Aus der Mitte der Gesellschaft – Diskriminierung in Berlin

Im September 2004 begab sich der Schwarze Kreuzberger Herr A. in eine Kneipe in Berlin-Kreuzberg, um ein Fußballspiel zu sehen und ein Bier zu trinken. Die Angestellte weigerte sich, ihn zu bedienen, mit der Begründung, dass es sich um eine geschlossene Gesellschaft handele. Herrn A. war klar, dass dies ein Vorwand war. Er verließ zunächst das Lokal und sprach mit den Kunden, die draußen vor der Kneipe saßen. Diese bestätigten ihm, dass dies eine öffentliche Kneipe sei. Gemeinsam mit zwei anderen Kunden begab sich Herr A. erneut in die Kneipe, um sich zu beschweren. Wieder wies ihn die Tresenkraft an, das Lokal zu verlassen, mit der Begründung, dass es hier keinen Platz für ihn gäbe und benachrichtigte die Polizei. Herr A. erkannte, dass es sich hierbei um eine Diskriminierung aufgrund seiner Hautfarbe handelte. Die Polizei, die in der Zwischenzeit hinzukam, verwies Herrn A. erneut aus dem Lokal mit dem Hinweis auf das Hausrecht. Herr A. zeigte die Tresenkraft wegen ihres beleidigenden Verhaltens an.[1]

Der Fall von Herrn A. erregte im März 2006 nicht nur das Interesse der Lokalpresse, sondern auch des Bundestages, als dieser über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) debattierte. Dieser Fall macht noch mal deutlich, dass selbst an Orten wie dem multikulturellen Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, in denen viele BerlinerInnen niemals eine Ungleichbehandlung vermuten würden, es dennoch zu diskriminierenden Handlungen gegenüber Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres (zugeschriebenen) Migrationshintergrundes kommen kann. Am 24. März 2006 kam es zur strafrechtlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Tiergarten. Die Richterin verurteilte dabei die Tresenkraft wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe.

Der Fall von Herrn A. ist kein Einzelfall. Wie die Ergebnisse der Umfrage des ADNB des TBB Wie steht es mit Diskriminierung in Berlin? und die Erfahrungen der Beratungsstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung zeigen, erleben gerade in Berlin Menschen mit Migrationshintergrund und Schwarze Menschen neben der öffentlichen Verwaltung insbesondere beim Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und Gütern Ungleichbehandlungen aufgrund ihrer (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft und/oder Hautfarbe.

Jede Form der Diskriminierung ist eine Barriere, die den Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe versperrt. Betroffene verfügen meist bereits über eine eigene Biografie an Diskriminierungserfahrungen. Die angesammelten Erfahrungen, in denen die Betroffenen aufgrund persönlicher und unveränderlicher Merkmale, also Teilidentitäten, Ungleichbehandlung und psychische wenn nicht gar auch physische Gewalt erlebt haben, prägen ihre Sichtweise auf die Gesellschaft und das eigene Selbstwertgefühl.

Die Erfahrungen aus der Beratungsstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung des ADNB des TBB zeigen ferner, dass die Betroffenen auf ihre erlebte Diskriminierung mit der Entwicklung von Vermeidungsstrategien und Selbst-Ausgrenzungen reagieren. Eine gleichwertige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben findet nur eingeschränkt statt. Stattdessen macht sich Angst, Resignation und Rückzug breit. Es kommt zur Vermeidung bestimmter Orte, jeder Kontakt mit Beamtinnen oder Beamten löst Angst und Befürchtungen aus.

Wenngleich meist Diskriminierungen an Einzelbeispielen festgemacht werden, sind in der Summe stets bestimmte Gruppen davon betroffen. In der Einwanderungsstadt Berlin leben zahlreiche ethnische und kulturelle Minderheiten, die diese Stadt zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht haben. Diese Menschen zeichnen sich nicht nur durch ihre unterschiedliche Herkunft, sondern zusätzlich durch weitere Merkmale, wie u.a. Geschlecht, Hautfarbe, Aussehen, Sprache, Religion oder Weltanschauung, sexuelle Orientierung oder Identität, einer Behinderung und/ oder das Alter aus. In großen Bereichen werden diese Minderheiten jedoch weiterhin nicht als Teil dieser Gesellschaft wahrgenommen und behandelt. Sie werden als „anders“, als „fremd“, einfach als „nicht- deutsch“ wahrgenommen, selbst wenn sie bereits seit mehreren Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft haben oder sogar als Deutsche geboren wurden. Sie erleben die verschiedensten Formen von Diskriminierung, sowohl durch Angehörige der Mehrheitsgesellschaft als auch durch Angehörige anderer Minderheiten. Die von Diskriminierung Betroffenen verfügen in der Regel bereits über vielfältige Erfahrungen mit Diskriminierung, die mit Gefühlen von Ohnmacht und Resignation wenn nicht gar „Normalität“ einhergehen, denn bislang gab es keine, insbesondere rechtlichen Möglichkeiten, um sich gegen die erlebte Ungleichbehandlung zur Wehr zu setzen.

Fallbeispiel: Rassistisches Bossing und Mobbing

Herr S. ist türkischer Herkunft, arbeitet seit vielen Jahren in einem Bauunternehmen und seit längerer Zeit wird er von Seiten des Gruppenführers und eines weiteren Kollegen mit ausländerfeindlichen Parolen wie „Neger“ und „stinkender Türke“ beleidigt. Er wird mit Sprüchen wie „warte mal die nächste Wahl ab, dann wirst du vergast“ und „wir wollen eine rein deutsche Kolonne“ konfrontiert und eingeschüchtert. Ferner berichtet Herr S., dass von seinem Kollegen im gemeinschaftlichen Bauwagen die Fotomontage eines betenden Muslims angebracht wurde, welcher von einer Ziege begattet wird. Herr S. fühlt sich aufgrund der Vorfälle in seiner Menschenwürde zutiefst verletzt. Mehrmals habe er die beiden Kollegen gebeten, die Anfeindungen zu unterlassen, jedoch ohne Erfolg. Ferner wendete er sich an den Betriebsrat. Auch das blieb ohne Erfolg.

Die verschiedenen und über längere Zeit andauernden Geschehnisse am Arbeitsplatz haben für Herrn S. ein rassistisches Klima geschaffen und blieben nicht ohne psychologische Folgen für ihn. Herr S. ist nun schon seit Monaten krank geschrieben und nicht arbeitsfähig.

Ein Beschwerdebrief des ADNB des TBB an die Geschäftsführung blieb unbeantwortet. Ein weiterer Brief an den Betriebsrat wird beantwortet mit dem Hinweis, die Vorfälle nicht zu kennen und die Anmerkung, dass die Kollegen die Geschehnisse abstreiten. Herr S. stellt Strafanzeige gegen die beiden Kollegen. Die Ermittlungesergebnisse stehen noch aus. Mit Unterstützung der BeraterInnen des ADNB wendet er sich an die Gewerkschaft, um gerichtlich gegen den Arbeitgeber vorzugehen.[2]

Diskriminierung entspringt aus der Mitte der Gesellschaft

Bereits im Jahre 2003 veröffentlichte die EU-Kommission die Ergebnisse einer europaweiten Umfrage (Eurobarometer 57.0/Mai 2003) zu Diskriminierung unter den damaligen 15 Mitgliedstaaten. Ein Ergebnis war unter anderem, dass im europäischen Durchschnitt 82% der Befragten Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft, Religion oder Weltanschauung, sexuellen Identität, des Alters, Geschlechtes oder einer Behinderung ablehnten, wobei Deutschland West dabei an letzter Stelle mit 68% aufgeführt worden ist. Bedeutet das im Rückschluss, dass ca. 1/3 der Bevölkerung Diskriminierung nicht ablehnt oder gar gut heißt?

Das ADNB des TBB interessierte sich daraufhin besonders für die Frage nach dem Erleben von Diskriminierung. So startete das ADNB des TBB im Jahr 2004 eine Fragebogen-Umfrage unter Berlinerinnen und Berlinern mit Migrationshintergrund (siehe: Antidiskriminierungsreport 2003-2005. Wie steht es mit Diskriminierung in Berlin?) mit Unterstützung des Migrationsrates Berlin-Brandenburg und dem Beauftragten für Integration und Migration des Senats von Berlin. Die Ergebnisse wurden der Öffentlichkeit 2006 vorgestellt.

Gefragt wurde nach Diskriminierungserfahrungen aufgrund der ethnischen Herkunft, Hautfarbe und Religion in den letzten vier Jahren in verschiedenen Lebensbereichen: Beim Zugang zu Dienstleistungen, Gütern, Wohnraum oder zur Arbeit, bei den öffentlichen Verkehrsmitteln, bei Ämtern und Behörden wie der Polizei, im Bereich Gesundheit und Bildung etc. Die Ergebnisse geben ein Stimmungsbild wieder, das den Grad an Lebensqualität unter den Befragten sowie an Akzeptanz in der Gesellschaft aus ihrer Wahrnehmung und ihrem Erleben aufzeigt.

Bezieht man den Diskriminierungsindikator[3] mit ein, erlebten die Befragten im Durchschnitt in 45% der für sie relevanten Lebensbereiche eine Diskriminierung. Ein Drittel der Befragten hat dabei in fast allen der für sie relevanten Lebensbereiche mindestens eine Diskriminierung erfahren. Ferner geht aus den Ergebnissen hervor, dass insbesondere äußerliche Merkmale wie Hautfarbe oder Geschlecht das Erleben einer Diskriminierungssituation wahrscheinlicher machten.

Die meisten Befragten gaben an, in den letzten vier Jahren Diskriminierung am häufigsten im Bereich der Arbeitssuche erlebt zu haben, gefolgt von den öffentlichen Verkehrsmitteln und dem räumlichen Umfeld (alle über 50%). Am wenigsten wurden Diskriminierungen im Gesundheitsbereich erlebt. Nichtsdestotrotz liegen die anderen Bereiche zwischen 22% und 50%, und zeigen dadurch Problemlagen sowie einen dringenden gesellschaftlichen und politischen Handlungsbedarf auf.

Die weitere Betrachtung, differenziert nach Geschlecht, gibt nochmals einen tieferen Einblick in die Bereiche, in denen das Geschlecht eine Rolle zu spielen scheint. Unter den Befragten fühlten sich Männer durchschnittlich häufiger diskriminiert. Dabei scheint nach den Ergebnissen der Umfrage insbesondere in den Bereichen Freizeit, Polizei und Ausländerbehörde das Merkmal „männliches Geschlecht“ und im Bereich Sozialamt das Merkmal „weibliches Geschlecht“ eine wesentliche Rolle zu spielen.

Ein weiteres Ergebnis bezieht sich auf den Wohnort der Befragten und die Diskriminierungserfahrungen in den verschiedenen Bereichen. Hier ist festzustellen, dass gerade im Bereich des sozialen Nahraums Unterschiede zwischen Ost- und West-Bezirken bestehen. So wurden von den Befragten, die im Ostteil der Stadt (ohne die sog. Mischbezirke wie Friedrichshain-Kreuzberg) wohnen, im sozialen Nahraum deutlich mehr Diskriminierungen erlebt.

Nur die Spitze eines Eisbergs: Erfahrungen der Beratungsstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung des ADNB des TBB

Die Erfahrungen aus der Beratungspraxis bestätigen die Ergebnisse der obigen Umfrage. Sie zeigen, dass Menschen (mit zugeschriebener) nicht-deutscher Herkunft in allen Bereichen des alltäglichen Lebens Diskriminierungen erleben können bzw. auch schon erlebt haben. Viele der Betroffenen geben an, Diskriminierung bereits als alltäglichen Zustand anzusehen und als solchen hinzunehmen. Diskriminierungserfahrungen werden dabei als „normal“ betrachtet. Sie berichten in diesen Situationen von Gefühlen wie Hilflosigkeit, Scham, Wut, Würdeverlust verbunden mit Resignation und Ohnmacht.

In dem ersten Antidiskriminierungsreport Berlin 2003-2005 dokumentiert die Beratungsstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung des ADNB des TBB ihre Erfahrungen aus der Beratungspraxis mit einer statistischen Aufbereitung der eingegangenen Diskriminierungsmeldungen in diesem Zeitraum. Für Ende 2007 ist ein neuer Antidiskriminierungsreport Berlin geplant, der die Erfahrungen aus den beiden Jahren 2006 und 2007 aufzeigen und die eingegangenen Diskriminierungsmeldungen dokumentieren wird. Für das Jahr 2006 kann jedoch festgehalten werden, dass im Vergleich zu den Jahren davor, die gemeldeten Diskriminierungen leicht und die Zahl der von Diskriminierung Betroffenen erheblich zugenommen haben. Die Beratung erfolgte sowohl persönlich als auch schriftlich oder telefonisch. So gingen im Gesamtjahr 2006 insgesamt 53 Meldungen ein, mit einer Anzahl von insgesamt 87 Betroffenen. Von den 53 Anfragen wurden 44 als Diskriminierungsmeldungen in Berlin behandelt (78 Betroffene für Berlin: 59 männlich, 19 weiblich – 2005: 34 männlich, 15 weiblich), 5 weitere an andere Stellen im Bundesgebiet weitergeleitet, da sie keinen Berlinbezug hatten. Die anderen Meldungen ließen sich nicht an Betroffenen konkret festmachen, da sie von engagierten BürgerInnen gemeldet worden sind und die Öffentlichkeit an sich betrafen.

Schaut man sich die Meldungen konkreter an und kategorisiert sie nach Bereichen, so stand der Dienstleistungsbereich an erster Stelle mit der höchsten Anzahl an Meldungen, gefolgt von dem Bereich Bildung (insbesondere Schule), Arbeitsplatz, Polizei, Nachbarschaft und Wohnungssuche. Bündelt man diese Bereiche nach Oberkategorien, so ergibt sich, dass die meisten Meldungen dem Bereich der öffentlichen Verwaltung zu zuzuordnen sind, gefolgt vom Dienstleistungsbereich, dem Gesamtbereich Arbeit und dem Wohnbereich. Hierbei ist insbesondere auf eine Sammelbeschwerde von Inhaftierten mit Migrationshintergrund in der JVA zu verweisen.

Zu den Beratungssuchenden zählten Menschen türkischer, afrikanischer, arabischer, albanischer, peruanischer, vietnamesischer, chilenischer, kubanischer, amerikanischer, indischer, singhalesischer, pakistanischer und ägyptischer Herkunft sowie Schwarze EuropäerInnen. Neben der ethnischen Herkunft haben auch die Sprache, die Hautfarbe, das Geschlecht, eine Form von Behinderung, die sexuelle Identität und die Religion eine Rolle gespielt, sei es als ausschlaggebendes Merkmal oder im Sinne der Mehrfachdiskriminierung potenzierend. Festzustellen war auch ein vergleichsweise hoher Zuwachs insbesondere bei den männlichen Beratungssuchenden.

Viele Betroffene suchten die Beratungsstelle des ADNB des TBB in einem traumatisierten Zustand auf. Angst war durchweg vorhanden und wurde meist generalisiert, wodurch das Erlebte direkte negative Auswirkungen auf ihren Alltag und ihre gesellschaftliche Teilhabe hatte. Neben Vermeidungsstrategien beobachten die BeraterInnen bei den Betroffenen u.a. depressive Zustände, psychische Instabilitäten, Krankheit, Arbeitsausfall oder gar den Verlust der Arbeitsstelle.

Zum Aufsuchen der Beratungsstelle bzw. zur Meldung der erlebten Diskriminierung kam es in der Regel erst, wenn für die Betroffenen entweder etwas sehr Wichtiges und Existentielles auf dem Spiel stand, ein finanzieller Schaden drohte, physische Gewalt gegen sie angewendet wurde, die Polizei involviert war oder eine Anzeige bzw. polizeiliche Ermittlungen gegen die Betroffenen eingeleitet worden sind. Die Hürde, überhaupt etwas zu unternehmen und sich zu wehren, schien bei vielen sehr hoch zu liegen, während die Hoffnung, etwas gegen die erlebte Ungleichbehandlung tun zu können, als schwindend gering wahrgenommen wurde.

Ausblick: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und seine Relevanz für Berlin

Am 18. August 2006 trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Die Bundesrepublik Deutschland kommt mit diesem Gesetz ihrer europa-rechtlichen Verpflichtung nach, vier von der EU verabschiedete Richtlinien gegen Diskriminierung umzusetzen. Deutschland wurde bereits vom Europäischen Gerichtshof wegen der nicht-fristgerechten Umsetzung der beiden ersten EU-Richtlinien verurteilt. Zwar erhalten von Diskriminierung Betroffene nun ein Instrument in die Hand, um ihr Recht auf Gleichbehandlung einzuklagen, unabhängige Antidiskriminierungsstellen in Deutschland kritisieren jedoch an vielen Stellen das AGG entweder weil es weit hinter den EU-Richtlinien zurückbleibt oder die Sichtweise und das Interesse der Betroffenen zu wenig berücksichtigt.

Das AGG sieht beispielsweise vor, dass Menschen nicht-deutscher Herkunft auch zukünftig von Hausverwaltungen aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden dürfen, um eine ausgewogene und sozial-kulturelle Mischung zu gewährleisten. Diese Ausnahme ist nicht durch die EU-Richtlinien abgedeckt. Im Gegenteil, gerade diese unterschiedliche Behandlung bei der Vermietung von Wohnraum stellt eine rassistische Diskriminierung dar, die nun durch das Gesetz legitimiert wird. Ferner müssen laut AGG Betroffene, um Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche geltend machen zu können, dies innerhalb von zwei Monaten tun. Doch weder ist diese Fristsetzung im Sinne der Betroffenen, noch ist sie konform mit den EU-Richtlinien, die eine Schlechterstellung des geltenden Rechtes verbietet – hier galten bisher 6 Monate. Zusätzlich steht diese zu knapp bemessene Frist dem eigentlichen Ziel des Gesetzes entgegen, vorrangig eine außergerichtliche Einigung anzustreben.

Auf ein breites Unverständnis stößt auch die Verwendung des Begriffs der „Rasse“ im AGG. So heißt es schon in Paragraf 1 (Ziel des Gesetzes): „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“[4]

Die gesellschaftlichen Diskussionen sowie zahlreiche Medienberichte zeigen, dass der Begriff undifferenziert und ohne jegliche Erklärung verwendet wird und den Glauben an die Existenz „menschlicher Rassen“ dadurch nur begünstigt. Auch die Vernachlässigung der Merkmale Staatsangehörigkeit und Sprache beim Diskriminierungsschutz, sowie der nicht nachvollziehbare, unterschiedliche Diskriminierungsschutz im zivilrechtlichen Teil, der klar zu einer Hierarchisierung der Diskriminierungsmerkmale beiträgt, sind zu kritisieren. Während im arbeitsrechtlichen Teil Diskriminierungen untersagt sind, wenn die diskriminierende Person nur ein Diskriminierungsmerkmal annimmt, muss im zivilrechtlichen Teil das Diskriminierungsmerkmal auch tatsächlich vorliegen. Diese Inkonsistenz stellt ein Einfallstor für Diskriminierung dar und verhindert einen effektiven Schutz für all jene, die aufgrund äußerlicher Merkmale bestimmten Gruppen zugeordnet werden. Ferner müssen Betroffene, um ihre Ansprüche durchzusetzen, selbst Indizien beweisen, die eine Benachteiligung aufgrund eines Diskriminierungsgrundes vermuten lassen. Die Erfahrungen aus der Beratungspraxis zeigen jedoch, dass sich die Diskriminierungssituationen in der Regel durch ein starkes Machtungleichgewicht zwischen Diskriminierenden und Diskriminierten auszeichnen, die sich auf die Beweisführung direkt auswirkt. Daher ist eine echte Beweislastumkehr zu fordern.

Das AGG stellt auch Berlin und seine Verwaltung vor neue Herausforderungen: Wie muss in Zukunft ein Polizeibeamter oder eine Polizeibeamtin handeln, wenn er oder sie von einem Jugendlichen mit Migrationshintergrund gerufen wird, dem der Zugang in einen Club oder eine Diskothek aufgrund seiner ethnischen Herkunft verwehrt wird, wenn doch das AGG über dem Hausrecht einzuordnen ist? Welche Maßnahmen wird die öffentliche Verwaltung ergreifen, um mittelbare bzw. indirekte Diskriminierungen aufzudecken, wenn es bisher noch keine statistische Datenerfassung der geschützten Merkmale gibt? Das sind nur einige Fragen, denen sich sowohl Politik, Verwaltung als auch die Berliner Einwanderungsgesellschaft in der kommenden Zeit stellen müssen. Ein solch umfassendes Gesetz wie das AGG kann seine sensibilisierende Kraft nur dann entfalten, wenn es von Maßnahmen begleitet wird, die die gesamte Gesellschaft gegen Diskriminierung mobilisieren und benachteiligten Gruppen die Partizipation auf gleicher Augenhöhe in der Gesellschaft ermöglichen.

Allzu oft wird rassistische Diskriminierung ausschließlich gleichgesetzt mit rassistischen, gewalttätigen Übergriffen auf MigrantInnen und Schwarze Menschen durch Rechtsextreme oder rechtsextrem orientierte Personen. Doch die Fallbeispiele wie auch die Umfrageergebnisse zeigen, dass Diskriminierung aus der Mitte der Gesellschaft hervorgeht und dass gewisse Vorurteilsstrukturen sowohl durch die Gesellschaft als auch die Betroffenen im alltäglichen Leben scheinbar als „normal“ betrachtet und hingenommen werden. Damit Antidiskriminierungsarbeit wirksam wird, um von Diskriminierung Betroffene auf ihrem Weg zur Gleichbehandlung zu unterstützen, bedarf es neben spezialisierten Beratungsangeboten eines gesellschaftlichen Klimas, das klar jegliche Formen von Diskriminierung ablehnt und Gleichbehandlung zu einem Leitprinzip macht.

Das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin (ADNB) des TBB ist ein Projekt des Türkischen Bundes in Berlin-Brandenburg und verfügt über eine spezialisierte Beratungsstelle, der Beratungsstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung, an die sich Menschen nicht- deutscher Herkunft sowie Schwarze Menschen wenden können, wenn sie aufgrund ihrer (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft, Sprache, Hautfarbe, sexuellen Identität, Religion oder Weltanschauung, ihres Geschlechtes, Alters und/oder einer Behinderung diskriminiert worden sind. Das Problemfeld der alltäglichen rassistischen (u.a.) Ungleichbehandlung und Ausgrenzung so wie die Rahmenbedingungen der Anti-Diskriminierungsarbeit werden vom ADNB beleuchtet.

 

 

  1.  Das Fallbeispiel stammt aus der Broschüre ADNB des TBB (Hg.): Antidiskriminierungsreport Berlin 2003-2005. Wie steht es mit Diskriminierung in Berlin? Berlin 2006. S. 10.
  2.  Ebd., S. 19.
  3.  Addiert man die Diskriminierungserfahrungen aus allen Bereichen und teilt sie durch die gültigen Antworten (alle „ja“ und „nein“- Antworten), erhält man einen Diskriminierungsindikator, der die Stärke der Diskriminierung in den für eine befragte Person relevanten Bereichen misst.
  4.  http://bundesrecht.juris.de/agg/BJNR 189710006. html, eingesehen am 16.04.2007.
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