Die fünfte Ausgabe der „Berliner Zustände“ liegt nun vor. In dem vorliegenden Schattenbericht werden zentrale Entwicklungen im Rechtsextremismus und Rechtspopulismus beschrieben, wie die Sarrazin-Debatte, und Aspekte rechtspopulistischer und antimuslimischer Diskurse aufgegriffen, die Opferberatung ReachOut präsentiert Fallzahlen und wertet sie aus. Die „Berliner Zustände“ versprechen eine anregende Lektüre und bieten nicht nur eine nützliche Ergänzung aus Sicht der Zivilgesellschaft zum Verfassungsschutzbericht. Ich möchte an dieser Stelle den Herausgeber/innen und Mitarbeiter/innen der „Berliner Zustände“ für die fachkundige, ausdauernde und engagierte Realisierung dieses Projekts danken.
Mit dem Vorwort möchte ich auf ein Problem eingehen, dass keinen direkten Zusammenhang mit den „Berliner Zuständen“ hat, jedoch auch Auswirkungen auf die Trägervereine haben kann. Die Herausgeber/innen der „Berliner Zustände“ sind Mitglied im „Berliner Beratungsnetzwerk für Demokratieentwicklung – gegen Rechtsextremismus“. Das Land Berlin nutzt seit Beginn der Bundesförderung die bereitgestellten Mittel, um eine effektive Beratungsinfrastruktur im Kontext des Berliner Beratungsnetzwerks gegen Rechtsextremismus aufzubauen sowie vielfältige zivilgesellschaftliche Initiativen mit sozialräumlicher Ausrichtung in den Bezirken finanziell zu unterstützen. Diese bisher gemeinsam von Bund und Land getragene Unterstützung Demokratie fördernder Initiativen ist eine Erfolgsgeschichte. Allseits wird bestätigt, dass die bisher geleisteten Anstrengungen die demokratische Berliner Zivilgesellschaft im notwendigen Umfang unterstützt und eine zielgruppengerechte Beratungs- und Projektelandschaft entstehen lassen haben. Die geförderten Projekte recherchieren, klären auf, bilden und beraten in guter demokratischer Tradition. Durch ihre Bildungs- und Präventionsarbeit leisten Initiativen und Vereine einen bedeutsamen Beitrag zur Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft und zur Achtung der Menschenrechte. Das kontinuierliche zivilgesellschaftliche Engagement hat in Berlin zu einer gesellschaftlichen Ächtung des Rechtsextremismus und seiner Infrastruktur beigetragen. Diese grundsätzlich positive Bewertung der Arbeit der Berliner Projektträger gegen Rechtsextremismus und gegen andere demokratiefeindliche Einstellungen und Haltungen ist vielfach beschrieben und bestätigt worden.
Nunmehr besteht die Gefahr, dass wesentliche Teile der beschriebenen Projektelandschaft in Zukunft nicht mehr in vollem Umfang finanziell unterstützt werden können, da die Bundesmittel voraussichtlich in Berlin nicht verwendet werden können. In den Bundesprogrammen „TOLERANZ FÖRDERN – KOMPETENZ STÄRKEN“ (Prävention von Rechtsextremismus) und „INITIATIVE DEMOKRATIE STÄRKEN“ (Prävention von Linksextremismus und islamistischem Extremismus) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist seit Beginn des Haushaltsjahres 2011 die Unterschrift unter eine sog. „Demokratieerklärung“ Fördervoraussetzung. Per Unterschrift müssen Empfänger/innen sich nicht nur zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen, sondern sich auch verpflichten, Projektpartner/innen auf deren Verfassungstreue zu überprüfen. Diese Förderbedingung, Projektpartner/ innen auf deren Verfassungstreue zu überprüfen und „auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpfichten“ (BM-JFSF), ist nicht nur auf Seiten der Projekte sondern bundesweit auf erhebliche Kritik gestoßen.
So formuliert der Vizepräsident des Deutschen Bundestages – Wolfang Thierse – in einem Beitrag für „Die Zeit“, dass Demokratie vor allem auf Vertrauen beruhe und der Staat gut daran tue, Bürger/innen, die für eine demokratische Kultur, also für die Grundlagen des demokratischen Staates selbst eintreten „nicht à priori mit Misstrauen zu begegnen“. Durch die von den Projekten verlangte Überprüfung Dritter werde „ein Klima (erzeugt), in dem Engagement und Zivilcourage nicht gestärkt werden, sondern erlahmen“. Wer Demokratie stärken will – so Thierse –, sollte gerade auch junge Menschen einladen, sich in ihr zu engagieren, und sie nicht allesamt unter den Generalverdacht der Verfassungsfeindlichkeit stellen. Es geht um eine Kultur der Anerkennung für Engagement, um Vertrauen statt Misstrauen, um Ermunterung statt Kontrolle.
Neben den genannten grundsätzlichen Bedenken ist es aus meiner Sicht auch objektiv unmöglich, eine solche Erklärung abzugeben; kein Träger kann letztlich ein rechtlich verwertbares Urteil dazu abgeben, ob und wie weit außenstehende Dritte (Partner/innen und kooperierende Organisationen) verfassungstreuer Gesinnung sind; Mutmaßungen können jedoch nicht Rechtsgrundlage des Verwaltungshandelns sein. Darüber hinaus bleibt unklar, wie eine Kontrolle und Überprüfung der Partner/innen in der Praxis gelingen kann und welches konkrete Verhalten die Zuwendungsempfänger/innen dabei vorweisen muss.
Ich teile die kritische Bewertung hinsichtlich der o. g. „Demokratieerklärung“ auch unter Hinweis auf die vorliegenden juristischen Gutachten und habe deshalb Widerspruch gegen den Zuwendungsbescheid des Bundes, der die Verpfichtung zur Vorlage der unterschriebenen „Demokratieerklärungen“ enthält, eingelegt. Leider hat sich das federführende Ministerium uneinsichtig gezeigt. Eine Hoffnung ist nun die von Berlin gestartete Bundesratsinitiative, in der die Streichung der Sätze zwei und drei in der sog. „Demokratieerklärung“ gefordert wird.
Der Schattenbericht zeigt: In Berlin ist eine Projekte- und Initiativenlandschaft entstanden, die angemessen und fachlich auf die unterschiedlichen Herausforderungen der Menschenverachtung in unserer Stadt reagiert. Der Bericht wird das Engagement der Berliner/innen für Demokratie, Vielfalt und Respekt unterstützen.