Am Anfang stand der Schock

Vor einem Jahr, im Herbst 2016, gründete sich in Neukölln eine Initiative von Buchhändler*innen, die gegen den zunehmenden Rassismus in der Gesellschaft Stellung beziehen wollte. Seitdem hat die Initiative in etlichen Veranstaltungen, Vorträgen und Workshops mit der Neuköllner Nachbarschaft das Gespräch gesucht.

 
© Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus

Im Oktober 2016, nach den Berliner Wahlen, bei der die Alternative für Deutschland (AfD) mit 14,2 Prozent der Stimmen ins Abgeordnetenhaus einzog, war klar: Irgendetwas muss passieren. Irgendetwas ist passiert. Und dieses grundlegende Etwas ist bedrohlich. Es hat eine Wirkmächtigkeit erlangt, die bisher so nicht zutage getreten ist. Für alle an der Initiative „Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus“ Beteiligten ist das Problem Rassismus und Rechtspopulismus nichts Neues. Aber dass eine Partei wie die AfD mit so vielen Stimmen gewählt wird und somit auf legislativer Ebene (wieder) so viel Macht in Deutschland bekommt, damit hatten wir, zugegebenermaßen wider besseres Wissen, nicht gerechnet.

Bedrohlich, das sind die buchstäblich aufflammende rechte Gewalt hier in Neukölln, bereits vor den Wahlen, der sich zuspitzende rechte Diskurs über Zuwanderung, die Rede von „Flüchtlingsströmen“ und „sozialen Ängsten“. Als Wahl-Neuköllnerin konnte ich mich lange in einer international geprägten, großstädtischen Umgebung bewegen und die Entwicklungen gewissermaßen von außen beobachten.

Doch auch in Neukölln gewannen die RechtspopulistInnen 12,7 Prozent der Stimmen, in einzelnen Wahlbezirken sogar über 20 Prozent. Seither sind sie in der Bezirksverordnetenversammlung vertreten und stellen einen Stadtrat. Angesichts der Wahlerfolge der AfD in mehreren Bundesländern und nun auch bei der Bundestagswahl war es höchste Zeit, dieser Bedrohung etwas entgegenzusetzen.

Obwohl sich die AfD bieder und bürgerlich gibt, ist sie keine Partei wie alle anderen. Sie verbreitet Rassismus und hetzt gegen Muslim*innen. Damit nimmt sie die Gewalt gegen Migrant*innen, Nicht-Weiße und Andersdenkende mindestens billigend in Kauf. Sie stellt sich mit ihrer autoritär-konservativen Grundhaltung gegen eine pluralistische und demokratische Gesellschaft. Kein Wunder, dass zwischen der AfD und der Extremen Rechten auch personelle Verbindungen bestehen. So sind etwa Mitglieder der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative auch bei der Identitären Bewegung aktiv; diese schürt Angst vor einem angeblichen von den Regierungen geplanten Bevölkerungsaustausch in Europa und geht auch mit Gewalt gegen ihre politischen Gegner vor.[1] Neben medienwirksamen Plakataktionen haben die Identitären zuletzt auf der Buchmesse durch ihr massives Auftreten von sich reden gemacht.

Die Initiative

Für uns als Initiator*innen galt es, den Widerstand gegen diese Entwicklungen auf ein breiteres Fundament zu stellen und breitere Schichten der Bevölkerung zu aktivieren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und Position zu beziehen.

Buchläden sind Orte des Wissens und der demokratischen Kultur. Als solche eignen sie sich ganz besonders, um dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen. Mit diesem Anspruch sind wir im Oktober 2016 an die Neuköllner Buchläden herangetreten – und konnten fast alle Buchhandlungen für die Initiative gewinnen. Aus den „Neuköllner Buchläden gegen Rassismus“ wurden die „Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus“. Alle unterzeichneten eine gemeinsame Stellungnahme. Innerhalb von drei Wochen stellten wir eine Veranstaltungsreihe auf die Beine, die es in sich hatte. Das alles wurde nicht zuletzt dank der unbürokratischen Unterstützung der Amadeu-Antonio-Stiftung und vieler Stunden unbezahlter Arbeit an Kuration, den Flyern und der sonstigen Öffentlichkeitsarbeit erst möglich.

„Buchläden sind Orte des Wissens und der demokratischen Kultur. Als solche eignen sie sich ganz besonders, um dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen.“

Die Veranstaltungen der „Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus“ im November und Dezember waren dann eine starke Antwort auf den Schock, den die Berliner Wahl in uns allen ausgelöst hat. Der Erfolg der Rechtsaußen-Partei AfD bei den Berliner Parlamentswahlen hat uns allen den massiven Rechtsruck in unserer Gesellschaft deutlich vor Augen geführt. Wir haben mit dem apabiz einen guten Partner gefunden, der an zwei der drei Abendveranstaltungen einen Einblick in die Entwicklungen hin zur AfD und in deren Strukturen geben konnte. Mit der Initiative „Aufstehen gegen Rassismus“ wurden eine weitere Abendveranstaltung sowie ein Tagesworkshop zur Frage „Wie umgehen mit Alltagsrassismen?“, ein sogenannter Stammtischkämpfer*innen-Workshop realisiert.

Die Abendveranstaltungen in drei Buchhandlungen waren allesamt eindrucksvoll, nicht allein wegen der gewinnbringenden politischen Analysen der geladenen Referent*innen. Es kamen jeweils mehr als 50 Gäste in die Buchhandlungen. Alle Plätze waren besetzt, vor der Tür bildeten sich Trauben und einige Gäste fanden auf dem Boden Platz. Ganz im Sinn unserer Intention hat die Reihe es geschafft, eine ganze Nachbarschaft anzusprechen. Kund*innen, Buchladenbesitzer*innen, Anwohner*innen, Neuköllner*innen und Berliner*innen tauschten sich miteinander aus über die Bedrohung durch Rechts und wie die Zivilgesellschaft dieser begegnen kann.

Die Diskussionen waren wohl für alle Anwesenden bereichernde und bestärkende Erfahrungen. Immer wieder wurden Möglichkeiten des Engagements für eine demokratische Gesellschaft thematisiert. So wurde sich zum gemeinsamen Flyer Verteilen auf dem Rixdorfer Weihnachtsmarkt verabredet, auch um dort mit den Menschen ins Gespräch über Rassismus und AfD zu kommen. Die Rudower Pfarrerin berichtete von ihrer spontanen Aktion gegen eine NPD-Kundgebung an der Rudower Spinne im vorvergangenen Sommer. Sie sah sich zunächst hilflos gegen die lautstark vorgetragenen Parolen. Doch als sie mit wenigen anderen sich an den Rand der befahrenen Kreuzung stellte und ein Plakat mit dem Slogan „Hupen gegen die NPD“ hochhielt, bekam sie schnell lautstarke Unterstützung. Dieses Beispiel machte Schule und kam bei vielen weiteren Kundgebungen zum Einsatz. Auch Mülltüten können ein schnelles und einfaches Mittel gegen rechte Propaganda sein, z.B. wenn man sie in direkter Nachbarschaft zu rechten Infoständen den Passanten anbietet,
um das eben erhaltene Infomaterial zu entsorgen.

Aber vor allem die Aussicht auf den geplanten Workshop gegen rechte Parolen im Alltag erschien allen als besonders vielversprechend. Die allgemeine Situation wurde von allen als sich zuspitzend wahrgenommen. Alltägliche Äußerungen werden bedrohlich, Gespräche mit Nachbar*innen, Verwandten und auch Freund*innen driften immer wieder in unangenehme Gefilde ab. Die Unsicherheit im selbstbewussten, entlarvenden und eingreifenden Umgang damit war und ist groß. So erklärt sich der große Erfolg des Workshops. In dieser ersten Runde waren die 25 Plätze in Windeseile vergeben. Dabei übten die Teilnehmer*innen den Umgang mit rassistischen und ausgrenzenden Äußerungen, erst in der Theorie und dann ganz praktisch in kleinen Rollenspielen. Die Warteliste für diesen Workshop war lang. Und so ergab es sich, dass auch die Evangelische Gemeinde in Rudow und eine private Initiative in Friedrichshain zusätzlich einen weiteren solchen Workshop realisierten.

Im Fokus rechter Gewalt

Unser Engagement führte bald zu Widerspruch. Bereits im Vorfeld der Reihe wurde auf der rechten Internetplattform „pi-news“ auf diese Veranstaltung hingewiesen . Der Eigentümer des Buchladens Leporello, Heinz Ostermann, wurde dort als „aktuelles Beispiel eines rot/grünen Hetzers“ beschimpft.[2]

Leider ließ auch der erste manifeste Anschlag nicht lange auf sich warten. Nur etwas mehr als eine Woche nach der besagten Veranstaltung wurden die Fensterscheiben der Buchhandlung Leporello mit drei Pflastersteinen eingeschlagen. In der gleichen Nacht kam es zu weiteren Anschlägen in Neukölln: Das Banner der evangelischen Kirchengemeinde Rudow, das für Weltoffenheit wirbt, wurde beschädigt und in der näheren Umgebung Hakenkreuze geschmiert. (Einige Zeit später wurden die Reifen der Pfarrerin zerstochen.) Das linke Café k-fetisch wurde Opfer eines Brandanschlags und eine Privatwohnung im Schillerkiez wurde attackiert.

Diese Serie war der traurige Beginn einer nicht enden wollenden Reihe von Anschlägen, mit Schwerpunkt in Neukölln. Seither sind drei weitere Autos von politisch engagierten Menschen ausgebrannt und es kommt immer wieder zu denunziatorischen Schmierereien an den Wohnhäusern von einzelnen, mitunter Menschen, die mit ihrem Engagement bewusst nicht an die Öffentlichkeit getreten waren. Knapp zwei Monate nach dem Steinschlag wurde auch noch das private Auto von Heinz Ostermann vor dessen Wohnhaus in Brand gesetzt.

Zuletzt wurden wenige Tage vor dem 9. November 16 Stolpersteine ausgegraben und gestohlen, darunter alle in Britz verlegten Steine.

Reichweite und Solidarität

Zahlreiche Menschen zeigten nach den Attacken Heinz Ostermann ihre Solidarität. Um ihm den Rücken zu stärken, kauften Kunden explizit im Leporello ihre Weihnachtsgeschenke, brachten Blumensträuße und süße Nervennahrung vorbei. Ebenso erreichten ihn zahlreiche unterstützende Emails und Telefonanrufe. Über Spendenaufrufe nach dem Brandanschlag auf Ostermanns Auto wurden in weniger als 5 Tagen über 5000 € gesammelt, so dass das Auto durch einen günstigen Gebrauchtwagen ersetzt und noch weitere Sicherheitsmaßnahmen an der Buchhandlung realisiert werden konnten. Unser Dank gilt allen Unterstützer*innen!

All das zeigt, dass unsere Initiative gegen Rechtspopulismus und Rassismus vielen Menschen aus dem Herzen spricht und als wichtiger Beitrag für eine demokratische Gesellschaft wahrgenommen wird. Schon in dieser ersten Runde konnten wir sehr viele Menschen erreichen. In zahlreichen regionalen wie überregionalen, sogar internationalen (Frankreich und Spanien) Zeitungsartikeln, Buchhandels-Fachpublikationen, Internet-Blogs und Nachbarschaftsjournalen erschienen Berichte über die Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus. Die Facebook-Posts über die Angriffe auf die Buchhandlung Leporello in Rudow wurde über tausend Mal geteilt und erreichten über hundertfünfzigtausend Personen.

Die Nachrichten schlugen Wellen und führten neben der großen Solidarisierung auch dazu, dass sich Buchhändler*innen aus anderen Stadtteilen, aber auch anderen Städten bei uns meldeten. Mittlerweile existiert das Netzwerk #nichtzuendeln unter dem Dach des Berlin-Brandenburgischen Ablegers des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Der Börsenverein ist ein Branchenverband aus Verlagen, Buchhändlern und Antiquariaten. Gemeinsam mit uns, verschiedenen Verlagen und dem Börsenverein fanden bereits Treffen statt, bei denen wir von unserer Arbeit berichteten. Damit wollten und wollen wir einen Impuls geben, dass auch andernorts ähnliche Initiativen zusammenfinden und die Zivilgesellschaft in einen Austausch bringen, jenseits vorhandener politisierter Strukturen. Weitere dieser Treffen sind geplant.

To Do: Demokratie!

Wir waren uns einig, dass wir vor diesem Hintergrund unser eigenes Engagement als Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus fortsetzen werden.
Und so haben wir im September und Oktober 2017 rund um die Bundestagswahl die Veranstaltungsreihe „To Do: Demokratie!“ realisiert. Auch bei der aktuellen Reihe konnten wir auf die Unterstützung der Amadeu-Antonio-Stiftung zählen.

Dieses Mal blieb uns ein längerer Organisationsvorlauf. Für den Auftakt konnten wir die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2016, Carolin Emcke, gewinnen. Die Veranstaltung fand im evangelischen Gemeindezentrum statt und war bis zum letzten Platz gefüllt. Diese wie auch die anderen Veranstaltungen sind als wichtiges Statement zu verstehen, dass wir uns von den rechten Umtrieben in Neukölln nicht einschüchtern lassen, auch nicht durch die drohende manifeste Gewalt, die uns widerfahren ist. Neben theoretischen Veranstaltungen u.a. mit NSU-Watch, einer Fotovernissage aus dem Bildband „Niemandsland“ und Buchvorstellungen wurden auch zwei Workshops organisiert: einer näherte sich dem „Rassismus als politische[m] System“, in dem anderen lernten die Teilnehmer*innen mit den Teamer*innen von GegenArgument das „Argumentieren gegen Alltagsrassismen“. Auch hier war das Interesse so groß, dass sich eine lange Warteliste nicht vermeiden ließ. Im Dezember wurde daher ein weiterer Workshop angeboten.

Wenngleich die mediale Berichterstattung zu „To Do: Demokratie!“ nicht annähernd so intensiv war, wie zu Beginn unserer Initiative: Die Veranstaltungen waren von einer vergleichbaren Energie geprägt. Es kamen viele Menschen aus der direkten Nachbarschaft zusammen, die sich austauschten, Dinge zur Sprache brachten, reflektierten und gemeinsame Perspektiven formulierten. Auch die Lokalblätter beteiligten sich wieder intensiv an der Berichterstattung. So sind wir doch sehr zufrieden mit der Resonanz – die unserer eigentlichen Intention Rechnung trägt.

Ausblick

In der Auseinandersetzung mit Rassismus, Rechtspopulismus und Ausgrenzung ist es wichtig, einen langen Atem zu zeigen. Die Rechtsaußen-Partei AfD ist mit 12,6 Prozent als drittstärkste Kraft vor der Linkspartei und den Grünen in den Bundestag eingezogen. Ebenso besorgniserregend ist der allgemeine Rechtsruck im öffentlichen Diskurs oder auch die jüngste Abschiebung von Flüchtlingen in das kriegszerrüttete Afghanistan. Mit unserer Initiative können wir zeigen: Menschenrechte und Mitmenschlichkeit sind nicht verhandelbar.

In diesem Sinne führen wir die Initiative Neuköllner Buchläden gegen Rechtspopulismus und Rassismus auch im nächsten Jahr fort. Unsere Buchhandlungen sind und bleiben Räume des demokratischen gesellschaftlichen Austauschs. Und wir werden auch weiterhin Position beziehen.

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