17. Oktober 1987, Zionskirche, Prenzlauer Berg: Überfall auf ein Konzert in Ost-Berlin
Am 17. Oktober 1987 überfallen dutzende Neonazi-Skinheads ein Konzert, das alternative Jugendliche in der Zionskirche organisiert haben. Die Angreifer rufen „Heil Hitler“, „Juden raus“ oder „Schlagt die Kommunisten tot!“ und prügeln auf Konzertgäste ein. Die Polizei ist in den umliegenden Straßen präsent, greift aber nicht ein. [Hintergrundartikel Überfall auf die Zionskirche]
Mit Beginn der 1980er-Jahre treten Neonazis auch in der DDR in Erscheinung. Übergriffe auf schwarze Menschen, vietnamesische Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter, Punks oder alternative Jugendliche nehmen zu. Auch antisemitische Vorfälle häufen sich. Offiziell wird darüber nicht gesprochen. Die DDR begreift sich als antifaschistischer Staat, in dem Neonazismus nicht vorkommt. Nach dem Überfall auf das Konzert kann jedoch nicht mehr geleugnet werden, dass es auch in der DDR eine extreme Rechte gibt.
Der Prozess gegen vier der Angreifer wird in beiden deutschen Staaten aufmerksam beobachtet. Die Angeklagten erhalten wegen „Rowdytums“ Haftstrafen von bis zu zwei Jahren. Nachdem sich in Teilen der DDR-Bevölkerung Unmut regt und die Staatsanwaltschaft Einspruch erhebt, korrigiert das Gericht die Strafen in einem erneuten Prozess nach oben. Fortan verfolgen Polizei und Justiz extrem rechte Umtriebe mit höherer Priorität.
Die Vorstellung, dass der Neonazismus in der DDR maßgeblich auf Einflüsse aus der Bundesrepublik zurückzuführen sei, bleibt jedoch prägend. DDR-Oppositionelle verweisen hingegen auf den staatlichen Autoritarismus als Ursache für den erstarkenden Neonazismus. In einer unabhängigen Zeitschrift heißt es, die DDR-Gesellschaft sei von „Anpassung und Duckmäusertum“ geprägt, ihre Alltagskultur keineswegs „völlig entnazifiziert“. Ende der 1980er-Jahre entstehen antifaschistische Gruppen. Diese fordern einen offensiven Umgang mit der Neonaziszene. Das Ministerium für Staatssicherheit beobachtet und dokumentiert die Arbeit dieser Gruppen aufmerksam.
Veranstaltungsmitschnitt: Dietmar Wolf über die Gründung der Antifa in Ost-Berlin, 2017 (02:41 Minuten)
Der Autor und Mitbegründer der Ost-Berliner Antifa Dietmar Wolf berichtet auf einer Veranstaltung zum Thema „30 Jahre Antifa in Ostdeutschland“ in Potsdam über die Gründung der ersten Antifa-Gruppe in der Kirche von unten (KVU) im April 1989.
Die drei Ausgaben des Ostberliner Antifa-Infoblatts können im apabiz eingesehen werden. Sie stehen außerdem hier online zur Verfügung.
Glossar
Skinheads: In den 1960er-Jahren entsteht in England eine Skinhead-Subkultur. Sie ist von einer Arbeiter*innen-Identität geprägt. In den 1980er-Jahren bilden sich auch in der DDR Skinhead-Gruppen. Zunächst sind sie eng mit der Punk-Szene verbunden. Mit der Zeit entwickelt sich eine extrem rechte Skinhead-Kultur. Den staatlichen Behörden gelten Punks und Skinheads gleichermaßen als „negativ dekadente Jugendliche“.
Die Ost-Berliner Zionskirche bietet in den 1980er-Jahren einen Raum für oppositionelle Gruppen. Im Keller des Gemeindehauses entsteht die Umwelt-Bibliothek. Sie sammelt Publikationen zu Umwelt- und Menschenrechtsthemen, von denen viele in der DDR verboten sind. In der Bibliothek finden auch Treffen und Veranstaltungen statt. Außerdem werden hier die Umweltblätter erstellt, ein zentrales Medium der DDR-Opposition.
DDR-Antifaschismus: Die DDR begreift sich als Erbin des antifaschistischen Widerstands. Viele Regierungsmitglieder waren Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Der Antifaschismus ist Staatsdoktrin. Faschismus wird dabei als Extremform des Kapitalismus interpretiert. Mit der Einführung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung gilt er als endgültig überwunden. Personelle und strukturelle Kontinuitäten des Nationalsozialismus werden in der DDR bis in die 1980er-Jahre kaum thematisiert oder alleine der Bundesrepublik angelastet.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ist der Geheimdienst der DDR. Ein zentrales Aufgabenfeld des MfS ist die Beobachtung der politischen Opposition. Wer sich vermeintlich oder tatsächlich gegen die Regierung stellt, muss damit rechnen, beobachtet und verfolgt zu werden. Dabei werden sowohl hauptamtliche als auch „inoffizielle“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingesetzt. Das MfS verfügt nicht nur über ein weit verzweigtes Überwachungsnetz, sondern auch über eigene Untersuchungsgefängnisse.