Bestandsaufnahme: Berliner AfD vor der Bundestagswahl

Getrieben von parteiinternen Machtkämpfen hat die AfD beim Bundesparteitag im April 2017 die offene Auseinandersetzung um die politische Ausrichtung der Partei vermieden. Entsprechende Anträge, die von der heftig umstrittenen Bundesvorsitzenden Frauke Petry eingebracht worden waren, wurden erst gar nicht behandelt. Es lässt sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der völkisch-nationalistische Flügel der Partei weiter durchsetzt und auch die Bundestagsfraktion prägen wird. Unter der Decke brodelt es weiterhin. Der Berliner Landesverband versuchte weitestgehend, die Auseinandersetzungen hinter den Kulissen zu führen - nicht immer erfolgreich. Es folgt eine Analyse zu KandidatInnen, politischen Positionen, Wahlkampf- und parlamentarischen Akivitäten der Berliner AfD.

 
© Kilian Behrens / apabiz

Der Tonfall hat sich im Bundestagswahlkampf noch einmal merklich verschärft.[1] Spitzenkandidat Alexander Gauland setzt bewusst auf medienwirksame Provokationen. Nach seinen rassistischen Anfeindungen gegen die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz, relativierte er in bester Höcke-Manier ganz offen den Nationalsozialismus, als er beim Kyffhäuser-Treffen der AfD am 2. September den Willen bekundete, „stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Solche Äußerungen scheinen der AfD ganz offensichtlich nicht zu schaden. Im Gegenteil wächst die Zustimmung, und Wahlprognosen sehen die AfD derzeit bei 10 bis 12 Prozent. Alice Weidel als zweite Spitzenkandidatin hatte Anfang Mai ein Ergebnis von 15 Prozent als „persönliche Zielmarke“ genannt. Doch innerhalb der Partei wird der anhaltende Rechtsruck nicht von allen bis zum Letzten getragen, und so sorgten mehrere Aus- und Rücktritte von ParteifunktionärInnen lokal für Diskussionen.[2]

Personelle Rochaden

Eigentlich sollte die heiße Phase des Wahlkampfes eingeläutet werden, als es Anfang Juli auch in Berlin zu einem kleinen Eklat kam. Bernward Eberenz, AfD-Stadtrat für Umwelt im Bezirk Neukölln, trat überraschend aus der AfD aus und begründete dies mit der geplanten Direktkandidatur des AfD-Rechtsaußen Andreas Wild. In einer persönlichen Erklärung schrieb Eberenz, durch Wild würden „Positionen repräsentiert, die ich als unvereinbar mit meinen politischen Überzeugungen sehe“. Was folgte, war eine geradezu panisch wirkende Personenrochade. Wild wurde kurzfristig nicht nur die Kandidatur entzogen, zeitgleich wurde er auch aus der Fraktion im Abgeordnetenhaus (AGH) ausgeschlossen. Direktkandidat für Neukölln ist nun der als moderat geltende Frank-Christian Hansel. Es ist nur wenig glaubwürdig, dass Wilds Positionen so plötzlich mit der politischen Linie des Landesverbandes unvereinbar sein sollen. Schließlich war es gerade sein plump-provokanter völkischer Rassismus, der Wild erst bekannt gemacht und ihm innerhalb der eigenen Partei auch gewissen Erfolg eingebracht hatte. Der Landesvorstand hatte ihn bisher anstandslos gewähren lassen und ihm weiterhin Rückendeckung gegeben, auch als er die muslimische Gebetstradition mit öffentlichem Urinieren verglichen, die Errichtung von isolierten Arbeitslagern für Geflüchtete eingefordert sowie eine öffentliche Burka-Verbrennung angekündigt hatte. Die Personalie Wild ist nach Kay Nerstheimer und Jannik Brämer ein weiteres Beispiel dafür, dass völkischer Rassismus genauso wie Verbindungen zu extrem rechten Organisationen in der Berliner AfD so lange geduldet werden, bis ein zu großer öffentlicher Schaden droht.[3] Andreas Wild beteiligt sich auch weiterhin am Bundestagswahlkampf – nicht nur in Berlin sondern zuletzt mit der Berliner Spitzenkandidatin Beatrix von Storch am 16. September im bayerischen Traunstein.[4] Dass eine inhaltliche Distanzierung von allzu rassistischen Positionierungen als Begründung kaum glaubhaft ist, wird auch dadurch bestärkt, dass der Neuköllner Kreisverband auf seiner Website seit Ende Juli Wolfgang Hebold als neuen Bezirksvorsitzenden benennt. Hebold hatte seinen Job als Mathematik-Dozent nach Beschwerden über seine antimuslimisch-rassistischen Aufgabenstellungen verloren und war in Lichtenberg bei der Wahl zum AfD-Stadtrat für regionalisierte Ordnungsaufgaben gescheitert.

Mit dem rechten Fuß im Bundestag

Mit der Berliner Landesliste soll offensichtlich ein anderes Image vermittelt werden. Mit der christlichen Fundamentalistin und „Lebensschützerin“ Beatrix von Storch kandidiert neben Alice Weidel eine weitere Frau auf einem aussichtsreichen Spitzenplatz. Doch das damit suggerierte Bild einer Partei starker Frauen zumal noch unter der Bundesvorsitzenden Frauke Petry (ebenfalls Spitzenkandidatin in Sachsen) trügt. Die AfD ist weiterhin in erster Linie eine Partei von und für alte, weiße Männer. Der Frauen*anteil in den parlamentspolitischen Ämtern ist deutlich niedriger als bei anderen Parteien. Für Berlin liegt er bei nur etwa 15%. Im bundesweiten Durchschnitt sind es 15,6% in den Landtagsfraktionen und 10,5% in den kommunalen Parlamenten. Für die Bundestagswahl sind es bundesweit 10,1% der Direkt- und 12,3% der ListenkandidatInnen Frauen.

Die AfD ist weiterhin in erster Linie eine Partei von und für alte, weiße Männer.

Die Berliner Landesvorsitzende von Storch wird den Prognosen entsprechend in den Bundestag einziehen und dafür ihr Mandat im EU-Parlament aufgeben. Georg Pazderski hingegen müsste sein Direktmandat gewinnen und bleibt daher wohl als Fraktionsvorsitzender im Berliner AGH. Auf den Landeslistenplätzen 2 bis 5 folgt eine Mischung aus gestanden bürgerlichen bis prominenten Persönlichkeiten. Gottfried Curio etwa ist Physiker und sitzt bereits für die AfD im AGH, der ehemalige Pressesprecher Götz Frömming auf Platz 3 müsste im Falle eines Einzugs in den Bundestag seinen Job als Gymnasiallehrer wohl länger pausieren lassen. Birgit Malsack-Winkemann auf Platz 4 ist Richterin am Standort Charlottenburg des Berliner Landgerichts. Mit Nicolaus Fest folgt auf Platz 5 der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der Bild am Sonntag, heutige Autor der Jungen Freiheit, Verleger und Sohn des renommierten Historikers Joachim Fest.

Mit rassistischem Scheinfeminismus gegen „den Islam“

Während Malsack-Winkemann bisher kaum wahrzunehmen ist, tritt Frömming in der Regel zurückhaltend auf und bietet wenig Angriffsflächen. Bei Curio und Fest zeigt sich ein gänzlich anderes Bild. Beide fallen vor allem durch scharfe islam- und flüchtlingsfeindliche Positionen auf, wissen sich aber an den notwendigen Stellen zu zügeln und das rechtlich Sagbare auszureizen. Vor allem Fest drängt in die Öffentlichkeit, nutzt sein professionelles mediales Knowhow und betreibt seit Monaten in den sozialen Netzwerken einen sehr aktiven Wahlkampf. In drei- bis sechsminütigen Videos, die er seit Oktober 2016 über seine Homepage und einen eigenen Youtube-Kanal veröffentlicht, äußert er sich im Wochentakt zu tagesaktuellen innen- und außenpolitischen Themen wie etwa dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Fakenews, Feinstaub und Diesel-Gipfel sowie der bundesdeutschen EU-, Russland- und USA-Politik. Dabei wettert er stets gegen die Regierung, die anderen Oppositionsparteien wie auch gegen die kritische (mediale) Öffentlichkeit. Und er hat damit Erfolg – zwischen 10.000 und 25.000 Klicks erreicht er mit seinen ideologisch aufgeladenen, wortgewandten Provokationen. Seine Erklärung „Warum ich mich zur AfD bekenne?“ wurde sogar knapp 83.000 Mal aufgerufen. Immer wieder kommt Fest auf seine Lieblingsthemen Asyl und „den Islam“ zu sprechen. Letzteren bezeichnet er fortwährend als „verfassungsfeindliche totalitäre Ideologie“.[5]

Auch Gottfried Curio hat sich in parlamentarischen Reden immer wieder in abwertender Weise zum Islam geäußert. In der AGH-Sitzung am 24. November 2016 mahnte er die Vollverschleierung als ein „frauenverachtendes Menschenbild, solch eine entmenschende Geschlechterapartheid“ und präsentierte sich damit als Verteidiger von Frauenrechten. Im selben Atemzug diffamierte er jedoch in Burka gekleidete Muslima als „ein schwarzer Sack, ein Sack der spricht“. Darüber hinaus verknüpfte er durch süffisante Fragen eine damit angeblich einhergehende Terrorgefahr: „Und weiß man, wer sich unter diesem Sack versteckt? Eine Frau? Ein Mann? Wer bin ich? Wenn ja, wie viele? Eine Person? Mit oder ohne Sprengstoffgürtel?“[6]

Dass sich gerade männliche AfD-Mitglieder vermehrt als Verteidiger von Frauenrechten sowie schwuler und lesbischer Lebensweisen gerieren, ist vor dem Hintergrund der reaktionär-heterosexistischen und antifeministischen Forderungen zur Familien- und Gleichstellungspolitik geradezu paradox. Der rassistische Scheinfeminismus, der hier gegen „den Islam“ bemüht wird, ist zu durchschaubar und wird durch das eigene Wahlprogramm und vor allem durch Äußerungen einzelner Mitglieder konterkariert. So polterte Nicolaus Fest nach der Verabschiedung der „Ehe für alle“ in einem Video, dass sich dies zum Nachteil von nun angeblich massenhaft durch Lesben und Schwule adoptierte Kinder auswirken und außerdem die „Päderastie gesellschaftsfähig“ machen würde.[7] Dass Alice Weidel, die mit ihrer Partnerin zwei Kinder groß zieht, solche Äußerungen und programmatischen Forderungen nicht auch als Angriffe gegen ihre Person sieht, ist nur schwer nachzuvollziehen.

Parlamentarische Praxis in Berlin

In den mittlerweile zehn Monaten seit der Konstituierung des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen haben die jeweiligen AfD-Fraktionen erwartetermaßen ähnliche Themen behandelt, wie sie sich auch im aktuellen Wahlprogramm widerspiegeln. Gut ein Viertel aller Anfragen und Anträge beziehen sich explizit oder implizit auf den Themenkomplex Migration. Oftmals werden andere Themen damit verknüpft. So geht es beispielsweise darum, welche Auswirkungen der Zuzug von Geflüchteten auf die Anzahl verfügbarer Plätze in Kindergärten und Schulen hätte. Wenn in einem Park Bäume abgeholzt werden sollen, damit dort Unterkünfte gebaut werden können, entdeckt die Partei plötzlich auch den Umweltschutz für sich. Sogar ihren Sozialchauvinismus legt die AfD scheinbar ab, wenn es darum geht, wenig verklausuliert ihren Rassismus zu zeigen. Im Winter versuchte sie mit Fragen zu deren jeweiliger Unterbringung Obdachlose gegen Geflüchtete auszuspielen. Gleichzeitig problematisierte sie „aggressive Bettler“ und „wildes Campieren“ und betonte dabei deren polnische Staatsangehörigkeit. Außerdem wendet sich die Partei gegen Pläne, den kommunalen Wohnungsbestand zu erhöhen und setzt stattdessen auf Wohneigentum.

Immer wieder geht es auch im parlamentarischen Betrieb gegen „den Islam“. Nicht immer ist der antimuslimische Rassismus so offensichtlich wie in den Hasstiraden von Wild und Curio, sondern im Kontext von Sachfragen etwa zum Kopftuchverbot oder einem islamischen Kindergarten kaschiert. Auch in anderen Themenbereichen bedient sich die AfD solcher Mimikri. So gibt die Partei vor, gegen Antisemitismus Stellung zu beziehen. Frauke Petry verstieg sich gar im Frühjahr 2017 in einem Interview mit der Zeitung Die Welt zu der Behauptung, die AfD sei der einzige „Garant jüdischen Lebens“ und provozierte damit eine scharfe Distanzierung seitens zahlreicher jüdischer Interessensvertretungen.[8] Im Visier der AfD ist ausschlielich der muslimisch motivierte Antisemitismus, völkische Geschichtsrevisionisten wie Björn Höcke und Antisemiten wie Wolfgang Gedeon[9] in den eigenen Reihen hingegen werden geduldet. Auch Homophobie und Geschlechterrollen unter Muslimen werden in Reden problematisiert. Kontrastiert wird diese durchschaubare Strategie, mit der heterosexistisch und LGBTI*-feindlich motivierten Agitation gegen Unisex-Toiletten.

„Kurze Slogans“ und „sorgfältig geplante Provokationen“- die Programmatik 2017

Im Bundestagswahlkampf setzt die AfD wie schon bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus hauptsächlich auf flächendeckende Plakatwerbungen und kleinteilige Wahlkampfaktionen. Im Wahlprogramm sowie der AfD-Wahlwerbung spiegeln sich die Kernthemen der Partei deutlich wieder. Allein die Hälfte der 14 überregionalen Wahlplakate richtet sich gegen Einwanderung bzw. den Islam. Genutzt wird dabei eine reißerische und unmissverständliche Bildsprache. So ist ein Plakat mit dem Spruch „Sozialstaat? Braucht Grenzen!“ bebildert mit drei auf einem Grenzbalken sitzenden Geiern. Drei Plakate thematisieren die heterosexistische und antifeministische AfD-Sicht auf Familienpolitik, jeweils ein Wahlplakat ist dem Euro, der Direkten Demokratie oder schlicht und einfach „Mut zu Deutschland“ gewidmet. Anhand der Wahlplakate wird überaus deutlich, welches reaktionäre Frauenbild die AfD vertritt und vor allem in Abgrenzung zum Islam in Stellung bringt. Auffallend viele Plakate sind durch eine sexistische Darstellung von Weiblichkeit geprägt. In vermeintlich regionale Trachten gekleidete junge Frauen[10] präsentieren Sprüche wie „Bunte Vielfalt? Haben wir schon.“ und „Burka? Ich steh‘ mehr auf Burgunder!“. Eine im Gras liegende Schwangere mit halbnacktem Babybauch soll mit „Neue Deutsche? Machen wir selber.“ an die nationale Gebärfreudigkeit appellieren. Die sexistische Bebilderung des Plakats „Burkas? Wir steh’n auf Bikinis.“, auf dem die Rückenansicht von jungen Frauen in knapper Bademode gezeigt werden, ist da nur das drastischste Beispiel.

Anhand der Wahlplakate wird überaus deutlich, welches reaktionäre Frauenbild die AfD vertritt und vor allem in Abgrenzung zum Islam in Stellung bringt. Auffallend viele Plakate sind durch eine sexistische Darstellung von Weiblichkeit geprägt.

Zu Beginn des Jahres sah es noch so aus, dass die AfD neben ihren Kernthemen auch Position zu anderen Fragen beziehen würde, um sich über die bisherige Klientel hinaus an potenzielle Wähler*innen zu wenden. In dem an die Öffentlichkeit gelangten AfD-Papier „AfD-Manifest 2017“ des Bundesvorstands wurden noch große Pläne geschmiedet. Ein „öffentlichkeitswirksames Positionspapier ‚Soziale Gerechtigkeit‘“ sei zu erarbeiten, ein weiteres zur „Globalisierungskritik“. Davon ist im Wahlkampf bisher nichts zu merken. Letztendlich ist die Partei bei ihrer bisherigen Erfolgsstrategie geblieben, die in dem Dokument ebenfalls ausformuliert ist. Für die bisherige Klientel seien demnach „konsensstiftende Themen“ zu vertreten, bei denen es weniger um Lösungsvorschläge gehen solle, als vielmehr um „kurze Slogans“ und „sorgfältig geplante Provokationen“. Hierzu passt auch, dass sich wenige Wochen vor der Wahl auch zentrale Akteure der Berliner AfD offen zum Rechtsaußen-Flügel der Partei bekennen. So hatte Beatrix von Storch am 08. September zu einem Vortrag mit Nigel „Mr. Brexit“ Farage, dem Vorsitzenden der rechten britischen UK Independence Party (UKIP), in die Zitadelle Spandau geladen – letztlich auch ein Ergebnis ihrer europäischen Netzwerkarbeit. Nur einen Tag darauf hatte der Bezirksverband Marzahn-Hellersdorf eine Veranstaltung mit Björn Höcke organisiert und damit auch extrem rechte Berliner Akteure jenseits der eigenen Parteiklientel mobilisiert, wie etwa Manfred Rouhs, den Vorsitzenden von Pro Deutschland.

„Minuszuwanderung“ und Abschaffung des Asylrechts

Die Passagen zu den AfD-Kernthemen im Wahlprogramm überraschen denn auch kaum. Das im Grundgesetz verankerte individuelle Grundrecht auf Asyl will die Partei abschaffen und fordert zudem eine mehrjährige „Minuszuwanderung“ und eine rigorose Abschottung: „Asylanträge sind deshalb außerhalb Europas zu stellen.“ Damit liegt die AfD voll im Trend: Erst auf dem jüngsten EU-Flüchtlingsgipfel in Versailles Ende August wurde auf Initiative Frankreichs eine Verlegung der Asylverfahren in afrikanische Staaten diskutiert. Erneute Zuwanderung habe sich nach Wunsch der AfD ausschließlich an der Qualifikation und dem Bedarf in Deutschland zu orientieren. Die Flüchtlingspolitik der Großen Koalition erklärt die AfD für verfassungswidrig und fordert die Einrichtung eines Untersuchungsausschuss im Bundestag, in dem die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Gerade ein einziges Mal wird in dieser Passage das Wort „Krieg“ erwähnt. Bei der Staatsbürgerschaft will die AfD wieder zum Abstammungsprinzip zurück.

Abschottungspolitik und Rassismus bilden über weite Strecken den roten Faden des Wahlprogramms. Im Kapitel „Innere Sicherheit“ werden anknüpfend an die rassistische Problemzuweisung an Migrant*innen fast ausschließlich Forderungen zur Bekämpfung der „Ausländerkriminalität“ gestellt. Unter „Bildung und Schule“ wird als Ziel der Beschulung von Flüchtlingen die „sinnvolle Überbrückung“ der Zeit bis zur Rückkehr in die Heimatländer aufgeführt. Neben der Grundgesetzänderung im Asylrecht fordert die AfD, „den Erhalt des Staatsvolks“ als Staatsziel im Grundgesetz aufzunehmen. Ganz ungeachtet dessen, dass demografische Statistiken einen Anstieg der Geburten verzeichnen, möchte die AfD mit einer „aktivierenden Familienpolitik“ dem „Trend zur Selbstabschaffung“ entgegentreten und schrieb sich den „Schutz des ungeborenen Lebens“ ins Programm. Insbesondere in solchen Passagen werden die völkisch-nationalistischen aber auch die antifeministischen Prämissen der Partei deutlich. Es ist zuallererst die Abstammung, die über Zugehörigkeit und Rechte eines Menschen in Deutschland entscheiden solle. Idealbild der familienpolitischen Positionen ist ausschließlich die möglichst kinderreiche heteronormative weiß-deutsche Familie. Einer aufgeklärten gendersensiblen Erziehung sowie Gleichstellungspolitik erklärt die AfD eine offensive Absage. „Gender-Mainstreaming“ wird zwar in der Regel nicht ansatzweise richtig verstanden, ist aber einer der allgegenwärtigen Kampfbegriffe und dessen Beseitigung erklärtes Ziel. Ähnlich ist es mit der angeblichen „Frühsexualisierung“, der Schüler*innen ausgesetzt seien, wenn sie im Sexualkundeunterricht erfahren sollen, dass es mehr gibt als die heterosexuelle Familie. Bei der Gender-Forschung geht die AfD noch einen Schritt weiter, fordert eine offizielle Beendigung dieses Studiengangs und damit einen staatlichen Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft.

„Kein Einnahmen- sondern ein Ausgabenproblem“ – Sozialpolitik und schlanker Staat

Während die AfD in Fragen der Gender-Forschung oder im Bereich der Bevölkerungspolitik eine strenge staatliche Regulierung bis hin zum Verbot propagiert, möchte sie in anderen Themenfeldern den Einfluss des Staates zurückdrängen. Die AfD wünscht sich eine „klare Prioritätensetzung, welche Staatsaufgaben wichtig sind, unwichtiges auslaufen lassen“. Dazu gehört unter anderem der Ausstieg aus allen „Klimaschutz-“Organisationen, da die Partei den Klimawandel anzweifelt. Das Steuersystem solle verschlankt werden, die Erbschaftssteuer abgeschafft und die Vermögenssteuer nicht wieder reaktiviert werden. Ungeachtet aller Realitäten hinsichtlich einer stetigen Ökonomisierung z.B. im Sozialen betonte die jetzige Berliner Spitzenkandidatin Beatrix von Storch schon im Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl fortlaufend, dass der Staat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem habe. Entsprechend bleibt die AfD im Bereich Sozialpolitik vage. Zwar spricht sie sich für einen gesetzlichen Mindestlohn sowie eine Erhöhung der Freibeträge beim ALG II aus – die angestrebte Höhe kommt jedoch nicht zur Sprache. Dazu passt, dass Frauke Petry im Sommer 2017 in einem Spiegel-Interview verlauten ließ, sie halte „den Mindestlohn für eine aktuelle Krücke, die die AfD bejaht“. Insgesamt spielt auch hier die Grenzziehung zwischen Deutschen und Migrant*innen eine zentrale Rolle, etwa wenn es heißt, die durch eine andere Migrationspolitik frei werdenden Milliardenbeträge seien in die „Alterssicherung der deutschen Bevölkerung“ zu lenken. Der Politikwissenschaftler Alexander Häusler und der Journalist Rainer Roeser charakterisieren diese Positionen in einer ausführlichen Analyse für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB)[11] als sozialpopulistisch: Unter (extrem) rechten Grundannahmen werden sozial- und wirtschaftspolitische Arbeitnehmer*inneninteressen selektiv in die Programmatik aufgenommen – ohne dabei jedoch allzu konkret zu werden. Die Partei versucht so, neben ihrer im Kern neoliberalen Programmatik („schlanker Staat“) auch für Arbeitnehmer*innen attraktiv zu wirken.

So oder so – Der Kampf um Diskurshoheit bleibt

Es steht außer Frage, dass die AfD nach der Wahl am 24. September neben dem öffentlichen Raum, der Medienwelt und den Landesparlamenten auch noch im Bundestag omnipräsent sein und dort ihre europafeindliche, rassistische, antifeministische und elitenförderne Agenda weiter vorantreiben wird. Schon nach dem erfolgreichen Einzug der Partei in die Landtage war ein Abflauen rechter Protestmobilisierungen auf den Straßen zu beobachten – die Hoffnungen vieler rechter Akteure liegen nun ganz auf der Partei und ihrem Wirken in den Parlamenten. Die neue soziale Bewegung von rechts und die AfD als deren parlamentarischer Arm profitieren dabei wechselseitig. Auch wenn die AfD tatsächlich stärkste Oppositionspartei werden sollte, bleibt fraglich, was sie in ihrer Rolle realpolitisch wird erreichen können. Alle demokratischen Parteien haben jegliche Kooperation mit ihr abgelehnt. Dennoch wird sie die sich nun trotzdem gebenden Möglichkeiten zu nutzen wissen, um über Anträge und Anfragen auch auf bundespolitischer Ebene Stimmung zu machen. Es hat sich aber auch so bereits etwas geändert: der öffentliche Diskurs hat sich maßgeblich durch die rassistische Asyl- und Islamfeindschaft und den Antifeminismus der AfD – inklusive der wahnwitzigen Formen des rassistischen Scheinfeminismus verschärft. Aggressive Diskriminierungen und Anfeindungen sind omnipräsent und wirken geradezu selbstverständlich. Umso notwendiger wird es sein, dieser Normalisierung zu widerstehen, dem Versuch der rechten Diskursverschiebung weiterhin zu widersprechen und dagegen zu argumentieren. Es bleibt umso wichtiger, dem andere Konzepte und eine andere Praxis entgegenzustellen und sich solidarisch zu zeigen mit den von Anfeindungen Betroffenen.

  1.  Auch wenn die AfD nach wie vor versucht, den offenen Bruch zu vermeiden, kann mit Blick auf die bundesweit aussichtsreichen Listenplätze eine Tendenz zum völkisch-nationalistischen Lager festgestellt werden. Das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) kam in einer Analyse der Kandidaturen zu dem Ergebnis, dass insbesondere auf den vorderen Listenplätzen viele Anhänger Höckes und Personen mit Verbindungen in die extreme Rechte zu finden seien. Es sei daher nicht ganz unwahrscheinlich, dass die Rechtsaußen in der AfD-Fraktion des Bundestages die Mehrheit bilden werden.
  2.  Erst eine gute Woche vor der Bundestagswahl kündigte Franziska Schreiber, Vorstandsmitglied der Jungen Alternative (JA) in Sachsen, ihren Austritt aus der AfD an. Bereits Anfang Juli 2017 waren etliche Vorstandsmitglieder der JA Niedersachsen wegen der Wahl des Rechtsaußen Lars Steinke zum JA-Vorsitzenden des dortigen Landesverbands zurückgetreten. In Brandenburg erklärte die ehemalige Vorsitzende der JA Brandenburg ihren Austritt aus der Partei. Im gleichen Zeitraum trat auch die stellvertretende Landesvorsitzende der AfD in Thüringen, Steffi Brönner, aus Protest gegen extrem rechte Tendenzen in ihrem Landesverband von ihrem Posten zurück.
  3.  Kay Nerstheimer war nach Bekanntwerden von rassistischen und schwulenfeindlichen Äußerungen aus der AGH-Fraktion ausgeschlossen worden. Gegen Jannik Brämer wurde ein mittlerweile rechtsverbindliches Ausschlussverfahren angestrengt, nachdem er bei einer Aktion der Identitären vor dem Justizministerium mit dem Auto fast einen Polizisten angefahren und anschließen geflohen war. Weitere Informationen hier.
  4.  Andreas Wild selbst veröffentlichte ein Video, dass Auszüge inklusive seiner rassistischer und schwulenfeindlichen Äußerungen zeigt: hxxps://youtu.be/9t0aHX8L2Og (letzter Zugriff: 19. September 2017)
  5.  Nicolaus Fest in seinen Statements am 12.10.2016: hxxp://nicolaus-fest.de/zum-islam/ (letzter Zugriff: 19.09.2017)
  6.  Nachzulesen im Parlamentsprotokoll eben dieser Sitzung vom 24.11.2016.  (letzter Zugriff: 19.09.2017)
  7.  Nikolaus Fest in einem Statement am 30.06.2017: hxxp://nicolaus-fest.de/tag/ehe-fuer-alle/ (letzter Zugriff: 19.09.2017)
  8.  https://www.welt.de/politik/deutschland/article163446354/AfD-ist-einer-der-wenigen-Garanten-juedischen-Lebens.html (letzter Zugriff: 19.09.2017)
  9.  Zum Antisemitismus in der AfD vgl. Igor Netz: „Antisemitismus der Vernunft“, in: Der rechte Rand, Nummer 167, Juli/August 2017.
  10.  Ein Trachtenverein aus dem Schwarzwald distanzierte sich öffentlich von der AfD und erklärte zudem, dass die Darstellung der Tracht auf dem Plakat etliche Fehler aufweise.
  11.  Vgl. DGB Bundesvorstand (Hrsg.): Die AfD. Auf dem Weg in einen völkisch-autoritären Populismus. Eine Zwischenbilanz vor der Bundestagswahl, Berlin 2017. Die Broschüre sei für eine ausführliche Analyse des Bundesprogramms der AfD ausdrücklich empfohlen und kann hier heruntergeladen werden.
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