Mit der Faschismuskeule gegen die Umvolkung

In der sich seit etwa einem Jahr formierenden völkischen sozialen Bewegung wird ein zentraler Widerspruch immer deutlicher: Während auf der einen Seite der Nationalsozialismus zunehmend als Legitimationsideologie für das eigene politische Handeln herhalten muss, halten auf der anderen Seite immer mehr Begriffe aus dem Repertoire des Nationalsozialismus bzw. völkisch-nationalistischer Vordenker der Weimarer Republik Einzug in den extrem rechten Diskurs.

 
„Herbstoffensive“ der AfD in Berlin, 31. September 2015 © apabiz

»Nazis raus« hallt es mittlerweile regelmäßig auf Berlins Straßen. Seit Anfang 2015 trifft sich jeden Montagabend das Bärgida-Bündnis zur Kundgebung am Hauptbahnhof, um anschließend an verschiedenen Orten der Stadt zu demonstrieren. Immer wieder wird der Aufmarsch von Protestierenden begleitet und immer öfter ist zu beobachten, dass die Teilnehmenden von Bärgida in die »Nazis raus-Rufe« einstimmen und ihrerseits die Gegendemonstrant_innen als Nazis titulieren. Eine Besonderheit von Bärgida? Mitnichten. Gleiches war auch bei der Demonstration der AfD zur »Herbstoffensive« am 7. November zu beobachten.

Merkel in der Wolfsschanze

Einer, der gerne mal den Nazi-Vergleich bemüht, ist Jürgen Elsässer. Auf seiner Rede anlässlich der Vierten Compact-Konferenz am 24. Oktober in Berlin erklärte er hinsichtlich der Politik Angela Merkels: »Und manches erinnert auf fatale Weise an die Anfangsjahre der Nazidiktatur, wobei sie ja, anders als der Adolf, nicht für Nationalsozialismus steht, sondern für Anti-Nationalsozialismus. Das heißt, die Reichtümer Deutschlands sollen an die Armen auf der ganzen Welt verschleudert werden. Aber die Haltung zu Recht und Gesetz und Grundgesetz oder Verfassung ist dieselbe wie damals.« Merkel sei, so Elsässer weiter, aufgrund des Versagens des »schwachen Liberalismus« wie »der Führer« zu einem autoritären Führungsstil übergegangen und habe richtungsweisende Entscheidungen allein getroffen, »als säße sie auf dem Obersalzberg, in der Wolfsschanze oder im Führerbunker«.

Auch bei Bärgida wird die »Faschismuskeule« des öfteren geschwungen, etwa wenn Mitorganisator Mario zwei Tage nach dem Angriff auf die Kommunalpolitikerin Henriette Reker in Köln fabuliert: »Ganz vorne dabei übrigens ein gewisser Heiko Maas. Über den habe ich in Facebook letztens gelesen, der Goebbels war ein Waisenknabe gegen diesen Hassprediger. Naja, gewisse körperliche Ähnlichkeiten kann ich mit gutem Gewissen nicht abstreiten. Kein Wunder, dass diese intellektuell halbe Portion die Meinungsfreiheit abschaffen möchte. Niemand, der bei ihrer Einschränkung der Meinungsfreiheit mitmacht, kann sich vor der Verantwortung freimachen, für die Taten, die diese Hetze inspiriert. Sie Herr Maas sind der wahre Hassprediger, Sie sind ein Brandstifter, Sie sind ein Volksverhetzer. Aber wenn ich heutzutage das Wort Politiker höre, geht mir inzwischen das Messer in der Tasche auf.«[1]

In der Politik- und Geschichtswissenschaft ist bereits seit Jahren von einer Universalisierung des Holocaust die Rede. Nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten westlichen Moderne hat sich die Shoa zu einem negativem Gründungsmythos entwickelt, sie gilt als moralischer Imperativ schlechthin. Die Forderung nach einem Schlussstrich unter die Geschichte des Nationalsozialismus ist mittlerweile nur noch von wenigen politischen Hardlinern zu hören, die NS-Geschichte ist inzwischen aus dem deutschen Selbstbewusstsein nicht mehr wegzudenken. In der Debatte prägend war die Aussage des ehemaligen Außenministers Joschka Fischer, mit der 1999 der Einsatz der NATO-Truppen im damaligen Jugoslawien legitimiert werden sollte (»Nicht trotz, sondern wegen Auschwitz«). Mit dem Verweis, ein neues Auschwitz verhindern zu wollen, wurde Auschwitz zur Legitimationsideologie für politisches Handeln in der Gegenwart, auch für die extreme Rechte.

»Wir klagen diese Verbrecher wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit an«

Bei all diesen Vergleichen der aktuellen Politik mit der späten Weimarer Republik oder der Zeit des Nationalsozialismus wundert es nicht, dass auch der Begriff des Widerstandes im rechten Diskurs Konjunktur hat. In der rechten sozialen Bewegung[2], die sich seit mittlerweile rund einem Jahr formiert hat wird auf die Notwendigkeit eines Streiks verwiesen, als letzte Möglichkeit, dem »großen Austausch«[3] (Identitäre Bewegung) Einhalt zu gebieten. Das rechte Rechtsverständnis geht jedoch noch darüber hinaus, etwa wenn Bärgida-Mitorganisator Mario ein »Nürnberg 2.0« einfordert: »Die Deutschlandverräter wollen so schnell wie möglich unumkehrbare Fakten schaffen. Sie wollen mit Hilfe finanzieller globaler Verpflichtungen, siehe EU-Rettungsschirme, mit Hilfe illegaler Massenimmigration, einer Migrationswaffe übrigens, mit Hilfe der Destabilisierung demokratischer Verhältnisse bis zum Bürgerkrieg, das deutsche Volk und die deutsche Nation abschaffen. Sie begehen Verbrechen nach dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch. Wir klagen daher diese Verbrecher der Beihilfe zum Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 6 und 7 des deutschen Völkerstrafgesetzbuches an und verlangen die sofortige Verhaftung dieser Marionetten der neuen Weltordnung und die Überstellung an einen internationalen Strafgerichtshof.«[4] Die Besetzung der Anklagebank ist dabei, wenn auch etwas veraltet, im Internet nachzulesen: Auf der Homepage Nürnberg 2.0 sammelt ein selbst ernanntes Netzwerk demokratischer Widerstand Steckbriefe von ausgemachten »Volksfeinden«. Auch der bereits zitierte Jürgen Elsässer ruft im Compact-Magazin zum Widerstand auf: »Natürlich wird unsere Vasallen-Regierung, die im Dienste der amerikanischen Globalisten steht, keinen Schritt in diese Richtung gehen. Deshalb muss sie gestürzt werden. Handhabe dazu gibt das Grundgesetz in Artikel 20,4: ›Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.‹ Gilt das nicht erst recht, wenn nicht nur die Demokratie, sondern sogar das Volk beseitigt und durch ein anderes ersetzt werden soll?«[5]

Die Fokussierung rechter Akteure auf politische Eliten schlägt dabei in eine Kerbe, die vielversprechend scheint. Seit Jahren werden politische Entwicklungen diskutiert, die gemeinhin als Postdemokratie bezeichnet werden. Als eines der zentralen Merkmale gilt das Misstrauen gegenüber »der Politik“, die die Interessen der Bevölkerung vernachlässige. Dies findet auch Niederschlag in der Einstellungsforschung, wo hohe Zustimmungswerte (~75% der Befragten) zu den verschiedenen Facetten von Demokratiekritik gemessen werden.[6] Während die Linke auf diese Frage bisher keine Antworten gefunden hat, scheint es rechten Akteuren mittlerweile zunehmend zu gelingen, mit dem »Anti-Establishment-Ticket« in Verbindung mit völkisch-nationalistischen Forderungen zu überzeugen.

"Herbstoffensive" der AfD in Berlin, 07. November 2015 © apabiz
„Herbstoffensive“ der AfD in Berlin, 07. November 2015 © apabiz

Vorbürgerkrieg und die »neue deutsche Hitlerjugend«

Die Diskreditierung von Antifaschist_innen als die »Rote SA«, »neue deutsche Hitlerjugend« oder »rot lackierte Faschisten« wurde bereits zu Beginn der 1930er Jahre von Seiten der Sozialdemokratie zur Diffamierung von Kommunisten verwendet. Auch heute sind die Begriffe im Zuge der Extremismustheorie en vogue. Erinnert sei an den ehemaligen Berliner Innensenator Körting, der 2009 aufgrund linker Gewalt von »rotlackierten Faschisten« sprach. In der extremen Rechten wird der politische Gegner vielfach als Handlanger der politischen Elite gesehen, um einer Destabilisierung Vorschub zu leisten. In dieser Situation des »Vorbürgerkrieges« müssten Vorbereitungen getroffen werden. So fordert Bärgida-Mitorganisator Mario am 27. Juli: »Aber Freunde, ganz sicher wird es bis dahin ziemlich blutig. Ich empfehle daher dringend, Leute, vernetzt euch! Bildet jetzt schon Nachbarschaftsgemeinschaften, Stammtische, kleinere Gruppen, die sich im Ernstfall gegenseitig helfen können. (…) Genug Terroristen hat der IS, Boko Haram, Al Quaida usw. in ganz Europa ja schon eingeschleust. (…) Bitte organisiert euch und plant im Notfall jetzt schon die Verteidigung unserer Heimat. Es ist eine Minute vor zwölf.« Thorsten Weiß von der Jungen Alternative Berlin (JA) sprach auf einer Kundgebung der AfD am 31. Oktober 2015 in Berlin von einer »Vernichtung unserer Heimat«: »Wir sehen mit wachen Augen, dass diese, unsere Heimat, von einer realitätsfremden, volksfeindlichen und überheblichen Politikerkaste mit Vollgas gegen die Wand gefahren wird. Diese Vernichtung ist von uns nicht gewollt. Wir lehnen sie ab und wir werden uns mit aller Macht gegen sie zur Wehr setzen. (…) Im Namen der Jugend fordere ich deshalb: Schützt unsere Zukunft. Rettet unsere Heimat.«

Diese Untergangszenarien gehen auf eine lange Tradition des apokalyptischen Denkens der Neuen Rechten zurück, auf die sogenannte »Konservative Revolution« der Weimarer Republik. Dieser höchst umstrittene Begriff umfasst jedoch weder eine einheitliche politische Strömung noch eine kohärente Ideologie, sondern dient bis heute vielmehr als Selbstbezeichnung, die für die ideologischen Nachfolger innerhalb der Neuen Rechten die Funktion innehat, eine geistige Eigenständigkeit und damit Trennung der Ideen der Konservativen Revolution von der NS-Ideologie zu behaupten. Das apokalyptische Denken ist jedoch in allen ideologischen Strömungen der extremen Rechten präsent und kann daher als bindendes Element angesehen werden. Ein Beispiel dafür ist die von Götz Kubitschek (Sezession) geprägte Formel des »Vorbürgerkrieges«. Der Begriff imaginiert einen für das »deutsche Volk« durch die Zuwanderungspolitik bedrohlichen Zustand, der letztendlich irgendwann in einen Bürgerkrieg führen werde, insofern nichts dagegen unternommen wird.[7]

Die völkische Bewegung beim Wort nehmen

Dass auch zentrale Figuren der AfD nicht vor einer Verwendung völkisch-nationalistischer Begriffe zurückschrecken, bewies jüngst Alexander Gauland. Anlässlich einer linken Kundgebung in Frankfurt/Oder echauffierte er sich über ein Transparent mit der Aufschrift »We love Volkstod« und konstatierte, dass die Linkspartei nun »die von ihr schon lange herbeigesehnte ‘Umvolkung’ Deutschlands« eingeleitet habe. Der Begriff »Umvolkung« stammt aus der Rhetorik der sogenannten »Deutschtumsverbände« aus der Zeit der Weimarer Republik. Mit der Besetzung Polens 1939 stand »Umvolkung« u.a. für die »(Wieder-)eindeutschung geeigneter Personen«. Nach 1945 zunächst weitgehend in Vergessenheit geraten wurde der Begriff schließlich u.a. durch den FPÖ-Politiker Andreas Mölzer erneut populär.8 Im Gegensatz zu anderen Begrifflichkeiten verknüpft der Begriff »Umvolkung« den extrem rechten Diskurs gegen Einwanderung mit einer dezidierten Anti-Establishment-Rhetorik. So hieß es 2009 in einem Artikel der neurechten Zeitschrift Blaue Narzisse: »Dem Begriff ‘Überfremdung’ wohnt ein eher passives Hinnehmen der Landnahme fremder Völker inne. Hingegen betont das Wort ‘Umvolkung’ die aktive Komplizenschaft der politischen Eliten am Prozess der Überfremdung.«[8]

Sicherlich ist die Verwendung von Begrifflichkeiten aus der Tradition rechten Denkens ebenso wenig neu wie die Opferrhetorik extrem rechter Akteure, die sich durch »Sprachdiktatur« und »Meinungsverbote« unterdrückt sehen. Neu ist jedoch die Massivität, mit der diese Rhetorik nun auch auf der Straße zu hören ist und die Legitimation für eigenes Handeln schaffen soll, sowie das breite Bündnis rechter Akteure, die trotz aller Abgrenzungsbemühungen (etwa von der AfD gegenüber der NPD) nicht über die offensichtlichen politischen Gemeinsamkeiten hinwegtäuschen können. Diese werden nicht zuletzt über die gemeinsamen Denkfiguren deutlich. In der Analyse der rechten Bewegung, die eine plumpe NS-Affirmation schon lange meidet, ist eine genaue Betrachtung der Wortwahl und Denkfiguren für die Auseinandersetzung zentral.

Dieser Artikel erschien zuerst im monitor 72 – Rundbrief des apabiz, Dezember 2015.

 

  1.  Rede bei Bärgida am 19. Oktober 2015.
  2.  Für die Charakterisierung einer sozialen Bewegung sind in der Bewegungsforschung vier Merkmale zentral: 1. Das Ziel, die Gesellschaft zu ändern und einen gesellschaftlichen Wandel aufzuhalten, 2. Protest als Medium (Demonstrationen, Blockaden, Kundgebungen usw.), 3. Netzwerkcharakter (Vielzahl von Akteuren mit einer stabilen organisatorischen Kernen, 4. Kollektive Identität (Lieder, Symbole, Fahnen usw.)
  3.  „Der Große Austausch“ ist eine rassistische Kampagne der Identitären Bewegung gegen eine vermeintlich „von oben“ gesteuerte Einwanderung.
  4.  Artikel 20 Absatz vier des Grundgesetzes bezieht sich auf ein Widerstandsrecht im Falle einer bedrohlichen Situation für die verfassungsgemäße Ordnung Deutschlands. Zitat: Rede auf der Bärgida-Kundgebung in Berlin-Marzahn vom 02.11.2015.
  5.  Compact-Magazin, Ausgabe 10/2015, S. 3.
  6.  Vgl. Andreas Zick, Anna Klein: Fragile Mitte. Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014, Bonn 2014.
  7.  Zur Genese des Begriffes „Vorbürgerkrieg“ vgl. Kellershohn, Helmut: Vorbürgerkrieg, in: Bente Gießelmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow (Hrsg.), Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe, Schwalbach 2016, S.326-340.
  8.  Zitiert nach ebd.
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