Graue Wölfe im Schafspelz – UltranationalistInnen mit Migrationshintergrund

Immer stärker werden in Berlin linke Gruppen unterschiedlichster Herkunft, jedoch hauptsächlich kurdische und türkische Linke, von türkischen NeofaschistInnen in ihrer Arbeit und bei eigenen Demonstrationen behindert. Insbesondere das Kottbusser Tor wird immer wieder zum Schauplatz türkischer ultranationalistischer Aufmärsche. Hauptakteur sind die Grauen Wölfe, die als Vorfeldorganisation der im türkischen Parlament vertretenen neofaschistischen MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung) gelten. Vor allem nach Fußballspielen ziehen sie mit ihren Flaggen und Parolen über den Kottbusser Damm durch die Adalbert- und Oranienstrasse.

 

Rechtsextreme Strukturen der Grauen Wölfe in Berlin

In Berlin arbeiten die Grauen Wölfe verdeckt in Vereinen, die unter anderem vom Berliner Senat gefördert werden. Darunter sind scheinbar harmlose Eltern-, Schüle­rInnen- und StudentInnenvereine. Auch Sport-, Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie Beratungsstellen und Moscheen werden häufig als Orte der Begegnung und zur Mobilisierung genutzt. Nur wenige davon sind öffentlich als Treffpunkte der Grauen Wölfe bekannt. Eine Ausnahme ist die Kreuzberger Ertugrul Gazi Moschee: Unter dem Namen Berlin Türk Ülkü Ocaği bildet sie die Berliner Zentrale der Türkischen Föderation, dem Dachverband der Ülkücü-Vereine (Idealisten-Vereine) in Deutschland, der gleichzeitig die Auslandsorganisation der Türkischen Partei MHP (Milliyetçi Hareket Partisi) ist.

Im Fokus der zahlreichen Vereine stehen die finanzielle Absicherung der Strukturen und die Rekrutierung von neuen, insbesondere jungen – meist männlichen – Mitgliedern. Diese werden zum Teil mit verlockenden Freizeitaktivitäten und Nachhilfeangeboten angesprochen und durch gut organisierte Mitglieder an Schulen und Universitäten der neofaschistischen Ideologie näher gebracht.

Die Ideologie der Grauen Wölfe verfolgt das Ziel ein großtürkisches Reich zu schaffen. Hierbei sehen Sie das Türkentum und den Islam als die einzig wahre Identität, die zur Weltherrschaft legitimiert sei. Sie bezeichnen sich selbst als IdealistInnen und in ihrem Eid bringen sie eine ungebrochene Kampfbereitschaft zum Ausdruck. Zum Feindbild gehören dabei JüdInnen, ChristInnen, AlevitInnen, ArmenierInnen, GriechInnen, KurdInnen, KommunistInnen und ImperialistInnen.

Die Ideologie der Grauen Wölfe spricht sowohl die religiösen als auch die säkularen NationalistInnen an. Sie ist ein Amalgam von osmanisch-imperialistischen Ansprüchen und dem nationalistischen Gedankengut Atatürks, dem Begründer der Türkischen Republik. Im Osmanischen Reich war der Islam die verbindende Identität. Erst der Zerfall des Osmanischen Reiches stärkte die nationalen Bewegungen. Mit der Gründung der Türkischen Republik 1923 wurde die türkische Identität zum Schutz der Nation gestärkt und der Islam zurückgedrängt. Dies änderte sich in den 1960er Jahren, als eine neue Bewegung die Ideologie eines mächtigen Türkentums mit dem Islam erneut verschmolz. Aus dieser Bewegung bildeten sich die MHP und die heutigen Grauen Wölfe.

Politische Situation in der Türkei

Das Jahr 2015 war in der Türkei vor allem durch zwei innerhalb von fünf Monaten stattfindenden Parlamentswahlen geprägt. Bei den Wahlen am 6. Juni musste die regierende AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) durch den Erfolg der prokurdischen HDP (Demokratische Partei der Völker) deutliche Verluste hinnehmen. Die AKP sank von 49,9% (2011) auf 40,9% . Das neue Linksbündnis der HDP konnte mit 13,1% sowohl die unverhältnismäßige 10% Hürde überwinden, als auch eine für die gewünschte Verfassungsänderung nötige 2/3 Mehrheit der AKP verhindern. Die AKP ließ daraufhin die Koalitionsgespräche bewusst scheitern, woraufhin Neuwahlen für den 1. November festgelegt wurden.

Um die HDP zu schwächen, begann daraufhin eine Hetzkampagne, die zu pogromartigen Übergriffen von UltranationalistInnen und FaschistInnen, wie den Grauen Wölfen führte, die aber auch von staatlichen Akteuren mitgetragen wurden. Ziele waren Andersdenkende, vorrangig KurdInnen und AlevitInnen. Zwischen den beiden Wahltagen fand in Ankara am 10. Oktober 2015 ein Bombenanschlag auf einer von der HDP mit initiierten Wahlveranstaltung statt, der mehr als 107 Personen das Leben kostete. Nach dem ersten Wahlgang wurden die direkten Verhandlungen mit Abdullah Öcalan und der HDP für einen Friedensprozess beendet.

Seitdem wurden Ausgangssperren verhängt und es herrschten bürgerkriegsähnliche Situationen in Sur, Cizre und Nusaybin. Bei dem zweiten Wahldurchgang im November erlangte die AKP wieder eine Mehrheit mit 49,5%, die HDP kam lediglich auf 10,75%. Die Anschläge gingen weiter: Bei einer Kundgebung in Diyarbakir wurde der kurdische Anwalt und Menschenrechtler Tahir Elçi vor den Augen vieler Menschen erschossen. In Folge der Anschlagserie und der Unruhen in der Türkei kam es auch in Europa zu Aktionen von türkisch-nationalistischen und faschistischen Kräften, unter anderem in Berlin.

Übergriffe in Berlin 2015

In Berlin kam es zu mehreren Angriffen. Im Oktober wurde ein Brandanschlag auf ein HDP-Büro in Kreuzberg verübt. Es folgten weitere Versuche in die Räumlichkeiten einzudringen. Im Dezember wurde schließlich die gesamte Inneneinrichtung des Büros demoliert und die Wände mit türkisch-nationalistischen Zeichen verunstaltet. Doch schon seit Juli störten die Anhänger der Grauen Wölfe regelmäßig Demonstrationen für Frieden und Menschenrechte sowie gegen Repressionen an JournalistInnen und der Presse in der Türkei. Die friedlichen DemonstrantInnen wurden mit dem sogenannten „Graue-Wölfe-Handzeichen“, sowie mit nationalistischen Flaggen und Slogans provoziert. Außerdem wurden Flaschen und Steine geworfen. Auch die Infostände der HDP, die im Rahmen der Wahlkampfaktionen für die neuen Parlamentswahlen im November 2015 an verschiedenen Orten in Berlin aufgebaut wurden, waren Ziele von Angriffen. Im September eskalierte einer dieser Angriffe am Kottbusser Tor. Im Anschluss einer Demonstration der türkischen NeofaschistInnen in Kreuzberg wurde der Stand der HDP von mehreren Jugendlichen angegriffen. Als sie merkten, dass der Stand von linken GenossInnen und kurdischen Jugendlichen beschützt wurde, warfen sie aus sicherer Distanz Flaschen und Steine. Nach Aussagen der AktivistInnen am HDP-Infostand wurden diese Angriffe von zwei älteren Herren koordiniert, die alles aus unmittelbarer Nähe beobachteten und per Telefon eine kleine Gruppe jugendlicher NeofaschistInnen zur Provokation der linken Gruppen bewegten.

Um Angriffe zu erschweren, verzichtete die HDP schließlich darauf, ihre Wahlkampfaktionen öffentlich anzukündigen. Dennoch kam es beim Verteilen von Flyern und an den Infoständen weiterhin häufig zu Pöbeleien und Handgreiflichkeiten. Hinzu kamen Drohungen per SMS, E-Mail und über die sozialen Medien. Diese rassistischen und nationalistischen Übergriffe wurden in der gesamten zweiten Jahreshälfte fortgesetzt. Zielscheibe waren neben der HDP und ihren SympathisantInnen vor allem kurdische und alevitische Personen.

Die Zusammenarbeit mit den Behörden hat sich zwar in der letzten Zeit ein wenig gebessert und mittlerweile gibt es einen besseren Schutz vor türkischen NationalistInnen. Dennoch halten sich die Behörden weiterhin zurück, wenn es um das Aufdecken von politisch motivierten Straftaten der Grauen Wölfe, wie beispielsweise die Angriffe auf das Berliner HDP-Büro geht. Die kurdische Freiheitsbewegung ist durch die Kriminalisierung und das PKK-Verbot immer im Nachteil. Während AktivistInnen bei der Nutzung einiger Flaggen und Bilder festgenommen werden und ein Gerichtsverfahren auferlegt bekommen, können die Grauen Wölfe ihre Symbole und volksverhetzenden Parolen beispielsweise auf Transparenten problemlos nach außen tragen.

Gegenstrategien

Bis heute sind die unternommenen Anstrengungen, gegen die Grauen Wölfe vorzugehen höchst unwirksam gewesen. Mehr noch, eine effektive oder umfassende Strategie zum Umgang mit den Grauen Wölfen ist nicht vorhanden. Ausschlaggebend dafür ist das alleinige Engagement von türkischen und kurdischen Linken, ohne Hilfe von außen. Das Thema wird lediglich auf interner Ebene eines kurdisch-türkischen Konflikts ausgetragen. Die Unterstützung deutscher linker Gruppen stellt sich bisher problematisch dar. Einerseits wird sie schnell als ein Einmischen in innere Angelegenheiten abgestempelt. Andererseits gibt es auf Seiten von deutschen linken Gruppen zum Teil Berührungsängste mit dem Thema.

Um handlungsfähiger zu werden bräuchte es ein breites Bündnis von AntifaschistInnen und linken Gruppen verschiedenster Herkunft. Ein solches Bündnis hätte dann auch mehr Kraft, das Thema stärker in die Öffentlichkeit zu tragen. Ein kollektives Ziel dieses Netzwerkes könnte der internationale Kampf gegen Nationalismus und Faschismus jeglicher Herkunft sein. Der Einsatz gegen die Grauen Wölfe wäre so eine gemeinsame Etappe. Im Idealfall müsste ein Verbotsverfahren gegen die Grauen Wölfe angestrebt werden, um den Nachweis zu führen, dass ihr Vorgehen gewalttätig und kriminell ist. Ein gemeinsames Bündnis gegen türkischen Nationalismus und Neofaschismus sollte Vereine entlarven, ihre Finanzquellen abschneiden und regelmäßig über ihre Aktivitäten informieren, um sich gegen diese organisieren zu können. Gegendemonstrationen könnten so besser organisiert werden, wenn nationalistische Gruppen, ob gemäßigt oder ultranationalistisch, ihre Ideologien auf Berliner Straßen tragen. Eine weitreichende öffentliche Boykottaktion von Gastronomie und Einzelhandel, die türkische NeofaschistInnen unterstützen, wäre eine weitere Möglichkeit, um sie finanziell zu schwächen. Hierfür müsste dieses Bündnis recherchieren und eine Auflistung dieser Läden vornehmen und jedem zugänglich machen. Für uns ist klar, dass der Kampf gegen Neofaschismus und Nationalismus ein internationaler ist, der auch gemeinsam geführt werden muss.

 

Die HDK Berlin (Halkların Demokratik Kongresi Berlin – Kongress der Demokratischen Völker in Berlin) vereint linke Gruppen und Organisationen zu einer basisdemokratischen sozialen Bewegung, und ging aus der HDP Berlin (Halkların Demokratik Platformu Berlin – Plattform der Demokratischen Völker in Berlin) hervor, die bis November 2015 die HDP bei den Parlamentswahlen in der Türkei unterstützte.

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