„Mein Name ist Jürgen Elsässer, ich bin Deutscher und ich werde nicht zulassen, dass Deutschland vor die Hunde geht.“ Wie immer schweigt Elsässer nach seiner Begrüßung, den Beifall majestätisch abwartend. Dieser folgt auch prompt. Es ist ein vornehmlich gut gebildetes Publikum, eher älteren Semesters, das sich an diesem verregneten Novembersamstag und ungeachtet der antifaschistischen Proteste vor der Tür zur jährlichen „Compact-Konferenz“ im Berliner Halong-Hotel versammelt hat. Neben Elsässer – als Chefredakteur von „Compact“ – sprechen an diesem 5. November der Fraktionsvorsitzende der „Alternative für Deutschland“ (AfD) im sachsen-anhaltischen Landtag André Poggenburg, Lutz Bachmann (PEGIDA), Karl Albrecht Schachtschneider („Studienzentrum Weikersheim“, „Ein Prozent“), der Schweizer Politiker Oskar Freysinger („Schweizerische Volkspartei“) und Martin Sellner von der „Identitären Bewegung Österreich“. Die Rednerliste verdeutlicht, dass hier erfolgreich an einem Netzwerk gestrickt wird, welches nicht nur über Deutschland hinausgeht, sondern auch die verschiedenen Ebenen vereint, die von den rechten AkteurInnen als zentrale Elemente ihres „Widerstands“ begriffen werden: die Parlamente, die Mobilisierung auf der Straße und der symbolgeladene Aktivismus der „Identitären Bewegung“. Dieses bringt Sellner zum Abschluss der Veranstaltung auf den Punkt, in dem er die feststellt: „ohne eine patriotische Zivilgesellschaft wird eine patriotische Regierung nichts erreichen.“
„Sanfter Totalitarismus“ des „antivölkischen Beobachters“
Ursprünglich war die Tagung unter dem Motto „Für ein Europa der Vaterländer – Gegen Islamisierung und Fremdherrschaft“ vorgesehen, doch der Betreiber der zunächst in Köln angemieteten Räumlichkeiten sagte dem „Compact-Magazin“ nach antifaschistischer Intervention ab. Als Resultat wurde die Konferenz nicht nur nach Berlin verlegt, sondern auch das Motto in „Offensive zur Rettung der Meinungsfreiheit“ verändert. Und so fabuliert Freysinger, Staatsrat im Kanton Wallis, von einer „Meinungsdiktatur“ und André Poggenburg, als Abgeordneter und Vertreter einer Partei, die seit Monaten auf sämtlichen Podien und in diversen Presseerzeugnissen zu Wort kommt, moniert eine starke Einschränkung des Rechts auf Meinungsfreiheit in Deutschland. Die Stoßrichtung ist bekannt – Opferrolle vorwärts. Martin Sellner wähnt sich sogar im „geistigen GULAG“ einer „volksfeindlichen Meinungselite“.
Diese Lesart, den Widerspruch gegen die rassistische Stimmungsmache als Wiederkehr des Faschismus zu deuten, wurde auf dem Cover von „Compact“ schon mehrfach visualisiert. Elsässer wird in seiner Eröffnungsrede deutlich: Die BILD-Zeitung sei der „antivölkische Beobachter“ und Heiko Maas der „Reichsjustizminister“ – die „Gleichschaltung“ der Presse längst vollzogen. Es ist der Widerspruch, den die Rechten nicht ertragen können und den sie als „politische Vorverurteilung“ (Poggenburg), „sanften Totalitarismus“ (Sellner) oder „Gehirnwäsche“ (Schachtschneider) brandmarken. Wenn auch implizit, das Thema Einwanderungspolitik bleibt der zentrale Gradmesser. Der Staatsrechtler Schachtschneider behauptet einmal mehr, die Öffnung der Grenzen im Sommer 2015 sei ein Verfassungsbruch gewesen, der nach wie vor anhalte, da alle Geflüchteten illegal einreisten. Eine entsprechende Verfassungsbeschwerde, die er Anfang 2016 zusammen mit der „Ein Prozent“-Initiative an das Bundesverfassungsgericht gerichtet hatte, wurde ohne Begründung abgelehnt. Das werde dem Bundesverfassungsgericht noch Leid tun, ist sich Schachtschneider sicher. Dass das „Merkel-Regime“ weg müsse, ist Mindestforderung an diesem Nachmittag. Nicht nur Lutz Bachmann geht weiter, indem er die Parole „Merkel muss weg“ als unzureichend erklärt, da alle „Mittäter“ seien. Auch der Brandenburger AfD-Abgeordnete Franz Wiese moniert am Rande gegenüber Compact TV Merkels vermeintliche „Hörigkeit gegenüber anderen Mächten“, dass sie „Invasoren mittels Gesetzesbruch“ ins Land lasse und fordert: „Diese sogenannten Altparteien, eigentlich müssten die jetzt weg. Es müsste jetzt ganz was neues kommen.“
Antigone gegen Kreon
Nur wenige Reden gehen über die kollektive Opferinszenierung und den Aufruf, als „Patrioten“ zusammen zu halten hinaus. Insbesondere Freysinger zeichnet ein lebhaftes Bild einer rechten Vision, die allerdings wie üblich nicht in ihrer Utopie, sondern nur in ihrer Apokalyptik deutlich wird. Vor dem Hintergrund der griechischen Tragödie und der widerstreitenden Prinzipien von Antigone und ihrem Vater Kreon sieht Freysinger die USA als „pubertäre, jugendliche und dynamische Gegenwelt“ zur europäischen Zivilisation. „Für die ungeschriebenen ehernen Gesetze Antigones und Goethes hat die materialistisch verseuchte US-Elite weder time noch money.“ Europa drohe durch die „unseelige Dekadenzspirale“ und die Unterordnung unter die USA der Untergang. Die Bürger sollen „zu gefügigen Instrumenten einer brave new world werden, in der sie sich kollektiv als Individuum auflösen.“ Das ist das alte neurechte Denken par excellence: Verlust der europäischen Werte, Auflösung von Identitäten (Gott, Volk, Nation), Dekadenz, Konsumismus und Apokalypse. Trotzdem wird die Präsidentschaft von Donald Trump als wichtiger Impulsgeber für die Rechte in Europa gesehen. Denn dann werden „alle Verräter in unsere Politik, in unserer Regierung, in unserem Parlament die bisher auf die USA orientiert waren, die haben plötzlich keine Führungsfigur mehr“ so Elsässer.
Auch wenn es Elsässer gelungen ist, unterschiedliche Vertreter der Rechten zusammenzubringen, ist die von „Compact“ zärtlich gepflegte Verschwörungsideologie als zentrale Klammer mitunter auch Bumerang. Neben viel Applaus in den Kommentarspalten rechter Medien gibt es auch Zweifel an Elsässers Kurs. So kommentiert ein User unter dem Artikel zur Konferenz auf „PI-News“: „Er schafft es den Spieß umzudrehen, dass das Problem hierzulande nicht die Linksversiffung und der Islam ist, sondern mal wieder der „Universal Sündenbock Amerika“ (USA). Und damit ist er voll auf Moslem-Linie.“