Völkisch verwachsen: Der Zustand der Berliner AfD

Das Ergebnis war überraschenderweise noch schlechter als erwartet. Lediglich knapp 8% erzielte die Berliner AfD bei den teils turbulenten Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus (AGH) und den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV). Nur wenige Beobachter*innen, noch weniger wohl aber die eigenen Anhänger*innen, hatten damit gerechnet, dass die extrem rechte Partei in der Hauptstadt derart schlecht abschneiden und sich ihr vorheriges Wahlergebnis nahezu halbieren würde. Gestärkt daraus hervor geht das völkisch-nationalistische Spektrum der Partei.

 
Foto: Oskar Schwartz

Für Kristin Brinker als Spitzenkandidatin und Landesvorsitzende ist die Wahlniederlage ein Schlag ins Kontor. Im Vorfeld der Wahl hatte sie sich bemüht, den zerstrittenen Laden zusammenzuhalten. Das dürfte mit diesem desolaten Ergebnis nun zunehmend schwieriger werden, hatte sie doch einen ohnehin kühnen Spagat gewagt. Nach außen versuchte sie getreu dem nichts sagenden Wahlkampfmotto „Berlin. Aber normal“ ein vermeintlich gemäßigtes Bild zu vermitteln. Nach innen aber hatte sie eben jene Vertreter*innen des völkisch-nationalistischen Spektrums, die dieses Bild verzerrten, integriert und sich von diesen bei ihrer Wahl zur Landesvorsitzenden im März 2021 stützen lassen. Im Juli 2021 sagte Brinker in einem Interview mit dem Tagesspiegel im Hinblick auf eine mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz, ihrer Meinung nach gäbe es „keinen Grund, die AfD zu beobachten“.

Keine Distanz

Im genannten Interview aber hatte Brinker offen zu Protokoll gegeben, Sympathisant*innen des „Flügels“ nicht etwa auszugrenzen, sondern „mit ins Boot“ holen zu wollen. Die sich widersprechenden Aussagen der neuen Vorsitzenden illustrieren die Kluft zwischen dem im Bundesvergleich vermeintlich gemäßigten Image der Berliner AfD und den tatsächlichen Vorgängen auf Landes- und Bezirksebene. Im Zuge einer Open-Source-Recherche haben wir eine Studie zum Personenpotential des völkisch-nationalistischen Spektrums und insbesondere des formell aufgelösten „Flügels“ innerhalb der Berliner AfD erstellen lassen. Ziel war es herauszufinden, wie viele Personen aus diesem Spektrum entscheidende Positionen in der Berliner AfD bekleiden und wie deren Einfluss innerhalb des Landesverbands einzuschätzen ist.

Allein die Zusammensetzung des im März 2021 neu gewählten Landesvorstands, der nunmehr zu über einem Drittel aus entsprechend zu verortenden Mitgliedern besteht, zeigt mehr als deutlich die strukturelle Einbindung des völkisch-nationalistischen Spektrums. Dieses wird sich durch den Ausgang der Wahlen auf Bundes- wie auf Landesebene bestätigt sehen und möglicherweise künftig noch offensiver auftreten. In Thüringen wurde unter Führung des Faschisten Björn Höcke und in Sachsen mit einem ebenfalls klar extrem rechten Landesverband die AfD bei der Bundestagswahl jeweils stärkste Partei. Doch es braucht gar nicht den Verweis über die Stadtgrenzen hinaus. Auch in Berlin haben die radikalen Kräfte die größten Erfolge eingefahren und ihre dominante Position im Landesverband unter Beweis gestellt. Im AGH wird die AfD künftig mit nunmehr 13 statt bisher 24 Abgeordneten (22 in der Fraktion plus zwei Fraktionslose) vertreten sein. Auch in den BVVen ist das Personal von 97 auf nur noch 58 Mandate deutlich geschrumpft. Anspruch auf je einen Stadtratsposten hat die AfD in noch vier Bezirken (bisher waren es sieben). In allen Berliner Bezirken hat die AfD teils sehr deutlich an Wähler*innenstimmen eingebüßt. Es gab nur wenige Ausnahmen. Mit einem nahezu ungebrochen hohen Zuspruch wurden Jeanette Auricht mit 22,0% und Gunnar Lindemann mit 22,6% in ihren Wahlkreisen in Marzahn gewählt. Sie gewannen die einzigen AfD-Direktmandate für das AGH, während die Partei bei den letzten Wahlen 2016 noch fünf erreicht hatte. Auricht gelang dies erstmalig, Lindemann konnte als Einziger sein Direktmandat verteidigen. Beide sitzen zudem im Landesvorstand und sind dem völkisch-nationalistischen Spektrum zuzuordnen. Auricht war neben Thorsten Weiß in der Vergangenheit gar als Obfrau für den Berliner Ableger des mittlerweile aufgelösten „Flügels“ aufgetreten.

Sollte Brinker also einmal vertreten werden müssen, würden die Geschicke sowohl des Landesverbands als auch der Fraktion der AfD im Landesparlament maßgeblich von ehemaligen Obleuten des aufgelösten ,Flügels‘ bestimmt.

Auch Weiß konnte über die Landesliste erneut ins AGH einziehen und wurde jüngst zu einem der stellvertretenden Sprecher der AfD-Fraktion im AGH gewählt, deren Vorsitzende Kristin Brinker sein wird. Sollte Brinker also einmal vertreten werden müssen, würden die Geschicke sowohl des Landesverbands als auch der Fraktion der AfD im Landesparlament maßgeblich von ehemaligen Obleuten des aufgelösten „Flügels“ bestimmt. Die Entscheidung hat die innerparteilichen Richtungskämpfe unlängst wieder angeheizt, nachdem diese im Wahlkampf kaschiert worden waren. Laut Tagesspiegel kursiert ein parteiinternes Statement, in dem der Vorwurf formuliert sei, „Brinker habe die Fraktion den radikalen Kräften um Thorsten Weiß […] ausgeliefert und führe sie auf den ,thüringischen Höcke Weg'“. Im Wahlkampf hatte sich Brinker zudem auffallend oft mit Thorsten Weiß gezeigt. Nach unseren Recherchen ist wie schon in der alten auch in der neuen AGH-Fraktion etwa ein Drittel dem völkisch-nationalistischen Spektrum zuzuordnen.

Regionale Schwerpunkte

Schon vor der Wahl hatte unsere Studie gezeigt, dass die personelle Einflussnahme des völkisch-nationalistischen Spektrums in der Berliner AfD nicht flächendeckend ist und es bezirkliche Schwerpunkte gibt. Die AfD Marzahn-Hellersdorf sticht als einer der Schwerpunkte deutlich hervor, daneben sind vor allem die beiden Westberliner Bezirksverbände Steglitz-Zehlendorf und Reinickendorf auffällig.

Der Einfluss des Bezirksverbandes Marzahn-Hellersdorf auf den Landesverband kann als Barometer für den Einfluss des völkisch-nationalistischen Spektrums betrachtet werden. Am 13. und 14. März 2021 wurden mit Jeanette Auricht (stellvertretende Vorsitzende), Gunnar Lindemann (Beisitz) und Vadim Derksen (Beisitz) drei Mitglieder aus dem Bezirk in den Landesvorstand gewählt. Derksen ist außerdem Landesvorsitzender der Jungen Alternative (JA) Berlin. Bereits 2017 hatte der Bezirksverband zu einer Vorwahl-Veranstaltung mit Björn Höcke geladen und auch in der Folgezeit seine Positionen favorisiert. Für Andreas Kalbitz wurde im Namen des Verbands eine Solidaritätsbekundung veröffentlicht und sich gegen seinen Parteiausschluss positioniert. Momentan kann eine Dominanz des Bezirksverbands durch Personen aus dem völkisch-nationalistischen Spektrum konstatiert werden. Fast alle Vorstands- sowie über die Hälfte von aktuell acht (ursprünglich 15) BVV-Mitgliedern ordnen wir diesem Spektrum zu. Im Bezirksverband betrifft dies mindestens 20 Personen und nahezu alle Direktkandidat*innen für die AGH-Wahl. Bei den Listenplätzen für die BVV-Wahl war es nach unserer Recherche etwa ein Drittel der 26 Kandidierenden. Wie die neue BVV-Fraktion zusammengesetzt sein wird, ist momentan noch nicht sicher.

In Steglitz-Zehlendorf ist vor allem Andreas Wild zu nennen, der parteiintern umstritten ist, nicht zuletzt aufgrund seines aktivistischen Potentials von vielen aber geschätzt wird. Gegen ihn läuft zwar ein Parteiausschlussverfahren und er war vor geraumer Zeit aus der AfD-Fraktion im AGH ausgeschlossen worden. Er sitzt aber weiterhin neben dem Bezirksvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio, der sich mit rassistischen und sexistischen Parlamentsreden hervorgetan hat, im Bezirksvorstand und war abermals als Direktkandidat für die AGH-Wahl aufgestellt worden. Wild hat sich neben anderen Mitgliedern seines Bezirksverbandes offen zum „Flügel“ bekannt. Außerdem gehören knapp die Hälfte der insgesamt sieben Kandidierenden für das AGH zum völkisch-nationalistischen Spektrum.

Bei der AfD Reinickendorf ist mindestens eine von sechs Personen aus dem Bezirksvorstand dem völkisch-nationalistischen Spektrum zuzuordnen. Thorsten Weiß bekleidet zwar kein Amt, verfügt aber weiterhin über gute Kontakte in seinen Bezirksverband. Mit Sebastian Maack wurde zudem auf Listenplatz 1 eine Person in die örtliche BVV gewählt, die sich in der Vergangenheit klar zum ehemaligen „Flügel“ bekannt hatte. Er wird seinen bisherigen Posten als Stadtrat jedoch nicht weiter innehaben. Wie die örtliche BVV-Fraktion künftig zusammensetzen wird, ist auch hier noch nicht sicher.

Digital und analog aktiv im Wahlkampf: Die JA Berlin | Foto: Frank Metzger / apabiz

Völkische Jugend

Die vom Verfassungsschutz beobachtete Parteijugend der AfD verfügt auch in Berlin über enge Kontakte zum völkisch-nationalistischen Spektrum und dem ehemaligen „Flügel“ sowie der außerparlamentarischen extremen Rechten, wie beispielsweise der Identitären Bewegung, dem burschenschaftlichen Milieu und dem Institut für Staatspolitik. Die ehemaligen Vorsitzenden Thorsten Weiß und David Eckert haben sich offensiv zum ehemaligen „Flügel“ bekannt. Auch Vadim Derksen als aktueller Vorsitzender der JA Berlin sowie drei weitere der insgesamt fünf Vorstandsmitglieder haben in der Vergangenheit ihre Nähe zum völkisch-nationalistischen Spektrum deutlich demonstriert. Auch ihr Einfluss auf den eigenen Landesverband wächst: Mindestens vier dieser Protagonist*innen haben dieses Jahr für Ämter im Landesvorstand sowie die AGH- und BVV- Wahlen kandidiert. JA-Vorstandsmitglied Martin Kohler, der auch schon die JA Brandenburg mit aufgebaut hatte, ist der Einzug in die BVV Charlottenburg-Wilmersdorf gelungen. Kirstin Brinker war im Wahlkampf um ein gutes Verhältnis zum völkisch-nationalistischen Parteinachwuchs bemüht.

Verstetigung der Verhältnisse

Die personelle Situation zeigt, dass das völkisch-nationalistische Spektrum in der Berliner AfD trotz öffentlicher Distanzierungsversuche sowohl im Landesvorstand und der AGH-Fraktion als auch in einigen Bezirksverbänden sowie der JA starken Einfluss hat oder gar tonangebend ist. Es ist sehr auffällig, dass verhältnismäßig viele parteipolitische Ämter und lokale Mandate von entsprechenden Personen bekleidet werden. Unabhängig davon, ob sich Mitglieder und Nutznießer*innen des völkisch-nationalistischen Spektrums und des Netzwerks des ehemaligen „Flügels“ innerhalb der Berliner AfD öffentlich zu ihren Verbindungen bekennen, bleibt der Landesverband auf das aktivistische Potential und die Loyalität seiner radikalsten Anhänger*innen angewiesen. Diese haben ihren Einfluss zuletzt verstetigen oder sogar ausbauen können. Das Beispiel des Berliner Landesverbandes zeigt, dass sich das offen völkische Netzwerk nicht von dem vorgeblich „moderaten“ Teil der Partei trennen lässt.


Methodik
Ausgangspunkt für unsere Recherche war ein im Januar 2021 geleakter Email-Verteiler des ehemaligen „Berliner Flügels“. Eine dortige Nennung ist allenfalls ein Indiz. Die Wahrscheinlichkeit einer Aktivität im völkisch-nationalistischen Spektrum verdichtet sich aber, wenn die dort gelisteten Personen an entsprechenden Treffen und Veranstaltungen teilnahmen, prominente „Flügel“-Vertreter*innen unterstützten, positiv mit ihnen interagierten oder anderweitig ihre Sympathien ausdrückten. Nehmen besagte Akteur*innen Spitzenpositionen in den Parteistrukturen ein, erhöht dies die Möglichkeit einer strukturellen wie inhaltlichen Einflussnahme.

 

Dieser Text erscheint ebenfalls im Rundbrief des apabiz monitor Nr. 92.

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