Einleitung Berliner Zustände 2008

„Chaostruppe NPD“, „die NPD hat an Schlagkraft verloren“, „die NPD steht vor dem Ruin“ lauten seit Ende 2008 die Schlagzeilen zu den finanziellen Problemen und internen Machtkämpfen der NPD. Die rechtsextreme Partei sei „drauf und dran, sich selbst zu erledigen“, frohlocken dabei so einige.

 

Wenn man, wie der Berliner Verfassungsschutz, die NPD als „zentralen rechtsextremen Akteur“ bezeichnet, gerät schnell aus dem Blick, dass die NPD lediglich der parteiförmige Teil einer rechtsextremen Bewegung ist. Die Zustimmung zu rechtsextremen Ideologieelementen reicht bis in die Mitte der Gesellschaft. Ein Großteil derjenigen, die rechtsextreme Angebote des vorpolitischen Raums nutzen, sind in der Mehrheit keine organisierten Rechtsextremen, aber sie stimmen zumindest in Teilen ihrer Ideologie zu, beispielsweise rassistischen oder antisemitischen Einstellungen. Rechtsextreme Einstellungen finden sich auch bei Personen, die nie eine Anbindung an die rechtsextreme Szene hatten, sich aber in einem gesellschaftlichen Umfeld bewegen, in dem Vorurteile gegen Minderheiten zum Alltag gehören. Die Opferberatungsstelle ReachOut spricht von einem besorgniserregenden Anstieg rassistisch motivierter Angriffe im Jahr 2008. Auch neuere Studien weisen die höchsten Zustimmungswerte für Rassismus aus. Jenseits von öffentlichen Kristallisationspunkten, wie beispielsweise NPD-Parteitagen oder rechtsextremen Aufmärschen, wollen fünf Berliner Projekte rechtsextreme, rassistische, nationalistische sowie homophobe Phänomene beleuchten. Auch in einer sich als weltoffen präsentierenden Stadt wie Berlin gibt es genug Gründe für eine kontinuierliche, alltägliche Auseinandersetzung. In ihrer Gesamtheit verfolgen die Berliner Zustände 2008 das Ziel, relevante Entwicklungen und Tendenzen zu analysieren und so eine alternative Informationsquelle aus Sicht der Fachprojekte zur Verfügung zu stellen.

„Eine Frage der Perspektive“ titelt die Opferberatungsstelle ReachOut und beschreibt exemplarisch zwei Fälle, in denen Opfer rechter Gewalt mit einer rassistischen Behandlung seitens der Polizei konfrontiert waren. In einem Fall behauptet diese, lediglich der Gefahr durch den Betroffenen begegnet zu sein. Im anderen Fall will die Polizei zunächst keine rassistische Motivation beim Tathergang erkennen. Leider keine Einzelfälle.

Ergänzend zu den von ReachOut dargestellten Angriffszahlen und der – auch im Schattenbericht veröffentlichten – Chronik dokumentieren seit mehreren Jahren bezirkliche Registerstellen rechtsextrem, antisemitisch und rassistisch motivierte Vorfälle. Exemplarisch stellt die Lichtenberger Netzwerkstelle Licht-Blicke ihre Auswertung für das Jahr 2008 vor und beschreibt, wie Pöbeleien, Propaganda und Aktionen, die meist unterhalb der Anzeigenschwelle liegen, das Klima in einem Bezirk beeinflussen.

Unter dem Titel „Von weißen Privilegien reden“ haben wir im letzten Schattenbericht die Diskussion zur Instrumentalisierung des Rassismusbegriffes begonnen. Der Artikel von Andrés Nader und Yasemin Yildiz knüpft an diese Beiträge an und wirft die Frage auf, was kritische Weißseinsforschung für die Praxis bedeutet.

Nur einige der zehn von ReachOut registrierten homophoben Gewalttaten im letzten Jahr standen im Fokus der Öffentlichkeit. Insbesondere jener vom 8. Juni auf eine Gruppe von Frauen und Transpersonen mitten auf der Kreuzberger Oranienstraße führte zu einer großen Solidarisierung mit den Opfern in der Öffentlichkeit. Ob diesem Angriff auch dieselbe Aufmerksamkeit geschenkt worden wäre, wenn nicht an einem Auto der Täter ein Aufkleber der „Grauen Wölfe“ gesehen wurde, fragt der Beitrag von Gladt e.V. und thematisiert, welche Funktion gesellschaftliche Diskurse erfüllen, die Phänomene wie homophobe Gewalt mit Diskursen um Migration verzahnen. Und genauso kann anders herum die Frage gestellt werden: Wäre diesem Übergriff die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt worden, wären die Betroffenen KurdInnen gewesen? Denn jenseits dieses Angriffes bleiben die nationalistischen Aktivitäten der Grauen Wölfe für einen Großteil der Berliner Mehrheitsgesellschaft zumeist im Verborgenen. Daher widmet sich ein Beitrag des AK Graue Wölfe/Türkischer Nationalismus deren Strukturen.

Die Berliner Strukturen von NPD und RNF (Ring Nationaler Frauen) beschreibt das apabiz. Hierbei geht es vor allem darum, wie sie sich selbst als sittliche Instanzen darstellen. Durch ein antifeministisches Frauenbild und eine angeblich integere eigene Sexualmoral unterfüttern sie ihre neonazistische „Systemkritik“ und versuchen so, ihre politischen GegnerInnen anzugreifen. Nicht zuletzt ihre eigenen Reihen säubern sie so. Ein analytischer Blick auf Reden und Subtexte erkennt deren sexistischen und homophoben Gehalt.

Die Atmosphäre im Rudower Blumenviertel nach zwei Brandanschlägen auf Wohnhäuser von Familien mit Migrationshintergrund hat der Beitrag der Mobilen Beratung gegen Rechtextremismus zum Thema. Die Rudower neonazistischen Strukturen wurden vor Ort kaum als ein Problem wahrgenommen. Erst langsam werden Teile der Nachbarschaft durch die Brandanschläge und deren Hintergründe zu einer Solidarisierung mit den Opfern bewegt und für rechtsextreme Erscheinungsformen sensibilisiert. Ein Gespräch mit den InterviewerInnen einer AnwohnerInnenbefragung gibt eine Inneneinsicht.

Auch im dritten Schattenbericht werden die Beiträge von einer thematischen Fotostrecke begleitet. Ausschnitte zivilgesellschaftlicher und antifaschistischer Interventionen beispielsweise gegen rechtsextreme Infrastruktur oder Veranstaltungen verdeutlichen, dass es immer wieder wichtig ist, öffentlich zu zeigen, dass menschenverachtende Inhalte in Berlin auf Widerstand stoßen. Die kleinteilige Auseinandersetzung mit rechtsextremen, rassistischen, nationalistischen oder homophoben Einstellungen im direkten sozialen Umfeld, am Arbeitsplatz, in der Familie oder in der Nachbarschaft können diese jedoch nicht ersetzen. Letztendlich sind zivilgesellschaftliche und antifaschistische Proteste in der Öffentlichkeit gegen Neonazis nur ein Aspekt einer notwendigen Auseinandersetzung, so wie die NPD nur ein Teil des Phänomens Rechtsextremismus darstellt. Ein Blick auf die unterschiedlichen Facetten und Ausformungen von Rechtsextremismus, Rassismus, Nationalismus und Homophobie ist auch immer eine Aufforderung zum alltäglichen Handeln.

 

    Der Berlin-Blog vom
    Kontakt

    mail@apabiz.de   [PGP-Key]

    Berlin rechtsaußen
    c/o apabiz e.V.
    Lausitzerstr. 10
    10999 berlin

    Piwik