In der Öffentlichkeit selbstbewusst als Roma auftreten – Interview mit Mariela Nikolova (Amaro Foro)

»Für die Roma Jugendlichen ist es wichtig, in der Öffentlichkeit selbstbewusst als Roma aufzutreten« Mariela Nikolova (30) ist Sozialwissenschaftlerin und seit 2010 Mitarbeiterin von Amaro Foro. im Rahmen der Anlaufstelle berät sie bulgarische Roma. Außerdem ist sie als bulgarische Sprachmittlerin beim Frauentreff Olga tätig. Mariela Nikolova kommt ursprünglich aus Bulgarien und lebt seit 12 Jahren in Berlin.

 

Seit Januar 2010 betreibt Amaro Foro eine Anlaufstelle für rumänische und bulgarische Roma. Wie kam es zu dem Projekt der Anlaufstelle und was ist das konkrete Anliegen?

Im Sommer 2009 sahen sich rumänische Roma dazu gezwungen, im Görlitzer Park zu übernachten. Sie waren als EU-Bürger_innen nach Berlin eingereist, doch leider fehlte ihnen der Zugang zu Wohnraum und zum Arbeitsmarkt. Deshalb waren die Menschen im Sommer 2009 obdachlos und sahen keine andere Möglichkeit, als im Park zu schlafen. Damals gab es keine Institution, die diese Menschen hätte unterstützen können. Als Selbstorganisation von Roma wollten wir aber einen Anlaufpunkt für die neu eingewanderten Roma bieten. So entschieden wir uns, bei Amaro Foro eine Anlaufstelle für Roma aus Bulgarien und Rumänien einzurichten.

Das Projekt wird finanziell vom Berliner Senat unterstützt und hat die Aufgabe, Roma aus den EU-Ländern Bulgarien und Rumänien eine umfassende Sozialberatung anzubieten. In unserem Projekt informieren wir die Menschen, die uns aufsuchen, über ihre Rechte und Pflichten. Denn die meisten wissen beispielsweise nicht, dass sie ein Recht auf medizinische Versorgung, Wohnraum, Bildung und auch Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Von den Berliner Behörden werden ihnen diese Informationen oft vorenthalten. In vielen Fällen werden unsere Kli-ent_innen in der Öffentlichkeit als illegal bezeichnet, aber das stimmt nicht. Sie sind EU-Bürger_in-nen und als diese genießen sie prinzipiell das Recht auf Freizügigkeit, wie Deutsche oder Spanier_innen auch.

Das was wir in unserer Anlaufstelle an Wissen erarbeitet haben, ist eigentlich einzigartig in Deutschland. Wir kriegen viele Anfragen – in Städten wie Dortmund, Hannover, Frankfurt/Main oder Hamburg ist die Situation ähnlich wie in Berlin und dortige Institutionen fragen uns nach unseren Erfahrungen. Neulich haben wir sogar eine Anfrage aus Großbritannien erhalten, weil die Lage für rumänische und bulgarische Roma dort ähnlich heikel ist wie in Deutschland.

Wie würden Sie die aktuelle Situation rumänischer und bulgarischer Roma in Berlin beschreiben?

Die Menschen, die unsere Anlaufstelle nutzen, haben keine leichte Lebenssituation. Aufgrund gesetzlicher Hürden ist der Zugang zu allen wichtigen Lebensbereichen wie Arbeit, Wohnen, Bildung und medizinischer Versorgung massiv erschwert. Trotzdem versuchen unsere Klient_innen voller Zuversicht zu bleiben, um ein besseres Leben für sich und ihre Kinder zu ermöglichen. Denn entgegen weit verbreiteter Annahmen ist das in vielen Fällen der Grund, warum sie nach Berlin und in andere deutsche Städte einwandern. Durch den massiven Antiziganismus in ihren Heimatländern sehen sie dort keine Zukunft für sich und vor allem für ihre Kinder.

Mit welchen Problemen sind Ihre Klient_innen besonders häufig konfrontiert?

Die fehlende Krankenversicherung ist eines der größten Probleme für unsere Klient_innen. Oft kommen die Menschen unversichert aus ihren Heimatländern. Die dortigen Behörden vernachlässigen die Einbindung von Roma in das Gesundheitssystem. Die Einstiegsschwelle in die hiesige Krankenversicherung ist jedoch sehr hoch – man muss immer nachweisen, dass man bereits krankenversichert war. Zwar kann man sich beispielsweise in Bulgarien nachträglich versichern lassen, doch erkennen die deutschen Krankenkassen die Unterlagen oft nicht an. Besonders für chronisch Kranke und für Schwangere ist der fehlende Versicherungsschutz ein großes Problem.

Im Grunde befinden sich die Menschen, die zu uns kommen, in einer äußerst schwierigen Situation. Um beispielsweise eine Freizügigkeitsbescheinigung zu bekommen, muss man mit einem Wohnsitz behördlich gemeldet sein. Eine Wohnung erhält man aber nur, wenn man über drei Monate ein festes Einkommen nachweisen kann. Aufgrund der eingeschränkten Arbeitnehmerfreizügigkeit, die für rumänische und bulgarische Staatsbürger_innen noch bis 2014 gültig ist, bleibt vielen unserer Klient_innen nur die Tätigkeit als Gewerbetreibende_r. Um eine Steuernummer zu beantragen und somit einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, muss man aber behördlich angemeldet sein. Das ist ein Teufelskreis, aus dem man nur schwer heraus kommt.

Welche konkreten Erfahrungen machen Ihre Klient_innen mit Antiziganismus?

Antiziganismus gehört zum Alltag unserer Klient_ innen. Im Grunde genommen werden Roma von vielen als »Schmarotzer« wahrgenommen. Viele Menschen gehen davon aus, dass die rumänischen und bulgarischen Roma kommen, um Sozialhilfe und Kindergeld zu beziehen. Aber das stimmt so nicht. Den Menschen kommen in der Hoffnung auf ein besseres Leben und eine bessere Ausbildung für ihre Kinder. Doch leider ist die Hürde sehr hoch, um in Deutschland bzw. in Berlin anzukommen.

Aber auch in den städtischen Behörden ist Antiziganismus weit verbreitet. Beispielsweise wurde einer unserer Klienten, der ursprünglich aus Bulgarien kommt, antiziganistisch diskriminiert als er einen Ausweis beantragen wollte. Er war schon älter und früher hat man in Bulgarien nur die kyrillische Schrift gelernt, weil die lateinische Schrift als »westlich« galt. Weil der bulgarische Herr seinen Namen nicht in lateinisch schreiben konnte, wurde er aus der Behörde geworfen, niemand hat ihm geholfen. Er wurde von den Behördenmitarbeiter_innen als Rom identifiziert. Deswegen wurde ihm unterstellt, weder schreiben noch lesen zu können.

Neben der Anlaufstelle betreibt Amaro Foro viele weitere Projekte. Seit einem Jahr organisiert der Verein erfolgreich eine Nachmittagsbetreuung für Kinder. Es gibt eine Gruppe jugendlicher Roma, die sich regelmäßig zum gegenseiti­gen Austausch trifft. Immer wieder organisiert Amaro Foro öffentliche Veranstaltungen – z.B. zum Internationalen Tag der Roma am 8. April. Wie würden Sie die Philosophie von Amaro Foro beschreiben?

Unser Hauptanliegen ist die Stärkung von Roma-Jugendlichen. Für die Roma-Jugendlichen, die sich bei uns engagieren, ist es wichtig, in der Öffentlichkeit selbstbewusst als Roma aufzutreten. Denn als Rom ist man immer wieder mit antiziganistischen Vorurteilen konfrontiert. Deshalb entscheiden sich viele Menschen dazu, sich in der Öffentlichkeit nicht als Roma zu bezeichnen. Bei uns engagieren sich Menschen, die durch ihr selbstbewusstes Auftreten als Roma akzeptiert und respektiert werden. Das ist ein wichtiges Vorbild für die jungen Menschen bei uns.

Amaro Foro ist eine Selbstorganisation, in der Roma und Nicht-Roma gezielt zusammen arbeiten. Welche Vorteile bietet diese Form der Zusammenarbeit?

Ein großer Vorteil ist die Selbststärkung durch die gemeinsame Erfahrungen als Team. Man arbeitet zusammen und lernt voneinander. Das Wichtigste ist, dass man unterschiedliche Perspektiven kennen lernt. Bei uns im Verband ist es wichtig, einander erst mal zuzuhören und die Menschen jenseits von Zuschreibungen – wie Roma oder Nicht-Roma – kennen zu lernen. Wir sind eine bunte Mischung an Leuten, die aus unterschiedlichen Ländern kommen, unterschiedliche Religion haben, die Roma sind oder Nicht-Roma. Oder die es gar nicht genau für sich wissen. So gestaltet sich die Arbeit bei uns sehr interessant. Es entstehen tolle Diskussionen und es gibt einen solidarischen Zusammenhalt.

Was müsste konkret in Berlin geschehen, um die Situation für die bulgarischen und rumänischen Roma zu verbessern?

Da müsste sehr viel passieren. Zunächst muss die Stadt anerkennen, dass die Leute hier sind und sich legal aufhalten dürfen. Wie bereits beschrieben ist in vielen Behörden die Vorstellung verbreitet, Roma aus Bulgarien oder Rumänien würden sich illegal in Berlin aufhalten. Schulungen von Sachbearbeiter_innen wären ein wichtiger Weg. Sie müssten ausführlich über die Rechtslage informiert werden, aber sich auch kritisch mit antiziganistischen Einstellungen auseinandersetzen. Wenn sich die Grundeinstellung der Leute ändert, dann werden Roma auch weniger diskriminiert. Das würde das Leben vieler unserer Klienten einfacher machen.

Darüber hinaus muss anerkannt werden, dass rumänische und bulgarische Roma als EU-Bürger_ innen bestimmte Rechte haben und diese Rechte müssen auch umgesetzt werden. Vor allem sollte anerkannt werden, dass das EU-Recht über das nationale Recht gestellt ist. In der Realität wird das aber oft nicht umgesetzt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Amaro Foro?

Ich würde mich persönlich freuen, wenn sich die Arbeit bei der Anlaufstelle weiter professionalisiert. Das heißt an erster Stelle, dass wir mehr finanzielle Unterstützung für unsere Arbeit benötigen. Das unsere Finanzierung durch den Senat nicht ausreicht, ist kein Geheimnis. Die allermeisten von uns arbeiten ehrenamtlich. Deshalb müssen die Leute, welche die Beratung anbieten, woanders ihr Geld verdienen. Dadurch bleibt weniger Zeit und Energie für die Arbeit. Allgemein wird die Anlaufstelle sehr gut angenommen. Und es wäre zu schade, wenn unser Angebot aufgrund finanzieller Engpässe eingestellt werden müsste. Außerdem geht der Aufbau der Jugendgruppe weiter, was für uns das wichtigste ist und ich hoffe, dass wir diesbezüglich noch mehr tolle Projekte realisieren können.

Amaro Foro e.V. ist eine transkulturelle Jugendselbstorganisation von Roma und Nicht-Roma. Im Mittelpunkt der Tätigkeiten stehen die Mobilisierung und das Empowerment von Roma-Jugendlichen. Darüber hinaus ist der Verein auch in anderen Bereichen tätig. So beteiligte sich Amaro Foro am Bündnis gegen Rassismus, welches am 3. März 2012 eine Demonstration für die Solidarität mit Roma und gegen Antiziganismus organisierte. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt von Amaro Foro ist die Anlaufstelle für bulgarische und rumänische Roma.

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