Auf der Facebookseite der »Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf«, die sich mittlerweile nach mehrmaligem Löschen der Seite durch Facebook »Bürgerbewegung Hellersdorf« nennt und Teil des berlinweiten Netzwerks »Wache auf – Handeln statt Klagen« ist, tobt der Mob. Man solidarisiert sich mit den Anschlägen, lobt diese und ruft zu Nachahmung auf. Die Admins der rechten Facebookseite schreiten weder ein, noch distanzieren sie sich glaubwürdig von den Gewalttaten. Anfang des Jahres wohnen ca. 200 geflüchtete Menschen im ersten renovierten Haus des ehemaligen Schulgeländes. Im zweiten Haus sollen im Laufe des Frühjahres weitere 200 Menschen Obdach finden. Da man die Erstbelegung nicht verhindern konnte, will man auf rechter Seite diese Weiterbelegung nun unbedingt verhindern. Dabei setzt man nicht nur auf Gewalt, sondern auch auf musikalische Unterstützung. Noch im Januar dreht das rechte Musikduo »A3stus« (Sänger ist der mittlerweile bekannte Nazirapper Patrick Killat alias Villain051) ein volksverhetzendes Musikvideo direkt vor den Eingangstüren der Unterkunft, welches danach auf der Seite der »Bürgerbewegung Hellersdorf« gepostet und von den UserInnen tausendfach geteilt wird. Die Polizei beendet damals den Videodreh vorzeitig und erteilt Platzverweise. Dabei kommt es zu rassistischen Beleidigungen gegenüber dem Sicherheitsdienst. Auch die NPD geht zu der Zeit auf Stimmenfang in Hellersdorf und veranstaltet mehrere Aufmärsche in direkter Nähe zur Unterkunft. Obwohl die Gewalttaten und Aktionen rechter Gruppen gegen Geflüchtete und deren Unterbringung seit Jahresbeginn zugenommen haben, genehmigt die Polizei die Aufmärsche. Linker, zivilgesellschaftlicher Protest in Hör- und Sichtweite zu den Rechten wird oft von der Polizei verhindert und mit strengen Auflagen in ruhige Seitenstraßen verbannt.
Im März scheinen sich die Ereignisse dann zu überschlagen und die Militanz ihren vorläufigen Höhepunkt zu finden. Fünfzehn Personen jagen zwei jugendliche Bewohner der Unterkunft vom U-Bahnhof Cottbusser Platz bis zur Unterkunft. Es werden Bierflaschen auf die Jugendlichen und schließlich auf die Unterkunft geworfen. mindestens sechs Männer versuchen mit Gewalt in das Heim einzudringen. BewohnerInnen und ein Wachschützer können jedoch rechtzeitig die Tür verriegeln und Schlimmeres verhindern. Die Polizei trifft erst 20 Minuten später am Tatort ein. Die Täter sind längst entkommen. Nur drei Tage später brennt das Auto einer Unterstützerin der Unterkunft. Einige Monate zuvor gab sie in einem Interview mit der Evangelischen Gemeinde an, dass ihr Autokennzeichen von Unbekannten aufgeschrieben und sie fotografiert wurde, während sie Spenden in die Unterkunft brachte. Eine Woche später wird eine Aktivistin unseres Vereins bei Facebook auf der Seite der »Bürgerbewegung Hellersdorf« geoutet. Darunter in den Kommentaren zahlreiche Gewaltandrohungen und Beleidigungen (»An die Wand und Loch in den Kopf schießen«, »Hab mir das Gesicht gemerkt«, »Vernichten!«). Bereits nach dem Brandanschlag auf das Auto meldet sich das Landeskriminalamt (LKA) auch bei uns und führt telefonisch ein Sensibilisierungsgespräch durch. Als dann das Outing und die Morddrohungen folgen, kommt die Einladung in das Berliner Polizeipräsidium zu einem Sicherheitsgespräch. Was zunächst vielversprechend klingt, sollte sich in den kommenden Wochen und Monaten zu einem weiteren kräftezehrenden Arbeitsschwerpunkt neben der eigentlichen Hilfe für Geflüchtete entwickeln.
1. Exkurs: Beschwerdeverfahren gegen das LKA
Auf Einladung eines Kriminalhauptkommissars des LKA nehmen drei Mitglieder des Vereins am 28.3.2014 an dem vermeintlichen Sicherheitsgespräch teil. Uns wurde im Vorfeld geraten zum Termin einE UnterstützerIn einer Opferberatungsstelle mitzunehmen, aufgrund der Kurzfristigkeit gehen wir jedoch allein. Der für diese Gespräche zuständige Beamte stellt bereits in den ersten Minuten klar, dass unser Erscheinen übertrieben und unnötig sei. Die Mitglieder des Vereins wären auch nach Morddrohungen im Internet nicht konkret gefährdet; wer sich auf die politische Bühne stelle müsse mit Gegenwehr rechnen; rechte Gewalt gebe es nicht, der Linksextremismus sei die eigentliche Gefahr. Es folgen weitere kriminalisierende Anschuldigungen im Gesprächsverlauf. Man wird am Ausreden gehindert und belächelt. Verweise von uns auf die NSU-Morde und das Kay-Diesner-Attentat, bei dem der Lichtenberger Neonazi Kay Diesner 1997 mit einer Pumpgun bewaffnet in der Bezirksgeschäftsstelle der PDS in Marzahn einen Menschen schwer verletzte und auf seiner Flucht einen Polizisten erschoss, werden als »alte Geschichten« abgetan. Für die Anfertigung eines Protokolls des Gesprächs macht ein Mitglied detaillierte Notizen. Da sich der Beamte zu Gesprächsbeginn nicht vorstellt, fragen wir gegen Ende des Gesprächs nach dem Namen. Der Beamte verweigert es Namen oder Dienstnummer zu nennen, baut sich bedrohlich auf und macht in lautem und erbostem Tonfall deutlich, dass wir mit niemanden über dieses Gespräch zu reden haben. Nach dem ersten Schock über eine derartige Abfertigung und einigen Beratungsgesprächen verfassen wir einen Beschwerdebrief an die zentrale Beschwerdestelle des LKA, der jedoch nur unbefriedigend allgemein beantwortet wird und uns dazu bewegt, den Schritt in die Öffentlichkeit zu gehen. In der Zeit erfahren wir viel von ähnlichen Fällen und anderen Betroffenen – wir sind eindeutig kein Einzelfall. Unser Fall schlägt breite Wellen und wird auch zum Thema der Veranstaltung »Keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung – Zum Umgang mit Bedrohungen durch rechtsextreme Gewalt« vom Verein für Demokratische Kultur in Berlin e.V., auf der unter anderem auch die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau spricht. Die Polizei bezeichnet unser Gesprächsprotokoll daraufhin öffentlich als einseitig und nicht neutral. Am Rande einer Innenausschusssitzung im Berliner Abgeordnetenhaus, in der der Fall auch kurz thematisiert wird, bietet der Polizeipräsident von Berlin dem Verein aber dann ein klärendes Gespräch an und kommentiert gegenüber MedienvertreterInnen, dass Sensibilisierungsgespräche sich »mitunter schwierig gestalten, da die subjektiv empfundene Gefährdung der Betroffenen möglicherweise nicht der fachlichen Einschätzung der Polizei entspricht«. Als Reaktion verweist unser Pressesprecher im Gespräch mit Inforadio Berlin darauf, dass das Gespräch mit dem LKA auf Einladung eines Kriminalhauptkommissars stattgefunden hatte, der die Gefährdung als ernstzunehmend eingestuft hatte.
»Wir sind eindeutig kein Einzelfall.«
Kurze Zeit später findet das persönliche Treffen mit dem Polizeipräsidenten statt. Diesmal kommen wir in Begleitung einer Person der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (mbr). Klaus Kandt entschuldigt sich für das Verhalten des Beamten, der eine dienstrechtliche Ansprache erhalten habe und räumt Fehler im Umgang mit Menschen, die von rechts bedroht werden, ein. Die Verwendung von polizeiinternen Begriffen wie »abstrakte oder konkrete Gefährdung« sei gegenüber Betroffenen nicht hilfreich. Er rege die Einführung neuer Kategorien und verständlicher Begriffe für Sicherheitsgespräche an und überlege, Feedbackbögen zu entwickeln, die den Umgang mit ähnlichen Problemen in Zukunft erleichtern sollen. Darüber hinaus verspricht er eine enge Zusammenarbeit mit unserem Verein, um die Sicherheit der Geflüchteten und unserer Mitglieder zu gewährleisten. Wir bekommen zuständige Kontaktpersonen benannt, bei denen wir uns jeder Zeit melden können, falls es erneut Vorfälle oder Auffälligkeiten geben sollte. Die jüngsten Fälle, in denen Bedrohungen oder Angriffe auf Engagierte bekannt wurden, zeigen jedoch, dass die öffentliche Debatte darüber gerade erst in Gang kommt und noch lange nicht abgeschlossen ist.
Ein ruhiger Sommer?
Ende März kündigt die »Bürgerbewegung Hellersdorf« bei Facebook an, sich für ein neues, wirksameres Konzept entschieden zu haben und fordert von den HellersdorferInnen mehr Entschlossenheit bei dem Vorgehen gegen die Unterbringung von Geflüchteten. Das zweite Haus wird jedoch ohne große Zwischenfälle bezogen, die Naziflugblätter und Aktionen werden weniger. Gleichzeitig ziehen sich aber auch berlinweite UnterstützerInnengruppen zurück und die mediale Aufmerksamkeit schwindet. Für viele scheint die pogromartige Stimmung von 2013 und Anfang 2014 kein Thema mehr zu sein. Bezirk und lokale UnterstützerInnen arbeiten dennoch weiter gut zusammen. Endlich werden auch die hilfsbereiten, solidarischen AnwohnerInnen sichtbar. Die Unterkunft wird mit Spenden und Hilfsangeboten fast überrannt. Jetzt, wo das zweite Haus bezogen ist, scheint sich unter den GegnerInnen auch eine gewisse Resignation breit zu machen. Ein Großteil der NachbarInnen im Wohngebiet und Bezirk hat sich zu der Zeit schon von der extrem rechten Hetze abgewandt. Man hat Schlimmes erwartet – gekommen ist der Alltag. bei Vielen herrscht ein friedliches Desinteresse.
»Einmal mehr zeigt sich, dass die Ruhe auch trügen, die Stimmung schnell kippen kann.«
Auch auf der sonst so hochfrequentierten rechten Facebookseite passiert nicht mehr viel. man dokumentiert Notarzteinsätze an der Unterkunft und schreckt nicht davor zurück, geflüchtete Kinder zu fotografieren und öffentlich zu diffamieren, um zu verhindern dass die Reichweite und das öffentliche Interesse an der Seite weiter zurückgehen. Die Mobilisierungskraft der Rechten ist zwar stark gesunken, aber wie ein Wochenende im Juni zeigt, ist der harte Kern der »Nein-zum-Heim-Kampagne« noch mobilisierungsfähig – und das innerhalb kurzer Zeit. Zunächst unbegleitet, dann mit Polizeierlaubnis können rund 40 Personen einen Demozug mehrmals direkt an der Unterkunft vorbeiführen, gegen die sich der Aufmarsch auch richtet. Dabei brüllen sie immer wieder »Parasiten«, andere rechtsextreme Parolen und rufen einem Menschen am Fenster der Unterkunft »Spring doch!« zu. Einmal mehr zeigt sich, dass die Ruhe auch trügen, die Stimmung schnell kippen kann. Es gilt aufmerksam zu bleiben und nicht zu schnell Entwarnung zu geben.
In dieser Zeit planen wir zusammen mit der studentischen Initiative »grenzen_weg!« der Alice-Salomon-Hochschule ein Ladenlokal für Menschen mit und ohne Fluchterfahrung. Nach viel Bürokratie, vielen Ideen und viel Geduld können wir im August das »LaLoka« in unmittelbarer Nähe zur Unterkunft in Hellersdorf eröffnen. Hier soll eine Stätte der Selbstorganisation und des Empowerments für Geflüchtete entstehen und somit auch ein Zeichen im Bezirk gesetzt werden. Die erwarteten Proteste oder Übergriffe der Nazis zur Eröffnungsfeier bleiben aus. Viele interessierte NachbarInnen kommen vorbei, möchten helfen und bringen Spenden, um das LaLoka zu beleben. Nach mehreren Veranstaltungen und Projekten fassen auch die Geflüchteten Vertrauen, bauen unter anderem mit Hilfe von »Refugees Emancipation« ein selbstverwaltetes Internetcafé im LaLoka auf. Das Ladenlokal wird zu einer gut genutzten und bekannten Institution im Kiez. Zunächst scheint der Naziprotest gebrochen, das Schlimmste überstanden.
Das Ende der Anonymität
Doch auf den vergleichsweise ruhigen Sommer folgt ein Herbst, den wohl keiner so vorhergesehen hätte. Es ist eine neue Qualität des Protests – die Köpfe der rechten Mobilisierung in Hellersdorf treten aus ihrer Anonymität, obgleich die Namen und Gesichter der AkteurInnen in antifaschistischen Kreisen schon 2013 bekannt waren. So überfallen rund 15 bekannte Rechtsextreme der »Bürgerbewegung Hellersdorf« im Oktober das LaLoka, begehen Hausfriedensbruch, zeigen offen ihre Gesichter. Die Eingangstür wird blockiert, eine eindeutige Drohkulisse aufgebaut. Es wird versucht, eine von rassistischen Vorurteilen geleitete Diskussion anzufangen. Auch nach mehrmaligem Auffordern zu gehen und dem Aussprechen eines Hausverbots wird sich geweigert, die Räumlichkeit zu verlassen. Draußen schreit man nach dem Vorfall »Wir kriegen euch«. Die Polizei ist zwar relativ schnell vor Ort, überblickt die Lage aber nicht, sieht zunächst kein Problem und lässt einen Großteil der Rechten entkommen, ohne deren Personalien aufzunehmen. Danach feiert man sich auf den Facebookprofilen der TeilnehmerInnen und erzählt ausführlich von der Aktion. Wir fragen uns nach den Vorkommnissen, was wohl die nächsten Schritte der Nazis sein würden, wie das nächste Level aussehen könnte. Doch dann kommt alles anders.
2. Exkurs: Marzahn – Hellersdorf 2.0
Ende Oktober 2014 wird bekannt, dass in Marzahn, einem Teilbezirk von Marzahn-Hellersdorf und damit nicht weit entfernt vom rassistischen Brennpunkt Hellersdorf, an der Kreuzung Landsberger Allee/Blumberger Damm ein Container-Lager für ca. 400 Glefüchtete entstehen soll. Das Hauptaugenmerk der organisierten Rechten verschiebt sich von Hellersdorf nach Marzahn. Hier entlädt sich fortan der Hass durch Propaganda, Aufmärsche und Gewalt. Schnell schwindet die Aufmerksamkeit für die Unterkunft in Hellersdorf – die Aktivitäten der Facebookseite schlafen ein, die Übergriffe werden deutlich weniger. Währenddessen gründet sich die »Bürgerbewegung Marzahn«, deren Köpfe sich vermutlich weitgehend mit denen der »Bürgerbewegung Hellersdorf« überschneiden. Bei der darauffolgenden Bezirksverordnetenversammlung (BVV) erscheinen ca. zehn bekannte Nazis und 20 WutbürgerInnen, um ihrem Unmut auf der Zuschauertribüne Ausdruck zu verleihen. Dabei werden PolitikerInnen und solidarische anwesende Personen immer wieder abfotografiert, was eine klare Drohkulisse aufbaut. Die anwesende Polizei greift nicht ein.
»Die bürgerliche Maske fällt dann jedoch schneller als gedacht.«
Das Grundstück um das entstehende Container-Lager wird in diesen Tagen eingezäunt. Lange wird der Zaun nicht stehen. Immer wieder wird er umgeschmissen, BauarbeiterInnen abfotografiert und sich auf Facebook mit den Bildern gerühmt. In einem Flugblatt aus der Zeit findet man die Aufforderung der Anwohnenden an die PolitikerInnen, auf den Standort zu verzichten, da unter anderem eine »entsetzliche Verschlechterung der öffentlichen Ordnung insbesondere der Hygiene im Umfeld der Container« zu befürchten sei. Dann kommt es zur ersten sogenannten »Montagsdemo«, von denen es bis Jahresende noch sechs weitere geben wird. Dabei können ca. 150 Neonazis und SympathisantInnen zwei Stunden ungestört durch Marzahn laufen und ihre menschenverachtende Hetze verbreiten. Darunter Neonazis von NPD, Die Rechte und der freien Kameradschaftsszene. Nachdem die ursprünglich aus Protest gegen das in Marzahn entstehende Containerdorf für Geflüchtete angemeldete Demo durch den Anmelder mit dem Hinweis auf Distanzierung von rechten Gruppen abgesagt wurde, melden Neonazis von NPD und Die Rechte eine Spontandemonstration an. Die Abschlusskundgebung hält Sebastian Schmidtke, Landesvorsitzender der NPD Berlin. Zusammen ziehen sie »Deutschland den Deutschen – Ausländer raus«, »Marzahn bleibt deutsch« und »Rudolf Hess« rufend aggressiv durch die Marzahner Straßen. Von den Balkonen hallen immer wieder Solidaritätsbekundungen in Richtung des rechten Demonstrationszuges. Der Habitus scheint zunächst nahezu der gleiche wie in Hellersdorf 2013 zu sein. AnwohnerInnen Seite an Seite mit organisierten Neonazis, die Grenzen verschwimmen, nach außen gibt man sich stets bürgerlich besorgt, mit Nazis habe man nichts am Hut. Dass die AnmelderInnen und FunktionsträgerInnen der »Montagsdemos« dabei stets aus der organisierten rechten Szene kommen, wird schnell verdrängt oder billigend in Kauf genommen. Die bürgerliche Maske fällt dann jedoch schneller als gedacht. Viel mehr als in Hellersdorf wird sich radikalisiert und offen zu dem eigenen rassistischen Weltbild gestanden. Gestärkt durch die bundesweite HoGeSa und PEGIDA-Entwicklung fühlt man sich, als könne man von der erstarkenden rassistischen Stimmung in der Gesellschaft und den angeheizten Konflikten profitieren, greift zunehmend auch die »Systemmedien«, »die da oben« und »die Islamisierung« an. Immer wieder werden vor den Augen der Polizei JournalistInnen gejagt und angegriffen, GegendemonstrantInnen mit Messern und Eisenstangen bedroht. Woche für Woche gibt es auch von linker und zivilgesellschaflicher Seite an den Montagabenden Gegendemos für Solidarität mit Geflüchteten und gegen Ausgrenzung.
Der Höhepunkt der Gegenmobilisierung ist wohl am 22. November erreicht, als sich über 3000 Menschen entschlossen bei Musik und Reden auf mehreren Blockaden den Nazis in den Weg stellen und deren Demonstration nahezu verhindern. Nachdem die rechten Aufmärsche zwar zu Beginn eine erschreckend hohe TeilnehmerInnenzahl von bis zu 1000 Personen halten können, vor allem aus der direkten Nachbarschaft, bricht die Zahl danach ein. Immer mehr Anwohnende distanzieren sich zum Jahresende von den Aufmärschen. Von den Balkonen hört man nur noch selten Solidaritätsbekundungen mit den Naziaufmärschen. Vielmehr scheint man genervt von den montäglichen Unruhen und Verkehrseinschränkungen. Auch haben zahlreiche Informationskampagnen und BürgerInnensprechstunden ihre Wirkung gezeigt. Die extremen Rechten sind wieder auf einen harten, aber diesmal deutlich größeren, militanteren Kern zusammengeschrumpft.
Und jetzt?
Hellersdorf konnte sich wiederholen – im gleichen Bezirk, ein paar Kilometer weiter. Der Protest in Marzahn fiel dabei noch viel aggressiver, unermüdlicher aus. Wieder liefen zahlreiche Anwohnende mit, ließen sich blenden von rechter Propaganda, Lügen, Vorurteilen. In vielen anderen Berliner Bezirken, in denen Container-Lager und Turnhallen für Geflüchtete entstehen sollen oder genutzt werden, gibt es ebenfalls Proteste dagegen, aber nirgendwo war der Zuspruch in der Nachbarschaft so groß, das Gewalt- und Einschüchterungsszenario so erschreckend, wie in Marzahn Ende 2014. Wir alle wollen aus Hellersdorf gelernt haben, schauten aber im Winter 2014 doch oft ratlos und schockiert auf die Ereignisse; zum Beispiel, als viele im Bezirk davon sprachen »Sorgen und Ängste« ernst nehmen zu müssen, während auf den Aufmärschen und im Internet die Gewaltphantasien gegenüber Geflüchteten ausgetauscht wurden und »Wir wollen keine Asylantenschweine« und andere volksverhetzende Parolen jeden Montagabend durch die Straßen hallten.
Wir wollen aufklären, Vorurteile widerlegen, Ressentiments entkräften, doch stellen uns oft die Frage, wie das funktionieren soll, wenn alle Fakten, alle Argumente nicht mehr gehört werden wollen, wenn Berichterstattung nur noch »Lügenpresse« ist. Es liegt noch ein weiter Weg vor uns. In Hellersdorf änderte sich die Situation für viele, als die ersten Geflüchteten kamen: Kinder, Familien, Menschen. Die Bilder wirkten, die Solidarität wuchs, der Alltag kam. Begegnung baut Vorurteile ab. Stetige Aufklärung, sich den Lügen entgegenstellen, nicht aufgeben, Begegnung schaffen – all das hat in Hellersdorf geholfen. Wir sind froh über die Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Gruppen. Ein breites Bündnis bei der Arbeit gegen rechten Hass und Vorurteile ist wichtig und unvermeidlich. Wenn das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) und der Senat aber weiterhin Bezirke vor vollendete Tatsachen stellen, sie nicht in die Entscheidungsfindung zur Unterbringung von Geflüchteten mit einbezieht, geflüchtete Menschen weiterhin in Turnhallen, Traglufthallen und Containern unterbringt, dann wird es umso schwerer, rechter Hetze entgegenzutreten. Diese fahrlässige Taktik des LaGeSo und das Unvermögen, die Unterbringung von Geflüchteten langfristig zu koordinieren und menschenwürdig zu organisieren, spielt auch den Nazis in die Hände und befeuert die Kampagnen gegen Geflüchtete und deren Unterbringung. Es begünstigt Ausgrenzung, Stigmatisierung und Isolation und erschwert den zivilgesellschaflichen Einsatz gegen Rassismus und für eine Willkommenskultur. Wir dürfen den Rechten nicht die Deutungshoheit überlassen. Für uns in Hellersdorf, Marzahn, in Berlin muss es heißen: Jetzt erst recht. Wir werden uns auch weiterhin für eine nachhaltige Aufklärung, Begegnung, die Rechte von Geflüchteten und gegen Rassismus einsetzen.
Hellersdorf hilft e.V. ist ein gemeinnütziger Verein und überparteilicher Zusammenschluss von Menschen im Bezirk Marzahn-Hellersdorf mit dem Hauptanliegen, Hilfsangebote für Geflüchtete im Bezirk zu koordinieren und gemeinsam eine Willkommenskultur im Kiez zu schaffen, die Respekt, Toleranz, zivilgesellschaftliches Engagement, Solidarität und Demokratieförderung praktisch erlebbar werden lässt. Ziel ist es, die ankommenden Geflüchteten willkommen zu heißen und sie nachhaltig und längerfristig beim Leben in der neuen Umgebung zu unterstützen.