»Willkommen in Berlin!« – Antiziganismus auf der Tagesordnung

Auch im Jahr 2011 wurde die Situation hier lebender rumänischer und bulgarischer Roma durch die Politik  erschwert und die Medien erklärten die gesamte Gruppe der Sinti und Roma zum »Problem« – eine willkommene Vorlage für Rassist_innen und Rechtspopulist_innen.

 

Antiziganismus beschreibt nicht nur die Drangsalierung von Roma durch faschistische, paramilitärische Organisationen in Ungarn, Roma-feindliche Demonstrationen in Tschechien und pogromartige Ausschreitungen in ganz Bulgarien. Auch in Berlin gehört Antiziganismus noch immer zum politischen Alltag. Dies wird vor allem durch die Situation neu eingewanderter Roma aus Rumänien und Bulgarien deutlich. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union steht es allen Bürger_innen Bulgariens und Rumäniens frei, das von der EU garantierte Freizügigkeitsrecht wahrzunehmen. Die Teilhabe am deutschen Arbeitsmarkt ist ihnen hingegen erst ab dem 01. Januar 2014 erlaubt, da Deutschland alle drei Möglichkeiten zur Verlängerung der Ausschlussfristen in vollem Umfang genutzt hat. Nicht nur in Bezug auf den Arbeitsmarkt wird rumänischen und bulgarischen Roma der Start in Berlin schwer gemacht.

Ausschluss von Roma-Kindern aus der Schule

Bereits im Januar 2011 berichteten Medien darüber, dass sich verschiedene Berliner Stadtteile, unter anderem Neukölln, weigerten, Roma-Kinder, deren Eltern sich nicht bei den zuständigen Meldebehörden registriert hatten, zu beschulen. Dies steht im offenen Gegensatz zum Berliner Schulrecht, nach dem jedes Kind unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus beschult werden muss. Heinz Buschkowsky, Neuköllns Bezirksbürgermeister und Ehrhart Körting, damals noch Innensenator, rechtfertigten diese Praxis gar damit, die Kinder aus der »Illegalität« holen zu wollen. Anstatt den Bezirk Neukölln auf die Rechtslage zur Beschulung von Kindern hinzuweisen, reagierte die Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung mit einer kritikwürdigen Umfrage: Sie versendete Fragebögen an alle Bezirke, in denen sie sich nach der Anzahl von Schüler_innen mit Roma- oder Sinti-Hintergrund erkundigte – aufgeschlüsselt nach Muttersprache und mit suggestiven Einschätzungen wie der Frage nach möglichen Problemen mit diesen Kindern. Statt das Berliner Schulgesetz durchzusetzen und eine Beschulung aller Kinder zu ermöglichen, wurden hier statistische Informationen nach »ethnischen Kriterien« erhoben und damit die gesamte Gruppe der Sinti und Roma zum »Problem« erklärt. Nicht einmal die Differenzierung zwischen rumänischen und bulgarischen Roma und den verschiedenen anderen Gruppen von Roma und Sinti, die in Berlin leben, wurde für nötig befunden.

Interessant an diesem Vorgang war auch die sonst eher unübliche Klage, dass die Roma-Kinder zu Hunderten in die Schulen strömten, wovon diese überfordert seien. So wird Franziska Giffey, Neuköllns Bildungsstadträtin zitiert: »Was sollen wir mit einem Zwölfjährigen ohne Deutschkenntnisse machen?« Wieso eine Stadt wie Berlin, in der verschiedenste Gruppen leben, die über keinerlei deutsche Sprachkenntnisse verfügen, von einigen Hundert weiteren Schüler_innen, die kein deutsch sprechen, überfordert sein soll, wird nicht ersichtlich.

In ähnlicher Weise argumentierte ein RBB-Bericht kurze Zeit später, der Roma-Kinder als riesiges Problem für die Schulen darstellte. Hier wurde das alte Bild vom »schmarotzenden Zigeuner« aktualisiert: Der Bericht wies mehrfach darauf hin, dass die zusätzliche Zeit, die die Lehrer_innen den bulgarischen und rumänischen Kindern widmeten, selbstverständlich von der Zeit abginge, die diese für die übrigen Kinder zur Verfügung hätten. Um diese Geschichte herum wurde im RBB einmal mehr das gesamte Panorama antiziganistischer Diskurse um Roma aus Bulgarien und Rumänien deutlich: 30.000 Roma seien in den letzten Jahren allein nach Nord-Neukölln gekommen (das wären beeindruckende 20% der dortigen Bevölkerung). Im RBB-Bericht wurde weiter behauptet, dass sich die Situation ab 2014 noch verschärfen würde. Derartige Warnungen vor dem Zustrom »osteuropäischer Zigeuner« haben bereits Anfang der 1990er Jahre ihre Wirkung nicht verfehlt. Die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen waren maßgeblich davon beeinflusst.

Medien als Stichwortgebende

Verschiedene Organisationen wie Amaro Foro, ein Verein junger Roma und Nicht-Roma, äußerten sich besorgt über die Berichterstattung in den Medien und kritisierten das Verhalten des Senats und des Bezirks Neukölln. In Reaktion darauf ergriffen die Behörden verschiedene Maßnahmen wie eine Sommerschule für neu eingewanderte Kinder aus Bulgarien und Rumänien sowie ein Community Building Projekt, das die Vernetzung verschiedener Selbstorganisationen von Roma und Sinti unterstützen soll. Dies sind Maßnahmen, die zu begrüßen sind, auch wenn sie noch längst nicht ausreichen, um die Situation von Roma und Sinti in Berlin längerfristig zu verbessern und Antiziganismus entschieden entgegenzutreten. Von Seiten der Medien gab es jedoch wenig Reaktion auf die Kritik über ihre Art der Berichterstattung. Der oben erwähnte RBB-Bericht war bei weitem keine Ausnahme. Weiterhin berichteten diverse Tageszeitungen und Fernsehsender auf zutiefst anti-ziganistische Art und Weise. Besonders ein Ereignis sorgte für mediales Aufsehen: Ähnlich wie im Sommer 2009 sahen sich im August 2011 mehrere Roma-Familien aus Rumänien dazu gezwungen, für einige Wochen im Görlitzer Park zu übernachten. Kurz zuvor waren ihre Wohnungen gekündigt worden. Im Görlitzer Park regte sich schon bald Widerstand: die Betreiber_innen des Café Edelweiß fürchteten um ihren Umsatz und der Bezirk drohte den Familien eine polizeiliche Räumung an. Erst nach einigen Wochen fanden einige Familie Unterkunft in neuen Wohnungen, andere sahen sich gezwungen, nach Rumänien zurückzukehren. Noch während die Familien im Park lebten, fragte der Tagesspiegel rhetorisch: »Machen es sich Roma in der Opferrolle bequem?«, ein Kommentar, der an Zynismus schwer zu überbieten ist. Den Gipfel antiziganistischer Berichterstattung bildete der Bericht des Spiegel-TV-Magazins vom 14. September 2011. Das Magazin bezeichnete die zugezogenen Roma durchgängig als »Zigeuner«, es wurden Menschen gefilmt, obwohl sie deutlich machten, dass sie dies nicht wollten. Der Bericht operiert mit Listen, auf denen Namen und Adressen von rumänischen Gewerbetreibenden aufgelistet sind. Die Hauptaussage des Berichtes lautet, die »Zigeuner« würden nach Deutschland einwandern, um es sich auf Kosten des Sozialstaates bequem zu machen. Über die wirklichen Beweggründe dafür, warum Menschen aus Rumänien nach Berlin ziehen, schweigen sich die verantwortlichen Journalisten aus. Die medialen und öffentlichen Diskurse der Stadt sind mittlerweile klar abgesteckt, interessanterweise brauchte es dazu nicht einmal eine rechte oder rechtspopulistische Partei.

Die rechtspopulistische Kleinstpartei Pro Berlin hat es erst Anfang 2012 geschafft, auf den medialen Diskurs   aufzuspringen   und einige    hundert    Flugblätter zu verteilen, um auf den vermeintlichen Missbrauch des  deutschen Sozialstaats durch »Zigeuner« aufmerksam zu machen. Ihre Hauptquelle ist dabei der besagte Spiegel-TV-Bericht. Die Frage wie es zu bewerten ist, dass in Berlin Spiegel-TV der Impulsgeber für Pro Berlin ist und nicht umgekehrt, bleibt offen. Dennoch muss die antiziganistische Hetze von Pro Berlin ernst genommen werden. In Nordrhein-Westfalen, wo die selbst ernannte »Pro Bewegung« am stärksten verankert ist, konnte diese immer wieder als Stichwortgeber für antiziganistische Berichterstattung in den Medien fungieren. Dass von diesen Diskursen reale Bedrohungssituationen ausgehen, zeigt die schwerste antiziganistische Gewalttat des letzten Jahres: Am 25. Juli 2011 wurden mehrere Molotowcocktails in die Wohnung einer Roma-Familie in Leverkusen geworfen. Zur Tatzeit befanden sich dort mehrere Personen, die sich glücklicherweise alle physisch unverletzt ins Freie retten konnten. Am 25. September 2010 hatte Pro NRW unter dem Motto »Null Toleranz gegenüber Rechtsbrüchen einer stadtbekannten Großfamilie« genau in dieser Straße demonstriert.

Dem Antiziganismus entgegentreten

In Berlin gab es 2011 und Anfang 2012 immerhin ein paar Ansätze aus der Öffentlichkeit, dem antiziganistischen Mainstream etwas entgegenzusetzen. Das Bündnis Zusammen Handeln organisierte Solidaritätskundgebungen sowohl für die damals noch im Görlitzer Park lebenden Roma als auch gegen die pogromartigen Ausschreitungen in Bulgarien und Tschechien.

Auch   verschiedene Selbstorganisationen intensivierten 2011 ihre Öffentlichkeitsarbeit: Der Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V. eröffnete einen »Ort der Erinnerung und Information« zum ehemaligen Zwangslager für Sinti und Roma in Marzahn, die Inititiative Rromnja gedachte vor der ungarischen Botschaft der Roma, die Opfer einer antiziganisitschen Mordwelle in  Ungarn in den Jahren 2008 und 2009 wurden, und das neue Rroma Informations Centrum gründete sich in Neukölln, um Bildungs- und Jugendarbeit sowie Aufklärung für Roma und Nicht-Roma anzubieten. In Reaktion auf die antiziganistische Flyer-Aktion von Pro Deutschland klärte Amaro Foro, die Anwohner_innen mit Flyern über die tatsächliche Situation rumänischer und bulgarischer Roma in Berlin auf und beteiligte sich zuletzt gemeinsam mit der Initiative Rromnja an der Organisation einer großen Demonstration unter dem Motto »Willkommen in Neukölln! Willkommen zu Hause!«.

Die politische Propaganda durch Pro Deutschland und andere Rechte illustriert die Anschlussfähigkeit des Antiziganismus in Berlin, Leverkusen und andernorts. Die Unwissenheit über den rechtlichen Status der Eingewanderten aus Rumänien und Bulgarien und uralte Klischees und Vorurteile gegen Sinti und Roma spielen dabei Hand in Hand. Nicht zuletzt weist auch der Anschlag in Leverkusen auf die reale Gefahr antiziganistischer Gewalt hin. Deswegen ist es notwendig, frühzeitig und konsequent auf allen Ebenen gegen die antiziganistische Berichterstattung, Hetze und Diskriminierung vorzugehen – und sich mit den Betroffenen zu solidarisieren. Auch ist der Berliner Senat gefragt, der sich bisher mit der finanziellen Förderung verschiedener Roma- und Sinti-Selbstorganisationen eher zurückhält.

Was ist »Antiziganismus«?

Antiziganismus ist ein Ressentiment, das tief in der Mehrheitsgesellschaft verankert ist und das sich vor allem gegen Sinti und Roma richten. Dabei ist jedoch wichtig festzuhalten, dass antiziganistische Stereotype nichts mit der tatsächlichen Lebensrealität und den Identitätskonzepten von Roma und Sinti zu tun haben. Vielmehr ist der Antiziganismus eine Fantasie der Mehrheitsgesellschaft, in deren Zentrum das Bild des ›Zigeuners‹ steht. Den so stigmatisierten Menschen werden Eigenschaften zugeschrieben, die nicht gesellschaftskonform sind. ›Zigeuner‹ stellt dabei eine diskriminierende Fremdbezeichnung dar, die sich etymologisch aus dem griechischen ›athinganoi‹ herleitet und von der überwiegenden Mehrheit der so Bezeichneten als beleidigend und verletzend empfunden wird.

›Sinti und Roma‹ ist die im deutschen Sprachraum geläufigste Selbstbezeichnung: Romanes sprechende Gruppen, die schon über 600 Jahre im deutschen Sprachraum leben, bezeichnen sich als Sinti_ezza. Die Gruppen, die in den letzten 150 Jahren aus dem ost-, südost- und südeuropäischen Raum in den deutschsprachigen Raum migrierten, bezeichnen sich als Rom_nja. Außerhalb des deutschen Kontextes wird Rom_nja seit den 1970ern als Überbegriff verwendet.

Das Forum Antizigamismuskritik ist ein Zusammenschluss von Menschen, die sich aus kritischer Perspektive mit Antiziganismus auseinandersetzen, zu dem Thema publizieren und Veranstaltungen organisieren.

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