NSU und Berliner Behörden: keine Erkenntnisse

Für die Innenausschusssitzung am Montag, den 18. März 2013, war auf Initiative von Bündnis 90/Die Grünen und Die LINKE abermals der Versuch unternommen worden, das Thema „NSU und Berliner Behörden“ mit besonderem Fokus auf das Jahr 2002 zu verhandeln. Damals hatte V-Mann Thomas Starke dem Berliner LKA konkrete Hinweise auf den möglichen Aufenthaltsort von Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos gegeben, dem allerdings nicht nachgegangen worden war.

 

Erst im Zuge der Ermittlungen zum NSU-Komplex im letzten Jahr war bekannt geworden, dass Starke V-Mann des Berliner LKA war. Als es darüber hinaus einen Aktenvernichtungsskandal gab, hatte Innensenator Frank Henkel (CDU) als Sonderermittler den Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg mit der Untersuchung der Vorgänge beauftragt. Die Ergebnisse des sogenannten Feuerberg-Berichts hätten auf Antrag von Bündnis 90/Die GRÜNEN und Die LINKE bereits Grundlage für die Innenausschusssitzung am 18. Februar sein sollen.

Henkel glänzt durch Abwesenheit
Aufgrund zeitintensiver aktueller Anlässe waren die Punkte jedoch auf den 18. März verschoben worden. Außerdem hatte Innensenator Henkel die damalige Sitzung vorzeitig verlassen müssen. Die Oppositionsparteien hatten daraufhin mit Nachdruck eingefordert, dass Henkel beim Thema NSU anwesend sein solle, um Stellung zu beziehen und Fragen zu beantworten. Henkel glänzte nun aber auch bei dieser Sitzung durch Abwesenheit (aufgrund einer Kroatien-Reise in seiner Funktion als Bundesrats-Mitglied) und ließ sich durch seinen  Staatssekretär Bernd Krömer vertreten. Entsprechend deutlich brachten daher Udo Wolf (Die LINKE) und Benedikt Lux (Bündnis 90/Die GRÜNEN) ihren Unmut zum Ausdruck und warfen Henkel unzureichenden Aufklärungswillen und mangelnde Sensibilität vor.

Auch die Art und Weise, wie den Ausschussmitgliedern Akteneinsicht gewährt wurde, sorgte für scharfe Kritik. Denn obwohl der Termin langfristig bekannt war und auch die Ersuche zur Akteneinsicht lange vorlagen, wurden die insgesamt 18 Aktenordner erst letzte Woche Freitag zugänglich gemacht. Bündnis 90/Die GRÜNEN, Die LINKE und Piraten bemängelten jedoch nicht nur, dass angesichts der Zeitknappheit ein angemessenes Aktenstudium verunmöglicht wurde. Sie beklagten außerdem den katastrophalen Zustand der Akten. So würden darin etliche Dokumente in mehrfacher Kopie auftauchen. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen seien zudem nahezu alle Unterlagen als „geheim“ klassifiziert – absurder Weise auch Protokolle von öffentlichen Sitzungen und Kleine Anfragen im Abgeordnetenhaus.

Herrscht Chaos oder Unwille in der Behörde?
Die Oppositionsparteien waren sich einig, dass dieses Chaos nicht nur die Unfähigkeit der Behörden zeige und dies dem erklärten Auskunftswillen nicht gerecht würde. Vielmehr dränge sich der Verdacht auf, dass die Aufklärungsarbeit bewusst torpediert werden solle. Benedikt Lux (Bündnis 90/Die GRÜNEN) ging ausführlich mit Henkel ins Gericht und verwies auf eine Stellungnahme vom September 2012. Anhand zahlreicher Zitate machte Lux deutlich, dass Henkel die damaligen Versprechen, die V-Mann-Affäre Thomas Starke, die Aktenvernichtung und andere katastrophale behördliche Fehlleistungen schonungslos und mit höchstmöglicher Transparenz aufzuklären, nicht eingehalten hatte. Lux beklagte außerdem, dass Staatssekretär Krömer keine Grundlage für eine angemessene Aufklärung schaffen könne, weil er grundlegenden verwaltungstechnischen Anforderungen nicht gewachsen sei. Dass die Aufklärung stocke, sei laut Lux durchaus politisch motiviert.

„Keine Erkenntnisse“ zu gar nichts
In diesem Sinne bezeichnend kann der Umgang mit den in dieser Sitzung zu behandelnden Fragen von Die LINKE und Bündnis 90/Die GRÜNEN gewertet werden. Die LINKE hatte etwa 10 Fragen eingereicht, die alle personell auf Frank Schwerdt zugespitzt waren. Es wurde nach Kenntnissen über die Verbindungen bzw. Kontakte von Schwerdt zum Trio, zu Thomas Starke, zu Thomas Richter (V-Mann „Corelli“), zum Landser-Umfeld, zu Blood & Honour, zu Hammerskins gefragt. Wie zu erwarten war, wurden alle Fragen mit der Floskel beantwortet, es lägen keine Erkenntnisse vor. Gegen Ende des öffentlichen Teils des Sitzung kam Udo Wolf (Die LINKE) noch einmal auf den Fragenkatalog seiner Fraktion zurück. Er verwies auf eine Äußerung Frank Schwerdts, in der er sich damit gebrüstet habe, quasi der „Ziehvater“ von V-Mann „Corelli“ alias Thomas Richter gewesen zu sein. Polizeidirektor Oliver Stepien wollte aber selbst darin keinen Anlass für einen Ermittlungsansatz gegen Frank Schwerdt erkennen. Der von Bündnis90/Die Grünen eingereichte Fragenkatalog wurde hingegen in Gänze als vertraulich eingestuft und in den nicht-öffentlichen Teil der Sitzung verlegt. Udo Wolf (Die LINKE) verurteilte diesen Vorgang und kam zu der Einschätzung, dass zumindest einige der Fragen hätten nicht nur öffentlich beantwortet werden können, sondern dies eigentlich auch hätte passieren müssen.

GRÜNE fragen nach konkreten Personen
Clara Herrmann (Bündnis 90/Die GRÜNEN) warf den Behörden bezogen auf die V-Mann-Führung im Fall Thomas Starke grundsätzliche Ignoranz vor. Es sorgte bei den anwesenden Mitarbeiter_innen der Behörden für hektische Unruhe, als Herrmann sehr konkrete Fragen zu den Spekulationen um eine weitere vom Berliner LKA geführte V-Person stellte. So fragte sie, ob den Ausschussmitgliedern Einblick in weitere VP-Akten gewährt würde und ob es sein könnte, dass eine der folgenden Personen ebenfalls V-Mann für das Berliner LKA war bzw. ist: Martin Scholz, Jörg Winter, Michael Heinze, Sandro Wagner. Mit seiner abwiegelnden Antwort sorgte der Berliner Polizeipräsident Klaus Kandt dann kurzzeitig für Verwirrung, als er sich missverständlich äußerte und für einen Augenblick die Äußerung im Raum stand, dass V-Mann „VP 562“ (Thomas Starke) aufgrund einer Straffälligkeit seinen Vertrauensschutz verloren hätte. Nach empörten Rückfragen ruderte Kandt zurück und dementierte – er sei falsch verstanden worden.

Im Rückblick auf diese Innenausschusssitzung bleibt festzuhalten: Die Aufklärungsarbeit des LKA und des Innensenats im Bezug auf den NSU ist in einem katastrophalen Zustand. Ein klarer Aufklärungswille ist in der Tat nicht erkennbar. Vor diesem Hintergrund ist es alles andere als beruhigend, dass derzeit 15 Neonazis mit Berlin-Bezug mit offenem Haftbefehl gesucht werden, wie es Polizeipräsident Kandt am Anfang der Sitzung berichtete.

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