Bereits vor der Sitzung gab es deutliche Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit des LKA. So kritisierten verschiedene Abgeordnete und Betroffene, dass der komplette Bericht der Geheimhaltung unterliegt und die Einsicht für Abgeordnete erst wenige Tage zuvor im Geheimschutzraum möglich war.
Dabei enthält der Bericht durchaus spannende Neuigkeiten. So wurde bisher von zwei Tatverdächtigen gesprochen und als offenes Geheimnis sowohl in den Medien als auch seitens der Polizei verhandelt, dass es sich dabei um den mehrfach vorbestraften Neonazi Sebastian T. und den mittlerweile aus der AfD ausgeschlossenen Neuköllner Tilo P. handelt.
Am vergangenen Montag hieß es nun, dass gegen drei Tatverdächtige ermittelt werde. Der Tagesspiegel wusste im Nachgang zu berichten, dass die dritte Person Julian B. sei – ein ebenfalls bestens bekannter und vorbestrafter Neonazi, der von kritischen Beobachter*innen genau wie sein langjähriger Weggefährte T. schnell als möglicher Tatverdächtiger benannt worden war. Ein Satz aus dem Bericht lässt vermuten, dass sich die Behörden zudem doch sicherer sind, als sie es bisher nach Außen zugeben wollen. So heißt es hinsichtlich der Ermittlungen gegen die Tatverdächtigen:
„Es werden zudem alle dem Bekanntenkreis der Täter zugerechneten Kontaktpersonen einer Prüfung dahingehend unterzogen, inwieweit diese für die Beteiligung an den Straftaten der Serie in Frage kommen könnten.“
Peinlich für die Arbeit der Behörden und zugleich beängstigend für die Betroffenen ist ein Statement zur technischen Auswertung eines bei T. bereits im Februar 2018 „beschlagnahmten Datenträgers“. So stellte André Rauhut, Leiter der Staatsschutzabteilung beim LKA, in seiner Präsentation fest, dass die Daten im Sommer 2018 ein erstes Mal ausgewertet worden waren. Erst bei einer erneuten Überprüfung im November 2019 sei jedoch „als gelöschte Ordnerstruktur in einem Papierkorb“ eine eine große Menge personenbezogener Daten gefunden worden. Darin seien etwa „verschiedene Themen sortiert, beispielsweise Antifa, Politiker, Pressevertreter aber auch Polizeibeamte und […] unter dieser Struktur dann in unterschiedlicher Tiefe personenbezogene Daten“. Insgesamt handele sich um „mehr als 500 Datensätze“. Bisher war lediglich von 30 Personen die Rede, die laut Rauhut seitens der Polizei informiert worden seien.
Besonders das geplante weitere Vorgehen seitens der Polizei mit der den betroffenen Personen ist skandalös. So sei laut Rauhut festgestellt worden, „dass wir aus dieser Listung, die eben mindestens acht Jahre alt ist, und zusätzlichen Erkenntnissen, die wir haben, keine konkreten Gefährdungen sehen“. Helga Seyb von der Beratungsstelle für Opfer rechter und rassistischer Gewalt ReachOut, hielt dem in einem RBB-Interview empört entgegen: „Das kann er gar nicht wissen.“ In einer Pressemitteilung betont ReachOut:
„[N]ur die Betroffenen selbst können einschätzen, wo und in welcher Weise diese Informationen über sie ausgespäht und gesammelt wurden. Erst dann können sie beurteilen, ob für sie, ihre Mitbewohner*innen und ihre Familien noch eine Gefahr bestehen könnte bzw. welche weiteren Schritte sie unternehmen, um die Gefahren zu reduzieren.“
Konkreter wurde die Kurzversion des Zwischenberichts hinsichtlich des Abgleichs mit weiteren bisher ungeklärten Brandstiftungen So werden nun mehr weitere neun Brandanschläge der extrem rechten Serie zugerechnet, die nun insgesamt 72 statt bislang 63 Angriffe umfasst – 23 davon Brandanschläge.
Auch ein Zusammenhang zwischen der Anschlagsserie und den Morden an Luke Holland und Walter Lübcke sowie dem Anschlag in Halle sei überprüft worden und könne ausgeschlossen werden. Die Überprüfung eines Zusammenhangs mit dem noch immer nicht aufgeklärten Mord an Burak Bektaş ist laut Bericht noch nicht abgeschlossen. Darüber hinaus gebe es „mehr Zweifel daran als Hinweise dafür“, dass sich ein LKA-Mitarbeiter mit Sebastian T. getroffen habe, wie es der ARD und RBB in der Vergangenheit berichtet hatten. Insgesamt gebe es „keine belastbaren Hinweise auf einen Informationsabfluss von Opferdaten aus der Polizei Berlin“ durch „missbräuchliche Datenabfragen von Dienstkräften“. Allerdings mussten die hochrangigen Beamten nach mehrfacher insistierender Nachfrage durch Parlamentarier*innen einräumen, dass aktuell gegen 17 Beamte disziplinarrechtliche Verfahren wegen „rechtsextremistischer Aktivitäten“ und keins aufgrund eines anderen „Extremismusverdachts“ laufen.
Nur auf Antrag von Die Grünen und Linken war der Zwischenbericht der BAO Fokus überhaupt erst auf die Tagesordnung des Innenausschuss gesetzt worden. Für die Präsentation der dürftigen öffentlichen Version waren Innensenator Andreas Geisel (SPD), sowie die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik und André Rauhut zur Sitzung gekommen. In seinem Eingangsstatement behauptete Geisel, sein Interesse sei „maximale Transparenz“. Die dürftige öffentliche Version des Zwischenberichts lässt daran Zweifel aufkommen – zumal Geisel im Nachsatz einschränkte:
„Gleichzeitig müssen wir die laufenden Ermittlungen schützen. Uns darf nicht aus dem Blick geraten, dass die Täter noch nicht dingfest gemacht worden sind, dass wir noch nicht nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sagen können, dass die Beweislage ausreicht. […] Und in diesem Bericht sind interne Ermittlungsergebnisse zu lesen, die Täter warnen könnten und die Ermittlungsmethoden der Polizei offen legen. Und diese Informationen müssen wir schützen.“
Diese Einschätzung kann vor allem für die Betroffenen nicht zufriedenstellend sein, zumal sie wenig vertrauens- und glaubwürdig ist. Zumindest ein konkreter Fall macht stutzig. Bereits im vergangenen Jahr wurden in einer Reportage des RBB erdrückende Indizien gegen die beiden Tatverdächtigen T. und P. veröffentlicht. Audio-Aufnahmen abgehörter Telefonate belegen, dass der Antifaschist und Bezirkspolitiker Ferat Kocak (Die Linke), von beiden beschattet und sein Auto bis zum Haus seiner Eltern verfolgt worden war. Nur kurze Zeit später wurde das Auto angezündet, und nur durch die schnelle Reaktion von Kocak konnte ein Übergreifen der Flammen auf das Wohnhaus verhindert werden.
In zweierlei Hinsicht ist die Einschätzung der Behörden somit skandalös. Zunächst war der Inhalt des überwachten Telefonats vom Verfassungsschutz an die Polizei übermittelt worden, die dann jedoch nicht tätig wurde und eine Gefahrenansprache bei Ferat Kocak versäumte. Dieser eklatante Fehler wurde nun noch einmal im Rahmen der Präsentation des Zwischenberichts eingeräumt – inklusive einer ebenso peinlichen wie bestürzenden Erklärung. So sei laut LKA bei der Verschriftlichung der Aufnahme der Name falsch geschrieben worden, weshalb Kocak als gefährdete Person nicht rechtzeitig habe identifiziert und informiert werden können