Jugendsozialarbeit im Visier – Rechtspopulistische Angriffe und Einschüchterungsversuche

Neben anderen demokratischen Akteur_innen gerät immer wieder soziale Arbeit ins Visier von rechten und rechtspopulistischen Parteien oder Organisationen. Menschenrechtsorientierte und diversitätsbetonte soziale Arbeit wird verunglimpft und angegriffen. Auch in Berlin nimmt die Diffamierung von und der Rechtfertigungsdruck auf Fachkräfte der offenen Kinder- und Jugendarbeit zu.

 

Mit dem Einzug der Alternative für Deutschland (AfD) in die Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) sowie das Abgeordnetenhaus (AGH) 2016 eröffnete sich dieser eine neue politische Bühne. Durch die Präsenz in Gremien sowie (Jugendhilfe-) Ausschüssen haben sie nun Möglichkeiten, Daten zu erfragen, fachliche Konzepte einzusehen und über finanzielle Zuwendungen mit zu entscheiden.

Neutralitätsgebot und Strategie der Verunsicherung

In der Vergangenheit wurde Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit unterstellt, dass sie vermeintlich „linksextrem“ seien und Jugendliche entsprechend indoktrinieren würden. Dabei wird versucht, den fachlichen Auftrag nach Sozialgesetzbuch (SGB) VIII, §11, politische Bildungsarbeit zu leisten, mit Indoktrination gleichzusetzen. Insbesondere geschieht dies dann, wenn die Einrichtungen explizit mit antifaschistischen und antirassistischen Inhalten und Standards arbeiten. Die momentane politische Bildung jugendlicher Zielgruppen soll unter Generalverdacht gestellt werden. Der Erziehung zu Mündigkeit, Verantwortung, Menschenrechtsorientierung und politischer Subjektwerdung wird dabei ein rechtes Kontra gesetzt. Politische Bildung wird hierbei nicht nur als vermeintlich wertfrei verstanden, sondern implizit damit auch die Vermittlung gesellschaftlicher Diversität und Solidarität abgelehnt. So werden beispielsweise Projekte zu sexueller Vielfalt und sexueller Aufklärung als staatlich geförderte „Frühsexualisierung“ und „Verschwulung“ diffamiert.

Dabei schaffen die Berufsethik und die rechtliche Absicherung im SGB VIII klare Standards, die einen fachlichen Auftrag an soziale Arbeit stellen. Diese Qualitätsstandards wurden 2014 vom Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit e.V. beschrieben. Laut SGB VIII sollen junge Menschen beispielsweise zu Selbstbestimmung, gesellschaftlicher Mitverantwortung sowie sozialem Engagement angeregt und hingeführt werden. Dies schließt eine kritische Haltung zu gesellschaftlichen Ausgrenzungs- und Diskriminierungsmechanismen mit ein. Ebenso fordern die rechtlichen Rahmenbedingungen der Jugendsozialarbeit eine intensive Auseinandersetzung mit Diskriminierung und der Akzeptanz von Vielfalt, der Erlernung sozialer Kompetenzen und Empathie, demokratischer Partizipationsmöglichkeiten sowie mit Menschen- und Kinderrechten, beispielsweise vor dem Hintergrund der „internationalen Jugendarbeit“, die der interkulturellen Verständigung dient. Dies liegt erfahrungsgemäß mit rechten und autoritären Gesellschaftsvorstellungen im Konflikt.

Ein immer bedeutenderes Instrument rechter und rechtspopulistischer Akteur_innen, ist der Vorwurf an Fachkräfte der sozialen Arbeit, das sogenannte Neutralitätsgebot zu missachten beziehungsweise bewusst zu umgehen. So wurden bereits Bildungsveranstaltungen zu rechten Strömungen und Akteur_innen in der AfD, seitens der Partei als „Stimmungsmache“ diffamiert. Mehrere von der Partei in Auftrag gegebene Rechtsgutachten u.a. durch den wissenschaftlichen Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses im Juli 2018, sollen klären, inwiefern Zuwendungsempfänger_innen staatlicher Fördergelder an das Neutralitätsgebot gebunden sind und ab wann sie unrechtmäßig z.B. in den Wettstreit der Parteien eingreifen. Ihr vorläufiges Ziel ist es, die staatliche Förderung von demokratischen Vereinen und Initiativen als nicht neutral darzustellen, sobald sich diese gegen menschenverachtende und antidemokratische Tendenzen in Parteien und anderswo positionieren. Engagierte Jugendliche und Fachkräfte sollen verunsichert und mundtot gemacht werden. Die Verunsicherung zielt aber auch auf Zuwendungsgeber_innen und die Träger sozialer Arbeit ab. Sie sollen gezwungen werden sich zu rechtfertigen, zu reglementieren und im Zweifelsfall vermeintlich unliebsame Projekte oder Positionen erst gar nicht umzusetzen bzw. zu fördern. Mit dem Angriff auf Mittelvergaben wird auch suggeriert, dass Träger und Verwaltung nicht transparent handeln würden und Gelder „nach gusto“ oder entlang politischer Vorlieben vergeben würden. Dabei sind die Finanzierungen und Förderungen durch Richtlinien und Gesetzesvorgaben abgesichert und stets einsehbar.

„Auf allen Ebenen bedarf es einer klaren Positionierung für die Einrichtungen und Ansätze der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, die für eine menschenrechtsorientierte Kultur und den gleichwertigen Umgang von Menschen eintritt.“

Mit dem rechten Verständnis von „Neutralität“ wird eine Stilisierung als politisch Verfolgte verknüpft. Von Rechtspopulist_innen wird behauptet, dass politische Bildungsarbeit nach SGB VIII lediglich dazu genutzt werde, sie als politische Akteur_innen zu diskreditieren. Mit dem Mythos sie seien „Opfer“ oder „Verfolgte“ vermeintlich „linker Hetze“, sie würden nicht gehört und ausgegrenzt, wird versucht, sich selbst unangreifbar zu machen und andere unter Druck zu setzen. Die Folge ist eine weitere Diskursverschiebung nach rechts und das Gefühl der Betroffenen, sich immer wieder erklären und für ihre anerkannte Facharbeit rechtfertigen zu müssen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass rechte und autoritäre Positionen in fachlichen und gesellschaftlichen Diskursen einsickern und damit an Bedeutung gewinnen könnten. Die rechtspopulistische Strategie der Unterstellung gefährdet auf landesweiter und bezirklicher Ebene jahrelange gute fachliche Beziehungen zwischen Ämtern, Fachkräften und Trägern. Dies betrifft dabei vor allem Einrichtungen und Projekte in freier Trägerschaft, deren inhaltliche Ausrichtung nach Wunsch der Rechtspopulist_innen stärker einer staatlichen Kontrolle unterzogen werden sollen. Die Angriffe können häufig einen großen Teil der personellen bzw. geistigen Ressourcen von Fachkräften der angegriffenen Einrichtungen binden und zielen darauf ab, fachliche Arbeit zu unterminieren. Dies drückt sich unter anderem darin aus, dass in einigen Bezirken die Finanzierung von Projekten durch Rechte in Frage gestellt und anschließend gegen Weiterfinanzierungen ganzer Jugendeinrichtungen, wie unter anderem in Marzahn-Hellersdorf und Pankow geschehen, gestimmt wurde. So wurde explizit gegen Einrichtungen und ihre Träger in den Jugendhilfeausschüssen gestimmt, wenn diese seitens der AfD als „politische Gegner_innen“ im Bezirk wahrgenommen wurden, beispielsweise durch Unterstützung von lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen Rechts sowie antirassistischen Gruppen. Diese Angriffe gefährden neben den pädagogischen Angeboten auch die ökonomischen Existenzen von Fachkräften und kleinen Vereinen, deren Arbeitsbereiche überwiegend in den von rechts attackierten Themenfeldern liegen.

Wie auf rechte Angriffe fachlich antworten?

Zusätzlich bestimmt und hemmt die Sorge vor juristischen Konsequenzen fachliche Debatten um einen selbstbewussten und praktischen Umgang mit rechtspopulistischen Politiker_innen. Dies betrifft unter anderem Einladungen von Parteien und Politiker_innen zu Stadtteilfesten oder Formaten der politischen Bildung wie die U18-Wahl. Hier muss durch gemeinsame Haltungen von (Bezirks-)Politik, Verwaltung und Trägerlandschaft betroffenen Einrichtungen der Rücken gestärkt werden. Auch Träger sind gefragt, sich öffentlich wahrnehmbar zu positionieren, beispielsweise anhand eines eigenen Leitbildes, der Erarbeitung von trägerinternen Vorgehensweisen bei Anfragen und der Festschreibung demokratischer Grundhaltungen durch entsprechende Hausordnungen etc.. Dies erleichtert letztlich den Umgang mit Anfragen extrem rechter und rechtspopulistischer Akteur_innen in Stadtteilzentren, Jugendeinrichtungen und Nachbarschaftsheimen nach Räumlichkeiten für die Durchführung von Bürger_innensprechstunden oder Parteiveranstaltungen.

Im Zuge der Auseinandersetzung mit rechten Angriffen, wächst aus dieser Notwendigkeit auch zunehmend der selbstbewusste Umgang von Trägern und Fachkräften. In einigen Bezirken existieren bereits Reflexionsrunden und Netzwerke, überbezirkliche Fachtage oder Fachgespräche, die auf eine fachliche und solidarische Stärkung der (potentiell) Betroffenen hinarbeiten. Dabei werden Erfahrungen und best practice im Umgang mit Bedrohungssituationen ausgetauscht, klare Haltungen artikuliert und bestärkt. Als wichtig wird ein gemeinsames, bezirksübergreifendes Auftreten gegenüber rechten Bedrohungen verstanden. Über Trägererklärungen und Solidaritätserklärungen mit angegriffenen Trägern/ Einrichtungen wird der rechten Taktik der Vereinzelung Solidarität entgegengesetzt, so geschehen am Beispiel von zwei Pankower Jugendfreizeiteinrichtungen,. Diese erhielten nach namentlichen Nennungen und den Forderungen nach Entzug der finanziellen Zuwendungen, vermehrt solidarische Zusprüche von Kolleg_innen anderer Einrichtungen und Träger. Auch die Berliner Erklärung, die von 180 demokratischen Projekten sowie Trägern unterzeichnet wurde, gilt als ein starkes Signal der trägerübergreifenden Solidarität.

Haltung ist gefragt

Des Weiteren versuchen viele ihre fachlichen Arbeitsalltage zu erhalten, um den Angriffen mit einer Praxis der demokratischen Willensbildung und Erziehung entgegenzuarbeiten und sich nicht von rechten und rechtspopulistischen Vorwürfen hin- und hertreiben zu lassen. Konkret bedeutet dies, weiter Angebote wie der Sexualpädagogik, der interkulturellen Arbeit, der gendersensiblen Arbeit praktisch umzusetzen. Dabei kommt der Kommunikation zwischen demokratischen Parteien, Verwaltung und Trägern eine besondere Bedeutung zu. Durch die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Akteuren verändert sich auch das Verhältnis zwischen Ämtern, politischen Funktionsträger_innen und freien Trägern. Dabei sind auch Kolleg_innen der Jugendämter häufig unsicher, wie sie auf politische Diffamierungen und unfachliche Angriffe reagieren sollen. Auf allen Ebenen bedarf es einer klaren Positionierung für die Einrichtungen und Ansätze der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, die für eine menschenrechtsorientierte Kultur und den gleichwertigen Umgang von Menschen eintritt. Dafür, diese fachliche und qualitativ gute Arbeit zu fördern, wurde sich in den letzten Jahren bewusst entschieden. Diese Gründe öffentlich zu benennen und damit Haltung zu zeigen – in der BVV, im Jugend- oder Bezirksamt, in Fachrunden etc. – ist dringend nötig, um den Fachkräften den Rücken zu stärken, ihre Arbeit wertzuschätzen und demokratisches Engagement zu fördern.

Auf Seiten der akademischen Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen plädiert beispielsweise die Professorin Heike Radvan von der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus für ein stärkeres politisches Verständnis der sozialen Arbeit und ihrer Parteilichkeit für Demokratie. Dies bedeutet für sie u.a., dass sich auch die Verwaltung ihrer Schutzfunktion bewusst werden und Solidarität mit den von rechts diffamierten Projekten zeigen muss. Soziale Arbeit muss sich dabei als Akteur_in und Initiativkraft in öffentlichen Diskursen begreifen. Nach Meinung vieler Fachkräfte heißt das beispielsweise proaktiv und stärker die soziale Frage in den Fokus zu nehmen, um rechten und diskriminierenden Deutungen sozialer Ungleichheiten eine solidarische und soziale Arbeit entgegensetzen sowie aus der Verteidigungshaltung hinauswachsen zu können. Außerdem sollte der öffentliche Raum stärker in den Fokus genommen werden: Welche rechten Strukturen bestehen in den Sozialräumen, wer wird von ihnen diskriminiert und ausgegrenzt? Soziale Arbeit darf sich dabei nicht nur als „verwaltende“ und „helfende“ Kraft innerhalb der Gesellschaft verstehen, sondern auchals Träger_in und Unterstützer_in politischer Artikulationen und Handlungsfähigkeit marginalisierter Gruppen, wie sozial, rassistisch oder sexistisch ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen. Damit das gelingen kann, muss die fachliche Haltung unter den Fachkräften weiter zu einem politischen Verständnis sozialer Arbeit und ihre Bedeutung für die Verteidigung demokratischer Gesellschaften ausgebaut werden. Dafür muss soziale Arbeit auch konkretere politische Vorstellungen von einem solidarischen und demokratischen Miteinander entwickeln und anbieten. Solche fachlichen Aushandlungsprozesse sollten zukünftig noch mehr Teil der Ausbildung sowie des Berufsalltages werden.

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