Marine le Pen erbt das Familienunternehmen

Am 15. und 16. Januar 2011 fand in Tours der Parteitag des „Front National“ statt. Es war ein historischer Kongress für die Partei, denn Jean-Marie le Pen war nicht der Kandidat auf seine eigene Nachfolge. Dies war eine Premiere seit der Gründung der Bewegung im Jahr 1972, die auf Betreiben des neofaschistischen „Ordre Nouveau“ erfolgte.

 

Autor: taz (Frankreich) / Übersetzung: Dr. Thomas Baum

Es ist keine große Überraschung, dass Marine le Pen ihrem Vater an der Spitze des „Front National“ (FN) folgt. Mit einer Anzahl von Schlüsselposten im FN in der Hand ihrer Parteigänger und der Unterstützung durch ihren Vater war der Weg vorgezeichnet. Dieser Vorteil wurde noch verstärkt durch die großen Medien, die ihr großzügig die Türen ihrer Studios öffneten und sie als moderner und weniger extremistisch als ihren Vater darstellten, während Bruno Gollnisch die Rolle des Extremisten (sicher mit einem gewissen Vergnügen) und Sammlers der verschiedenen Strömungen der extremen Rechten übernahm. Indem er sich in dieser Rolle einmauerte, hat Gollnisch ohne Zweifel Stimmen verloren, vor allem gegenüber Marine le Pen, die es verstanden hat, sich von den Medien würdigen zu lassen und die das Spiel mit der Kamera zu spielen weiß.

Mit den Spannungen dieser letzten sechs Monate und der Bekanntmachung der Wahlergebnisse in den Medien bereits 24 Stunden im voraus, waren alle Zutaten für eine neue Krise im FN vorhanden. Aber abgesehen von einigen Abgängen wie Roger Holleindre (1), Farid Smahi und Rémy Hippy, der zur UMP zurückkehrte, stand die Stimmung nicht auf Spaltung. Es muss gesagt werden, dass Bruno Gollnisch sichtbar nicht zum Kampf bereit war, sei es im inneren des FN oder außerhalb. Lag es daran, dass – wie Jean-Yves Camus versichert – Gollnisch und seine Umgebung keine Lust hatten, angesichts der Erfolglosigkeit neuere Versuche eine Spaltung zu unternehmen, oder daran, dass er – wie man in den Reihen der „Nouvelle Droite Populaire“ murmelte – nicht die Kraft für ein solches Unternehmen hatte. Für den Anfang ist die Antwort auf diese Frage schwierig.

Marine am Ruder

Trotz ihres deutlichen Sieges muss Marine le Pen schnell zeigen, dass sie die Partei auch ohne ihren Vater zu führen vermag, denn es mangelt nicht an Problemen. Abgesehen von finanziellen Schwierigkeiten hat die Partei Probleme, KandidatInnen für die kommenden Wahlen zu finden und muss die SympathisantInnen des FN per E-Mail ansprechen. Dieses Personalproblem könnte sich in den kommenden Monaten noch verschärfen angesichts einer möglichen Austrittswelle der katholischen und der traditionellen Strömung des FN. Es war für niemanden ein Geheimnis, dass die katholische integristische Strömung Marine le Pen nicht ins Herz geschlossen hatte. Ihr [der Strömung, T.B.] hatten die Äußerungen Marines der Presse gegenüber zu sensiblen Fragen (2) oder zu den seit Jahren bestehenden Grundlagen des FN (3) nicht geschmeckt. Aber die nächste Bruchstelle der Frontpartei [Front National, T.B.] in den kommenden Monaten bezieht sich ohne Zweifel auf die islamische Frage. Offensichtlich kommt es für Marine le Pen nicht in Frage, diese Thematik aufzugeben. Es geht vielmehr darum, auf welche Weise le Pens Tochter den Kampf gegen den Islam angehen will: es geht nicht mehr darum, den Islam im Namen der christlichen Wurzeln Frankreichs und des europäischen Erbes zu bekämpfen, sondern im Namen des Laizismus und der Verteidigung der Republik(4)! Untragbare Vorschläge für die Traditionalisten des FN. Diese semantische Verschiebung ist Feinden Marine le Pens nicht entgangen, wie Jérôme Bourbon (5), der es nicht versäumt hat, diese Entwicklung zu unterstreichen und daraus einen casus belli zu machen. Eine Änderung des Diskurses, die ohne Zweifel dem Auftauchen eines ernsthaften Konkurrenten in dieser Frage geschuldet ist, nämlich dem zweigliedrigen Riposte Laïque / Bloc Identitaire (Hintergründe zum Bloc Identitaire), das ebenfalls diese neue Redeweise im antiislamischen Kampf angenommen hat, nämlich republikanische Werte und Verteidigung des Laizismus (ein Diskurs, der in den Reihen der Identitaires ebenfalls Zähneknirschen hervorgerufen hat).

Jean-Marie le Pen ist immer noch präsent

Der Parteitag war gleichermaßen ein Zeichen für den politischen Rückzug Jean-Marie le Pens. Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass der ehemalige Vorsitzende der rechten Korporation nun mit allem aufhören und seiner Tochter freie Hand lassen würde. Außer seinem Titel als Ehrenvorsitzender des FN hat le Pen noch Machtpositionen im FN behalten. Er besitzt Stimmrecht in allen leitenden Gremien der Bewegung, in denen er automatisch sitzt, und er behält die Kontrolle über die Finanzierungsgesellschaft der Partei, die COTELEC, wie die Zeitschrift „Minute“ enthüllt hat (6). Die COTELEC, die sich als politische Partei darstellt mit dem Auftrag, das Image und die Tätigkeit Jean-Marie le Pens zu fördern und deren Sitz sich in seinem Wohnort Saint-Cloud befindet, dient hauptsächlich dazu, Mittel für den Unterhalt des „Front National“ zu sammeln. Durch ein kompliziertes System schuldet der „Front National“ dieser kleinen Partei mehrere Millionen Euro. Das Verfahren ist nicht neu. Die UMP funktioniert genauso mit einem System von Kleinstparteien, um ein Maximum an Unterstützung zu bekommen und aufzuteilen und so die Finanzierung der UMP zu sichern.

Die Identitaires im Gegensatz zu Marine

Für die Identitaires ist der Sieg von Marine keine gute Nachricht. Die Mitglieder der Bewegung hatten auf eine Explosion des FN gesetzt, was es ihnen erlaubt hätte, einen Teil der Mitglieder und der AktivistInnen zurückzugewinnen. Im Moment ist dies nicht der Fall, und alles lässt vermuten, dass die Identitaires einem „Front National“ in der Version Marine gegenüberstehen werden, der ihnen die Aufgabe, vermittelnd zu existieren, ernsthaft erschweren wird. Das gegenseitige Überbieten an Radikalismus, sogar in der Frage des Islam, kann von den Identitaires nicht ins Auge gefasst werden, die seit Monaten die Medien glauben machen wollen, dass sie eine populistische Rechtsformation nach Art der SVP in der Schweiz oder der „Lega Nord“ in Italien seien. Es bleiben den Identitaires zwei Möglichkeiten: eine Annäherung an Marine le Pen zu versuchen mit dem Vorschlag, ihr einige Unterschriften zu geben, die ihr Kandidat ernten kann, oder neue Thematiken und eine neue Strategie zu entwickeln, um sich erfolgreich vom FN abzugrenzen.

(1) Alter Weggefährte der nationalistischen französischen Bewegung, Gründer des FN und einer erheblichen Anzahl von Grüppchen der extremen Rechten, einer der Dinosaurier der nationalistischen Bewegung des 20. Jahrhunderts zusammen mit Vater le Pen und Pierre Sidos
(2) „Was mich betrifft, werde ich nicht auf das Gesetz Veil zurückkommen“ Marine le Pen in „Bourdin & Co“, BFM TV, 3.12.2010
(3) „Ich bin dagegen, die Rückkehr von radikalen, lächerlichen und anachronistischen Grüppchen im FN zuzulassen. Zwischen Katholiken, Pétainisten und Shoah-Besessenen scheint mir dies nicht logisch. Der FN wird nicht als Resonanzkörper ihrer Obesessionen dienen“ Marine le Pen, öffentliche Veranstaltung in Montpellier, Samstag, 4. Dezember 2010
(4) „Der Glauben muss eine streng private Angelegenheit bleiben (…) Es ist Sache der Gläubigen, ihre religiöse Praxis in Einklang mit der Republik zu bringen“ Parteitag des FN in Tours, 16. Januar 2011
„Ich bin Anhängerin der Verteidigung der Werte der Republik, während Bruno und seine Freunde eine mehr historische Auffassung von Frankreich und seinen christlichen Wurzeln vertreten“ Marine le Pen, Le Télégramme, 12. November 2010
(5) Mitglied der Oeuvre Française und Chefredakteur der Zeitschrift Rivarol, die zusammen mit „Minute“ offen Partei für Bruno Gollnisch ergriffen hat
(6) „Minute“, Zeitschrift der extremen Rechten, deren Chefredakteur einer der Leiter der Identitaires ist

Anmerkungen des Übersetzers

UMP / Union pour un mouvement populaire (Union für eine Volksbewegung) – französische Rechtspartei von Präsident Sarkozy
Ordre nouveau (Neue Ordnung) – Bewegung der extremen Rechten zwischen 1969 und 1973
Nouvelle Droite Populaire (Neue volkstümliche Rechte) – Rechtsextreme Partei, gegründet 2008
Gesetz Veil (loi Veil) Gesetz vom 17. Januar 1975, legalisiert die Abtreibung in bestimmten medizinischen Indikationen; benannt nach der Initiatorin Simone Veil
Riposte laique, Bloc identitaire (Laizistische Antwort, Identitärer Block) – Rechtsextreme Strömungen seit 2007 bzw. 2005; ihre Anhänger/ Mitglieder werden im Text als „Identitaires“ bezeichnet, was ich unübersetzt gelassen habe
FN / Front national (Nationale Front; im Französischen le front, also maskulin)

Bildquelle: Screenshot www.marinelepen.com

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