Die aufhaltsame Gewaltkarriere des Neonazis Dennis E. Oder: Warum sich Demokraten nicht allein auf Gerichte verlassen dürfen.

Schönefeld im Juni 2006: Neonazis schlagen und treten einen 15- jährigen Berliner Schüler krankenhausreif. Mutmaßlich beschimpfen sie ihn als „Scheiß Nigger“ und drohen, ihn zu töten. Die hemmungslose Gewalt solcher Schläger macht Angst. Noch mehr Angst macht der Umgang mancher Richter mit ihr.

Für das jugendliche Opfer sind nicht nur die lebensbedrohlichen Verletzungen bitter und die Ängste, die es vielleicht ein Leben lang mit sich herumtragen wird. Ebenso bitter dürfte die Erkenntnis sein, dass diese Tat vermeidbar war, dass die Justiz mutmaßlichen Tätern schon vorher hätte das Handwerk legen können.

Einer der mutmaßlichen Angreifer von Schönefeld ist Dennis E., Anfang 20, ein szenebekannter Neonazi und NPD-Aktivist. Zudem bewegt er sich seit Jahren im Umfeld verbotener neonazistischer Kameradschaften. Bei rechtsextremen Aufmärschen tritt er als Ordner auf. Bisweilen sichert er mit offenkundig militanten „Kameraden“ den Lautsprecherwagen. Vor den Kommunalwahlen 2006 erwägt Dennis E. als NPD-Spitzenkandidat für Treptow-Köpenick anzutreten. Sein Bewährungshelfer rät ihm ab – mit Rücksicht auf laufende Strafverfahren.

Seit seiner Jugend beschäftigt Dennis E. die Justiz. Diebstahl, Sachbeschädigung, Widerstand, Bedrohung, gefährliche Körperverletzung – unablässig üben sich Staatsanwälte und Jugendrichter darin, Verfahren gegen ihn einzustellen, ihn zu ermahnen oder zu verwarnen – durchweg mit höchst fragwürdigem Erfolg. Jeweils folgt die nächste Tat auf dem Fuße. Ende 2002, nach einem Überfall auf einen Zeitungshändler, versucht ein Richter einen ultimativen „Schuss vor den Bug“: Die Entscheidung über eine Jugendstrafe wird für ein Jahr und 6 Monate auf Bewährung ausgesetzt. Doch die Warnung beeindruckt offenkundig nicht.

Anfang April 2003 ist Dennis E. mit von der Partie, als etwa 25 Neonazis in Britz und in Rudow auf „Ausländerjagd“ gehen. Die Schläger sind bewaffnet mit Flaschen sowie einem Baseballschläger, in den das Wort Hass eingeritzt ist – die letzten beiden Buchstaben geschrieben im Stile des SS-Symbols. Ein junger Mann wird zusammengetreten und lebensbedrohlich verletzt. Bis heute leidet er an den Folgen. Für den Schläger Dennis E. hingegen hat der Fall zunächst keine Konsequenzen, obwohl er unter Bewährung steht.

Über drei Jahre wird sich das Strafverfahren hinziehen – mit fatalen Folgen. Offenbar gewinnt Dennis E. schon bald den Eindruck, dass er die Justiz nicht fürchten muss. Im April 2004 macht er mit bei dem bis dahin brutalsten rassistischen Überfall in Berlin. Gemeinsam mit einem weiteren szenebekannten Neonazi überfällt er in Köpenick einen vietnamesischen Imbissbesitzer. Mit einem Knüppel wird derart heftig auf den Kopf des Mannes eingeschlagen, dass der glaubt, die Angreifer wollten ihn töten. Wieder sind die Verletzungen lebensbedrohlich, wieder wird ein Opfer wohl für den Rest seines Lebens leiden müssen. Doch nicht wegen versuchten Mordes, sondern lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung wird Dennis E. zu zwei Jahren Jugendhaft verurteilt. Erneut wird die Strafe zur Bewährung ausgesetzt, während das Ansehen des Dennis E. in der Kameradschaftsszene wächst.

Die lebensbedrohliche Ausländerhatz von Rudow verhandelt das Landgericht erst im Mai 2006, über drei Jahre nach der Tat! Mit der Vorstrafe von 2 Jahren ist das Höchstmaß für eine Bewährungsstrafe erreicht. Deshalb muss Dennis E. nun damit rechnen, zu einer hohen Gesamtstrafe verurteilt zu werden, die für ihn nur Gefängnis bedeuten kann. Doch wieder meinen es Richter gut mit ihm. Sie verurteilen Dennis E. erneut zu zwei Jahren Jugendstrafe, verzichten aber ausnahmsweise darauf, eine Gesamtstrafe zu bilden. Folge: Die Einzelstrafe kann abermals zur Bewährung ausgesetzt werden. Was Richter „gerade noch vertretbar“ nennen, können Laien kaum nachvollziehen: Insgesamt vier Jahre Jugendstrafe für zwei lebensbedrohliche Angriffe – und trotzdem muss Dennis E. keinen einzigen Tag ins Gefängnis.

Ein Richterspruch mit verheerenden Folgen? Vier Wochen nach dem neuerlichen Bewährungsurteil kommt es zu dem Angriff gegen den 15-jährigen in Schönefeld. Erneut steht ein Prozess an. Wieder wurde ein Opfer, nunmehr das dritte, lebensbedrohlich verletzt. Muss erst ein Mensch sterben, bevor Gerichte einem offenkundig unverbesserlichen Nazi-Schläger Einhalt gebieten?

Neonazistische Gewalttäter machen Angst. Noch mehr Angst machen mir solche Richter. Fahrlässig nähren sie den rassistischen Hochmut von Tätern, die sich unbestraft wähnen, während ihre Opfer manchmal lebenslang leiden müssen. Fahrlässig nähren solche Urteile im rechtsextremen Milieu ein gefährliches Missverständnis, nämlich dass rassistische Anschläge Kavaliersdelikte seien und die Täter insgeheim geduldete „Vollstrecker eines heimlichen Mehrheitswillens“.

Rassismus gibt es in jeder Gesellschaft, die Verlierer produziert. Dort finden sich immer auch jene, die es nötig haben, auf andere herabzublicken – ein im Grunde erbärmliches Phänomen, das so alt sein dürfte, wie die Menschheit. Wir werden es wohl niemals überwinden. Doch wie viel Raum Rassisten im Alltag genießen und wie gefährlich Neonazis sein dürfen, das haben wir in der Hand. Dass wir uns dabei nicht allein auf die Justiz verlassen dürfen, zeigen Fälle wie die des Dennis E. und der Blick auf die Statistik. Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten steigt dramatisch.

Trotz des einst proklamierten „Aufstands der Anständigen“ mangelte es lange am Anstand von Zuständigen, die das Problem nicht wahrhaben wollen. So mussten geschätzte Zeitungskollegen den deutschen Sicherheitsbehörden das Ausmaß rechtsextremer Gewalt in Deutschland und die Zahl der Todesfälle erst vorrechnen. Ein realistisches Bild wurde wohl nur möglich, weil sich vielerorts, wo Polizeiberichte nicht alles sagen, wahrhaft Anständige zuständig fühlen – in zivilgesellschaftlichen Initiativen und Netzwerken, die rassistische und rechtsextreme Umtriebe beobachten und über sie aufklären, sowie in der Opferberatung. Erst ein realistisches Bild befähigt uns, wirksame Strategien zu entwickeln gegen Gefahren, wie sie von Dennis E. und seinen geistigen Ziehvätern ausgehen – und von allzu blauäugigen Richtern.

Norbert Siegmund ist Reporter und Fernseh-Autor für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) und die ARD. Seit Anfang der 90er Jahre hat er in einer Vielzahl von Beiträgen über Rechtsextremismus und rassistische Gewalt berichtet. Norbert Siegmund promovierte über Terrorismus und Nachrichtendienst- Kontrolle.

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