
Der diesjährige Pride Month und die Folgeveranstaltungen werden von Anfeindungen und Angriffen begleitet. Störungsfreie Christopher Street Days sind eine Seltenheit geworden. Queerfeindlichkeit ist dabei eines der zentralen Mobilisierungsthemen, insbesondere für neu entstandene extrem rechte Jugendgruppen.
Proteste gegen Christopher Street Day (CSD) Veranstaltungen und Queerfeindlichkeit sind kein neues Schwerpunktthema für die extreme Rechte.[1] Die gezielte Feindbildagitation gegen queere Menschen ist ein zentraler Mobilisierungsschwerpunkt, der es insbesondere jüngeren Akteur*innen ermöglicht, an langjährige und erfahrene Mitglieder der Szene anzuknüpfen. Neue rechte Jugendgruppen sind seit 2024 sichtbar geworden. Sie treten nicht nur online, sondern auch auf der Straße immer aggressiver auf. Bereits 2023 kam es im Rahmen von CSDs zu verschiedenen Angriffen und Pöbeleien in Sachsen-Anhalt, etwa in Weißenfels, Stendal, Halle oder auch Magdeburg. In Naumburg wurde im Juli 2023 eine Regenbogentreppe mit den Farben der Reichsflagge übermalt. In Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) wurde seit 2022 die am Bahnhof gehisste Regenbogenfahne regelmäßig gestohlen, um dann im Juli 2023 das erste Mal durch eine Hakenkreuzfahne ersetzt zu werden. Dies ist 2024 ein weiteres Mal passiert. Auch in Berlin ereigneten sich 2023 direkte Angriffe auf CSD-Paraden sowie auf An- oder Abreisende.[2]
Seit 2018 waren es vor allem organisierte Strukturen wie die NPD/JN, die Identitäre Bewegung[3] oder der III. Weg[4], die die Mobilisierung gegen CSDs vorangetrieben haben. Auf parlamentarischer Ebene versucht die AfD, CSDs zu blockieren.[5] Seit 2023 nutzen extrem rechte Gruppen gezielt CSD-Veranstaltungen, um junge Neonazis zu mobilisieren. Diese Strategie war 2024 verstärkt zu beobachten: „Gab es bislang nur vereinzelte Proteste und Angriffe, beispielsweise in Pirna 2017, Döbeln 2022 und Radebeul 2023 sind nun 2/3 aller CSDs im Freistaat davon betroffen“, resümiert Queer Pride Dresden für das Bundesland Sachsen im Jahr 2024.
Auch in diesem Jahr wurden Störungen und Einschüchterungstaktiken gegen CSDs verzeichnet. So musste der CSD in Gelsenkirchen (NRW) am 17. Mai 2025 aufgrund einer „abstrakten Bedrohungslage“ abgesagt werden. Wenige Wochen später am 14. Juni 2025 griffen rund ein Dutzend bewaffnete Neonazis die Veranstaltung „Für ein buntes Bad Freienwalde“ (Brandenburg) an. Solche Vorfälle sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck einer bundesweiten und spektrenübergreifenden rechten Mobilisierung.
Laut dem Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) kam es 2024 in 27 Städten zu neonazistischen Protesten gegen CSDs. CeMAS konzentrierte sich dabei auf die angemeldeten Demonstrationen, sowie die damit verbundenen Mobilisierungen in den sozialen Medien. Das Autor*innen-Kollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In) bezog zusätzlich noch eine Reihe weiterer Daten mit ein. Dazu zählten Presseberichte, Chroniken von Beratungsstellen, Social-Media-Accounts der CSDs und rechter Strukturen, antifaschistische Publikationen und parlamentarische Anfragen. Demnach wurden fast 40 Prozent aller CSDs von Neonazis und anderen Rechten auf unterschiedliche Art und Weise queerfeindlich angegriffen. Die Teilnehmenden traten dabei aggressiv auf. Neben etablierten Akteur*innen waren vor allem viele neue, jugendliche Gruppen präsent, in denen sich eine junge Generation gewaltbereiter Neonazis formiert hat. Durch die Anti-CSD-Demonstrationen konnten diese Bekanntheit und Anhänger*innen gewinnen.[6] Beobachtungen zeigen, dass auch sehr junge Teilnehmende offen martialisch und gewalttätig auftreten. An vielen Orten, an denen es keine expliziten Kundgebungs- oder Demonstrationsanmeldungen gab, wird dennoch von Störungen und Beleidigungen gegenüber Teilnehmenden berichtethttps://www.opferperspektive.de/aktuelles/angriffe-auf-queeres-leben-in-brandenburg. So kommt das Autor*innen-Kollektiv Feministische Intervention (AK Fe.In) zu folgender Einschätzung: „Die Aktivitäten gegen CSDs im Jahr 2024 stellen die zahlenmäßig größte […] Mobilisierung der extremen Rechten in den letzten Jahren dar, dezentral zwar, aber aus deren Sicht ungemein erfolgreich.“
Radikalisierung auf Social Media: Rollenbilder und Selbstinszenierung
Die regional organisierten Gruppen kommunizieren vor allem über Soziale Medien wie WhatsApp, TikTok, tellonym und Instagram. Es ist davon auszugehen, dass sie sich primär aus freundschaftlichen Zusammenhängen und Cliquen herausbilden, vernetzen und anschließend für andere öffnen. Extrem rechte Identifikationsangebote auf Plattformen wie TikTok, darunter Memes, Fashiontipps, Chiffren oder Codes geben Jugendlichen das Gefühl einer Abgrenzung von der breiten Masse und versprechen Zugehörigkeit zur „wissenden“ Gruppierung. Der zur Schau gestellte aktionistische Charakter („Hast du den Mut und den Willen, für dein Land einzustehen?“) enthält zugleich ein Selbstwirksamkeitsversprechen. Die Inszenierungen und Lifestyleangebote machen extrem rechte Ideologeme für Jugendliche greifbar und attraktiv. Medial in den Fokus geraten sind insbesondere die Gruppen Jung und Stark (JS), Deutscher Störtrupp (DST), Deutsche Jugend Voran (DJV) oder Letzte Verteidigungswelle (LVW). Die Gruppen ähneln sich in der Ideologie und im Habitus, allem voran in einer zur Schau gestellten, kampfsportaffinen Männlichkeit. Ihr Bezugs- und Organisationsrahmen ist oftmals die eigene Stadt oder Region, darüber hinaus existieren jedoch auch überregionale Verbindungen.
Ein zentrales Feindbild ist die queere Community. Dies steht im Zusammenhang mit einem erstarkenden Antifeminismus und einer radikalisierten Männlichkeit, die sich gegen Gleichstellungspolitik richtet[7]. Die Gruppen propagieren eine biologistische Geschlechterordnung, völkischen Rassismus, Antisemitismus, sowie Hass auf „Eliten“. Heteronormativität und eine behauptete Zweigeschlechtlichkeit fungieren als identitätsstiftende Merkmale. Hierbei werden altbekannte Narrative der völkischen und neonazistischen Szene bedient.[8] Ihr Auftreten ist dabei aktionsorientiert und von Spontanität geprägt.
Die Szene wird jünger, lauter und radikaler – und nutzt die Sichtbarkeit von CSDs gezielt, um ihre Agenda auf die Straße zu tragen.
2025 – Von der Online-Radikalisierung zur Straßenpräsenz
Das Agendasetting rund um den sogenannten „Stolzmonat“ 2023 hat verdeutlicht, wie schnell sich Online-Trends in Offline-Aktionen übersetzen können. Eine Grenze zwischen digitaler und analoger Gewalt lässt sich nicht mehr eindeutig trennen: Queerfeindliche Hetze in sozialen Medien befeuert reale Angriffe. Im Jahr 2024 erreichte die mediale Trans- und Queerfeindlichkeit einen neuen Höhepunkt, insbesondere im Zuge der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz, bei der Trans-Menschen massiv diffamiert wurden.

Queerfeindliche Aktionsfelder der extremen Rechten beschränken sich nicht auf CSDs. So wurden in den letzten Jahren vermehrt queere Einrichtungen und Veranstaltungen angegriffen. In Berlin waren etwa der Verein RUT e.V. und queere Gaststätten wie das Hoven oder die Tipsy Bear Bar betroffen. Das Schwule Museum in Berlin ist aufgrund wiederholter Angriffe seit längerem ein gefährdeter Ort. Nennenswert ist in diesem Zusammenhang auch die queerfeindliche Kundgebung der mittlerweile aufgelösten Jungen Alternative (JA) gegen die Kita der Schwulenberatung im Jahr 2022. In Österreich und Bayern mobilisierten extrem rechte Kräfte gegen Dragqueen-Lesungen.[9] Zu diesen Angriffen kommen noch tagtäglich Anfeindungen und Übergriffe auf queere Menschen hinzu, sie werden geschlagen oder beleidigt, teilweise sogar lebensgefährlich verletzt oder getötet.
Gerade transfeindliche Akteur*innen finden sich in querfrontlerischen Allianzen mit evangelikalen Christ*innen, konservativen Politiker*innen und jungen Neonazis wieder. Queerfeindlichkeit hat eine gesamtgesellschaftliche Scharnierfunktion, der Diskurs wird von extrem rechten bis hin zu konservativen Kräften befeuert. Queerfeindliche Narrative fördern menschenfeindliche und antidemokratische Ansichten und bestärken die Jugendlichen in ihrem gewaltbereiten Aktionismus durch die Entmenschlichung und Entwertung von Trans Personen und Queers.
Ein Blick auf Berlin
Die Berliner Register vermelden einen deutlichen Anstieg von Queerfeindlichkeit in der Stadt, eine Tendenz, die von weiteren Melde- und Beratungsstellen (Maneo Report, L-Support bestätigt wird. Verzeichnet wurden Beleidigungen, Angriffe sowie Propagandadelikte. Dabei sind besonders in den Ostbezirken junge Neonazis sehr präsent. Sie treten vor allem durch Propagandadelikte (80–90 Prozent der Vorfälle) in Erscheinung, gefolgt von Pöbeleien und gezielten Einschüchterungsversuchen. Die Schwerpunkte der Aktivitäten lagen in Marzahn-Hellersdorf, Pankow und Treptow-Köpenick, wobei 2024 die meisten Aktionen der Nationalrevolutionären Jugend (NRJ)[10], der Jugendorganisation des Dritten Weges zuzurechnen sind.
Vorfälle mit Bezug zu den Jugendgruppen JS und DJV konzentrieren sich vor allem auf Marzahn-Hellersdorf[11] und Lichtenberg. Zudem konnten in den letzten Monaten vermehrt Vorfälle bei extrem rechten Demonstrationen in Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte beobachtet werden. Dazu kommen Vorfälle in Treptow-Köpenick. Zuletzt mobilisierten die Jugendgruppen gegen mehrere Pride Veranstaltungen in Berlin und im Umland. Dabei konkurrierten die Gruppen (DJV, JS, Gersche Jugend, Chemnitz Revolte) um die Anmeldung von Demonstrationen gegen Pride-Veranstaltungen und zeigten ihren Unmut, nicht als erstes angemeldet zu haben, teilweise öffentlich. Weitere Aktionen in Berlin sind sehr wahrscheinlich. Online wird derzeit zu Aktionen gegen den Berliner CSD am 26. Juli 2025 aufgerufen.
Vereinzelt wurden auch in Westberlin Aktivitäten verzeichnet. Im Märkischen Viertel (Reinickendorf) tauchten im Spätsommer massenhaft extrem rechte Aufkleber auf, darunter unter anderem solche mit dem Slogan Deutsche Jugend Voran. In Spandau wurden im Sommer 2024 vermehrt DJV-Schmierereien und Aufkleber festgestellt. Die NRJ und Der III. Weg sind zudem in Charlottenburg-Wilmersdorf aktiv und führten dort im Februar 2025 eine Verteilaktion vor einer Schule durch – eine Aktionsform, die bisher vor allem aus den Ostbezirken bekannt war.
Einschätzungen für die Stadt
Wie viele Personen tatsächlich hinter diesen Aktivitäten stehen ist unklar. Die letzten Mobilisierungen in Berlin konnten lediglich 50 bis 80 Personen auf die Straße bringen, darunter auch zahlreiche Jugendliche aus anderen Bundesländern. Fest steht jedoch: Aufgrund gemeinsamer Feindbilder und leicht zugänglicher Identifikationsangebote muss davon ausgegangen werden, dass bestehende Gruppen wachsen und sich neue gründen werden. In Berlin kann beobachtet werden, dass sich meist jugendliche Männer und vereinzelt Frauen an Älteren orientieren. Ob diese aktiv Kaderfunktionen einnehmen und inwiefern langjährige Aktivist*innen der neonazistischen Szene die Jugendlichen für ihre Zwecke einspannen, ist in Berlin noch nicht eindeutig zu belegen. Neben den Demonstrationen sind es vor allem Kampfsporttrainings des Dritten Wegs, Zusammenkünfte in den Fussballfankurven oder schlicht der gemeinsame Konsum von Alkohol, die die Lebenswelten vieler extrem rechter Jugendlicher in der Stadt prägen.
In ihren Gruppenzusammenhängen treten sie gewalttätig auf, wobei es darum geht, durch Bedrohungsszenarien Angsträume zu schaffen. Die anhaltende Gewalt und Diskriminierung darf nicht verharmlost oder gar normalisiert werden. Die unzähligen Meldungen unter anderem durch die Registerstellen zeigen deutlich, dass eine reale Bedrohung für gefährdete Personengruppen besteht.

Was bedeutet das?
Die extreme Rechte nutzt CSD-Veranstaltungen zunehmend als Bühne für ihre Mobilisierung und Radikalisierung. Besonders auffällig ist die neue Generation jugendlicher Neonazis, welche durch ihre Beteiligung an den Anti-Protesten deutlich an Sichtbarkeit gewonnen haben. Durch das erhebliche Gefahrenpotenzial, das von den Gruppen ausgeht, sind viele Veranstaltungen gezwungen erweiterte Sicherheitsvorkehrungen vorzunehmen und unter Polizeischutz stattzufinden. Das offene und selbstbewusste Auftreten bereits in jungen Jahren kann auf verschiedene Faktoren zurück geführt werden: Nicht zu vernachlässigen ist dabei, dass diese Generation durch Pegida-Proteste, verschwörungsideologische Montags- und Coronademos und eine seit Jahren stattfindende Normalisierung der AfD geprägt wurde. Die gesellschaftliche Diskriminierung von Queers und Trans Personen, die zu wenig geächtet wird, verschärft den Diskurs zunehmend. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen: Die extreme Rechte ist jünger, digitaler und gefährlicher geworden – und sie will ihre Macht auf der Straße demonstrieren. Zudem kann eine weitere Etablierung zur Festigung einer neuen Generation gewaltbereiter Neonazis führen. Dem gilt es entschlossen entgegenzutreten.
- ↑ https://www.apabiz.de/wp-content/uploads/2024/02/magazine12_Queerfeindlichkeit.pdf
- ↑ https://berliner-register.de/artikel/2023-hohe-lgbtiq-feindlichkeit-wahrend-der-pride-saison-in-berlin/
- ↑ https://www.queer.de/detail.php?article_id=43179
- ↑ https://www.lsvd.de/de/ct/986-Keine-rechte-Kundgebung-beim-CSD-Erfurt
- ↑ https://www.queer.de/detail.php?article_id=54125
- ↑ https://cemas.io/publikationen/neue-generation-neonazis-mobilisierung-gegen-csd-veranstaltungen/cemas_-_2024-11_-_research_paper_-_neue_generation_neonazis.pdf
- ↑ „Jüngere Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die Zustimmungswerte zu antifeministischen Aussagen wieder steigen. Aussagen wie „Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle als Ehefrau und Mutter besinnen“ erfuhren zuletzt die latente Zustimmung von jedem und jeder vierten Befragten. Dies erstaunt, waren es in den letzten Jahren der Erhebung immer weniger Befragte, welche die Aufgabe von Frauen allein in der Rolle als Ehefrau und Mutter sahen. Die gestiegenen Zustimmungswerte zu antifeministischen Aussagen gehen einher mit einer insgesamt deutlich gestiegenen Zustimmung zu rechten, rassistischen und anderen menschenfeindlichen Aussagen in allen Teilen der Bevölkerung.“ In: Lang, Juliane (2024): Antifeminismus. In: https://www.bundesstiftung-gleichstellung.de/wissen/themenfelder/antifeminismus/
- ↑ https://taz.de/Interview-zu-Queerfeindlichkeit/!5993170/
- ↑ https://www.queer.de/detail.php?article_id=45932 https://www.queer.de/detail.php?article_id=52697
- ↑ https://berliner-register.de/artikel/monitoring-nrj-in-berlin-575/
- ↑ https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2025/07/berlin-marzahn-hellersdorf-deutsche-jugend-voran-rechtsextremismus-dritter-weg.html