Fragwürdiges Jahn-Gedenken mit deutschnationalem Einschlag
Die Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Dr. Franziska Giffey (SPD) bei ihrem Grußwort an die Gäste der Jahn-Feier. Im Hintergrund zum Teil in vollem Wichs: Mitglieder des Wiener Akademischen Turnvereins (WATV), einem Mitgliedsbund des rechten Wiener Korporationsrings (WKR) © Kilian Behrens / apabiz
Die amtierende Bezirksbürgermeisterin, Franziska Giffey (SPD), sprach auf der Feier ein kurzes Geleitwort, in dem sie Jahn als „umstritten“ bezeichnete, aber auf die aktuelle Internationalität der Turnbewegung abhob. Während auch der derzeitige Präsident des DTB, Alfons Hölzl, sich in seinem Grußwort im Ungefähren bewegte, versuchte sich der einzige Festredner Rainer Brechtken (SPD), Ehrenpräsident des DTB, immerhin daran, die positiven und die negativen Seiten von „Turnvater Jahn“ zu benennen[1]; die DTB-Position zu Jahn bezeichnete Brechtken als „dankbar, sachlich und kritisch“.
Im Gegensatz dazu stand der deutschnationale Rückgriff des WATV-Sprechers, der den Begründer der Turnerbewegung völlig unkritisch bewunderte und ihm „seinen Gruß den er uns gegeben hat zurück [gab]: Gut Heil“.
Er äußerte unter anderem:
„Freiheit ist so ein zentraler Begriff, der so oft verwendet wird, aber leider sehr oft missverstanden wird. Freiheit wie er oft heute verstanden wird heißt ohne Regeln, völlig ohne Grenzen, ohne Verantwortungsgefühl, ohne vor irgendwem Rechtschaffenheit ablegen zu müssen (sic!), seine Welt zu bestehen. Dies geht aber nur, wenn man sich völlig von jeder Gemeinschaft abschottet. Sowas ist aber nicht natürlich, geht wider die menschliche Natur. Und so ist nur der wirklich frei, der sich eben so einer wie unserer Gemeinschaft anschließt und freiwillig diese Pflichten und diese Mühen auf sich nimmt um an größeren Dingen zu wirken, größere Ziele, die er selbst nicht erreichen kann, zu erreichen.“
Erster Sprecher des WATV am 7. Juni 2017
Insgesamt stellt sich die Frage, warum der DTB und die Jahn-Gesellschaft es überhaupt für ratsam hielten, sowohl bei der Inszenierung als auch bei der Durchführung der Gedenkfeier vor rund 120 Personen ausgerechnet auf die Mitwirkung des WATV zurück zu greifen. Schließlich repräsentiert der WATV genau jenen Teil der „Turnerbewegung“, der zu Recht in der Kritik steht, mit dem Gedenken an Jahn vor allem reaktionäre, deutschnationale und männerbündische Traditionsbestände anzusprechen, von denen man das Jahn-Gedenken doch angeblich frei machen möchte.
Bereits im Vorfeld hatte es eine kritische Berichterstattung über die Beteiligung des WATV gegeben, der eine zumindest deutschnationale Ausrichtung hat. Im Berliner Tagesspiegel bezeichnete Andreas Peham vom Wiener „Dokumentationsarchiv Österreichischer Widerstand“ den WATV “als Scharnierorganisation zwischen strengem Konservatismus und Rechtsextremismus“[2]. Der WATV ist Mitglied im Wiener Korporationsring (WKR), dessen WKR-Ball in der Vergangenheit berüchtigtes jährliches Highlight der europäischen Rechtsaußen-Prominenz war.
In der Vornacht der Jahn-Feier hatte es einen Farbanschlag auf das Jahn-Denkmal und damit auch auf die neue Gedenktafel des WATV gegeben, dessen Spuren nur mühsam beseitigt waren. Die Schrift auf der WATV-Tafel war offenbar als Folge der Reinigung nur noch schemenhaft zu erkennen.