu huldigen. Damals berichtete die „Berliner Zeitung“ von einer Gruppe „rechtsradikaler Jugendlicher“ die Kränze abwarf. „Die Polizei schritt nicht ein“, weil keine verbotenen Symbole gezeigt worden seien. In den beiden Folgejahren legten am 23. Februar die „Kameradschaft Prenzlauer Berg/Mitte“ Kränze und Blumengebinde ab.

Aber es kam auch zu Gewalt und Sachbeschädigungen: Weil der damalige Friedhofsverwalter Wolfgang Eichner 1999 einem Neonazi mit Hund den Einlass verwehrte, wurde er am 4. März nächtens in seiner Wohnung auf dem Friedhof überfallen.

In drei Nächten im September 2003 randalierten auf dem Friedhof mutmaßlich Rechte angeblich aus Rache für Verhaftungen im Münchner Neonazi-Milieu und stürzten 18, 88 und schließlich 26 Steine um. Die Zahlen sind bekannte Codes in der Szene nach ihren Buchstaben im Alphabet. Bei der 26 verzählten sich die Täter offenbar und wollten wohl 28 Steine umkippen, für „Blood&Honour“.

Mahnwache mit Reichskriegsflagge angemeldet

Schnell bekam der braune Märtyrerkult mitten in Berlins Zentrum auch Aufmerksamkeit von Zivilgesellschaft und antifaschistischen Gruppen. Um Gedenkaktionen zu verhindern, wurden Kundgebungen vor dem Friedhof organisiert und der Zugang blockiert. Im Jahr 2000 wollten Neonazis zum 70. Todestag Horst Wessels sogar einen Aufmarsch samt Kranzniederlegung mit 500 Teilnehmern zum Friedhof durchführen, allerdings untersagte die Polizei dem Anmelder und stadtbekannten Neonazi Oliver Schweigert den Aufzug. Wenige Tage später bekannten sich „Autonome Totengräber“ dazu, den Schädel Wessels ausgegraben und in der Spree geworfen zu haben. Als Reaktion protestierten rund 20 Neonazis vor dem Friedhof, wenige Tage später nur noch fünf.

Auch 2001 meldeten Neonazis, diesmal Lutz Giesen aus dem Umfeld der „Kameradschaft Germania“ eine Mahnwache „mit Reichskriegsflagge, Fackeln und Megafon“ für 70 Teilnehmer an. Wieder verbot die Polizei die rechtsextreme Versammlung. Seitdem verlegten sich die Szene auf klandestinere Aktionen: 2004 posierte die „Kameradschaft Tor“ mit Transparent vor dem Krankenhaus nahe dem Volkspark Friedrichshain, in dem Wessel im Februar 1930 starb. Im Jahr darauf wollten die Neonazis unangemeldet zum Grab ziehen, aber die Polizei bekam die Planungen mit. In den Jahren danach beschränkten sich die Aktivitäten nur noch auf Plakat- und Sprühaktionen im Stadtgebiet.

Braune Hinterlassenschaften werden entfernt

Damit verschwand auch die Aufmerksamkeit der Nazigegner auf das Grab im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Still und heimlich etablierten sich daraufhin wieder Gedenkaktionen, der Friedhof blieb Neonazi-Wallfahrtsort: Im August 2005 zogen „KS-Tor“-Aktivsten nach einem Heß-Ersatzmarsch zum Wessel-Grab. Im Juli 2007 wurde eine Gruppe mit „White Resistance“-Parolen auf dem Friedhof beobachtet. Karlsruher Neonazis des „FW-Süd“ legten im April, die „Freien Nationalisten Berlin-Mitte“ im September 2010 Blumen nieder.

Immer wieder muss die Friedhofsverwaltung diese braunen Hinterlassenschaften entfernen, wie sie auf Nachfrage bestätigt: „Wir kontrollieren die Stelle regelmäßig und werden sie auch künftig sofort beräumen, wenn dort etwas liegt.“

Jetzt gingen die Zuständigen allerdings einen Schritt weiter und bereiteten dem Totenkult womöglich perspektivisch ein Ende: Als vor wenigen Wochen Anhänger der Berliner Jungen Nationaldemokraten zum Friedhof pilgerten, mussten sie feststellen, dass der Stein entfernt worden ist. Wütend rissen sie die nun auf die Stelle gepflanzten Sträucher aus dem Boden und schimpften auf Facebook. Sympathisanten machten in Kommentaren ihrem Ärger Luft.

Möglicherweise findet damit eine unsägliche Tradition zumindest an diesem Ort ihr Ende. Auch der einstige rechte Pilgerort Wunsiedel kam zur Ruhe, nachdem das Grab von Rudolf Heß verschwand. Ob die Glorifizierung Wessels und die von ihm vertretende menschenverachtende Ideologie allerdings dadurch gänzlich entfällt, darf bezweifelt werden.

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