Die Reaktionen in Hellersdorf auf die Neueröffnung einer Unterkunft für Geflüchtete haben im vergangenen Jahr 2013 wohl mehr Aufsehen erregt als viele andere Themen in Berlin. Das Bild eines Nachbarn, der die ersten Bewohner_innen mit Hitlergruß vor den klickenden Kameras begrüßte, ging im August 2013 um die Welt. Da war sie mal wieder live zu sehen: die hässliche Fratze des Rassismus. Dabei war es zuvor schon hässlich genug gewesen, und mitnichten nur in Hellersdorf: Proteste gegen die Unterbringung Geflüchteter und Asylsuchender gab es 2012 und 2013 auch in anderen Berliner Stadtteilen. Allerdings mehrheitlich ohne neonazistischen Krawall, sondern vorgetragen von »besorgten Bürgern«, zum Teil mit der tatkräftigen Unterstützung durch lokale CDU-Politiker.
Das »Fanal« Hellersdorf
In Hellersdorf war es bei einer »Bürgerversammlung« zum geplanten Heim im Juli erstmals augenscheinlich geworden, dass die NPD vorhatte, bei der Unterbringung von Geflüchteten im Stadtteil mitzureden. Die Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf (BMH) mobilisierte via Facebook und durch Flugblätter und viele »besorgte Bürger« kamen, begleitet von rund 50 Neonazis. Einzelnen Kadern der NPD und anderen langjährigen Mitgliedern der Berliner Naziszene vom »Nationalen Widerstand« gelang es, bei der Versammlung ihre rassistische Hetze zu verbreiten und teilweise auch, das Wort am Mikro zu ergreifen. In der Folgezeit entwickelte sich eine Kampagne gegen das Heim, es kam zu Aufmärschen, Schmierereien, Kundgebungen – mal von der BMH, mal von der NPD oder Hand in Hand organisiert. Trotzdem konnten sich weder die Bürgerinitiative noch die NPD öffentlich mit ihren Forderungen durchsetzen. Nachdem die ersten Geflüchteten eingezogen waren, gab es tätliche Angriffe und Sachbeschädigungen, tägliche verbale Attacken in der Nachbarschaft auch gegen Unterstützer_innen, die aufgrund der Bedrohungssituation sogar Nachtwachen hielten. Die Unterstützung für das Heim wuchs, doch das kann die Bedrohung bis heute nicht verhindern: zuletzt wurden Mitte März 2014 zwei Bewohner der Unterkunft von Rassist_innen durch die mitternächtlichen Straßen gehetzt, bevor sie hinter den Türen des Heimes Zuflucht fanden.
Der NPD kam die Mobilisierung kurz vor der Bundestagswahl recht und sie beförderte die Eskalation dann auch nach allen Kräften. Neben der Wortergreifung bei der »Bürgerversammlung« und der vielfältigen Unterstützung der Bürgerinitiative sollten vor allem Kundgebungen bei der Hellersdorfer Bevölkerung werben. Medienwirksam forderte der Berliner NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke unter dem Motto »Hellersdorf wehrt sich« die Bildung einer »Antigewalt-Bürgerwehr« zum »Schutz vor LINKER Gewalt«. Der dortigen Bürgerinitiative BMH gelang es ab Juli 2013 mit einer Handvoll Aktivist_innen vor allem über ihre Facebook-Präsenz das Aushängeschild der rassistischen Aktionen zu sein. Die BMH vermied es, ihr Personal der Öffentlichkeit preiszugeben, um sich so ein unabhängiges Image geben zu können. Eine Strategie, die aufgrund der hartnäckigen Recherchen von antifaschistischen Projekten scheiterte. Inzwischen ist klar, dass die zentralen Aktivist_innen der später in »Bürgerbewegung Hellersdorf« umbenannten Truppe – Daniela F., Marcel R., Kai S. – sich zum Teil seit Jahrzehnten in der Nazi-Szene des Bezirkes bewegen.
Rassismus von unten
Die rassistischen Mobilisierungen in Hellersdorf haben seither für die extrem rechte Szene bundesweit einen Vorbildcharakter. Auch trotz des faktischen Misserfolges – das Heim wurde eröffnet – wird vielfach »Hellersdorf« als allgemein verständliche Chiffre verwendet, ähnlich wie »Hoyerswerda« oder »Rostock-Lichtenhagen« als Vorbilder in den 1990er Jahren funktionierten. Und noch heute funktionieren: die Parole »Lichtenhagen kommt wieder« wurde beispielsweise in Güstrow an das Haus des Bürgermeisters gesprüht. Gegen die Unterbringung von Geflüchteten, aber auch von zugewanderten Roma, entstanden 2013 quer durch die Republik, in Ost und West, in Großstädten und kleinen Gemeinden Bürgerinitiativen. Die meisten dieser Initiativen wollen grundsätzlich keine Geflüchteten in ihrer Nachbarschaft dulden. Ihre Vernetzung und gegenseitige Bezugnahme aufeinander macht deutlich, dass es den wenigsten allein darum geht, das Heim nicht vor ihrer Tür haben zu wollen, sondern dass ihre Argumentation immer darauf hinausläuft, jegliche Aufnahme von Migrant_innen in Deutschland verhindern zu wollen. Nur einige Ausnahmen wollen tatsächlich statt der Sammelunterkünfte für Geflüchtete deren Unterbringung in Wohnungen durchsetzen. Zwar sind innerhalb der Initiativen, aber auch eigenständig in deren Umfeld oder als Bündnispartner, verschiedene Gruppierungen der extremen Rechten aktiv, um die Auseinandersetzungen zu eskalieren. Doch wurde auch schnell deutlich, dass es im Kern nicht die neonazistische Mobilisierung ist, über die wir reden müssen: Das Problem heißt Rassismus.
Gegen die Geflüchteten wird ein ganzes Arsenal an rassistischen und wohlstandschauvinistischen Argumenten vorgebracht, das sich auf angebliche kulturelle oder gar biologische Unterschiede beruft. Dabei ist zu beobachten, dass sich die Feindschaft nicht allein gegen die Geflüchteten, sondern oft auch gegen die herrschende Politik, konkret gegen einzelne Repräsentant_innen, richtet. An vielen Orten kommen ein »Anti-Ausländer«- Reflex, der sich quer durch alle Regionen und dort quer durch alle sozialen Schichten zieht, und ein »Anti-Establishment«-Reflex zusammen. Letzterer scheint besonders ausgeprägt in Regionen, die sich als abgehängt von der Wohlstandsentwicklung in Deutschland oder als besonders »belastet« durch allgemeine soziale Entwicklungen verstehen. Ein besonders prägnantes Beispiel bot die Nachbarschaft des Stadtteils Dettmannsdorf in Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern). Dort war bereits 2012 die geplante Unterbringung von etwa einhundert Geflüchteten in einem heruntergekommenen Quartier am Rande der Kleinstadt (30.000 Menschen) bekannt geworden, was Anfang Oktober 2012 zu einem Buttersäure-Anschlag führte.
„»Hellersdorf« wird als allgemein verständliche Chiffre verwendet, ähnlich wie »Hoyerswerda« in den 1990ern.“
Im März 2013 eskalierte die Stimmung, wie eine antirassistische Rostocker Initiative berichtete: »Es tauchen Flugblätter, Unterschriftenlisten und Petitionen in Güstrow und im Internet auf… Auf einem anonymen Flugblatt werden ›Fakten‹ gegen eine Unterkunft in einem leerstehenden Plattenbau der Deutschen Bahn am Rande Güstrows aufgeführt, Ängste vor den ›Fremden‹ geschürt, teils mit in wohlfeile Worte gehülltem Rassismus.« Wenn eine solche Unterkunft bezogen würde, so der Tenor des anonymen Flugblattes, das sich in Sprache und Stil eher wie das Wortprotokoll eines Stammtischgespräches liest, ist im Leben der »Dettmannsdorfer« gar nichts mehr sicher: nicht die Kita und nicht der Hockeyverein, nicht die Sportschule und nicht die Gartenanlage. Ja nicht einmal der Weg zum Einkauf, denn »100 Asylbewerber pilgern (sic!) dann jeden Tag durch unser Wohngebiet um etwas einzukaufen«. Neben eher skurril anmutenden Beschreibungen der angeblichen »Gewohnheiten der Asylbewerber« (»z.B. zur Nacht fangen sie an mobil zu werden, sie kochen, hören laut Musik und stören die nächtliche Ruhe«) finden sich scheinbare ökonomische Argumente (»das verträgt sich doch auch nicht mehr mit der Umweltstadt Güstrow und Güstrow ist doch dann kein Urlaubsmagnet mehr« oder »unser Wohngebiet wird abgewertet und Immobilien verlieren an Wert«) vermischt mit der Angst vor der Konkurrenz um Kita- und Schulplätze: »und unsere eigenen Kinder müssen dann vielleicht in die Südstadt zur Schule gehen«.
Berliner Willkommenskultur à la CDU
In Berlin gab es in der Vergangenheit nicht nur Proteste gegen die Flüchtlings-Unterkunft in Hellersdorf, sondern auch in vielen anderen Stadtteilen. Meist standen nicht plumpe »Ausländer raus«- Parolen im Vordergrund, doch dass Geflüchtete in der Nachbarschaft auf jeden Fall eine kaum erträgliche »Belastung« darstellen, darüber war man sich überall schnell einig. In Wittenau (Reinickendorf) scheiterte im Februar 2013 der Versuch des Betreibers, 220 Geflüchtete in einem bisher als Pflegeheim genutzten Hochhaus unterzubringen. Baustadtrat Martin Lambert (CDU) lehnte diesen Antrag ab, das sei in einem »Wohngebiet den Nachbarn nicht zuzumuten«: »Eine Verdoppelung [der Belegung] auf 220 Menschen, die nicht bettlägerig sind, das geht in einem allgemeinen Wohngebiet nicht.« Ein Argument für seine Aussage liefert Lambert nicht, das überlässt er den Anwohner_innen. Die seien, so schreibt der Tagesspiegel, »ohnehin nicht begeistert von dieser Aussicht – sie fürchten mehr Kriminalität und haben sich sogar schon für einen Wachschutz ausgesprochen.«
Auch in Rudow und in Kreuzberg hatten – allerdings bereits im Oktober beziehungsweise Dezember 2012 – lokale CDU-Größen maßgeblichen Anteil daran, dass auf »Bürgerversammlungen« die Zuweisungen von Geflüchteten in den Stadtteil rigoros abgelehnt wurden. Und jedes Mal mit den gleichen nicht belegten »Fakten«, dass die Kriminalität steige oder Drogen gehandelt würden. »Manche der rund 100 Teilnehmer machten außerdem deutlich, dass ihnen das Heim vor ihrer Haustür ohnehin nicht passt«, so fasste die Berliner Woche zusammen. Gemeinsam ist all diesen Argumentationen, dass es immer darauf hinausläuft, dass die »Asylbewerber« schädlich für das »Zusammenleben« sind. Sie stören, verschandeln, »pilgern« durch die Wohngegend, nehmen Drogen und überhaupt: So richtig zusammen leben können diese Berliner_innen anscheinend nur, wenn sie unter sich bleiben.
Geflüchtete sollen unsichtbar gemacht werden
Stimmungsmache gegen Geflüchtete funktioniert fast immer in Deutschland und sie funktioniert fast überall. Die jetzigen rassistischen Kampagnen erinnern daher viele an die 1990er Jahre. Tatsächlich ist die Leichtigkeit, mit der all die Ressentiments in der bundesdeutschen Gesellschaft mobilisierbar sind, erschreckend. Und wie damals entzündet sich der rassistische »Widerstand« an der Sichtbarkeit der Geflüchteten durch deren Unterbringung in Sammelunterkünften oder – und das ist ein wesentlicher Aspekt heute – an ihrer Selbstermächtigung in öffentlichen Kämpfen. Anlässlich der Kämpfe Geflüchteter für ihre Rechte, dem Refugee-Marsch nach Berlin, dem Hungerstreik am Brandenburger Tor, dem Camp auf dem Oranienplatz und an anderen Orten (Hamburg, München) im Jahr 2012 begann eine Welle von Kampagnen der extremen Rechten, die bis heute anhält. Die Versuche der Geflüchteten, aktiv ihr Leben in Deutschland selbst zu bestimmen und in ihren Kämpfen sichtbar zu sein, prädestiniert sie zu symbolhaften Zielen rassistischen Hasses und nicht zuletzt tätlicher Angriffe wie Brand- oder Säureanschlägen. Auch die als »Bürgerbewegung Hellersdorf« getarnten Nazis und Rassist_innen beobachten aufmerksam die Entwicklungen auf dem Kreuzberger Oranienplatz und berichten darüber auf ihrer Facebook-Präsenz.
Nazis lernen
Das Thema »Ausländer« hat bei der extremen Rechten immer Konjunktur. Mitunter kam es zu größeren Erfolgen der NPD, teilweise zu kleineren Erfolgen der Pro-Bewegung oder sogar der unabhängigen Kameradschaften und der »Autonomen Nationalisten«. Den Kommunen muss daher klar sein, dass ihnen bei der Unterbringung von Geflüchteten die Aufmerksamkeit und die versuchte Intervention der extremen Rechten gewiss ist. Das scheint in Hellersdorf nicht Allgemeinplatz gewesen zu sein, als die erste »Bürgerversammlung« einberufen wurde. Das Zurückdrängen der rassistischen Mobilisierung hat entsprechend Energie und Zeit gekostet. Die neonazistische Szene, in Berlin das Konglomerat aus NPD, »Nationaler Widerstand« und »Die Rechte«, verschleiert ihre Bezüge untereinander genauso gerne wie sie ihre eigenen Erfolge übertreibt. Es ist schwierig, die tatsächliche Bedeutung ihrer Aktivitäten in das Gesamtbild einzuordnen. Klar aber ist, dass bei mehreren neonazistischen Mobilisierungen im Jahr 2013 bekannte Nazi-Kader ihren organisatorischen Hintergrund verheimlichten. So drängte sich die in Schöneweide wohnende Maria Fank, Berliner Funktionärin der NPD und des Ring Nationaler Frauen (RNF), nicht nur im Juli in Hellersdorf als »besorgte Bürgerin« ans Mikro, sondern auch im Oktober bei einem Neonazi-Aufmarsch im brandenburgischen Pätz: ebenfalls als angebliche Anwohnerin. Auch Gitta Schüßler ließ sich in Schneeberg als »besorgte Bürgerin« interviewen. In Hellersdorf wusste der Bezirksbürgermeister angeblich nicht, dass er mit Maria Fank einer organisierten Neonazistin eine Bühne gab und auch in Sachsen entging dem berichtenden Regionalsender MDR, dass Frau Schüßler, wenn sie nicht gerade besorgt in Schneeberg steht, für die NPD im sächsischen Landtag sitzt.
Es treten regelmäßig weibliche Kader der NPD und anderer Nazi-Gruppen bei diesem Thema öffentlich auf. Sie dürften als besorgte Bürgerinnen besonders überzeugend sein und die Ignoranz von Medien und Politiker_innen gegenüber rechten Frauen als Akteurinnen bedingt den Erfolg der Strategie. Auch nutzt die Nazi-Szene hier die Möglichkeit, das Thema mit Familienpolitik und dem Schutz »unserer Kinder« zu verknüpfen. »Für unsere Kinder« hieß auch der Song, für den der Nazi-Rapper Villain051 vor der Kulisse des Wohnheims in Hellersdorf ein Musik-Video drehte. Im Hintergrund sind Nazis der Freien Kräfte der Barnimer Freundschaft (Brandenburg) zu sehen. Der Text wendet sich ausdrücklich an die »Brüder«, also die Männer im Kampf. Im Video dürfen Frauen nur als Staffage zwei Deutschland- Fahnen halten. Im Text heißt es unter anderem:
»Das ist für unsere Kinder, sie sollen nicht leben in Ketten, ohne Angst vor dem was kommt, ohne Tränen. Wir müssen ihre Zukunft retten, sonst ist es zu spät. (…) Neuer deutscher Widerstand 2014, wir gehen auf die Straße, um dieses System zu stürzen. Für unser deutsches Land ziehen wir heute in den Kampf (Ja warte dann?) ziehen hier treue Deutsche die Waffen. Wahrheit macht frei, befreit euch von der Lüge schnell. Brüder dieser Welt, vereinigt euch und Zion fällt.«
Der Erfolg dieses Youtube-Videos in den sozialen Netzwerken zeigt, dass die darin dargestellte Überzeugung, in einem letzten Abwehrkampf gegen die Feinde Deutschlands (repräsentiert durch »Zion«) zu stehen, weit verbreitet ist. Auch die Jungen Nationaldemokraten (JN) sehen sich als letzte aufrechte Bastion Deutschlands in der »Befreiungsschlacht«. Ende des Jahres 2013 versucht sich Michael Schäfer an einer strategischen Einordnung der Proteste gegen Flüchtlings-Unterkünfte. Der ehemalige Bundesvorsitzende sieht unter Berufung auf Thilo Sarrazin die aktuellen Entwicklungen als Reaktion auf ein angebliches Diskussionsverbot: »Die Zuwanderung ist ein Tabuthema«, schreibt Schäfer unter Ausblendung sämtlicher Diskurse des Jahres. Diese »Denkverbote« dienen der JN als Folie um die Tabubrecher-Funktion der »bekennenden Nationalisten« zu beschreiben: »Wie solch eine Konfliktsituation für eine Gemeinde enden kann, zeigt das bundesweit beachtete Beispiel der kleinen erzgebirgischen Stadt Schneeberg. Den Menschen war es ab einem gewissen Punkt einfach egal, ob sie auf eine Demo gehen, die ein NPD-Mann angemeldet hat. Daraus hat sich ein Protest entwickelt, der die Grenzen der undemokratischen politischen Korrektheit gesprengt hat und die Etablierten in Erklärungsnöte bringt.«
Wesentlicher Punkt in der schmalen Analyse der JN ist der Wunsch, dass die Auseinandersetzungen »die politisch Verantwortlichen mit aller Härte« treffen möge und dies auch die Ausgrenzung von »uns Nationalisten« beenden möge. Die Bedingung dafür ist allerdings die temporäre Selbstverleugnung der beteiligten Kader. »Wenn diese Berührungsängste gefallen sind und wir nicht immer unsere Vereine (NPD, JN, Gruppe XY), unsere Logos und Fahnen in den Mittelpunkt stellen, sondern die politischen Inhalte und Sorgen der Menschen, dann haben wir eine neue Stufe in der politischen Auseinandersetzung erreicht. Denn dann braucht man uns, in der Auseinandersetzung mit repressiven staatlichen Institutionen und als erfahrungsreiche Organisation für Veranstaltungen.«
Keine Entwarnung möglich
Dieser Wunsch der Nazis, in einer politischen Bewegung wie Fische im Wasser schwimmen zu können und die Auseinandersetzungen weiter eskalieren zu können, ist nachvollziehbar. Es gab im Jahr 2013 Situationen, wo ihnen dies im Ansatz gelang. Solche Interventionen entfalten im schlechtesten Fall Dynamiken, die, einmal im Lauf, nur schwer wieder einzuholen sind. Die Akteure konkret zu benennen und Nazis zu outen ist daher richtig. Für (potenzielle) Betroffene und Engagierte, aber auch für eine realistische Analyse der Dynamiken und Diskurse, haben gute und verlässliche Recherchen über Nazi-Kader einen zentralen Stellenwert. Nicht nur ignorant, sondern fahrlässig ist es hingegen, wenn die Verantwortlichen in den Bezirken oder Projekten glauben, ihr Stadtteil habe nur deshalb kein Nazi-Problem, weil es keine NPD-Ortsgruppe gibt oder weil die dort lebenden Nazis bisher nicht an ihrem Wohnort auffällig geworden seien. Die Wünsche und Versuche der Nazis, in diesem Thema wie eine soziale Bewegung zu agieren, sollten trotz ihrer tendenziellen Selbstüberschätzung aufmerksam beobachtet werden. Nicht nur über den Rassismus, sondern auch über ihren Anti-Eliten- Habitus, versuchen sie sich zu den Wortführern der angeblich deklassierten Massen zu machen. Dass die organisierte Neonazi-Szene bereit ist, kurzfristig auf fahnenschwingende Identitätspolitik zu verzichten, heißt nicht, dass sie ihr Programm des »Kampfes um die Straße« aufgibt. Eine als besorgte Mutter an das »deutsche Volk« appellierende NPDlerin ist der eine Teil einer Politik, die auf kulturelle und politische Hegemonie setzt – der diese mit Gewalt durchsetzende Straßenkämpfer der andere. Die immer wieder durchbrechende SA-Mentalität, die gerade die männlichen Aktivisten so schwer unterdrücken können, dürfte dabei helfen, diese zu isolieren. Es ist die selbe Einstellung, mit der Nazis die Geflüchteten angreifen und durch die Straßen hetzen. Sie sind die Leute, die bereit sind, Menschen durch Brandanschläge zu ermorden. Die Liaison zwischen rassistischen Anwohner-Initiativen und Neonazis, deren Gewalt immer Teil ihrer Ideologie ist, droht letztere zu legitimierten »Vollstreckern des Volkswillens« zu machen.
Das bedeutet im Gegenzug weiterhin die Isolierung der nazistischen Kader von einer Bevölkerung zu betreiben, die im schlechtesten Fall nicht weniger rassistisch ist. Doch die Inhalte der rassistischen Aggression gegen Geflüchtete bleiben auch ohne Nazi-Kader die gleichen. Die Nazis rufen diese nicht hervor, sondern wirken wie ein Katalysator auf die vorhandenen Proteststimmungen. Den Unterschied macht die Strategie, mit denen man den Akteuren gegen Geflüchtete begegnen muss. Willkommensinitiativen, wie sie es in Berlin auch 2013 gegeben hat, sind sinnvoll, wenn sie auch den Rassist_innen in der Bevölkerung deutlich machen, dass sie die Geflüchteten nicht wegkriegen: Und wenn sie sich dem vorhandenen Rassismus und der Frage von kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen stellen, ohne das eine mit dem anderen zu entschuldigen. Politische Unterstützung und nicht humanitäre Hilfe oder Paternalismus brauchen die emanzipatorischen Kämpfe der Refugees. Konkreten physischen Schutzes bedarf es aber trotzdem vor allem dort, wo Geflüchtete durch die Unterbringung in Heimen zum symbolisch aufgeladenen Angriffsziel von organisierten Neonazis oder rassistischen Einzeltätern zu werden drohen.
Das Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin e.V. (apabiz) bietet Informationen, Materialien und Bildungsangebote im Themenbereich Neonazismus, extreme Rechte, Antisemitismus und Rassismus an. Zu diesem Zweck betreibt der Verein ein umfangreiches öffentlich zugängliches Archiv und führt Bildungsveranstaltungen durch.