23. Juli 1994Neonazimord mit Frauen*hass als Motiv

Faksimile Berliner Zeitung vom 28. Juli 1994

Am 23. Juli 1994 wurde Beate Fischer (damals 32 Jahre alt) aus Weißensee von vier Neonazis getötet und nackt, in eine Decke eingewickelt, vor die Mülltonnen eines Hauses in der Emmentaler Straße 97 in Berlin-Reinickendorf gelegt. Nicht nur in diesem Fall sind Misogynie und Hass gegen Sexarbeiter*innen fester Bestandteil innerhalb der Ungleichwertigkeitsideologie der extremen Rechten.

In den letzten zwei Jahrzehnten sind mehrere Fälle bekannt, die auf die Zusammenhänge zwischen einer extrem rechten Ideologie und Frauen*hass (in Verbindung mit Sexarbeit) verweisen. Der nicht lang zurückliegende Prozess gegen zwei Neonazis der „Nationalen Sozialisten Rhein-Main“ vor dem Landgericht Frankfurt (Main) im Frühjahr 2016 kann an dieser Stelle genannt werden. Hier hatten die Neonazis 2015 eine Sexarbeiterin unter falschen Versprechungen in die Wohnung eines der beiden Täter gelockt, sie misshandelt und vergewaltigt. Einem der beiden Neonazis wurden weitere Fälle von (versuchter) Vergewaltigung von Sexarbeiterinnen zur Last gelegt.

Am 23. Juli jährt sich außerdem der Jahrestag des Mordes an Beate Fischer durch Neonazis, als ein brutales Beispiel dieser Kontinuitäten. Sie war den Tätern zunächst freiwillig in die Wohnung von Heiko B., ebenfalls Neonazi und Bekannter der vier Angeklagten, gefolgt. Nachdem sie misshandelt wurde, wollte sie gehen, wurde jedoch durch die Neonazis daran gehindert. Daraufhin vergewaltigten sie die Sexarbeiterin mehrfach und erdrosselten sie anschließend. Als letzte Erniedrigung wurde sie am nächsten Tag mit Spuren von Fesseln und Gewaltanwendung in den Hof gelegt.

Die besagte Wohnung war den Ermittler*innen als Neonazi-Treff bekannt, so dass Ermittlungen in die rechte Szene unternommen wurden. Auch Beate Fischer wurde nach ersten Erkenntnissen zunächst fälschlicherweise der rechten „Skinheadszene“ zugeordnet. Oliver P. und Mirko D.  gestanden, an der Ermordung von Beate Fischer beteiligt gewesen zu sein. Daraufhin wurde am 26. Juli 1994 auch der damals 22-jährige Matthias F. aus Reinickendorf festgenommen. Nach dem zum Zeitpunkt 18-jährigen Dirk G. wurde gefahndet. Das Landgericht Berlin verhängte eine lebenslange Haftstrafe für den Haupttäter und neun bzw. zehn Jahre Jugendstrafe für die drei Mittäter. Beate Fischer hinterließ Ehemann und zwei Kinder im Alter von damals vier und sechs Jahren.

Die Zusammenhänge zwischen extrem rechter Ideologie und tödlicher Misogynie wurden in diesem Fall durch das Gericht thematisiert. In der mündlichen Urteilsbegründung äußerte der Richter, die Neonazis hätten „nach ihrer Wolfsmoral Sex als die Bühne ihrer Macht benutzt“. Dennoch findet Frauen*hass bei der rückwirkenden Prüfung von Tötungsdelikten mit mutmaßlich extrem rechten Hintergrund durch das BKA weiterhin mangelnde Beachtung.[1] Beate Fischer ist bis heute nicht als Todesopfer rechter Gewalt staatlich anerkannt. In einer Stellungnahme des Berliner Innensenators von 2011 heißt es: „Letztendlich einigten sich die Täter, ihr Opfer zu töten, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Es handelt sich insofern nicht um eine Tat des Phänomenbereiches PMK -rechts [PMK – Politisch motivierte Kriminalität, Anm. der Redaktion]“.[2]

Aktualisierung: Im Mai 2018 veröffentlichten Wissenschaftler*innen des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin eine umfassende Untersuchung der Fälle von Todesopfern rechter Gewalt zwischen 1990 und 2008 in Berlin, aufgrund derer Beate Fischer nachträglich als Todesopfer rechter Gewalt staatlich anerkannt wurde. Diese enthält diverse Schilderungen der untersuchten Gewaltverbrechen. Die Wissenschaftler*innen kommen zu dem Schluss: „Mit der Zugehörigkeit zur rechtsextremen Szene entwickelten die Täter eine habitualisierte Gewaltbereitschaft („Wolfsmoral“), die eine wesentliche Bedingung für die Tat darstellt.“

Es handele sich hier zwar nicht um eine Straftat im bisherigen Sinn der PMK-rechts-Kriterien von 2015. Diese gelte es jedoch zu erweitern, so die Empfehlung der Autor*innen. Die Studie stellt diesbezüglich eine Erweiterung vor, wonach auch „Gruppentaten gewalthabitualisierter Täter aus rechtsextremen Gewaltmilieus“ zu berücksichtigen seien. Unter „Habitualisierung von Gewalt“ verstehen die Wissenschaftler*innen, „dass die betreffenden Personen aufgrund einer längeren Zugehörigkeit zu rechtsextremen Gewaltmilieus die Kommunikation von Feindbildern und die Praxis von Gewalttätigkeit als normalen Verhaltensstandard internalisiert haben“. Daher schlagen sie vor, „solche Tötungsdelikte als politisch rechte Delikte zu klassifizieren, die auf Gruppensituationen zurückgehen und bei denen die Gruppenangehörigen zu rechtsextremen Gewaltmilieus gehören.“ Für eine Aufnahme von Frauen*hass als Motiv im Sinne der PMK plädiert die Studie hingegen nicht.

2018, 2019, 2020 und 2021 gedachten Aktivist*innen Beate Fischer. Sie demonstrierten gegen Frauen*hass und setzten sich für die Rechte von Sexarbeiter*innen ein.

Faksimile Tagesspiegel vom 28. Juli 1994
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