Günter Schwannecke stirbt an den Folgen einer rechten Gewalttat
Günter Schwannecke, Format 33x 46 cm, Chinatusche, Pinsel und Feder, der Vordergrund ist unscharf (Pinsel), der Hintergrund, das Barrio, ist scharf (Feder). Barcelona 1980.| Privatarchiv K.-A. Holländer / Günter-Schwannecke-Gedenkinitiative
Am Abend des 29. August hielten sich vier Studierende aus Sri Lanka auf einem Spielplatz in Charlottenburg auf, als sie von den Neonazis Norman Z. und Hendrik J. rassistisch beleidigt und bedroht wurden. Die Studierenden gingen darauf nicht ein und die Rassisten verließen den Spielplatz zunächst wieder. Wenig später kehrten sie jedoch mit einem Baseballschläger bewaffnet zurück. Zu diesem Zeitpunkt waren noch zwei Studierende anwesend. Die Neonazis gingen gezielt auf sie zu und drohten ihnen mit Schlägen. Die ebenfalls anwesenden wohnungslosen Künstler Günter Schwannecke und Hagen Knuth, welche sich hier verabredet hatten, um Knuths Geburtstag zu feiern, mischten sich ein und forderten die Neonazis auf, von den Studierenden abzulassen. Daraufhin gerieten sie selbst in deren Fokus. In der Folge schlug Norman Z. mit einem Baseballschläger auf Schwannecke und Knuth ein und verletzte beide schwer. Günter Schwannecke verstarb am 5. September 1992 an den Folgen der erlittenen Schädeldachfrakturen. Hagen Knuth musste nach dem Angriff zwölf Tage im Krankenhaus verbringen. Auch die Schläge auf ihn wertete das Gericht später als „akut lebensbedrohend“.
Gericht erkennt kein politisches Motiv
Bei den Ermittlungen wurde der politische Hintergrund der Tatverdächtigen zwar berücksichtigt, die Zugehörigkeit zur „Skinhead-Szene“ allerdings nicht genauer untersucht, so eine Studie des Zentrums für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin von 2018, welche verschiedene Fälle von Todesopfern rechter Gewalt nochmals überprüfte. Im Schlussbericht der Polizei heißt es demnach, dass diese Verdächtigen keiner „festen Gruppierung“ angehört hätten.
Auch das Berliner Landgericht konnte kein politisches Motiv erkennen. So wird im Urteil zwar erwähnt, dass die Studierenden durch die Neonazis „ausländerfeindlich“ beschimpft wurden, letztlich sei die Auswahl der Opfer dann aber willkürlich erfolgt. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Norman Z. Schwannecke und Knuth „als beliebige Opfer gewählt“ hatte, „an denen der [er] seine Aggressionen abreagieren wollte“. Der Neonazi wurde Anfang 1993 wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Die Tatsache, dass der Täter zur Tatzeit betrunken war, wirkte sich strafmildernd aus.
Vor Gericht gab Z. an, nicht aufgrund politischer Inhalte in der rechten Skinszene aktiv gewesen zu sein, sondern wegen des besonderen Zusammengehörigkeitsgefühls. Eine Darstellung, die das Gericht fast unhinterfragt übernahm. Z. sei, so das Urteil, „politisch wenig interessiert, nahm jedoch einmal in Rudolstadt an einer Demonstration der rechtsradikalen Szene zum Gedenken an Rudolf Hess teil.“
Der Darstellung, dass es sich bei Z. lediglich um einen politischen Mitläufer gehandelt habe, widersprechen Recherchen des Antifaschistischen Infoblatts (AIB). Demnach habe Z. gemeinsam mit dem Neonazi und späteren V-Mann „Piatto“ Carsten Szczepanski Anfang der neunziger Jahre den Ku-Klux-Klan-Ableger „White Storm Berlin“ gegründet. Außerdem sollen Z. und Carsten Szczepanski das Ku-Klux-Klan-Fanzine Feuerkreuz verbreitet haben. Laut AIB blieb Z. auch nach seiner Haft Teil der Neonaziszene und war im Netzwerk der Hammerskins aktiv.
Günter Schwannecke – ein politisch interessierter Künstler
In der Berichterstattung zum Fall wurde Günter Schwannecke fast ausschließlich auf seinen sozialen Status als Wohnungsloser reduziert. Dass heute über dessen komplexe Biografie vergleichsweise viel bekannt ist, ist vor allem der Günter-Schwannecke-Gedenkinitiative zu verdanken. Nach dem der Fall viele Jahre kaum in der öffentlichen Wahrnehmung präsent war, erinnern die Aktivist*innen seit 2012 erneut an Schwannecke. Im Zuge ihres Engagements begannen sie sich mit ehemaligen Weggefährt*innen Schwanneckes auszutauschen und dessen Biografie zu recherchieren. So entstand ein umfassendes Bild eines kreativen, politisch interessierten Künstlers.
Die Initiative förderte unter anderem zu Tage, dass Schwannecke, 1934 in Braunschweig geboren, in den fünfziger Jahren eine Ausbildung zum Positivretoucheur (heute Mediengestalter) absolvierte. Später studierte er an der Werkkunstschule Braunschweig und der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Für letztere hatte er ein Begabtenstipendium erhalten. Es folgten mehrere Reisen nach Paris und ein längerer Aufenthalt auf der italienischen Insel Ischia. In den sechziger Jahren stellte Schwannecke in Galerien in Braunschweig, Münster, Fulda und West-Berlin aus. 1964 heiratete er die Solotänzerin Renate Heuer. Die Ehe währte nur kurz. Hier gibt es allerdings unterschiedliche Schilderungen. Einerseits wird vom Ende der Ehe 1966 berichtet, nach einer anderen Darstellung verstarb seine Frau kurz nach der Hochzeit. Zwischen 1965 und 1976 lebte der Maler in West-Berlin. Dann ging er zeitweise zurück nach Braunschweig, bevor er Anfang der achtziger Jahre erneut nach Berlin kam. Dort lebte er in einer Charlottenburger WG und stellte seine Werke unter anderem in den Mehringhöfen aus. Anfang der neunziger Jahre geriet Schwannecke, so die Recherchen der Initiative, in eine Sinnkrise und kündigte an, zukünftig „Platte putzen“ zu gehen, sprich auf der Straße zu leben. Grund dafür war offenbar sein eigener Wunsch nach Freiheit.
Das Gesamtwerk des Kunstmalers ist vielseitig. Schwannecke schuf sowohl abstrakte, farbenfrohe Kompositionen als auch Portraits mit Kohlestift oder Aquarelle. Beeinflusst war er durch die Kunst Manfred Henningers, Paul Cézannes und Pablo Picassos. In den sechziger Jahren malte Schwannecke vor allem Popikonen und stellte unter anderem im Europa-Center aus. Auch der stern berichtete damals über ihn. Während des „Deutschen Herbstes“ 1977, den er laut Aussagen eines Zeitzeugen als äußerst repressiv wahrnahm, begann er Fahndungsplakate neu zu zeichnen. So riss er etwa auf Postämtern RAF-Fahndungsplakate ab und malte diese später neu. In den Achtzigern brach Schwannecke mit dem ,bürgerlichen Kunstbetrieb‘, welcher dessen Werke, die auch Terrorist*innen darstellten, seinerseits ablehnte. Weiterhin entstanden laut der Gedenkinitiative Bilder von „Punks, Kneipiers, Ärzt_innen, er malte, was er sah.“[1]
Die Aktivist*innen der Initiative waren es auch, die 2013 erreichten, dass der noch immer am Tatort befindliche Spielplatz heute den Namen Günter Schwanneckes trägt und dort mit einem Gedenkstein an ihn erinnert wird. Auf der Inschrift ist zu lesen:
„Auf diesem Platz wurde der Berliner Kunstmaler Günter Schwannecke am 29.08.1992 Opfer eines tödlichen Angriffs durch Neonazis. Er starb, weil er Zivilcourage bewiesen hat. Er steht in einer Reihe ungezählter Opfer von neonazistischem Terror. Wir werden sie niemals vergessen.“
Auf der Gedenkkundgebung, welche 2019 am Jahrestag des Angriffs am Tatort stattfand, forderte die Initiative „angesichts zunehmender Obdachlosigkeit ein Ende von Verdrängung und Wohnungsnot in Berlin sowie Schutz für Menschen ohne
Wohnung“. Aufgrund der Verbindung von Z. zu Carsten Szczepanski alias „Piatto“ mahnten sie eine parlamentarische Untersuchung des NSU-Umfeldes in Berlin an.
Nach erneuter Überprüfung – Schwannecke als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt
In der Statistik der Bundesregierung zu Todesopfern rechter Gewalt tauchte der Fall zunächst 1993 auf, in späteren Jahren dann wieder nicht mehr. Noch 2012 teilte der Berliner Senat mit, dass das Gericht damals kein politisches Motiv habe ermitteln können und man entsprechend auf eine Klassifizierung im Sinne der Kategorie Politisch-Motivierte Kriminalität (PMK)-rechts verzichte.
In dem 2017 erschienenen Buch „Kapuzenmänner – Der Ku Klux Klan in Deutschland“ schreiben Frederik Obermaier und Tanjev Schultz hingegen über den tödlichen Angriff: „Günter Schwannecke ist das Opfer eines Gewaltausbruchs, der sich nicht vom Wahn des Klans trennen lässt.“ Ähnlich argumentiert auch die eingangs erwähnte Studie des ZfA. So deute bei Z. „vieles auf eine habitualisierte Gewaltbereitschaft hin, die auf seine Einbindung in die rechtsextreme Szene zurückgeht.“ Auch die Tatsache, dass Z. im Besitz eines Baseballschlägers war, deute auf eine „ausgeprägte Gewaltbereitschaft“ hin. Die Studie argumentiert, dass Angehörige der Neonaziszene entsprechende Feindbilder sowie die „Praxis von Gewalttätigkeit als normalen Verhaltensstandard“ verinnerlicht haben. Aufgrund dessen sollten zukünftig Delikte, die aus einer Gruppe heraus und deren Gruppenmitglieder Teil der extremen Rechten sind, in die PMK-rechts Statistik aufgenommen werden. Aufgrund der Empfehlung der Wissenschaftler*innen wurde der Fall 2018 schließlich doch in die PMK-Statistik aufgenommen. In der Studie heißt es:
„Es handelt sich um einen Fall von Hasskriminalität, der in die PMK-Statistik aufgenommen werden sollte: [Z. und J., Anm. des Autors][2] beschimpfen zunächst die Migranten auf dem Spielplatz in rassistischer Weise. Die Migranten werden als ,Ausländer‘ verbal angegriffen. Als sich [Schwannecke und Knuth] in die Angelegenheit einmischen, werden auch sie von den Skinheads attackiert. Geht man davon aus, dass [Z.] die beiden als Obdachlose ausgemacht hat und sie auch aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes und ihres gesellschaftlichen Status abwertete, so ist auch dieser Angriff als Hasskriminalität im Sinne des KPMD-PMK zu verstehen.
Das spezifische Freund-Feind-Denken der Skinheads spielt im gesamten Tatgeschehen eine wichtige Rolle: Die Migranten werden aufgrund ihrer Herkunft bzw. Hautfarbe als ,Feinde‘ ausgemacht; [Schwannecke und Knuth] werden zu ‚Feinden‘, weil sie die Platzherrschaft der beiden Täter in Frage stellen. Durchgehend legen [Z. und J.] hegemoniales Männlichkeitsgehabe und ein Revierverhalten an den Tag. Wer sich dem widersetzt, wird zum Feind. [Es] zeigt sich, dass nicht nur Angehörige der bekannten Opfergruppen von rechter Gewalt betroffen sein können, sondern letztlich jeder.“
Aktualisierung: 2023 veröffentlichte das Redaktionskollektiv „Niemand ist Vergessen“ eine Gedenkbroschüre in Erinnerung an Günter Schwannecke. Diese kann hier kostenlos heruntergeladen werden.
- ↑ Für eine ausführliche Darstellung von Günter Schwanneckes Biografie wird ausdrücklich auf den Blog der Gedenkinitiative verwiesen. https://guenterschwannecke.net/
- ↑ Die Studie nennt weder die Namen der Todesopfer noch der Täter, sondern nutzt Aliasnamen. Damit es nicht zu Verwirrungen kommt, wurden die realen Namen für diesen Artikel in den zitierten Stellen vom Autor wieder eingefügt.