Kalkulierte Tabubrüche und wehrhafter Opfermythos – Selbstinszenierungen der Berliner NPD in der Kommunalpolitik

Die rechtsextremen Verordneten versuchen sich in den Berliner BVVen als »wahre Demokraten« zu profilieren. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR) erläutert das Demokratieverständnis der NPD und beschreibt, welche Herausforderung für zivilgesellschaftliches Engagement die rechtsextreme Selbstinszenierung als »wehrhafte Opfer« bedeutet.

 

Bei den Wahlen im September 2006 gelang rechtsextremen Parteien der Einzug in fünf Berliner Bezirksverordnetenversammlungen (BVVen). In den Bezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick ist die NPD mit jeweils drei Verordneten in Fraktionsstärke vertreten, dazu kommen zwei NPD- Verordnete in Neukölln und ein Vertreter der »Republikaner« in Pankow.[1]

I. Der BVV-Alltag: Rechtsextreme Propaganda und vermeintliche »Interessenvertretung der kleinen Leute«

Seit ihrem Wahlerfolg versuchen die rechtsextremen Verordneten der NPD die BVV als einen weiteren Ort für ihre antidemokratische Propaganda zu nutzen. Ihre vorrangigen Ziele sind eine permanente Präsenz rechtsextremer Positionen im kommunalen Raum, die Senkung der Tabuschwelle durch strategisch eingesetzte Provokationen und die zunehmende Verankerung des Rechtsextremismus in allen Bereichen der Gesellschaft.[2] Kennzeichnend für die Tätigkeit der NPD- Verordneten ist eine Mischung aus offensichtlich ideologisch motivierten Anträgen und Redebeiträgen, mit denen rechtsextreme Kernaussagen propagiert werden sollen sowie Initiativen, deren Verbindungen zu rechtsextremen Ideologieelementen auf den ersten Blick weniger offenkundig sind.

Die rein ideologischen Initiativen bewegen sich im klassischen Themenfeld rechtsextremer Agitation: Vorherrschend ist die rassistische und völkisch-nationalistische Stimmungsmache gegen als nicht- deutsch definierte Menschen, sowie die Propagierung eines ethnisch und kulturell einheitlichen Gemeinschaftsmodells. So stellte beispielsweise der Neuköllner NPD-Verordnete Jan Sturm einen Antrag, der Deutsch als Amtssprache im Grundgesetz fest schreiben sollte, da durch den »Multi-Kulti-Wahn« der etablierten Politik ein Kippen der Bevölkerungsstruktur möglich sei.[3]

An die rassistischen Ein- und Ausschlusskriterien des Volksbegriffes der NPD knüpft auch die Ethnisierung sozialer Problemlagen an. So argumentiert die NPD in der ersten Ausgabe ihres Mitteilungsblattes »Weiterdenken«, dass ihr Antrag auf »getrennte Schulen für Deutsche und Ausländer«[4] dazu beitragen würde, dass benachteiligte herkunfts-deutsche Kinder aus sozialschwachen Familien besser gefördert würden.

Die politischen Initiativen der NPD setzen deutlich auf eine Stärkung der »Volksgemeinschaft« auf Kosten des Individuums und gesellschaftlicher Gruppen, die nicht ins rechtsextreme Weltbild passen. In einer Debatte um eine Studie zu homosexuellem Leben in Lichtenberg erklärte Manuela Tönhardt (NPD), auch der Untergang des römischen Reiches habe mit »derartig ausgelebten Abnormitäten« begonnen und nur die NPD würde erkennen, dass dies der Anfang vom Ende der demokratischen Grundordnung sei.

Ein weiteres wichtiges und identitätsstiftendes Thema für die NPD ist eine revisionistische Geschichtspolitik. So begründete Matthias Wichmann (NPD) in der BVV Marzahn-Hellersdorf einen Antrag »zum Gedenken an die vertriebenen Deutschen« unter anderem damit, dass kein Volk im letzten Weltkrieg so schlimm gequält worden sei wie das deutsche.[5]

Zum Repertoire der NPD-Verordneten gehören hingegen auch Initiativen, die versuchen, rechtsextreme Ideologeme weniger offensichtlich in den politischen Diskurs einzubringen. In der Begründung eines Antrages für einen Bürgertag in Lichtenberg formulierte der rechtsextreme Verordnete Jörg Hähnel, es gälte »…den Zersetzungsprozess der Gemeinschaft zu stoppen. Neben dem Stopp der Zuwanderung ist hier besonders die Aktivierung der Gemeinschaft durch gemeinsame Aufgaben zu fördern.«[6]

Eine weitere Facette rechtsextremer Politik bilden taktisch-populistische Initiativen, die der NPD Zustimmung in breiten Bevölkerungsschichten bringen sollen, aber keinen offensichtlich rechtsextremen Gehalt aufweisen. Kennzeichnend für die rein populistischen Profilierungsversuche als »Anwalt der kleinen Leute« ist, dass sie keinen realen Bezug zu kommunalpolitischen Aufgaben haben und jenseits des Zuständigkeitsbereiches der BVV liegen. So wurde mit dem Slogan »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« die Angleichung der Tarife im öffentlichen Dienst in Ost und West Berlin gefordert.[7] Dazu kommen jene Anträge, die ausschließlich kommunalpolitischer Natur sind und sich mit Themen wie Fußgägerbrücken, Radwegen oder Parkverbotszonen beschäftigen. Mit beiden Formen politischer Initiativen will sich die NPD als einzig wahre Volksvertreterin darstellen und suggerieren, dass sie ihren bezirkspolitischen Auftrag wahrnehme.

Strategisch gesehen steht dahinter das Bemühen, über persönliche Überzeugungskraft schrittweise eine gesellschaftliche Öffnung auch gegenüber offen rechtsextremen Inhalten zu erreichen. Was in anderen Regionen Deutschlands, z.B. in Sachsen zum Teil gelingt, lässt sich jedoch in Berlin kaum realisieren. Dies liegt vor allem daran, dass in Berlin kein rechtsextremes Führungspersonal existiert, das überzeugend das Image des »netten Nachbarn von nebenan« verkörpert. Angesichts der offensichtlich engen Verzahnung von NPD und aktionsorientierten Rechtsextremist/innen in übergreifenden Aktionszusammenhängen wirkt der bürgerliche Habitus schlicht unglaubwürdig.

Zudem versucht die NPD den durch die kommunalpolitische Präsenz gewonnenen Einflussbereich und die begrenzte Öffentlichkeit auch für die politischen Ziele des Berliner aktionsorientierten Rechtsextremismus und des Kameradschaftsspektrums zu nutzen. Sie treten als deren Anwälte auf und greifen in der BVV deren Forderungen nach einem nationalen Jugendzentrum im Süd-Osten Berlins auf. Im Gegenzug werden die NPD-Verordneten von rechtsextremen Aktivist/innen unterstützt. Das geht von der kontinuierlichen Anwesenheit bei den BVV-Sitzungen, die dort u.a. offensiv die ausliegenden Besucher/innenlisten einsehen, bis hin zur Einschüchterung zivilgesellschaftlicher Akteure für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Im Januar 2008 bei der Langen Nacht der Politik im Rathaus Lichtenberg trafen sich im Fraktionsraum der NPD zahlreiche bekannte rechtsextreme, aktionsorientierte Aktivist/innen. Diese gingen den ganzen Abend in kleineren Gruppen durch das Rathaus und schüchterten zivilgesellschaftliche Akteure sowie Jugendliche ein, die sich im Bezirk gegen Rechtextremismus engagieren.

Gleichzeitig nutzen sie die BVV als Bühne, um politische Gegner/innen zu diffamieren. Dazu gehören z.B. Einrichtungen, die im Rahmen des Bundesprogramms »Vielfalt tut gut« gefördert werden, zivilgesellschaftliche Initiativen für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, sowie engagierte Jugendgruppen. So lehnte die NPD-Fraktion in Treptow- Köpenick den Bezirkshaushalt unter anderem mit der Begründung ab, dass das vom Bezirk finanzierte »Zentrum für Demokratie« verfassungsfeindlich sei, weil es die NPD bekämpfe.[8]

Die Aktivitäten der rechtsextremen Verordneten bewegen sich also im Spannungsfeld bürgernaher Strategien auf der einen und möglichst kämpferischer Vertretung rechtsextremer Ideologie auf der anderen Seite. Hintergrund der unterschiedlichen Varianten rechtsextremer Agitation ist die langfristig angelegte Normalisierungsstrategie der NPD. Innerhalb dieser Strategie erfüllen sowohl die kommunalpolitischen als auch die offensichtlich ideologisch motivierten Initiativen eine spezifische Funktion. Einerseits versuchen die rechtsextremen Verordneten, sich als akzeptable, ansprech- und wählbare sowie in kommunalpolitischen Sachfragen kompetente politische Interessenvertreter/innen der herkunftsdeutschen Bevölkerung zu etablieren. Andererseits sollen ständige, kalkulierte Tabubrüche zu einem Gewöhnungseffekt führen und auf diese Weise mittelfristig die gesellschaftliche Ächtung rechtsextremer Ideologeme unterlaufen.

Demokratische Handlungsstrategien im BVV-Alltag

Noch ist nicht abzusehen, ob die NPD ihre Präsenz in den BVVen nutzen kann, um funktionierende lokale Strukturen aufzubauen und zu etablieren. Derzeit mangelt es der NPD in Berlin noch an einer lokalen Verankerung und einer tragfähigen außerparlamentarischen Infrastruktur, wie sie in einigen regionalen Einflusszonen in den ostdeutschen Flächenländern als Ausgangspunkt und dauerhafte Basis von Wahlerfolgen bereits existiert. Dennoch ist nicht damit zu rechnen, dass die NPD bei den kommenden Wahlen ohne weiteres wieder von der bezirkspolitischen Bühne verschwinden wird.

Der parlamentarische Alltag hat gezeigt, dass es den demokratischen Verordneten gut gelingt die Spielräume der NPD zu begrenzen ohne demokratische Spielregeln zu verletzten. So werden Anträge der NPD auf der Basis eines demokratischen Konsenses mit einer kurzen Begründung geschlossen abgelehnt und es werden parteiübergreifende Gremien der demokratischen Verordneten gebildet, um sich gemeinsam der inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtsextremer Ideologie zu stellen.

Als im Dezember in Lichtenberg laut NPD-Antrag ein zu Ehren des Antifaschisten Anton Saefkow benannter Platz umbenannt werden sollte, standen viele demokratische Verordnete auf und stellten sich zu Bürgern und Bürgerinnen im Zuschauerraum, die ein Transparent hochhielten auf dem »NoNPD« stand.

Auch wenn die NPD kaum Interesse an parlamentarischen Aushandlungsprozessen hat, benötigt sie die öffentliche Auseinandersetzung mit den demokratischen Parteien in den BVV-Sitzungen, um sich in der begrenzten lokalen Öffentlichkeit zu profilieren. Mit Verweisen auf demokratische Spielregeln und einer permanenten Opferinszenierung versucht sie den Entschluss der demokratischen Parteien, die NPD als demokratiefeindliche und rassistische Partei gemeinsam und entschlossen zu ächten, kontinuierlich zu unterlaufen und zu konterkarieren.

II. Wehrhafte Opfer und »wahre« Demokraten – das Selbstverständnis der NPD

Die rechtsextremen Verordneten versuchen immer wieder die relativ erfolgreiche Auseinandersetzung der demokratischen Parteien mit der NPD als undemokratisch zu diffamieren. So warf Manuela Tönhardt den demokratischen Verordneten in einem Redebeitrag in der Lichtenberger BVV vor, ihre »hässliche Fratze der pseudodemokratischen Heuchelei« gezeigt zu haben und »Gesinnungsfaschismus« zu betreiben.[9] Diese Diffamierung des Engagements für Demokratie und gegen Rechtsextremismus ist auch jenseits der Kommunalpolitik von entscheidender strategischer Bedeutung im Gesamtzusammenhang rechtsextremer Normalisierungsbestrebungen. In der Auseinandersetzung mit der demokratischen Ächtung finden sich wiederkehrende Argumentationsmuster, die sich durch die gesamte Agitation der NPD ziehen. Insbesondere seit das NPD- Verbotsverfahren auf Grund von Verfahrensfehlern gescheitert ist, versucht sich die Partei als demokratisch legitimiert darzustellen und als Opfer einer »antifaschistischen Gesinnungsgesellschaft« zu inszenieren. Die Eigenwahrnehmung der NPD und ihrer Anhängerschaft als Leidtragende einer ungerechtfertigten Ausgrenzung sowie »wehrhafte Opfer« ist integraler Bestandteil rechtsextremer Ideologie und Selbstwahrnehmung. Diese hat selbst dann noch Bestand, wenn sie selber im »Kampf um die Straße« Einschüchterung und Bedrohung als politisches Mittel gegen jene einsetzen, die nicht in ihr rechtsextremes Weltbild passen.

Die Inszenierung als »Kämpfer für das eigene Volk« ist eng verwoben mit der kontinuierlichen Selbstdarstellung als »unschuldig Verfolgte«, die auch nicht vor relativierenden Vergleichen mit dem Nationalsozialismus zurückschreckt. So äußerte der Neuköllner NPD-Verordnete Thomas Vierk in einem Redebeitrag auf einer rechtsextremen Demonstration: »Unser gemeinsames Ansinnen auf ein besseres Deutschland scheint den Blockparteien so eine Heidenangst einzujagen, dass sie unsere Stimme brechen, unsere Parteien verbieten und uns alle am liebsten in Konzentrationslager stecken würden, um uns dort ordentlich zu entlausen.«[10]

Kampf gegen den »antifaschistischen Gesinnungsstaat«

Die rechtsextreme Selbstinszenierung basiert auf einer bestimmten Argumentationslogik, die wesentlich für das Demokratieverständnis der NPD ist. Kern der Argumentationslogik ist eine Trennung von Grundrechten und Grundwerten. Die formalen Regeln und Verfahren einer rechtsstaatlichen Demokratie sollen von den mit ihnen unlöslich verbundenen demokratischen Werten scharf getrennt werden.[11] Dies sei notwendig, da der freiheitlich demokratischen Grundordnung ein »quasi-religiöser Status« zuerkannt würde, wodurch es immer wieder zu »Einschränkungen demokratischer Rechte unter Bezug auf demokratische Werte«[12] käme, argumentiert die NPD. Die Rechtsextremen reklamieren auf der Basis ihres sehr etatistischen Demokratieverständnisses einen wertneutralen Staat. Der eingeforderte wertneutrale Staat müsse sich gleichermaßen gegen rechte wie linke totalitäre Bestrebungen richten bzw. das Recht auf freie Meinungsäußerung so auslegen, dass z.B. nationalistische Symbole oder die Leugnung des Holocaust nicht unter Bezugnahme auf demokratische Werte unter Strafe gestellt werden. Dem Staat und den demokratischen Parteien wird vorgeworfen, auf dem linken Auge blind zu sein.

Gemeint ist damit allerdings nicht eine im umfassenden Sinne wehrhafte Demokratie. Im Gegenteil: Gerade dieses Prinzip wird angegriffen. Beklagt wird nicht, dass der deutsche Staat gegen alle Versuche, die freiheitlich demokratische Grundordnung abzuschaffen gleichermaßen vorgehen soll, sondern es wird kritisiert dass die Menschenrechte unveräußerlicher Teil dieser demokratischen Grundordnung sind. So argumentiert die NPD in einer Broschüre, das Grundgesetz sei »ein Diktat der Westalliierten, es ist vom deutschen Volk nie in einer Volksabstimmung abgesegnet worden, die Grundrechtsbestimmungen triefen vor Menschenrechtstümelei.«[13] Die solchermaßen »antitotalitär« argumentierenden Rechtsextremen stellen sich konsequenterweise selbst einen Persilschein über ihre Zugehörigkeit zum demokratischen Spektrum und ihre Abwehr totalitärer Bestrebungen aus.

Völkischer Nationalismus und Kollektivismus

Die immer wiederkehrenden Verweise der rechtsextremen Verordneten auf die Vokabel »demokratisch« im Namen der NPD basieren auf einem ethnokratischen Verständnis von Demokratie. Denn das rechtsextreme Demokratieverständnis ist eng mit einem völkischen Nationalismus verwoben. Demokratie bedeutet hier ausschließlich eine »deutsche Volksherrschaft«. Eine »multikulturelle Demokratie ist nicht vorstellbar, sondern eine Demokratie ist immer an ein konkretes, homogenes Staatsvolk gebunden und somit nur als Nationaldemokratie authentisch.«[14]

Im Gegensatz zu einem humanistischen Weltbild sowie zum Grundgesetz der BRD erkennt die Ideologie der NPD keine Würde des einzelnen Individuums aus sich selbst heraus an und verneint die prinzipielle Gleichwertigkeit der Menschen untereinander. Menschen existieren nur als Angehörige eines bestimmten Volkes, das jeweils eine spezifische ethnischkulturelle Prägung hat. Das einzelne Individuum ist nichts ohne sein Volk. Daraus folgt für die NPD eine Konzeption von Staat und Gesellschaft, in der individuelle Interessen und Freiheiten strikt einer autoritär gedachten Volksgemeinschaft untergeordnet werden.[15] Der Volksbegriff ist die programmatische Klammer der NPD. Er dient zur Definition von Ein- und Ausschlusskriterien und zur Legitimation kultureller Hegemonie.

Die Ideologie der NPD geht von einem homogenen Volkskörper aus, aus dem auf Grund von gemeinsamen biologistischen Merkmalen und vermeintlichen kulturellen Gemeinsamkeiten ein von allen geteiltes Interesse hervorgeht. Als parteiförmiger, legaler Teil einer rechts- extremen Bewegung beansprucht die NPD das Sprachrohr dieser Interessen zu sein.

Die Grundsätze der liberalen Demokratie sollen die Interessen von Einzelnen und Gruppen schützen und ausgleichen. Was die NPD jedoch letztendlich erreichen will, ist der Ausschluss von Minderheiten und die Unterwerfung der Individuen unter einen rechtsextremen Kollektivismus. Der Anti-Individualismus der NPD-Ideologie trägt totalitäre Züge, insofern er auf eine Ausrichtung aller Lebensbereiche des Einzelnen an den Bedürfnissen des ethnischen Kollektivs zielt.

Auslegungssache Demokratie

Die rechtsextreme Grundüberzeugung von der Ungleichwertigkeit der Menschen führt zu autoritären und elitären Vorstellungen über den inneren Aufbau der angestrebten Volksgemeinschaft. Zwar hält sich die NPD mit konkreten Aussagen über den von ihr gewünschten Staat zurück, die programmatischen Sätze über den vom Volk direkt zu wählenden Präsidenten, die plebiszitäre politische Entscheidungsfindung und die Entmachtung der Parlamente offenbaren jedoch einen deutlich autoritären Gehalt. Die Verwirklichung dieser Forderungen würde gepaart mit dem behaupteten gemeinsamen Volkswillen eine autoritär von Eliten geführte Gemein schaftsordnung bedeuten, die dem Führerprinzip des Nationalsozialismus wesenverwandter wäre als einer demokratischen Ordnung.

Verschiedene Aussagen von Vertreter/innen der NPD offenbaren einen ausgeprägten Elitismus. In dem Staat, den die NPD anstrebt, soll die politische Macht durch eine Führungselite ausgeübt werden, die nicht etwa durch demokratische Wahlen, sondern durch ihre letztlich biologisch gegebene Eignung zur Herrschaft legitimiert ist.

Nationale Revolution – die Abschaffung der Demokratie mit ihren eigenen Mitteln

Vor diesem Hintergrund stilisiert sich die NPD zur einzigen fundamental-oppostionellen Kraft. Der mittlerweile verstorbene NPD-Abgeordneten aus Sachsen Uwe Leichsenring brachte es in einem Interview auf den Punkt: »Natürlich sind wir verfassungsfeindlich.«.[16] Die NPD sieht sich selbst als die einzige Kraft, die sich gegen die »volkszersetzende« Wirkung der Menschenrechte der »One-World-Ideologie« stellt. Sie ist die einzige Partei, die eine »wahre« Volksherrschaft an die Stelle der »liberalistischen« Parteien- und Interessengruppenherrschaft setzen möchte.

Die Diffamierung der demokratischen Parteien als »Blockparteien« ist damit nicht nur ein populistischer Versuch der Gleichsetzung mit dem DDR-Regime, sondern eine der ideologischen Logik folgende Reaktion auf das geschlossene und gemeinsame Eintreten der demokratischen Kräfte für die freiheitlichdemokratische Grundordnung. Die politischen Bestrebungen der NPD richten sich gegen die Gesamtheit des politischen Systems in Deutschland. Sowohl gegen seine Prinzipien und Grundlagen, als auch gegen ihre konkrete politische Ausgestaltung. Die daraus für die NPD und ihre Anhängerschaft folgende Konsequenz einer nationalen Revolution und das Selbstbild, sich als Elite in einem permanenten Kampf für das eigene Volk zu begreifen, werden je nach Ort und Situation mehr oder weniger offenbar. Die formaldemokratische Rhetorik rechtsextremer Vertreter/innen und Publikationen ist lediglich dem Umstand geschuldet, dass sich die NPD gezwungen sieht, im Rahmen der ihr verhassten liberaldemokratischen Ordnung zu operieren, um ihre gegenwärtig gesellschaftliche Ächtung und Stigmatisierung zu überwinden.

Wehrhafter Opfermythos als fester Bestandteil rechtsextremer Ideologie

Die Inszenierung als wehrhaftes Opfer ist integraler Bestandteil der rechtsextremen Ideologie. Das Selbstverständnis als wehrhaftes Opfer bildet so etwas wie den »Gründungsmythos« der Rechtsextremen, der sich in immer neuen Variationen und Modernisierungen fortsetzt. Die Rechtsextremen sehen sich selbst und das deutsche Volk in einem existenziellen Abwehrkampf gegen die jüdische Weltverschwörung, oder – modernisiert ausgedrückt – im Kampf gegen Migration und Globalisierung als vermeintlich planvoll gesteuerte Prozesse zur Vernichtung der Völker. »Einwanderung ist nichts anderes als die Fortführung des Morgentauplanes mit anderen Mitteln«, argumentiert dementsprechend auch Jörg Hähnel in einem Redebeitrag in der BVV Lichtenberg.[17] Neben den grundlegenden Funktionen der Täter-Opfer- Umkehr und Verschleierung des menschenverachtenden Gehalts der rechtsextremen Ideologie, dienen die rechtsextremen Opfermythen auch der Schuldabwehr. Überdeutlich wird dies nach 1945 als sich die Rechtsextremen in Folge der Delegitimierung des Nationalsozialismus, als Opfer von Schuldkult und Meinungsdiktatur zu inszenieren begannen und deutsche Kriegsopfer für ihre ideologischen Zwecke instrumentalisierten. Vor diesem Hintergrund ist es eine Illusion zu glauben, man könnte verhindern, dass sich Rechtsextreme als Opfer inszenieren. Denn diese Inszenierung bildet den innersten Kern der Legitimation rechtsextremer Ideologie.

III: Der rechtsextremen Herausforderung entgegentreten! Zum Umgang mit den rechtsextremen Selbstinzenierungen

Demokratische Rechte und Toleranz sind nicht inhaltslos oder neutral, sondern eng mit Menschenrechten und demokratischen Grundwerten verknüpft. Demokratie – verstanden als Kultur ei nes pluralistischen und menschenrechtsorientierten Miteinanders – hat dort ihre Grenzen, wo Positionen und Ziele diesem demokratischen Selbstverständnis widersprechen und dieses angreifen. Der Sinnentleerung der Demokratie und ihrer Werte, auf die die NPD abzielt, kann nur durch eine inhaltliche Auseinandersetzung entgegengetreten werden, die sich zum Ziel setzt immer wieder deutlich zu machen, mit welchen ideologischen Deutungsmustern die NPD Begriffe wie Meinungsfreiheit, Demokratie usw. füllt. Verhindern kann man die Selbstinsenzierung der Rechtsextremen als wahre Demokrat/innen und wehrhafte Opfer nicht – sie muss jedoch dauerhaft dekonstruiert werden. Rechtsextremismus stellt die demokratische Kultur und deren Werte radikal in Frage und muss daher auf dieser Grundlage bekämpft werden.

Der Einzug der NPD in vier Berliner BVVen führt notwendigerweise zu einer neuen Qualität kommunalpolitischen Handelns, die die inhaltliche Auseinandersetzung mit und die Ächtung von rechtsextremer Ideologie auf allen Ebenen zu einer stetigen Aufgabe Berliner Politik macht. Dabei wird die Herausforderung vor allem darin bestehen nicht einem Ermüdungseffekt zu erliegen, auf den die NPD strategisch setzt, sondern die kontinuierliche Anstrengung zu unternehmen rechtsextreme Präsenz nicht zur Normalität werden zu lassen – weder im Alltag noch in den Parlamenten.

Dem kommunalen Handeln kommt eine Schlüsselrolle bei der Verhinderung einer schrittweisen Normalisierung rechtsextremer Weltbilder und Erscheinungen zu. Die Kommune ist der Ort, an dem die Auseinandersetzung zwischen rechtsextremer Agitation und demokratischen Gegenkräften am unmittelbarsten erfolgt. Sie ist zum zentralen Schauplatz des Kampfes der Rechtsextremen um gesellschaftlichen Anschluss geworden. Hier wird entschieden, ob die diskurs- und raumgreifenden Normalisierungsstrategien, mit denen Rechtsextreme versuchen, die gesamtgesellschaftliche und bundespolitische Ächtung zu unterlaufen, erfolgreich sein oder scheitern werden.

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR) unterstützt und vernetzt alle BerlinerInnen, die in ihrem Wohn-, Arbeits- oder sozialem Umfeld mit Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus konfrontiert sind und sich für die Stärkung demokratischer Kultur engagieren möchten. Unter Berücksichtigung der jeweiligen lokalen Gegebenheiten und Ressourcen entwickelt die MBR gemeinsam mit Jugendeinrichtungen, Schulen, zivilgesellschaftlichen Initiativen sowie der Kommunalpolitik und Verwaltung auf Bezirksebene situationsbezogene Handlungsstrategien, bietet Fortbildungen an und begleitet die Umsetzung von lokalen Aktionsplänen und Kommunalanalysen.

  1.  Der Republikaner M. Rauschenbach (Pankow) trat bis Januar 2008 nur sehr vereinzelt mit Anträgen und Redebeiträgen in Erscheinung. Daher konzentriert sich die Analyse auf die Verordneten der NPD und DVU.
  2.  Eine ausführlichere Analyse der rechtsextremen Aktivitäten in den BVVen findet sich in der Handreichung der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus: »Kampf um die Rathäuser. Berliner Kommunalpolitik zwischen rechtsextremer Normalisierungsstrategie und demokratischem Handeln« vom November 2007 (zum download unter: www.mbr-berlin.de).
  3.  Siehe Antrag der NPD in der BVV Neukölln am 28.02.2007.
  4.  Siehe Anträge der NPD-Verordneten in Lichtenberg und Neukölln im August 2007.
  5.  siehe BVV Marzahn Hellersdorf am 26.04.2007.
  6.  4. Sitzung der BVV Lichtenberg am 01.02.2007.
  7.  Siehe Antrag der NPD vom 30.08.2007 in der BVV Lichtenberg.
  8.  Siehe Antrag der NPD in Treptow-Köpenick »Ablehnung des Bezirkshaushaltes 2008 / 2009« vom 20.09.2007.
  9.  Siehe »Weiterdenken« Mitteilungsblatt der NPD Berlin, Ausgabe 2/2007.
  10.  Siehe Redebeitrag von Thomas Vierk auf der Abschlusskundgebung des rechtsextremen Aufmarsches in Berlin-Neukölln am 01.12.2007 (Fehler im Original).
  11.  Beispielhaft ist die Argumentation in der Broschüre: »Mehr Demokratie wagen. Hände weg von der NPD. Eine demokratiepolitische Entgegnung.« (vom Parteipräsidium der NPD im Oktober 2007 beschlossen), S. 5.
  12.  Siehe ebda., S.4 und S. 6.
  13.  Siehe »Eine Handreichung für die öffentliche Auseinandersetzung. Argumente für Kandidaten und Funktionsträger,« Hrsg. vom Amt für Öffentlichkeitsarbeit der NPD, Juni 2006, S. 30.
  14.  Siehe ebda.
  15.  Siehe das Aktionsprogramm der NPD von 2005, S. 72: »An allen Stellen, an denen Einzelinteressen mit Gemeinschaftsinteressen kollidieren, haben diese zugunsten des Erhaltes der Gemeinschaft zurückzutreten.« (Fehler im Original).
  16.  Interview in der FAZ am 21.09.2004.
  17.  Siehe Bericht von der 17. Sitzung der BVV Lichtenberg auf der Webseite der NPD Berlin.
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