Front National im Stimmungshoch – Interview mit Jean-Yves Camus

"Wer hat Angst vor Marine Le Pen?": So und ähnlich titelte die deutsche Presse, nachdem bekannt wurde, dass die neue Chefin des "Front National" (FN) aus einer Umfrage zur Präsidentenwahl 2012 als Siegerin hervorgeht.

 

Die Tochter von Parteigründer Jean-Marie Le Pen könnte auf 23 Prozent der Stimmen kommen und läge damit sowohl vor Amtsinhaber Nicolas Sarkozy als auch vor der Sozialistin Martine Aubry (je 21 %). Und gerade erst hat die regierende UMP von Amtsinhaber Sarkozy bei den Regionalwahlen einen herben Dämpfer hinnehmen müssen – und der FN konnte teilweile deutliche Zugewinne verbuchen. Wie optimistisch sind die Aussichten für die rechtsextreme Partei in Frankreich tatsächlich? Berlin rechtsaußen sprach aus diesem Anlass mit dem renommierten französischen Politologen Jean-Yves Camus, der den FN und seine Entwicklung seit Jahren beobachtet.

Herr Camus, haben Sie die aktuellen Umfragewerte des „Front National“ überrascht?

Nein, sie überraschen mich nicht, vielmehr spiegelt sich darin eine sehr tiefe politische Krise wider: die überwältigende Mehrheit der BürgerInnen hat kein Vertrauen mehr in die Volksparteien. Vor allem das Versagen von Präsident Nicolas Sarkozy ist ein Hauptgrund für die guten Umfragewerte des „Front National“. Er versprach im Jahr 2007 Antworten auf soziale und ökonomische Fragen zu liefern, stattdessen sorgte er für eine einige Skandale und damit das Abstürzen seiner konservativen UMP.
Allerdings sind es noch vierzehn Monate bis zu den Präsidentschaftswahlen und es wäre zu früh jetzt schon über das Ergebnis zu sprechen. Im November wird der Name des sozialistischen Kandidaten oder der Kandidatin bekanntgegeben; wenn die Nomierung ohne Streitigkeiten verläuft, könnte auch die Linke erfolgreich sein.

Marine Le Pen ist erst seit zwei Monaten an der Spitze des FN. Hat sie in dieser kurzen Zeit tatsächlich die Politik ihrer Partei beeinflussen können? Oder gibt es anderen Faktoren, die nicht öffentlich thematisiert werden?

Während ihrer internen Vorbereitungen zur Wahl als neue Vorsitzende des FN bestritt sie parallel eine bürgerliche Medienkampagne. Ihre Fernsehauftritte hatten zwar nur mit der Wahl innerhalb der FN zu tun, allerdings arbeitet sie, mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen, an ihrem Image und ihrem Bild in der Öffentlichkeit. Sie hat es geschafft den FN zusammenzuhalten und arbeitet nun am Aufbau neuer Strukturen, um ihre Partei als gesellschaftsfähige Kraft zu etablieren. Viele Medien und andere Beobachter haben leider nicht verstanden, wofür diese Frau steht: Sie ist moderner und subtiler als ihr Vater und alle denken, sie sei daher moderater. Allerdings sind modern und moderat zwei völlig verschiedene Dinge. Die „Junge Freiheit“ ist sicherlich auch moderner als die „Nationalzeitung“, aber am Ende ist sie trotzdem keine moderate Wochenzeitung. Auch die „Autonomen Nationalisten“ sind sehr modern, aber auch sehr radikal. In einem Interview mit der konservativen
italienischen Tageszeitung „Il Giornale“ am 16. März dieses Jahres sagte Marine Le Pen, dass ihre Partei die Ansichten der Lega Nord (Italien) und von Geert Wilders PVV (Niederlande) teile. Sie erwähnte weder die Forza Nuova (Italien), die NPD oder die FPÖ (Österreich). Das sagt einiges über den neuen Kurs der Partei aus.

In der Vergangenheit wurde der FN mehrmals für Tod erklärt – vor allem von konservativen Politikern. Doch die Partei kam immer wieder und stärker als vorher zurück. Woher kommen diese sich wiederholenden falschen Analysen?

Dieser Fehler ist typisch französisch und hängt mit einem falschen Verständnis unserer Landesgeschichte zusammen. Sowohl die Linke als auch die Rechte teilen die Ansicht, es gäbe keine extrem rechte Tradition in Frankreich. Wir glauben immun gegen diese politischen Ansichten zu sein, weil Hauptmann Dreyfus rehabilitiert wurde, der Coup von 1934 fehlschlug und es der Action Francaise nicht gelang, die Monarchie wieder einzuführen [Anm.1]. Entgegen der Meinung aller Historiker glaubt man hier immer noch daran, dass das Vichy-Regime nur entstehen konnte, weil die Nazis in Frankreich einmarschierten. Als die DVU oder die NPD bei Landtagswahlen erfolgreich waren, titelten französische Medien mit Schlagzeilen wie „Die braune Pest in Deutschland kommt zurück“. Wenn der FN bei Wahlen 15 % der WählerInnen erreicht, dann ist das jedoch immer nur ein vorübergehendes Phänomen, eine „populistische Welle“, die wieder abebben würde.

Einige deutsche Zeitungen schreiben, dass Marine Le Pen so erfolgreich ist, weil sie einen starken Nationalstaat propagiert, der allen globalen Problemen und Krisen trotzen kann. Gibt es eine tiefe Sehnsucht nach nationaler und kultureller Identität in der französischen Gesellschaft? Und welche Rolle spielt dabei der Kampf gegen die so genannte „Islamisierung“?

Meinungsumfragen zeigen sehr deutlich, dass es den meisten WählerInnen um Themen wie Kaufkraft, Arbeitslosigkeit und Globalisierung geht. An zweiter Stelle stehen „Law and Order“ und Einwanderung. Dennoch wächst das Unbehagen gegenüber der multikulturellen Gesellschaft, insbesondere gegenüber dem Islam. Wir waren eine Kolonialmacht und haben einen Kolonialkrieg in Algerien verloren. Der Süden unserer Landes ist näher an Algerien als an Paris, das reicht für viele Menschen schon. Es entsteht eine Angst vor dem Rückgang „traditioneller Werte“.

Eine letzte Frage Herr Camus: In Österreich erzielte die FPÖ ähnliche Umfragewerte wie der FN. Sehen Sie Gefahr, dass der Einfluss extrem rechter Parteien in Europa wachsen kann? Und welche Rolle könnte der FN in einem europäischen Netzwerk spielen, unterhält er Kontakte zu anderen Parteien?

Die wirkliche Gefahr in Europa ist, dass sich die klassischen konservativen Parteien, unter dem Druck extrem rechter WählerInnen, weiter von den Grundwerten der freiheitlichen Demokratie entfernen. Damit wäre eine neue Stufe einer „Festung Europa“ in Entwicklung. Marine Le Pen braucht keine Netzwerke mit neo-faschistischen Parteien. Wenn sie Kontakte in das Ausland aufbauen wird, dann zu populistischen und xenophoben Parteien wie der PVV, der Lega Nord, der Dänischen Volkspartei oder der schweizerischen SVP. Alles andere würde nicht in ihre Strategie passen.

Herr Camus, vielen Dank für das Gespräch!

Jean-Yves Camus ist politischer Analyst und research fellow am IRIS – Institut de Relations Internationales et Strategiques. In seiner Laufbahn war er u.a. Researcher beim CERA (Centre Européen de Recherche et d’Action sur le Racisme et l’Antisémitisme). Jean-Yves Camus ist Mitglied beim European Consortium on Political Research sowie Mitglied der Task Force on Antisemitism beim European Jewish Congress.

Anm.1: Zu der Dreyfus-Affäre siehe hier, zur Geschichte der Action francaise hier. Mit dem „Coup von 1934“ ist ein antiparlamentarischer Putschversuch der faschistischen Bewegung Croix de feu gemeint.

UMP / Union pour un mouvement populaire (Union für eine Volksbewegung) – französische Rechtspartei von Präsident Sarkozy
FN / Front national (Nationale Front; im Französischen le front, also maskulin)

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