01. February 2016Jim Reeves stirbt durch brutale queerfeindliche Gewalt

Jim Reeves in Bremen (2014) | Foto: CHR!S / Bearbeitung: Berlin rechtsaußen (CC BY-SA 3.0)

Der Sänger Jim Reeves stirbt am 1. Februar 2016 nach exzessiver Gewalteinwirkung durch zwei Männer in einem Hostel in Charlottenburg-Wilmersdorf. Es folgt eine Welle der öffentlichen Anteilnahme und des Trauerns. Nach dem darauf folgenden Gerichtsprozess schwindet das öffentliche Interesse.

Jim Major Reeves wurde am 30. April 1968 in Köln geboren, dort wuchs er zum Teil bei einer Pflegefamilie auf. Der Vater war Philosophie-Professor, die Mutter Krankenpflegerin. Die Elternteile kamen aus Kenia und Tansania, die Mutter lebt weiterhin in Deutschland. Anders als viele der unbekannteren Todesopfer rechter Gewalt, denen auf diesem Blog gedacht wird, war Jim Reeves durch seine künstlerische Tätigkeit bundesweit bekannt und eine Person des öffentlichen Lebens. Seine Freund*innen, einige Familienangehörige wie seine Schwester Shary und zahlreiche Bekannte sind teilweise auch heute noch Personen mit großer Bekanntheit in der Medienbranche.

Schon in den 1990er-Jahren erlangte Jim Reeves Bekanntheit durch seine Musik. Gemeinsam mit seinen Geschwistern bildete er die Musikgruppe 4 Reeves. Außerdem gründete er die Eurodance-Formation Squeezer, mit der Reeves europaweite Charterfolge und Goldauszeichnungen erreichte. Er betätigte sich als Model, Schauspieler und im Musikmanagement. Des Weiteren war er als Solokünstler und Moderator bekannt und häufig bei Showproduktionen zu sehen.

Was geschah in der Nacht zum 1. Februar 2016 in Charlottenburg-Wilmersdorf?

Ende Januar 2016 hatte Jim Reeves, in der Nähe der mit seiner Partnerin geteilten Wohnung, kurzfristig ein Hostelzimmer am Stuttgarter Platz in Charlottenburg-Wilmersdorf bezogen. Dort traf er auf zwei polnische Arbeiter (30 und 23 Jahre alt), die in Berlin einen Auftrag ausführen sollten. Die drei Männer teilten sich zufällig das Mehrbettzimmer im Hostel und feierten in der Nacht miteinander. Sie konsumierten gemeinsam Kokain und Alkohol, die Stimmung war ausgelassen. Auch in der darauffolgenden Tatnacht feiern die Männer gemeinsam, dann soll die Situation eskaliert sein. Von einem der Täter wird später im Gerichtsprozess die Behauptung aufgestellt, Jim Reeves hätte ihnen sexuelle Angebote unterbreitet, sich entblößt und einen der Männer sexuell bedrängt, was Auslöser für die folgenden Gewalttaten gewesen sein soll. Es bleibt unaufgeklärt, was wirklich vor der Gewalttat vorgefallen ist. Jim Reeves wird von den Männern brutal angegriffen und bewusstlos geschlagen. Im bewusstlosen Zustand wird er vergewaltigt und misshandelt, was zahlreiche innere Verletzungen zur Folge hat. Die Täter legen den bewusstlosen Jim Reeves anschließend in das Hostelbett, bevor sie sich selbst schlafen legen. Am nächsten Morgen verlassen sie das Hostel. Der 47-jährige Jim Reeves verstirbt noch in der Nacht an seinen inneren Verletzungen.

Die juristische Aufarbeitung

Die beiden Täter flüchteten, einer von ihnen wurde in Spanien, der andere in Polen, aufgegriffen. Daher begann die Gerichtsverhandlung im Amtsgericht Tiergarten erst im Jahr 2017 und endete nach einem 14-monatigen Prozess am 6. November 2018. Das Urteil lautete auf „Totschlag in Tateinheit mit besonders schwerem sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person“ und führte zu Haftstrafen von 14 und 13 Jahren. Alle Beteiligten legten Revision ein. Die Familienangehörigen von Jim Reeves forderten, das Urteil von Totschlag zu Mord abzuändern. Am 22. Januar 2020 entschied der Bundesgerichtshof (BGH) alle Revisionsanträge zurückzuweisen. Die 5. Strafkammer des BGH sah keine falsche oder zu geringe Verurteilung in dem Fall Reeves, es läge kein „niederer Beweggrund“ vor. Die „latente Homophobie“, die zum Ausdruck gekommen sei, sei „auch in der Gesamtschau menschlich nachvollziehbaren – Wut und Empörung über das von den Angeklagten als sexuelle Belästigung und Verletzung ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechts empfundene Angebot ihres Zimmergenossen zum Geschlechtsverkehr motiviert gewesen.“ Die Queerfeindlichkeit resp. Schwulenfeindlichkeit der Täter wurde demnach nicht als Hauptmotiv anerkannt, obgleich die Vergewaltigung, für deren Durchführung zusätzliche Objekte besorgt wurden, durchaus als eine besondere schwulenfeindliche Herabwürdigung und beabsichtigte Entmännlichung des Opfers gewertet werden kann. Durch die Bewusstlosigkeit Jim Reeves’ wurde selbst der Grund der „grausamen Tötung“ durch den BGH nicht gesehen. Ohne die Empfindung der Qualen durch das Opfer könne dieses Motiv nicht gewertet werden, so der BGH. So blieb es trotz Revision der Staatsanwaltschaft und Nebenklage bei der Verurteilung wegen Totschlags. Die mögliche Verschränkung der Schwulen- und Queerfeindlichkeit mit einer rassistischen Motivation wurde im Gerichtsprozess nicht durchleuchtet. Mit Hinweis auf die polizeiliche Telefonüberwachung und dokumentierte rassistische Äußerungen der Täter, sagte Terry Reeves:

“Du sitzt im Gerichtsverfahren und, dass dann da das Wort Rassismus nicht einmal drin vorkommt, da war ich ziemlich entsetzt.” (Terry Reeves)

Über die beiden Täter ist nicht allzu viel bekannt. Sie kamen als Arbeiter mit einem Auftrag nach Berlin und vertrieben sich die Zeit vor Arbeitsbeginn. Ihre Verteidigung beruhte auf der Rechtfertigung der Gewalt durch die behauptete Provokation durch Jim Reeves. Zudem behauptete einer der beiden, er hätte lediglich die Vergewaltigung verhindern können. Beide waren wegen Kleinstdelikten bereits vorbestraft.

Trauer und Gedenken

Der Fall sowie der darauffolgende Gerichtsprozess wurden intensiv von der Berliner Presselandschaft verfolgt. Die Familie des Toten war anwesend und gab Interviews, in denen sie auch ihre Erschütterung über die Gewalt zum Ausdruck brachten: „Ich kann das alles nicht begreifen“, äußerte sich etwa der Cousin von Jim Reeves im Fernsehinterview nach der Urteilsverkündung. Es gab zahlreiche öffentliche Beileidsbekundungen, sowohl in den sozialen Medien, als auch in Interviews. Bedingt durch Reeves‘ Bekanntheit in der Medienbranche war auch die Trauer und Würdigung in den ersten Monaten und Jahren sehr öffentlich. Daher lassen sich heute noch zahlreiche Presseberichte aus den Jahren 2016 bis 2020 finden, die sowohl die Tat als auch die Aufarbeitung beleuchten. Das öffentliche Interesse und die sichtbare Anteilnahme hat mit den Jahren jedoch spürbar abgenommen, sodass der Familie und engen Freund*innen nur noch ihr privates Erinnern bleibt. Jim Reeves wurde in Köln beigesetzt.

Im Mai 2023 erschien die Fernsehdokumentation „4 Reeves und ein Todesfall“ von Katharina Gugel. Hierin beleuchten die Geschwister ihre Musikkarrieren und ihr Verhältnis zur Familie. Damals wie heute engagiert sich die Familie gegen Rassismus. So wird in der Dokumentation alltäglicher Rassismus in den 1990er-Jahren als auch heute, Gewalterfahrungen und der Verlust ihres Bruders thematisiert.

Seit einigen Jahren befassen sich Aktivist*innen in Charlottenburg-Wilmersdorf mit Jim Reeves als Todesopfer queerfeindlicher Gewalt im Bezirk. So wurde seiner in den Jahren 2020 und 2021 bei antifaschistischen Kiezspaziergängen im Rahmen des Gedenkens an Günter Schwannecke gedacht und die Berlinweite Kampagne Niemand-Ist-Vergessen! erinnert an seinen Fall. Ende Juni 2023 brachte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Bezirksverordnetenversammlung in Charlottenburg-Wilmersdorf den Antrag ein, eine Gedenktafel  „zur Erinnerung an den ermordeten bisexuellen Künstler Jim Reeves“ anzubringen. Jim Reeves wird folglich von verschiedenen Stellen als Berliner Todesopfer queerfeindlicher Gewalt gelistet, als Opfer rechter Gewalt kann er, aufgrund fehlender Untersuchungen der Motivverschränkungen jedoch nicht anerkannt werden.

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