(Anti-)sexismus und Instrumentalisierung feministischer Diskurse im antimuslimischen Rassismus

Neben dem Überfremdungstopos zeichnet sich der antimuslimische Rassismus durch ein Anknüpfen an emanzipative Diskurse aus. Es gilt also genau hinzusehen, wenn Menschen- und Frauenrechte ins Feld geführt werden, um die Ablehnung einer Gruppe als kollektiv zu legitimieren.

 

In einem Interview mit der Zeitung DIE WELT appellierte der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble an die deutschen Muslim_innen: „Wenn Ihr hier heimisch werden wollt, müsst ihr beispielsweise die Gleichberechtigung von Mann und Frau akzeptieren. Wem es nun gar nicht gefällt, dass seine Tochter so aufwächst, wie Frauen hier in Europa aufwachsen, der muss sich fragen, ob er in einem modernen, europäischen Land zu Hause sein will.“[1] Offenbar sieht Wolfgang Schäuble die Geschlechtergleichheit als quasi territorial verankert an. Die emanzipativ gedachten universellen Menschenrechte werden so zu einem rein europäischen Kulturgut umgedeutet.[2] Damit werden Muslim_innen als „Fremde“ markiert, deren andere, minderwertige „Kultur“ sie von „unserer“ Werteordnung trenne. Implizit unterstellt Schäuble damit, dass die nicht-muslimische Mehrheitsbevölkerung diese Werte qua „kultureller Zugehörigkeit“ selbstverständlich verinnerlicht habe, während Muslim_innen die mit ihnen einhergehenden Verhaltensweisen erst noch erlernen müssten, weil sie ihnen „wesensfremd“ seien. Die „Kultur“ wird damit als Grenze zwischen einem Innen und Außen konstruiert, die das Eigene vom Fremden scheidet.

Die Kategorie Geschlecht spielt in antimuslimisch-rassistischen Diskursen eine zentrale Rolle. Der Topos der unterdrückten muslimischen Frau geht dabei mit dem Stereotyp des frauenverachtenden muslimischen Mannes einher. Der Sexismus wird im antimuslimischen Rassismus zu einem kulturellen Wesenszug des Islam erklärt, dem als Muslim_ innen markierte Menschen nicht entrinnen können. Kulturelle Eigenschaften werden in rassistischen Diskursen also naturalisiert, indem sie allen Personen einer kulturell definierten Gruppe zugeschrieben werden und damit implizit auf einen Kollektivcharakter abheben. Der oder die einzelne kann – dieser Perspektive folgend – gar nicht anders den­ken und handeln, weil seine bzw. ihre Kultur eben angeblich so ist wie sie ist.

Konstitutiv für den antimuslimischen Rassismus, wie er im Verhältnis von nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaften und muslimischen oder als solchen wahrgenommenen Minderheiten bedeutsam wird, ist eine dichotome Konstruktion von „westlicher“, soll sein „christlich-abendländischer“, und „islamischer“ Kultur, die einander als statische Einheiten gegenüberstehen und als unvereinbar angesehen werden.[3] Üblicherweise wird bei einer solchen bipolaren Sicht auf „Islam“ und „Westen“ Letzterer als emanzipativ, aufgeklärt und fort­schrittlich beschrieben, während „der Islam“ als rückständig, frauenfeindlich, unwandelbar, irrational und gewaltbereit gilt. Die Traditionen einer solchen Konstruktion des „Orients“ als kulturelles Gegenbild des „Westens“ reichen bis in koloniale Diskurse zurück, die der Literaturwissenschaftler Edward Said in seinem Konzept des Orientalismus nachgezeichnet hat. Während sich orientalistische Diskurse an einem externen Anderen abarbeiten, fokussiert der aktuelle antimuslimische Rassismus jedoch das Andere im Inneren der heutigen europäischen Migrationsgesellschaften.

Historische Traditionslinien

Dass die Bezugnahme auf emanzipative Diskurse – zu denen das Postulat der Geschlechtergleichheit zweifelsohne gehört – keine neue Strategie zur Legitimierung rassistischer Argumentationsweisen und Handlungen darstellt, zeigt ein Blick auf den Kolonialismus. Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak hat für die Instrumentalisierung von Frauenrechten im Zuge kolonialer Unterwerfung die Formulierung „white men are saving brown women from brown men“[4] geprägt. Auch im Kontext kolonialer Interventionen in der sogenannten islamischen Welt ist diese Argumentationsfgur bemüht worden, wie die Genderforscherin Leila Ahmed gezeigt hat.[5] Aus dem vermeintlichen zivilisatorischen Gefälle zwischen „dem Westen“ und „dem Islam“, das nicht zuletzt an der Unterdrückung der muslimischen Frau festgemacht wurde, wurde ein Erziehungsauftrag gegenüber Gesellschaften mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit abgeleitet. Diese Argumentationsweise diente also unter anderem zur Rechtfertigung der Besatzung dieser Länder. Dass es sich hierbei nicht nur um eine fragwürdige Indienstnahme feministischer Anliegen zur Unterjochung Anderer handelte, sondern dass diese Anleihen beim Feminismus oftmals nur vorgeschoben waren und mit einer gleichzeitigen dezidiert frauenfeindlichen Haltung einhergehen konnten, belegt Ahmed am Beispiel des britischen Kolonialbeamten Lord Cromer, der von 1883–1907 Generalkonsul von Ägypten war. Während er in Ägypten die Zwangsentschleierung muslimischer Frauen propagierte, war Cromer nach seiner Rückkehr nach England Gründungsmitglied und Präsident der „Men’s League for Opposing Women’s Suffrage“, die in Großbritannien gegen die Einführung des Frauenwahlrechts ankämpfte.[6]

Externalisierung und Verschleierung des eigenen Sexismus

Solche Paradoxien tauchen nicht nur in historischen Kontexten auf. In einer repräsentativen Studie der Sozialforscher_innen Andreas Zick und Beate Küpper im Rahmen einer Umfrage, die 2008 in acht EU-Mitgliedsstaaten durchgeführt wurde, stimmten in Deutschland 76,1 % der Befragten der These zu „Die muslimischen Ansichten über Frauen widersprechen unseren Werten“. Aus demselben Sample der Befragten waren jedoch 52,7 % gleichzeitig der Meinung „Frauen sollten ihre Rolle als Ehefrau und Mutter ernster nehmen“.[7] Die hier zutage tretende Doppelmoral, die sich in dem Verweis auf einen vermeintlich genuin muslimischen Sexismus bei gleichzeitiger Verschleierung des eigenen Sexismus äußert, scheint also weit verbreitet zu sein. Auch in der Diskussion um die Thesen des ehemaligen Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin erregte das reaktionäre Frauenbild des Autors keine große Aufmerksamkeit. Sarrazin legitimiert seine antimuslimische Haltung explizit mit dem Hinweis auf das frauenfeindliche „Wesen“ der Muslime: „Muslime betrachten es im Allgemeinen als anerkannte Wahrheit, dass Frauen Männern nicht ebenbürtig sind“, das stünde schließlich so im Koran – woraus Sarrazin offenbar schlussfolgert, dass Muslim_innen in ihrem sozialen Verhalten vorrangig durch ihre religiösen Schriften determiniert seien. Verallgemeinernd und homogenisierend spricht er deshalb auch von einer „konsequente[n] Missachtung und Verletzung der Rechte der Frauen in der islamischen Kultur“[8] als ob es sich dabei um eine klar abgrenzbare und statische Entität handelte.

Aus psychoanalytischer Sicht, so die Psychologin Birgit Rommelspacher, lässt sich das Fremdbild als Kehrseite des Eigenen beschreiben.[9] Wer also über andere spricht, sagt implizit häufig auch zugleich etwas darüber aus, wie er sich selbst sieht. Entsprechend gehen bei Sarrazin die Beschuldigungen der Muslime als sexistisches Kollektiv mit einer Idealisierung der deutschen Mehrheitsgesellschaft als Hort der weiblichen Emanzipation einher, weshalb er zu dem Schluss gelangt, ihr patriarchales Rollenverständnis mache „für die muslimischen jungen Migranten die Anpassung [an die deutsche Gesellschaft, Y.S.] doppelt schwer“.[10] Dass in seinem Buch Frauen – Musliminnen wie Nichtmusliminnen – hauptsächlich als Gebärende vorkommen, die entweder zu viel (muslimische Frauen of Color und weiße Unterschichtsangehörige) oder zu wenig (weiße Akademikerinnen) Nachwuchs produzieren[11], steht für Sarrazin offenbar in keinem Widerspruch zu seinem Selbstbild als Angehöriger einer per se geschlechtergerechten „abendländischen Kultur“, ebenso wenig wie sein diffamierender Hinweis auf den angeblich niedrigeren IQ von Müttern unehelicher Kinder.[12] Die Lektüre von Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ zeigt, wie eng die Diskriminierungsmerkmale „Rasse“, Klasse und Geschlecht miteinander verwoben sind und wie in rassistischen Diskursen der eigene Sexismus externalisiert und dethematisiert wird, während er gleichzeitig dazu dient, den Rassismus zu legitimieren.

So auch auf dem rechtspopulistischen Weblog Politically In-correct (abgekürzt PI). Dort wird gegen vorzugsweise muslimische Migrant_innen gehetzt und gegen eine vermeintliche „Islamisierung“ Europas polemisiert. Der antimuslimische Rassismus wird unter anderem explizit mit einer Bezugnahme auf Menschenrechte – und hier insbesondere auch auf Frauenrechte – begründet. In den Leitlinien von PI liest man: „Mit den Moscheen und ihren Predigern sind auch massive Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsehen und Ehrenmorde zu uns gekommen.“[13] Die Kritik an patri-archalen Strukturen und sexistischen Einstellungen unter Muslim_innen ist ein ständig wiederkehrendes Motiv in den Postings des Blogs, auf dem die sinkende „Geburtenrate der autochthonen europäischen Frauen“ beklagt und muslimische Frauen als „höchst gebärfreudig“ skandalisiert werden.[14] Dass dabei der eigene Sexismus häufig auf Muslim_innen projiziert wird, belegen zahlreiche frauenverachtende Verbalausfälle der Kommentator_innen, die von der PI-Redaktion nicht beanstandet werden. So schreibt ein User: „Ab und zu sind die Mohammedaner gar nicht schlecht. Zumindest, wenn es um die Behandlung ihrer keifenden Weiber geht.“[15] Und ein weiterer User äußert seine Kritik an einer promovierten Wissenschaftlerin in folgender Form: „Kann man sich eigentlich zum Doktortitel hochschlafen?“[16] Diese frauenfeindliche Diffamierung ist keine Ausnahme, wie auch der nachfolgende Kommentar illustriert: „Die Behauptungen dieses verwirrten Mädchens bestätigen doch Thilos Thesen: In Deutschland wird durch muslim. Einwanderer das geistige Niveau heruntergezogen. […] Für den Doktortitel ließ sie sich von Professoren behüpfen, wie es so häufg passiert in diesem Land.“[17] Für die Betreiber_innen von Politically Incorrect ist es offenkundig tolerabel, wenn Frauen, deren politische Positionen attackiert werden sollen, von den Kommentator_innen als „Quoten-Tussies“[18] oder „Schlampen“[19] verunglimpft und mit anderen, ähnlichen sexistischen Beleidigungen überzogen werden. Solche Diffamierungen lassen sich auch keineswegs, wie von den PI-Macher_innen oft behauptet, nur in den Kommentarbereichen nachweisen. Auch in redaktionell eingestellten Artikeln finden sich Schimpf-tiraden gegen „alternde kinderlose Emanzen“, „ihr[en] verweichlichte[n] und verweiblichte[n] männliche[n] Anhang“ und die „feministische Ideologie“, die am Aussterben der „autochthonen Deutschen“ schuld sei.[20] Dieser explizite Anti-Feminismus zeigt, dass in rechtspopulistischen Kontexten auf Frauenrechte nur dann zurückgegriffen wird, wenn sie sich als rhetorische Waffe zur Diskreditierung von Muslim_innen einsetzen lassen.

Bezugnahme auf muslimische „Kronzeuginnen“

Eine weitere beliebte Legitimierungsstrategie in antimuslimisch-rassistischen Diskursen bildet die Bezugnahme auf (ex-)muslimische Frauenrechtler_innen, die als „Kronzeuginnen“ bemüht werden.[21] So ist es kein Zufall, dass Thilo Sarrazin Necla Kelek ausgewählt hat, um sein Buch im Haus der Bundespressekonferenz vorzustellen. Sie gehört zu einer Reihe von als Muslim_innen oder muslimische „Renegatinnen“ wahrgenommenen erfolgreichen Publizist_innen, die in der Rolle sogenannter Islamkritiker_innen in Erschei­nung treten, wie beispielsweise Serap Çileli oder Ayaan Hirsi Ali. Seine Legitimität bezieht ihr Sprechen über „den Islam“ von ihrem Status als „authentische Stimme“ qua Herkunft aus der muslimischen Minderheit. All diesen Frauen ist eine Sozialisation in muslimisch geprägten Milieus gemeinsam. Überdies teilen sie traumatische Erlebnisse und Erfahrungen, zumeist in ihrem eigenen familiären Umfeld, die sie in ihren öffentlichen Statements und Publikationen auf die „islamische Kultur“ ihrer Herkunftsgesellschaften zurückführen, aus der sie sich befreit hätten. Dadurch, dass die eigene Emanzipation von diesen Frauen als Resultat einer Verinnerlichung von als „westlich“ gekennzeichneten Normen gedeutet wird, bieten sie Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft, deren gefragte Ansprechpartner_innen sie sind, ein positives Selbstbild an. Darüber hinaus beglaubigen sie mit ihren Biographien ein längst nicht nur von politisch konservativer Seite postuliertes Scheitern der „multikulturellen Gesellschaft“ und die Existenz von sogenannten Parallelgesellschaften, wobei die Schuld für diese Entwicklung bei der muslimischen Minderheit im Land zu suchen sei. In Necla Keleks Buch „Die fremde Braut“ heißt es dazu:

„Es gibt auch in meiner Verwandtschaft Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, die seit dreißig Jahren und länger schon in Deutschland leben und immer noch kein Deutsch sprechen. […] Die deutsche Gesellschaft ist doch nicht schuld daran, dass diese Menschen sich weigern, ‚in dieser Gesellschaft anzukommen‘. […] Sie haben sich längst ihre eigene Parallel-Gesellschaft geschaffen, auch mithilfe der deutschen Errungenschaften von Sozialversicherung und Arbeitslosenunterstützung.“ Und etwas später konstatiert Kelek: „Die Integration der Mehrheit der in Deutschland lebenden Tür­ken ist gescheitert.“[22]

„Ich gehöre“, so liest man auch bei der Autorin Serap Çileli, „zu der Minderheit von Türken, die sich hier wirklich integriert haben. […] Seitdem ich meine Ge­schichte öffentlich gemacht und gegen eklatante Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsehe und Ehrenmord kämpfe, wird mir das immer wieder bescheinigt.“[23]

Die Stimmen muslimischer „Islamkritikerinnen“ wie Kelek und Çileli beziehen ihre Argumentationsstärke als „Kronzeuginnen der Anklage“ aus ihrer vermeintlichen Innen­ansicht, die der Migrationsforscher Klaus Bade als „anekdotische Evidenz“ bezeichnet hat, welche von belastbaren Ergebnissen empirischer Forschung zu unterscheiden sei.[24] Dass ihre negativen Pauschalurteile gerne von Leuten wie Thilo Sarrazin funktionalisiert werden, um die eigenen antimuslimischen Ressentiments zu untermauern, verwundert wenig. So schreibt Sarrazin in seinem Buch: „Ich bin ganz froh, dass ich Necla Kelek zitieren kann“, denn anders als ihm, könne man Kelek ja wohl kaum Rassismus vorwerfen: „Man kann ja eine Deutschtürkin schlecht zur Deutschnatio­nalen stempeln“, so Sarrazin.[25] Unfreiwillig offenbart Sarrazin mit dieser These einmal mehr sein völkisches Verständnis vom Deutschsein.

Dabei knüpft die Argumentation der muslimischen „Kronzeuginnen“ zum Teil durchaus an rechtskonservative bis rechtspopulistische Positionen an. Auffällig ist beispielsweise die Schelte der „Alt-68er“ und sogenannter Multi-Kulti-Illusionist_innen oder „Gutmenschen“. Die genannten Autorinnen stellen einen kausalen Zusammenhang zwischen der vermeintlich übereifrigen deutschen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit und dem aus ihrer Sicht zu nachgiebigen Umgang mit den integrationsunwilligen Migrant_innen her. So resümiert Necla Kelek in „Die fremde Braut“: „Die Deutschen haben sich engagiert mit ihrer nazistischen Vergangenheit auseinander gesetzt, was sicherlich viel zu dem zivilen und demokratischen Gepräge dieser Republik beigetragen hat. Aber zuweilen verstellt das besondere Schuldgefühl gegenüber Juden, Sinti, Roma, Homosexuellen und anderen den klaren Blick auf die heutigen Realitäten von Unterdrückung und Ausgrenzung. Gerade die gut meinenden Deutschen neigen dazu, in jedem hier Asyl suchenden Ausländer gleichsam den Wiedergänger eines vor dem Holocaust zu rettenden Juden zu sehen. […] Die Deutschen […] verzeihen den Muslimen alles, nur um ihre eigene vermeintliche Schuld abzutragen.“[26] Auch Serap Çileli kommt zu einer ähnlichen Einsicht in ihrem Buch „Eure Ehre – unser Leid“: „Was war mit den Deutschen los? Warum reagierten sie so vorsichtig, ja ängstlich? Meine einzige Erklärung war die Geschichte Deutschlands. Anscheinend wirkten sich Nazi-Deutschland und die Erbschuld der Deutschen bis heute aus und lähmten Politik und Gesellschaft.“[27] Aus dieser Feststellung lässt sich leicht die Forderung nach einem Schlussstrich unter die Beschäftigung mit deutscher Schuld und nach einer „unverkrampfteren“ Artikulation von Vorbehalten gegenüber als „fremd“ stigmatisierten Minderheiten ableiten, was diese Argumentation sehr anschlussfähig für rechtspopulistische Diskurse macht.

So überrascht es nicht, dass Serap Çileli bei einer von dem Landesvorsitzenden der Bürgerbewegung Pax Europa e. V., René Stadtkewitz, organisierten Veranstaltung mit dem Titel „Der Islam – ein Integrationshindernis?“ am 4.11.2009 als Referentin vorgesehen war. Die Podiumsdiskussion, die im Berliner Abgeordnetenhaus stattfinden sollte, musste aufgrund heftiger Kritik abgesagt werden. Stadtkewitz, selbst Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, trat daraufhin aus Protest aus seiner Partei, der CDU, aus und hat mittlerweile eine eigene Partei mit dem Namen „Die Freiheit“ gegründet. Auch auf Politically Incorrect werden muslimische „Kronzeuginnen“ wie Serap Çileli und Necla Kelek, die dort als „Deutschlands berühmteste Islam-Kritikerin“ verehrt wird[28], sehr wohlwollend rezipiert, lassen sich ihre Thesen doch bestens für die eigene antimuslimisch-rassistische Argumentation vereinnahmen.[29]

Fazit

Der Sexismus-Vorwurf ist zentraler Bestandteil antimuslimischer Rhetorik. Wie gezeigt werden konnte, dient der Verweis auf einen vermeintlich genuin muslimischen Sexismus häufg der Externalisierung und Verschleierung des eigenen Sexismus und gleichzeitig der Legitimation rassistischer Argumentationsweisen. Zuweilen bilden sich bei diesem Thema Diskurskoalitionen zwischen „muslimischen Kronzeuginnen“, die der eigenen Wahrnehmung nach für die Rechte muslimischer Frauen eintreten[30] und rechtspopulistischen Akteuren, die die Pauschalurteile dieser Publizistinnen über „den Islam“ und „den Westen“ gerne funktionalisieren. Es gilt daher genau hinzusehen, wenn Menschenrechte, wie die Gleichberechtigung der Geschlechter, ins Feld geführt werden, um die Ablehnung einer Gruppe als Kollektiv zu legitimieren.

 

Yasemin Shooman ist Doktorandin am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Antimuslimischer Rassismus, Migration sowie Medienanalyse.

 

 

  1.  „Nicht aufregen, wenn jemand Kopftuch trägt“, in: DIE WELT vom 4.9.2009.
  2.  Vgl. Hartwig Pautz, Die deutsche Leitkultur. Eine Identitätsdebatte. Neue Rechte, Neorassismus und Normalisierungsbemühungen. Stuttgart 2005. S. 74.
  3.  Vgl. ausführlicher dazu Yasemin Shooman, „… weil ihre Kultur so ist“. Der neorassistische Blick auf MuslimInnen, in: „Rasse“ – eine soziale und politische Konstruktion, hrsg. v. Sir Peter Ustinov Institut, Wien 2010. S. 101-111.
  4.  Gayatri Chakravorty Spivak, Can the Subaltern Speak?, in: Cary Nelson und Lawrence Grossberg (Hrsg.), Marxism and the Interpretation of Culture, Chicago 1988. S. 296.
  5.  Vgl. Leila Ahmed, Women and Gender in Islam, New Haven und London 1992. S. 150ff.
  6.  Ebenda. S. 153.
  7.  Vgl. Andreas Zick/Beate Küpper/Andreas Hövermann, Die Abwertung der Anderen. Eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung, Berlin 2011. S. 70-72.
  8.  Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, München 2010. S. 315.
  9.  Birgit Rommelspacher, Anerkennung und Ausgrenzung. Deutschland als multikulturelle Gesellschaft, Frankfurt/New York 2002. S. 11.
  10.  Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. S. 316.
  11.  Vgl. dazu auch die Stellungnahme des Netzwerks Kritische Migrations- und Grenz­regimeforschung: http://www.demokratie-statt-integration.kritnet.org/.
  12.  Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. S. 417.
  13.  http://www.pi-news.net/leitlinien/
  14.  http://www.pi-news.net/2008/10/desperate-feminists/
  15.  http://www.pi-news.net/2010/09/wer-einmal-luegt/, Kommentar Nr. 45 (die Zitate wurden der geltenden Rechtschreibnorm angepasst).
  16.  Ebenda, Kommentar Nr. 71
  17.  Ebenda, Kommentar Nr. 122
  18.  Ebenda, Kommentar Nr. 124
  19.  Ebenda, Kommentar Nr. 120
  20.  http://www.pi-news.net/2008/10/desperate-feminists/
  21.  Vgl. ausführlicher dazu Yasemin Shooman, Kronzeuginnen der Anklage? Zur Rolle muslimischer Sprecherinnen in aktuellen Islam-Debatten, in: Politik der Zeugenschaft. Zur Kritik einer Wissenspraxis, hrsg. v. Sibylle Schmidt, Sybille Krämer, Ramon Voges, Bielefeld 2011. S. 331-352
  22.  Necla Kelek, Die fremde Braut. Ein Bericht aus dem Inneren des türkischen Lebens in Deutschland, Köln 2005. S. 258ff.
  23.  Serap Çileli, Eure Ehre – unser Leid. Ich kämpfe gegen Zwangsheirat und Ehrenmord, München 2008. S. 37
  24.  Klaus Bade, Leviten lesen. Migration und Integration in Deutschland, in: IMIS-Beiträge (2007), Heft 31. S. 45
  25.  Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. S. 306f.
  26.  Kelek, Die fremde Braut. S. 256f.
  27.  Çileli, Eure Ehre – unser Leid. S. 20
  28.  http://www.pi-news.net/2011/01/frankfurter-gruene-sosse/
  29.  Vgl. z. B. http://www.pi-news.net/2011/01/veranstaltung-mit-necla-kelek-in-koblenz/ oder http://www.pi-news.net/2010/10/tv-tipp-necla-kelek-ueber-thilo-sarrazin-auf-3sat/
  30.  Wie Esra Erdem treffend angemerkt hat, „liegt der Schwerpunkt der Forderungen [der muslimischen „Kronzeuginnen“] weder in dem Bereich der Effektivierung des Opfer­schutzes noch in der Verbesserung des Zugangs von Migrantinnen zu Frauenhäusern und Beratungsstellen und auch nicht in der Anprangerung von Rassismen innerhalb der Anti-Gewalt-Bewegung oder dem Ausbau interkultureller Anti-Gewalt-Strategien. Sie zielen vielmehr auf einen Einsatz des Rechtsapparats des Migrationsregimes zur Bestrafung und Abschreckung gewalttätiger Migranten.“ Esra Erdem, In der Falle einer Politik des Ressentiments. Feminismus und die Integrationsdebatte, in: No integration?! Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Integrationsdebatte in Europa, hrsg. v. Sabine Hess/ Jana Binder/Johannes Moser, Bielefeld 2009. S.189.
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