Rechtsterrorismus

Seit der Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wächst das Bewusstsein, dass es in Deutschland rechtsterroristische Strukturen gibt. Auch in Berlin begehen Neonazis in den vergangenen Jahrzehnten bewaffnete Anschläge und Morde. Rechte Netzwerke werden von der Ermittlungsbehörden nur unzureichend thematisiert und aufgedeckt.

 

19. Februar 1997, Alt-Marzahn 64, Marzahn: Anschlag auf den Buchhändler Klaus Baltruschat

Am 19. Februar 1997 betritt der Neonazi Kay Diesner die Buchhandlung von Klaus Baltruschat in Marzahn. Sie befindet sich im gleichen Gebäude wie die Bezirksgeschäftsstelle der PDS. Diesner ist maskiert und trägt eine Schrotflinte bei sich. Ohne Vorwarnung gibt er mehrere Schüsse auf den Buchhändler ab. Klaus Baltruschat überlebt schwer verletzt.

Diesner flieht und gerät einige Tage später in Schleswig-Holstein in eine Polizeikontrolle. Dabei erschießt er den Polizisten Stefan Grage und fügt einem weiteren Beamten schwere Verletzungen zu. Erst nach einer längeren Verfolgungsjagd mit mehreren Schusswechseln gelingt es der Polizei, Diesner festzunehmen.

Wenige Tage vor dem Anschlag planten die Jungen Nationaldemokraten (JN) in Berlin einen Aufmarsch. Aufgrund breiter Gegenmobilisierungen wird dieser in eine Saalveranstaltung umgewandelt. Am Bahnhof Wuhletal kommt es zu gewalt­tätigen Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und Gegen­demonstrantinnen und –demonstranten. Der JN-Vorsitzende stellt Straf­anzeige gegen verschiedene PDS-Mitglieder, die zum Gegen­protest aufgerufen hatten. Diesner gibt später an, er habe die PDS „bestrafen“ wollen, weil diese eine „extrem deutschfeindliche Partei“ sei.

Anfang der 1990er-Jahre politisiert Diesner sich im Umfeld des Neonazi-Treffs in der Lichtenberger Weitlingstraße. In Vernehmungen bekennt er sich zum „Weißen Arischen Widerstand“ und sieht sich in der Rolle eines „politischen Soldaten“. Er wird zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht sieht in ihm einen Einzeltäter. 2016 wird er aus der Haft entlassen.

Der Polizist Stefan Grage hinterlässt Mutter und Schwester. Der Buchhändler Klaus Baltruschat leidet bis heute an den Folgen der Tat.

 

Aufklärung des NSU-Komplexes gefordert: Wie Diesner agiert auch der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) nach dem Terrorkonzept des „führerlosen Widerstands“. Der NSU führt eine Liste mit 10.000 möglichen Anschlagszielen, darunter auch der jüdische Friedhof in der Berliner Heerstraße, auf den bereits mehrere Sprengstoffattentate verübt wurden. Seit der Selbstenttarnung des NSU 2011 fordern bundesweit Bündnisse Aufklärung. Das 2018 gefällte Urteil im NSU-Prozess kritisieren sie als unzureichend, da es weder gesellschaftlichen Rassismus, noch das Handeln von Helferinnen und Helfern oder die Rolle von Behörden aufarbeite. In vielen Bundesländern wurden zu diesem Zweck Untersuchungsausschüsse eingerichtet. Für Berlin wurde dies mehrfach gefordert, bislang ohne Erfolg. | Foto: Kilian Behrens / apabiz

 

Glossar

Die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) bestand von 1989–2007. Sie ging aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hervor und ist Vorläufer der heutigen Partei Die Linke.

Junge Nationaldemokraten (JN) heißt die 1967 gegründete Jugendorganisation der neonazistischen Partei NPD. 2018 wurde sie in Junge Nationalisten umbenannt.

Weißer Arischer Widerstand: Unter diesem Label sammeln sich Neonazis, um nach dem Konzept des „führerlosen Widerstands“ Anschläge im Kontext eines vermeintlichen „Rassenkrieges“ zu begehen. Die Anschläge sollen alleine oder in Kleingruppen umgesetzt werden.

Nationalsozialistischer Untergrund (NSU): Das rechtsterroristische Netzwerk ermordet zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen, verübt Sprengstoffanschläge und Banküberfälle. Über viele Jahre kann der NSU bundesweit auf Unterstützung bauen. Der NSU agiert nach dem Konzept des „führerlosen Widerstands“.

    Der Berlin-Blog vom
    Kontakt

    mail@apabiz.de   [PGP-Key]

    Berlin rechtsaußen
    c/o apabiz e.V.
    Lausitzerstr. 10
    10999 berlin

    Piwik