Start für eine Willkommenskultur – Pankow hilft!
Kurz nachdem bekannt gegeben wurde, dass der Bezirk die Einrichtung der Unterkunft plant, fanden sich Menschen aus verschiedenen Spektren zusammen, um eine positive Willkommensstimmung zu schaffen. Die Erfahrungen des »braunen Dienstags« aus Hellersdorf (am Dienstag, den 9. Juli 2013, kamen rund 800 Menschen in Hellersdorf anlässlich der Mitteilung des Bezirksamts zusammen, dass in Hellersdorf eine Flüchtlingsunterkunft eröffnet. Auf dieser Versammlung ergriffen Neonazis das Wort und die Stimmung war eine rassistische) waren noch präsent und bestimmten die Presse- und Medienlandschaft in Pankow, Berlin und darüber hinaus. Ziel war es, dass sich diese Situation in Pankow nicht wiederholen sollte. Gemeinsam mit der Netzwerkstelle [moskito] gründeten Anwohner_innen des neuen Heims die Initiative »Solidarität mit den Geflüchteten in Pankow«. Hier stand von Anfang an die Frage im Raum, wie eine Willkommenskultur auf politischer und karitativer Ebene entwickelt werden kann. Fast zeitgleich gründete sich im Stadtteilzentrum Pankow ein Unterstützer_innenkreis. Dieser setzte sich das Ziel, konkrete Unterstützung, primär auf karitativer Ebene, leisten zu wollen. Die Verbindung entstand durch die Entstehung einiger Arbeitsgruppen mit personellen Überschneidungen beider Kreise.
Im Ergebnis gemeinsamer Gespräche beider Kreise wurden drei Sammelstellen eingerichtet und der Spendenaufruf verfasst. Kurz nach der Eröffnung der Unterkunft veranstaltete die Initiative verschiedene Solidaritätspartys und einen Wintermarkt mit Videokundgebung, um auf die Situation von Geflüchteten aufmerksam zu machen. Neben den beiden Kreisen rief das Bezirksamt eine Bürger_innenplattform ins Leben, die sich in unregelmäßigen Abständen noch immer trifft. Die Stadträtin für Gesundheit und Soziales, Lioba Zürn-Kastantovic, versuchte so, verschiedene zivilgesellschaftliche und bezirkliche Akteure zusammenzubringen. Die Bürger_innenplattform umfasste die bestehenden Initiativen und Kreise, aber auch Kirchen, eine Wohnungsbaugesellschaft, Polizei und Vertreter_innen der Bezirksverordnetenversammlung Pankow. Auf dieser Ebene fand eine enge Abstimmung zu weiteren Aktivitäten statt. Von dieser Bürgerplattform aus wurden Informationsschreiben an die anliegenden Wohnungsbaugesellschaften verteilt, um über die neue Unterkunft zu informieren, ferner erstellte das Bezirksamt einen Flyer, um bereits Anfang September auf dem »Fest an der Panke« offensiv mit der Information über die Unterkunft in die Öffentlichkeit zu gehen.
In der Öffentlichkeit konnten sowohl die beiden neugegründeten Initiativen als auch das Bezirksamt eine positive Stimmung in der Bevölkerung gegenüber der Unterkunft für Flüchtlinge durchsetzen. Die große Bereitschaft der Pankower_innen, ein positives Zeichen setzen zu wollen, drückte sich neben der Vielzahl an Spenden auch in anderen Unterstützungsangeboten aus. Diese reichten von der Begleitung der Geflüchteten zu Ämtern über die Betreuung von Kindern bis hin zu künstlerischen Tätigkeiten. Vier Sportvereine in Pankow boten Geflüchteten unterschiedlichen Alters explizit an, an ihren Kursen teilzunehmen. Auch das Fußballprojekt »Champions ohne Grenzen e.V.«, das bereits an verschiedenen Unterkünften in Berlin Fußball von und für Geflüchtete anbietet, möchte gern eine »Bolzgruppe« etablieren. Des Weiteren gibt es im »Jugendzentrum JUP« ein Caféangebot für Geflüchtete, das eine sehr große Resonanz fand. Ein gemeinsames Theaterprojekt im »Jugendzentrum M 24« ist bereits in Planung.
Bürger_innenversammlung – Bündelung kritischer Stimmen gegen das Heim?
Neben dieser positiven Willkommenskultur gab es aber auch von Anfang an Bestrebungen, gegen die neu entstandene Flüchtlingsunterkunft Stimmung zu machen. In einem Brief von unbekannten Verfasser_innen, der am 26. August 2013 in der Nähe der Unterkunft in die Briefkästen der Anwohner_innen verteilt wurde, wurde kritisch darauf verwiesen, dass das Bezirksamt die Form der Bürger_innenversammlung nicht für den geeigneten Weg hält, über die neue Flüchtlingsunterkunft zu informieren.[1] In dem Brief wurde dazu aufgerufen, dass »All jene, die mit der Vorgehensweise des Bezirksamts eher unzufrieden, an einem friedlichem Zusammenleben interessiert sind und keine Lust auf Zustände (Gewalt und Polizeieinsätze) haben«, sich gemeinsam am 1. September treffen. Ziel sei ein Erfahrungs- und Meinungsaustausch »ohne rechte Hintergedanken«. Viele Pankower_innen aus dem zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Bereich nutzten die Gelegenheit und erschienen auf dem Treffen, um mit den »Kritiker_innen« zu diskutieren. Während der Veranstaltung gaben sich die Verfasser_innen des Briefes nicht zu erkennen. Kleinere Diskussionsrunden entstanden, bis die Polizei den Heinz-Knoblauch-Platz schließlich langsam räumen ließ. Abseits des Geschehens beobachtete eine Gruppe von ca. zehn Neonazis das Treffen. Nach dieser nicht stattgefunden Bürger_innenversammlung gab es keinen öffentlichen Aufruf mehr.
Mobilisierung von Rechts gegen die Flüchtlingsunterbringung auf Facebook
Kurz nach der Bekanntgabe der Entstehung der neuen Flüchtlingsunterkunft wurde am 20. August eine Facebook-Gruppe mit dem Namen »Asylantenheim in Pankow« erstellt. Ähnlich wie auf der Seite der sogenannten Bürgerinitiative in Marzahn-Hellersdorf artikulierten sich hier »kritische« Stimmen und die Betreiber_innen der Seite versuchten, eine feindselige Stimmung gegen die Unterkunft zu erzeugen. Eines der ersten Postings verwies auf ein Video, das Ausschreitungen gegenüber Flüchtlingsunterkünften in Rostock-Lichtenhagen 1992 zeigte. Unterlegt war dies mit dem Lied »Deutschland im Herbst« der Band »Böhse Onkelz«. Der Kommentar der Facebook-Gruppe dazu war: »Das Video erinnert an die damaligen Ausschreitungen am bzw. um das Asylbewerberheim in Rostock- Lichtenhagen. Steht dies Berlin im Dezember 2013 etwa auch bevor? Die Sorge ist groß und nicht ganz unbegründet«. Immer wieder versuchte sich die Seite als Besorgte um derartige Entwicklungen zu inszenieren, jedoch konnte die Facebook-Seite keine größere Dynamik entwickeln und erreichte bis zu ihrem Abschalten Ende Dezember gerade einmal 139 »Likes«.
„Eines der ersten Postings verwies auf ein Video, das Ausschreitungen gegenüber Flüchtlingsunterkünften in Rostock-Lichtenhagen 1992 zeigte.“
Die Nähe zu NPD/JN bzw. Sympathien diesen beiden Vereinigungen gegenüber bewies die Seite, indem sie in ihrem letzten Posting eine Aktion der JN darstellte, bei der Sprechblasen an der Unterkunft angebracht wurden. In dem Kommentar zu dem Posting hieß es: »Wen es nicht interessiert, der möge einfach unnütze Kommentare lassen, wir posten weiterhin ALLES was mit dem Flüchtlingsheim in Pankow zu tun hat, und dazu gehören nun mal ALLE Aktionen, egal ob dafür oder dagegen!«. Jedoch wurde in keinem Posting der Seite auf die Aktionen der Unterstützer_innenkreise (z.B. Spendenaktionen) verwiesen. Ebenso wurden Debatten, die sich kritisch mit der Positionierung der Seite beschäftigten, im Nachhinein gelöscht.
Eine zweite Facebook-Seite mit dem Namen »Nein zum Heim in Pankow« entstand am 30. Dezember; diese bekam binnen weniger Tage knapp 400 »Likes«. Hier wird sich explizit auf die »Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf« bezogen. Nicht nur durch Form und Sprache kann eine Nähe zur bundesweiten Seite »Keine weiteren Asylantenheime in Deutschland« hergestellt werden, sondern auch durch direkte Verlinkungen. So lässt sich zwar die schnell entstandene und hohe Zahl von »Likes« auf der Facebook-Seite erklären, jedoch lassen sich daraus bisher keine Rückschlüsse auf die Verbreitung der tatsächlichen Ablehnung der Unterkunft unter den Pankower_innen ziehen. Auf der neuen Facebook- Seite wird ein offen rassistischer Diskurs bedient. So wurde beispielsweise am 13. Januar 2014 ein Bild mit dem Schriftzug »Refugees go home« gepostet, es wird sich aktiv gegen »Überfremdung« geäußert, die NPD-Kampagne »Asylflut stoppen« aufgegriffen und in Kommentaren zu Postings werden in diskriminierender Weise Äußerungen getätigt, die sich bis zum Bekenntnis »dann bin ich gerne Rassist« erstrecken. Ebenso gab es eine Verlinkung zu dem »Infoportal Berlin-Brandenburg«. Diese Facebook-Seite versuchte, alle scheinbaren Bürgerinitiativen zusammenzuführen. Hier wurden offen rassistische Äußerungen getätigt und Bilder, auf denen »Ausländer raus« oder »Brot für Deutsche – NPD jetzt« skandiert wird, gepostet. Die Seite »Infoportal Berlin-Brandenburg« ist mittlerweile wieder vom Netz genommen worden. Dies alles zeigt jedoch, dass die Betreiber_innen der »Nein zum Heim in Pankow«-Seite sich in einen größeren Kontext einordnen. Eine Sympathie zur NPD/JN ist in keinem Fall auszuschließen, vielmehr ergeben sich sprachlich und inhaltlich eine große Nähe
Zivilgesellschaftliches Engagement stärken!
Aus den Erfahrungen in Pankow lassen sich verschiedene Schlüsse ziehen: Eine frühzeitige Beteiligungsmöglichkeit zur Schaffung einer Willkommenskultur hat die Solidarität für Geflüchtete bestärkt. Der Spendenaufruf und unterschiedliche Sammelstellen boten eine niedrigschwellige Partizipationsmöglichkeit für viele Pankower_innen. Das gemeinsame Agieren von unterschiedlichen Unterstützer_innenkreisen sowie das rechtzeitige Zusammenrufen einer Bürger_innenplattform durch das Bezirksamt verstärkten die Bestrebungen für eine Willkommenskultur. Die Formierung von »Kritiker_innen« wurde verhindert, indem ein scheinbares Bürger_innentreffen von Pankower_innen aus dem zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Bereich begleitet wurde. Eine kritische Begleitung der ersten Facebook-Seite verhinderte die Formierung über Facebook.
Es zeigt sich, dass das frühzeitige Herstellen, Befördern und Zusammenbringen von zivilgesellschaftlichem und antifaschistischem Engagement wichtig für die Erzeugung einer positiv besetzten Willkommenskultur ist. Scheinbaren »Kritiker_innen« kann es dadurch schwer gemacht werden, sich zu formieren und sich als die »Stimme der Bürger_innen« auszugeben. Nichtsdestotrotz lässt sich aus dem Pankower Beispiel keine Verallgemeinerung für andere Regionen schließen, da diese immer lokalspezifische Ausprägungen besitzen und auch die Bevölkerung die Bereitschaft zum Handeln mitbringen muss.
[moskito] Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus – für Demokratie und Vielfalt : Um Alltagsrassismus und Rechtsextremismus wirksam entgegen treten zu können, bedarf es des Zusammenwirkens verschiedenster Akteure im Gemeinwesen. [moskito] ist Anlaufstelle und Knotenpunkt für Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung. Wir führen Projekte, Seminare und Veranstaltungen durch, helfen bei der Verwirklichung von Ideen, vernetzen und fördern den Austausch zu den Themen Rassismus und Rechtsextremismus.
- ↑ Hintergrund dieser Entscheidung des Bezirksamtes waren die negativen Erfahrungen aus der Bürger_innenversammlung in Marzahn-Hellersdorf, aber auch aus der Bürger_innenversammlung 2007 zur Errichtung einer Moschee in Heinersdorf. In beiden Fällen haben rechtsextreme Aktivist_innen/Parteifunktionär_innen die Versammlungen vereinnahmt bzw. dominiert. In Marzahn-Hellersdorf kam es dazu, dass sowohl Sebastian Schmidtke, Parteivorstand der NPD Berlin, als auch Maria Fank, Vorstand des RNF Berlin, das Wort ergriffen, um in rassistischer Art und Weise gegen Geflüchtete zu mobilisieren.