Im Schatten der Aufmerksamkeit – Die Aktivitäten der Grauen Wölfe in Berlin

Für einen Teil der Berliner Bevölkerung finden die Aktivitäten der Grauen Wölfe im Verborgenen statt, denn die Betroffenen sind meistens kurdische Migrant_innen aus dem türkischen Kurdistan oder türkische Linke. Als acht Besucher_innen eines Drag-Festivals im Sommer 2008 auf dem Kreuzberger Heinrichplatz aus zwei Autos angegriffen und brutal zusammengeschlagen wurden, tauchten jedoch Fragen auf. Die Angreifer wurden als deutsche und türkische Männer identifiziert und an einem Auto wurde ein Aufkleber der Grauen Wölfe gesichtet.

 

Diese Attacke löste eine Protestwelle aus und es fand eine große Solidaritätsdemonstration für die Betroffenen statt, auf der sich mehrere tausend Menschen befanden. In erster Linie galt dieser Protest dem homophoben Charakter dieses Angriffs, viel weniger wurde beachtet, aus welchem politischen Umfeld die Angreifer möglicherweise kamen. Das ganze Jahr finden in Berlin Übergriffe und Pöbeleien der türkischen Faschist_innen statt, welche sich bei den Grauen Wölfen (Bozkurt) organisieren. Dies ist der militante Arm der türkischen nationalen Partei MHP (Milliyetçi Hareket Partisi – Partei der nationalistischen Bewegung), welche in der Türkei mehrere tausend Morde zu verantworten hat.[1]

Auffällig werden diese Gruppen in Berlin nur, wenn sie wie beispielsweise am Ende des Jahres 2007 zum offenen Angriff übergehen. Am 28. Oktober 2007 fand auf dem Hermannplatz eine Kundgebung der „Berliner Janitscharen“[2] statt, auf der Tausende Nationalist_innen ihre Treue zum türkischen „Mutterland“ bekundeten, welches zu diesem Zeitpunkt einen Angriff auf den Nordirak und die dort vermutete PKK vornahm.[3]

Auf der Kundgebung waren auch Hunderte von Anhänger_innen der MHP bzw. Grauen Wölfe, die sich offen durch Parolen, Fahnen und den „Wolfsgruß“ zu erkennen gaben. Das Motto der Kundgebung, „Einigkeit und Brüderlichkeit zwischen Türken und Kurden“, meint nicht ein friedliches Zusammenleben der Bevölkerungen, sondern repräsentiert die aggressive nationalistische Forderung des türkischen Staates seit seiner Gründung nach einer totalen Assimilation und Unterordnung der sogenannten „Minderheiten“ unter die nationale Einheit des türkischen Staates.[4]

Die am Hermannplatz Versammelten durften ihre geplante Demonstration über den Kottbusser Damm nicht abhalten, dennoch fanden sich viele kleine Gruppen zusammen, welche nationalistische und PKK-feindliche Parolen riefen und anschließend versuchten, kurdische Einrichtungen anzugreifen. Viele der Angriffe waren nicht erfolgreich, da die Masse der türkischen Faschist_innen glücklicherweise noch zu unorganisiert war und vermutlich hauptsächlich aus noch unerfahrenen Jugendlichen bestand. Auffällig waren jedoch Gruppierungen von älteren Männern, die vermutlichen Kader: Sie waren immer an den Orten, wo es eskalierte. Der Versuch, in die kurdische Moschee am Kottbusser Damm hinein zu drängen, wurde abgewehrt, denn viele kurdische Menschen und einige wenige türkische und deutsche Linke versammelten sich schützend vor dieser Moschee. Unter ihnen gab es – nicht zuletzt aufgrund einer zweifelhaften Polizeitaktik – nicht wenige Menschen, die durch Steinwürfe verletzt wurden. Die organisierten türkischen Faschist_innen sind vielen unbekannt und die Angriffe werden von den Meisten als überraschend empfunden. Die Eskalation des türkischen Nationalismus ist nur zu verstehen, wenn man die Parallelen zu den Konflikten in der Türkei betrachtet. Besondere Stärke konnten die Nationalist_innen 2007 daraus schöpfen, dass zur gleichen Zeit der Demonstration eine starke Medienkampagne in der Türkei stattfand, um den Angriff des türkischen Militärs auf kurdische Gebiete im Nordirak zu rechtfertigen und zu begleiten. Diese nationalistischen Kampagnen finden in der Türkei immer wieder zu verschiedenen Anlässen statt und werden von den vielen Menschen in Deutschland mit türkischem Migrationshintergrund oft mitgetragen, auch wenn die Einflüsse nicht immer offen auf der Straße zu sehen sind: Meistens sind es die vielen plötzlich aus den Fenstern hängenden türkischen Fahnen oder einander feindlich gesinnte Gruppierungen von Jugendlichen in den Schulen, oder die Nachbar_innen, die miteinander nicht mehr reden wollen.

Deutschland liegt seit jeher – auch bedingt durch die Migration eher linksorientierter türkischer Arbeiter_innen in den sechziger/siebziger Jahren – im Fokus der türkischen faschistischen Kräfte, die direkte Verbindungen zum türkischen Staat haben. So begann die MHP schon damals in Deutschland Auslandsbüros aufzubauen. Als diese jedoch 1977 vom türkischen Verfassungsschutz verboten wurden, organisierten sie sich in so genannten Idealistenvereinen (türk.: Ülkü ocakları) bzw. deren Dachorganisation „Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa“ (ADÜTDF). Von Beginn an konnten diese Vereine auf einen engen Kontakt und Unterstützung der staatlichen türkischen Institutionen in der BRD, u.a. durch Botschaft und Konsulate, zurückgreifen und bauten so ihren Einfluss schnell aus. Jahrelang wurden die Vorsitzenden der ADÜTDF von Alparslan Türkeş , dem Gründer und „Führer“ der MHP, persönlich bestimmt. In Deutschland schätzte die Bundesregierung die Anzahl der Mitglieder der ADÜTDF 2008 auf mindestens 7500. Als Schwerpunkte dieser Vereine gelten Süd- und Westdeutschland.

In Berlin haben die türkischen extremen Rechten besonders in den Bezirken Wedding, Kreuzberg und Neukölln enormen Einfluss, wobei der Wedding als Hochburg zu nennen ist. Hier wohnen und arbeiten die Kader der Bewegung, es gibt verschiedene Lokalitäten, die unter ihrem direkten Einfluss stehen und ihre Präsenz auf den Straßen ist nicht zu übersehen, bspw. durch Graffiti mit nationalistischen Inhalten oder den drei Halbmonden bzw. dem heulenden Wolf. In Kreuzberg und Neukölln waren bisher ihre Strukturen weniger ausgeprägt und scheinen Ableger aus dem Wedding zu sein. Als besonders problematisch ist hier die Oranienstraße zu sehen: So liegt der Berliner Vereinssitz der ADÜTDF in direkter Nachbarschaft zum bekannten Club SO36. Es ist auffällig geworden, wie viele Jugendliche auf nationalistischen Demonstrationen zu finden sind und wie präsent die Zeichen der Grauen Wölfe im Alltag bei ihnen sind. Immer größeren Einfluss gewinnen die Grauen Wölfe bei türkischen Jugendlichen in den letzten Jahren durch die Musik und den Sport. Hierbei ist besorgniserregend zu sehen, wie auch die türkischen Rechten dieses Feld immer stärker für ihre Propaganda nutzen. So gibt es, wie in der deutschen Rechten, eine Art traditionelle rechte Volksmusik. So genannte Barden oder Troubadoure wie der bekannte Ozan Arif huldigen dem „Mutterland“ und den türkischen Volksträumereien.

Für Jugendliche ist diese Musik nur bedingt von Interesse. Eine stärkere Anziehung üben hier eher die verschiedenen türkischen Hip-Hop Künstler_innen aus. Es gibt eine Reihe von Rapper_innen, die sich positiv auf die türkische Nationalidentität beziehen und klare inhaltliche Verbindungen zu den extremen Rechten aufweisen. Exemplarisch sind dafür Cartel – die ersten türkischsprachigen Rapper aus Deutschland – oder der Rapper Mehmet Borukçu zu nennen. Letzterer bezieht sich immer wieder auf Ehre, Türkentum und auf die Reinheit der türkischen Identität. Bei den Konzerten der in den letzten Jahren zahlreich gewordenen türkischsprachigen Rappern in Deutschland und in deren Videos, welche teilweise auf Youtube veröffentlicht sind, sind der Gruß der Grauen Wölfe und Bilder zur Verherrlichung der türkischen Armee immer wieder zu sehen. Dadurch reproduzieren sie klare faschistische Bezüge und sorgen dafür, dass diese für ihre Hörer_innen positiv besetzt werden.

Nicht immer ist für die Fans anfänglich zu erkennen, welcher Ideologie sich die Künstler_innen mit ihren vermeintlich „wahrhaft“ türkischen oder islamischen Symbolen verbunden fühlen. Wie wenig dieses selbst bei Leuten bekannt ist, die es besser wissen müssten, zeigt der gemeinsame musikalische Auftritt von Außenminister Steinmeier und dem nationalistischen Rapper Muhabbet Ende 2007, in dessen Studio, am Rande eines diplomatischen Protokollbesuches. Muhabbet verfasst Texte, die ihn in der Nähe der Grauen Wölfen verorten lassen und scheint in einem Netzwerk aktiv zu sein, in dem sich auch erklärte „Graue Wölfe“ wohl fühlen. Dieser fragwürdige Beitrag zur „Integration“ deutsch-türkischer Mitbürger_innen zeigt, wie unbekannt die Gruppen und Personen sind, die sich positiv auf Faschismus beziehen.

Die türkischen extremen Rechten werden als ein Randproblem in Deutschland gesehen – so wie andere Probleme der hier lebenden Menschen mit „migrantischem Hintergrund“. Da die türkischen extremen Rechten eine hauptsächlich auf die Türkei gerichtete Politik verfolgen, werden ihre Propaganda und Organisationen als harmlos für die BRD und damit harmlos für „die Deutschen“ betrachtet – und ihre Anhänger_innen als nicht-integrierbar gesehen. Die Verbreitung der extrem nationalistischen Ideologie erfolgt tatsächlich durch die Ablehnung der von der deutschen Mehrheitsgesellschaft erzwungenen Identität – einer Mehrheitsgesellschaft, die diese Jugendlichen sowieso nicht will. Und durch den Reflex, einen Stolz auf eine eigene nationale und religiöse Identität aufzubauen – in diesem Fall „türkisch und muslimisch“. Das homogenisierende Bild der „Türk_innen“, das diesen ein „allgemeines aggressives Verhalten“ zuschreibt, verhindert die Unterscheidungs- und Erkenntnismöglichkeiten. So ist für viele nicht durchschaubar, dass diese „gewalttätigen Migrant_innen“ eine Ideologie verfolgen, die Teil einer europaweiten/globalen faschistischen Bewegung ist. Die Ethnisierung des Problems verharmlost die Tatsache einer die Staatsgrenzen übergreifenden Faschisierung der Menschen auf allen Ebenen und vereinfacht somit  das Nicht-erkennen (oder Nicht-anerkennen) des Faschismus – bzw. Neofaschismus – mit dem wir es zu tun haben. Die MHP/Grauen Wölfe und ihr faschistischer Anhang – genauso wie die deutschen Neonazis und ihr faschistischer Anhang – sind eine Gefahr, der begegnet werden muss.

Es gilt zudem auch die türkischen Institutionen und Vereinigungen aufzufordern, sich klar zu positionieren und sich gegen den Faschismus/Neofaschismus zu stellen und dies nicht nur mit plumpen „gegen Gewalt“-Aussagen zu tun, sondern mit einer klaren Ausgrenzung und Stellungnahmen gegen Faschismus/ Neofaschismus.

Diese Kritik darf jedoch nicht in einer Form geschehen, in der sie den deutschen Rechten in die Hände spielt und weiter die vorherrschenden rassistischen Diskurse und Bedrohungsszenarien bedient, die die bundesrepublikanische Mehrheitsgesellschaft gegen Migrant_innen und Menschen mit migrantischem Hintergrund sowieso schon führt. Es muss klar gesagt werden, dass das Problem nicht bei den „Türk_innen“ schlechthin liegt, sondern das Problem Nationalismus und Faschismus heißt.

 

AK Graue Wölfe/Türkischer Nationalismus ist eine kleine Gruppe von Menschen, die im letzten Jahr zu diesem Thema recherchiert und gearbeitet hat. Schwerpunkt dieser Arbeit waren, neben der Arbeit im Archiv des apabiz, die lokalen Strukturen in Berlin und allgemein der BRD. Über Kritik, Fragen und Infos zum Thema freuen wir uns sehr.

  1.  Für mehr Informationen über die von Grauen Wölfe verübten Anschläge und Attentate: Azlan, Fikret/Bozay, Kemal: Graue Wölfe heulen wieder. Türkische Faschisten und ihre Vernetzung in der BRD, Münster 2000.
  2.  Janitscharen (Yeniçeri) ist die Name der Soldateneinheiten des Osmanischen Reiches gewesen. Die Yeniçeri und Mehter, die militärische Kapelle des Osmanischen Reiches, sind beliebte Motiven der türkischen Nationalist_innen und Fundamentalist_innen und tauchen gleichermaßen häufig als Motiv auf den Plakaten der MHP und den islamischen Fundamentalist_innen auf bzw. während ihrer Aktivitäten als Inszenierungen.
  3.  Dieser Angriff wurde durch eine enorme Hetzkampagne der türkischen Massenmedien gegen Kurd_innen vorbereitet und begleitet. Viele in der BRD lebenden Menschen mit türkischem Hintergrund folgen täglich dem Tagesgeschehen in der Türkei durch Satellitenfernsehen und durch türkische Zeitungen und werden genauso effektiv beeinflusst wie diejenigen, die in der Türkei leben.
  4.  In den durch das Osmanischen Reich eroberten Gebieten lebten und leben Bevölkerungen mit eigenen Sprachen und Religionen. Die pantürkische militärische Front, die am 1923 den türkischen Staat gründete, forderte eine bedingungslose Akzeptanz der türkischen nationalen Einheit in allen noch in seinem Einfluss übrig gebliebenen Gebiete.
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