Vom „Reich des Bösen“

Am 27. Mai 2018 demonstrierte die Bundes-AfD erstmals seit der „Herbstoffensive 2015“ erneut in Berlin. Rund 5.000 Personen folgten dem Aufruf, acht Reden wurden gehalten. Jenseits medialer Skandalisierungen stehen diese allerdings nur selten im Zentrum der Betrachtung, obwohl sie nicht nur einen aktualisierten Überblick über die öffentlichkeitswirksamen Narrative der Partei ermöglichen, sondern auch unterschiedliche Akzentuierungen und Stile deutlich machen.

 

Dass auch diese Demonstration dem bewegungsorientierten Rechtsaußenflügel der Partei zuzuordnen ist, verdeutlicht bereits der Beginn auf dem in der Mittagssonne kochenden Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof. Mit einer halben Stunde Verspätung erklingt die „Freiheitsglocke“ aus den Lautsprechern neben der Bühne – ein Auftakt, der seit über drei Jahren auch von Bärgida an diesem Ort zelebriert wird. Der Brandenburger AfD-Landtagsabgeordnete Steffen Königer begrüßt die Landesverbände der AfD, wobei bereits die Nennung des nicht einmal anwesenden Höcke mit frenetischem Jubel und „Höcke, Höcke“-Rufen beantwortet wird. Die Fans sind gekommen. Gleich die ersten Reden sind mit Christoph Berndt (Zukunft Heimat, Cottbus) und Marie Thérèse Kaiser (Merkel muss weg , Hamburg) zwei VertreterInnen lokaler Protestmobilisierungen vorbehalten. Nahezu alle RednerInnen betonen euphorisch die Signalwirkung, die an diesem Tag von der Demonstration in der Hauptstadt ausgehe. Dass für die erwünschten Bilder in den sozialen Netzwerken später sogar Fotos der WM-Fanmeile von 2006 mit Deutschland-Fahnenmeer zweckentfremdet werden, verdeutlicht die Zentralität dieser Symbolik. Berndt spricht davon, dass die „patriotische Bürgerbewegung“ dabei helfen werde, „den überfälligen Regierungswechsel herbeizuführen“, während Andreas Kalbitz betont: „Nur zusammen sind wir stark.“ Selbst Georg Pazderski , Berliner Landesvorsitzen der der AfD, geht in seiner Rede explizit auf die Straßenmobilisierungen ein: „Wir müssen auf der Straße zeigen, wofür wir einstehen. Alle Gliedmaßen der AfD müssen harmonisch zusammen arbeiten. Nur so können wir erfolgreich sein.“ Pazderski zeigte sich in der Vergangenheit nicht besonders demonstrationsfreundlich, weshalb er von politischen Hardlinern wie dem Berliner Andreas Wild immer wieder kritisiert worden war.

Der Untergang des Abendlandes

Keine rechte Demonstration kommt ohne Bedrohungsszenarien aus. Kriminalität, Gewalt, ein sinkendes Bildungsniveau sowie der „Verlust von Kultur und Identität“ stehen neben anderen meist im Zentrum der Erzählungen. Wortwahl, Drastik sowie Konkretisierung differieren jedoch. Rassistische Pauschalisierungen, Diffamierungen und Anekdoten, die als Beleg für den Niedergang Deutschlands oder gleich des „Abendlandes“ herangezogen werden, stehen neben tatsächlichen Missständen, die als Teil eines politischen Gesamtversagens gewertet werden. Generell bleibt es meist bei Anklagen, nur selten werden vermeintliche Lösungsansätze, die etwa über ein „Grenzen dicht“ hinausgehen, angesprochen.

„Positiv quittiert von den Demonstrierenden wird stets der Jargon, der schäumt und auch mal unter die Gürtellinie geht.“

Laut Marie-Thérèse Kaiser habe sich mittlerweile gezeigt, „dass viele der Menschen, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, nicht ungefährlich sind. Es gab diverse Vergewaltigungen und Morde durch illegal Eingereiste.“ Berndt hingegen argumentiert mit einer konkreten Geschichte und verliest einen Brief eines Schülers, in dem über die angebliche Aggressivität von „Schülern mit Migrationshintergrund“ berichtet wird. Bei der AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch sind es „die muslimischen Schüler“, die ihre Lehrenden attackieren. Jenseits der Zustände an Schulen tauchen pauschal emotional aufgeladene Themen wie die „Zukunft unserer Kinder“ immer wieder auf. Ganz besonders drastisch und mit einer unerträglichen Relativierung sexualisierter Gewalt beschreibt AfD-Chef Jörg Meuthen die Lage: „Wir erleben die Vergewaltigung unserer Identität und Kultur durch unkontrollierte und behördlich sogar noch illegal unterstützte Massenmigration in unser Land […], die gerade sogar wieder Fahrt aufnimmt. Wir erleben die Vergewaltigung unserer Sprache, durch ein in unseren Schulen gelehrtes und behördlich eingefordertes Gender Gaga […], angeordnet von BinnensternchenVolldeppen, die selbst im Bundestag keinen geraden Satz zusammen bekommen, aber grenzdebil feixend dazwischen rufen, wenn unsere exzellenten AfD-Abgeordneten ihnen etwas erklären.“ Ist es nicht die AfD, die das Klima im Bundestag durch Diffamierungen, Hohn und Gelächter beständig rauher werden lässt? Georg Pazderski konzentriert sich auf vermeintliche oder tatsächliche Missstände in Berlin, etwa wenn er diagnostiziert, dass die Stadt „zunehmend verwahrlost“ oder die Verschwendung von Milliarden für den nach wie vor nicht eröffneten Flughafen BER kritisiert. Als Verursacher des Niedergangs werden meist die sogenannten etablierten Parteien benannt, die mal aus Ermangelung an Liebe zu Deutschland und dem „deutschen Volk“ (Gauland), mal aus falscher Regierungspolitik (Pazderski), aus Machtinteresse (Meuthen) oder gar, weil sie den Staat abschaffen wollen (Albrecht Glaser) die Interessen Deutschlands nicht vertreten würden. Auch hier variiert der Duktus mitunter deutlich. Positiv quittiert von den Demonstrierenden wird stets der Jargon, der schäumt und auch mal unter die Gürtellinie geht. Ganz gut an kommt die Rede von der SPD als „Arbeiterverräterverein“ und „Champagnersozialisten“ (Kalbitz).

Deutsch geht nur national

Der Tenor in Bezug auf Migration und Islam ist klar: Grenzen dicht. Während Alexander Gauland Geflüchtete als „Gäste“ sieht, die „dieses Land auch wieder zu verlassen [hätten]“, will von Storch die „Islamisierung aufhalten, umdrehen und die Zukunft Deutschlands als freies Landund selbstbewusste Nation sichern.“ Islamisierung umdrehen, also Muslime raus?

Insbesondere von Storch konzentriert sich auf den Islam und betont dessen vermeintliche Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz sowie den Unwillen der Muslime, den Islam zu reformieren. Teile von Storchs Rede sind nahezu prototypisch für ein unterkomplexes Weltbild, in dem der Islam allein als aggressive Ideologie existiert, die Muslime, Juden und – vor allem – Christen bedrohen würde. Dem deutschen Fussballnationalspieler Mesut Özil spricht sie aufgrund seines Treffens mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan das Deutschsein ab. Laut von Storch gibt es nur Koran oder Grundgesetz, nur Islam oder Deutschsein. In dieser binären Logik ist es nur konsequent, dass von Storch den Islam, wie einst US-Präsident Reagan die Sowjetunion, als „Reich des Bösen“ bezeichnet. Kaiser hingegen sieht eine falsche Toleranz gegenüber dem Islam in Deutschland, insbesondere was Frauenrechte angeht: „Oder glauben sie wirklich, dass Frauen, die aus der Unterdrückung zu uns fliehen, hier den Schutz bekommen, den sie sich erhoffen? Sicher nicht, wenn gleichzeitig die Regierungsparteien Kinderehen, Verschleierung, Ehrenmorde und die Züchtigung durch Ehemänner tolerieren und versuchen zu rechtfertigen.“

Auch der ursprüngliche Fokus der Lucke-AfD auf Euro und EU findet in der einen oder anderen Rede noch seinen Platz. Auch hier sind die Deutschen wieder Opfer: „Die Notenbanken anderer Länder saugen Deutschland aus“, meint Glaser, während Meuthen von einer „Vergewaltigung unserer ökonomischen Basis“ durch die Euro- und EZB-Politik spricht und einen „EU-Regulierungswahn“ moniert. Auch jenseits von EU und Europapolitik ist das Verhältnis zur Nation die Klammer aller Reden. Als gäbe es in Deutschland keine Interessenskonflikte, fordert Gauland, Deutschland müsse wieder zuerst kommen, es brauche eine „Politik für dieses Volk“. Dass damit nicht die Bedürftigen gemeint sind, lässt die Rede von den benachteiligten „Leistungsträgern“ erahnen, die bereits Peter Sloterdijk als die eigentlichen Verlierer der Gesellschaft ausgemacht hat. Die 21-jährige Kaiser scheint mit ihrer betonten Zugehörigkeit zur „Generation der zukünftigen Leistungsträger“ die Berechtigung ableiten zu wollen, mitzureden. Ob politische Partizipation denjenigen vorbehalten sein soll, die aus ihrer Sicht der Gesellschaft nutzen, wird nicht weiter ausgeführt. Mangelnde Leistungsbereitschaft unterstellt Kaiser auch dem politischen Gegner, wenn sie ätzt: „Sie wissen ja, wofür Antifa steht, oder? Nein? Dann verrate ich es Ihnen. Asozial, nutzlos, terroristisch, idiotisch, feige und arbeitsscheu.“ Aha. Kalbitz fordert „Leistung muss sich wieder lohnen“ und Pazderski „will ein Deutschland, das sich wieder auf seine Tugenden besinnt. (…) Leistungsbereitschaft, Gründlichkeit, Standhaftigkeit, Verantwortungsbewusstsein, aber auch Fleiß, Ordnung, Pünktlichkeit und Bürgersinn.“ Angesichts vieler AfD-Forderungen, die sonst so zu hören sind: Es wäre nicht das Schlimmste. Schließlich ließen sich diese auch für eine emanzipatorische Politik nutzbar machen, um alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.

 


Die RednerInnen am 27. Mai in Berlin: Christoph Berndt (Zukunft Heimat , Cottbus), Marie-Thérèse Kaiser (Merkel muss weg, Hamburg), Andreas Kalbitz (MdL Brandenburg; AfD-Bundesvorstand), Beatrix von Storch (MdB, AfD-Bundesvorstand), Jörg Meuthen (MdEP, AfD-Bundessprecher), Albrecht Glaser (stellv. AfD-Bundessprecher), Georg Pazderski (MdA, Landesvorsitzender AfD Berlin, Stellv. Bundessprecher), Alexander Gauland (MdB, AfD-Bundessprecher).


 

Dieser Artikel erschien zuerst im apabiz-Rundbrief monitor Nr.82.

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