Welche Bedeutung ihre Arbeit und teils bundesweite Berühmtheit manche Willkommensinitiativen in Anbetracht der sich verschärfenden Verwaltungs- und Politikkrise erlangen sollten, war zu Jahresbeginn noch nicht abzusehen. So waren es beispielsweise organisierte Initiativen (v. a. Moabit hilft!) und engagierte Einzelpersonen, die ab August 2015 vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) lange Zeit originär staatliche Aufgaben übernahmen, indem sie die Versorgung der in der Hitze des Hochsommers und Kälte der Wintermonate wartenden Geflüchteten organisierten und damit weit aus Schlimmeres verhinderten.
Die so genannten Willkommensinitiativen geben Deutschkurse, organisieren Sprachmittlung und Begleitung, unterstützen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche, betreiben Kleiderkammern, bieten Freizeitaktivitäten und Kinderbetreuung, dokumentieren und agieren gegen Missstände in den (Not-)Unterkünften und sind darüber hinaus in vielen weiteren Feldern aktiv. Es ist bemerkenswert, wie es nicht-staatlichen Initiativen innerhalb kürzester Zeit gelang, Organisationsstrukturen aufzubauen und solidarische Unterstützungsangebote zu schaffen. So wurde etwa durch die Initiative Neue Nachbarschaft // Moabit mit dem Ladenlokal in der Beusselstraße ein neuer öffentlicher Raum der Begegnung geschaffen. Hier finden nicht nur Deutschkurse für Geflüchtete statt, sondern auch von Geflüchteten geleitete Arabisch-Kurse für Unterstützer_innen. Oder das Bündnis Neukölln, das eine Begleitung bei der Wohnungssuche binnen kurzer Zeit auf die Beine gestellt hat, um die Unterbringung in privatem Wohnraum anstatt in Lagern zu fördern.
Ein tieferer Blick in die Willkommensinitiativen und andere Gruppen macht deutlich, dass diese teilweise sehr unterschiedlich aufgestellt sind. So können Einzelne auf bestehende Strukturen im Kiez und Bezirk, unterstützende Organisationen oder Erfahrungen langjährig Engagierter zurückgreifen, was sich in ihrer Art der Unterstützung, ihren materiellen Möglichkeiten und der Breite des Unterstützungsangebotes zeigt. Auch die soziale Zusammensetzung innerhalb der Initiativen – und noch deutlicher im Vergleich zwischen den Gruppen – ist sehr heterogen. Es gibt nicht die typische Willkommensinitiative und schon gar nicht die typisch ehrenamtlich aktive Person. Sowohl jüngere als auch ältere Anwohner_innen, Menschen mit und ohne Migrations- oder Fluchterfahrung sowie mit wie ohne Rassismuserfahrung, Leute, die sich zum ersten Mal oder schon seit langer Zeit engagieren, Menschen mit verschiedenen Wissens- und Erfahrungshintergründen und unterschiedlichen Motivationslagen kommen hier zusammen. So unterschiedlich die Initiativen sind, so sehr haben sie gemeinsam, dass sie in ihrem Engagement mit großen Herausforderungen konfrontiert sind. Die soziale und rechtliche Situation der Geflüchteten ist komplex. Dadurch ist es schwer, einen Überblick zu behalten und Situationen vor Ort richtig einzuschätzen. Das Engagement ist darüber hinaus nicht frei von Konflikten, Widersprüchen und Machtverhältnissen. So kommt es vor, dass die Arbeit ohne gute Zusammenarbeit mit den Geflüchteten verläuft; Begegnungen sind nicht selten geprägt durch Berührungsängste, Paternalismus und eigene Vorurteile und Rassismen. Hilfsangebote können somit ins Leere laufen; stat Hilfe zur Selbsthilfe können neue Abhängigkeiten zwischen Helfenden und Betroffenen entstehen. Und die Politik? Die rühmt sich mit dieser Hilfsbereitschaft und sieht sie als einen Beleg für die „Weltoffenheit“ und „Willkommenskultur Deutschlands“. Auch große Teile der Medien spielen hier mit. Durch das Lob des Ehrenamtes wird der staatliche Unwille, selbst aktiv zu werden und sich für die ankommenden Geflüchteten einzusetzen, kaschiert.
Was sind Aspekte einer Unterstützungsarbeit, die die Unterstützten nicht entmündigt, sondern die Autonomie und gleichberechtigte Teilhabe von Gefüchteten stärkt?
Überhaupt lässt sich im gesellschaftspolitischen Diskurs beobachten, dass meist von der sogenannten „Flüchtlingskrise“ oder gar dem „Flüchtlingsproblem“ die Rede ist. Diese Begriffe suggerieren, dass die Schutzsuchenden und Vertriebenen das Problem seien. Die Frage nach den Gründen, die die Menschen zur Flucht bewegt haben, treten dadurch in den Hintergrund. Der Verweis auf eine „Krise“ verstellt den Blick auf politische Verantwortlichkeiten. Missstände bei Registrierung, Versorgung und Unterkunft von Geflüchteten erklären sich keineswegs alleine durch „zu viele Menschen“, die in kurzer Zeit eingereist sind. Obwohl seit mehreren Jahren offensichtlich war, dass in Anbetracht anhaltender Krisen und Konflikte in direkter europäischer Nachbarschaft mehr Schutzsuchende kommen würden, wurde das unliebsame Thema in Politik und Verwaltung umgangen und vertagt. Eigene rassistische und nationalchauvinistische Ressentiments, die Angst vor einer „Abstrafung“ an der Wahlurne sowie die Befürchtung durch eine humanere Flüchtlingspolitik Anreize zur Flucht zu schaffen, führten in die Krise, die nun den Schutzsuchenden selbst zur Last gelegt wird. Die wachsende Bereitschaft, etwas gegen die miserablen Zustände und rassistische Ausgrenzung zu tun, ist ein großer Fortschritt. In Anbetracht von Gesetzesverschärfungen und der gesellschaftlichen Akzeptanz von Abschiebungen als „Kehrseite der Willkommenskultur“ stellt sich jedoch die Frage, wie es mitel- und langfristig zu grundlegenden Verbesserungen, die über den Einzelfall hinaus weisen, kommen kann. Was sind Aspekte einer rassismuskritischen und nachhaltigen Unterstützungsarbeit, die die Unterstützten nicht entmündigt, sondern die Autonomie und gleichberechtigte soziale und politische Teilhabe von Geflüchteten stärkt sowie die institutionellen und gesellschaftlichen Ausschlüsse überwindet? Wie kann eine „Willkommenskultur“ mit Inhalt gefüllt werden und über das „Willkommenheißen“ hinaus gehen?
Rechtlich prekär
Flüchtlingspolitisches Engagement kann eine überwältigende Arbeitsfülle und auch Unsicherheiten mit sich bringen. Aus einem punktuellen und anfänglich klar umgrenzten Engagement entstehen Gespräche und Begegnungen, die Unterstützer_innen mit komplexen Fragen zur sozialen und rechtlichen Situation konfrontieren. Ein falscher Rat kann schwere Konsequenzen haben. Es ist daher wichtig für Ehrenamtliche, eigene Kompetenzen richtig einzuschätzen, zur richtigen Zeit an professionelle Stellen weiterzuleiten und Geflüchteten keine falschen Versprechungen zu machen. Zugleich mangelt es an Stellen, an die sich die Ratsuchenden und Unterstützer_innen wenden können. Es gibt keine flächendeckende Asylverfahrensberatung, die allen Schutzsuchenden zur Verfügung steht. Ein Großteil der Sozialarbeiter_innen in den Flüchtlingsunterkünften ist durch zu geringe Personalschlüssel überlastet und zum Teil erst seit Kurzem im Themenfeld beschäftigt. Beides sind keine neuen Phänomene aufgrund erhöhter Zugangszahlen, sondern Teil einer staatlichen (Abschreckungs-)Politik, die auf die Verringerung der Flüchtlingszahlen zielt, anstatt auf faire Verfahren und uneingeschränkten Flüchtlingsschutz. Regelmäßig scheitern Asylverfahren an der mangelnden Aufklärung und Information der Schutzsuchenden.
Verfassungsrechtlich ist es untersagt, die Menschenwürde aufgrund migrationspolitischer Erwägungen zu relativieren. Doch hierfür müssen Geflüchtete und Unterstützer_innen täglich neu kämpfen. Die in sich schon problematischen gesetzlichen Regelungen werden in der alltäglichen Praxis noch weiter unterschritten. So werden unter anderem Mindeststandards für die Unterbringung oft nicht eingehalten. Um hiergegen agieren zu können, bedürfen die Unterstützer_innen ein gewisses Grundwissen. Das soll nicht heißen, dass unentgeltliches Ehrenamt fortan eine hauptamtliche professionelle Fachberatungsstelle ersetzen sollte. Ziel ist es eher, die Situation einschätzen zu können und zu überlegen, an welchen Stellen Unterstützung besonders Sinn macht, aber auch wo die Grenzen ehrenamtlicher Unterstützung liegen. Ehrenamtlich Engagierte können beispielsweise dazu beitragen, Informationen über das Asylverfahren sowie über soziale Rechte zugänglich zu machen, zu Behörden zu begleiten und bei entsprechendem Vertrauensverhältnis auch die Anhörung durchzusprechen. Bei der Frage nach der Fluchtgeschichte ist jedoch besondere Sensibilität und Vorsicht angebracht. Sie ist sehr privat und kann an schmerzhafte Erfahrungen erinnern. Es besteht zudem die Gefahr, dass bei der geflüchteten Person das Gefühl entsteht, sie müsse ihr Hiersein und die erfahrene Unterstützung durch ihre Fluchtgeschichte rechtfertigen.
Wir müssen über Rassismus sprechen!
Trotz aller Heterogenität fällt auf, dass Willkommensinitiativen oft eher weiß, meist akademisch geprägt sind. Hierin spiegeln sich gesellschaftliche Machtverhältnisse wider. Wer verfügt über die zeitlichen Ressourcen und ökonomische Sicherheit sich überhaupt ehrenamtliches Engagement „leisten“ zu können? Wer wächst mit dem vermeintlichen Selbstverständnis und Selbstbewusstsein auf, die- bzw. derjenige zu sein, Hilfe geben zu können? Eine solidarische Unterstützungsarbeit, die die soziale Teilhabe von Geflüchteten stärken möchte und paternalistische Hilfe ablehnt, muss darum immer auch den Blick auf sich selbst richten. Es ist notwendig die eigene gesellschaftliche Position und die damit einhergehenden Privilegien zu reflektieren. Dies verlangt die Auseinandersetzung mit (strukturellem) Rassismus und den eigenen Vorurteilen und Rassismen gleichermaßen. Das ist jedoch keineswegs selbstverständlich, wenn mensch bedenkt, dass Rassismus im gesellschaftlich vorherrschenden Verständnis als ein Randphänomen betrachtet wird. Angetrieben von dem Wunsch Gutes zu tun, wägt mensch sich schnell auf der „richtigen Seite“. Rassismus, Diskriminierung und Bevormundung scheinen ein Problem „der Anderen“ zu sein.
In einer rassistisch verfassten Gesellschaft ist jedoch niemand frei von Rassismus. Durch (kolonial-)rassistische Erzählungen in Kinder- und Schulbüchern, Liedern und Spielen sowie durch die alltägliche Berichterstattung über die „Entwicklungsländer“ haben sich Bilder festgesetzt, die uns bis heute in unserem Handeln beeinflussen. Bilder, in denen Weiße die helfende und wissende Rolle einnehmen. Dies nimmt auch Einfluss auf die Begegnungen zwischen Unterstützer_innen und Geflüchteten und führt nicht selten zu Bevormundung und Diskriminierung. Es ist darum von großer Bedeutung, dass Unterstützer_innen die eigenen und gesellschaftlich verhandelten Bilder und (Vor-)Urteile kritisch beleuchten. Aktuellen Anlass hierzu bildet die Differenzierung von Geflüchteten in „gute“ und „schlechte“ bzw. in „Flüchtlinge mit und ohne Bleibeperspektive“, die bei einigen Unterstützer_innen große Unsicherheiten auslöst.
Durch eine Vielzahl neuer Gesetze sowie behördeninterne Verfahrenshinweise und gesellschaftliche Diskurse wird in einem bislang nie dagewesenen Ausmaß zwischen „guten“ und „schlechten“ Geflüchteten unterschieden. Es besteht die Gefahr für Unterstützer_innen selbst in die Falle zu treten und Geflüchtete auf ihre Nationalität, ihre Religion, ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder auf ihrer Fluchtgeschichte zu reduzieren und anhand der „Unterstützungswürdigkeit“ unterschiedliche Hilfsangebote zu machen.
Um dies zu vermeiden ist es notwendig, sich mit den Bildern, Begrifflichkeiten und dem vermeintlichen Wissen auseinanderzusetzen, durch das die Differenzierung und (Ab-)Wertung erzeugt und reproduziert werden. Durch die Benennung als „Armuts- bzw. Wirtschaftsflüchtling“ wird deutlich gemacht, wer ein „falscher Flüchtling“ sei und darum auch keine Bleibeperspektive habe. Die Schuld für Armut wird bei den Personen selbst und ihrer vermeintlichen kulturellen Prägung gesucht. Eine grundsätzliche Debatte über globale ungleiche Verteilung, und (neo-)koloniale Ausbeutung bleibt aus.
Eine grundsätzliche Debatte über globale ungleiche Verteilung und (neo-)koloniale Ausbeutung bleibt aus.
Die medialen Berichterstattungen über die vermeintlichen „sicheren Herkunftsstaaten“ und nicht zuletzt über die „Kölner Silvesternacht“ 2015/2016 haben solche Tendenzen noch weiter vorangetrieben. Einige Ehrenamtliche und Hauptamtliche sind zunehmend verunsichert im Umgang mit Menschen aus sogenannten anderen „Kulturen“. Dies macht sich unter anderem auch durch eine vermehrte Nachfrage nach Workshops zur „interkulturellen Kommunikation“ bzw. „interkulturellen Kompetenz“ bemerkbar. Problematisch ist, dass Kultur hierbei als etwas Einheitliches und Unveränderliches betrachtet wird. In diesem Verständnis steht die „muslimische Kultur“ der „europäischen Kultur“ gegenüber. Dementsprechend wünschen sich einige Ehrenamtliche ein Wissen über die Anderen und eine Art reglementierte Anleitung für einen guten Umgang damit. Sie wollen wissen, wie mit Menschen aus arabischen Ländern o.ä. umzugehen ist. Dabei bestehen Menschen aus sehr viel mehr als der ihnen zugeschriebenen nationalen Herkunft oder einer bestimmten religiösen und kulturellen Prägung. Sie darauf zu reduzieren, kann niemandem gerecht werden, vielmehr wird sich hier altbewährter rassistischer Einteilungsmuster bedient. Einzelne Personen kennen zu lernen bleibt einem so oft verwehrt. Entsprechend des Herkunftslands oder des gemutmaßten Kulturraums wird ein bestimmtes Set an Klischees unterstellt. Durch derartige Kulturalisierung wird die individuelle Lebensbiographie verkannt und strukturelle Benachteiligungen von Gefüchteten geraten aus dem Blick. Eine geflüchtete Person, die keine Lohnarbeit hat, beziehungsweise findet, ist nicht per se aufgrund ihrer Kultur „unfähig“; struktureller Rassismus und Diskriminierung erschweren vielen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zum Arbeitsmarkt. Auch dass über zwei Drittel der Schutzsuchenden Männer sind, ist für viele ein Ausdruck des Männer- und Frauenbildes in der „arabischen“ oder „afrikanischen Kultur“. Dass die gefährlichen, teuren und langen Fluchtwege, die durch europäische Abschottung verursacht werden, für allein reisende Frauen besonders gefährlich und für ganze Familien mit kleinen Kindern nicht zu bewältigen sind, fällt für viele erst einmal aus dem Raum des Denkbaren.
Der Blick auf Sprache und die Darstellung von Geflüchteten ist aber nicht nur in Bezug auf die Diffamierung bestimmter Gruppen von Geflüchteten aufschlussreich. Durch verschiedene diskursive Praktiken werden Geflüchtete und deren Zuwanderung nach Deutschland problema-tisiert und kriminalisiert. Dies wird besonders deutlich bei Bildern von kleinen überfüllten Booten und Metaphern wie Flüchtlingswelle oder Flüchtlingslawine, die bei nicht wenigen den Eindruck hinterlassen, die „ganze Welt würde nach Europa kommen“. Um sich nicht von derartigen Bildern und (Vor-)Urteilen leiten zu lassen, ist es notwendig sich dieser bewusst zu werden. Die Auseinandersetzung darf aber nicht nur bei den „negativ“ konnotierten Bildern stehen bleiben. So werden Geflüchtete vielfach als „arme Opfer“ dargestellt und betrachtet. Dies mag Empathie wecken, degradiert die Dargestellten jedoch zu passiven und unmündigen Objekten. Das Aktive und Widerständige, das hinter der Flucht steckt, wird dadurch unsichtbar. Bilder von Geflüchteten, die in Selbstorganisationen und auf Demonstrationen ihre Stimme erheben, irritieren noch immer. Nicht selten werden sie als Provokation und Undankbarkeit gelesen.
Nur durch eine bewusste Auseinandersetzung kann es schließlich vermieden werden, dass in Begegnungen mit Gefüchteten Rassismus und Paternalismus ständig reproduziert werden.
Eine auf Paternalismus und individuellem Mitleid beruhende Flüchtlingsarbeit hat jedoch schwerwiegende Folgen; so nährt sich der Boden weiterhin mit Vorurteilen und verankert zudem rassistische Abhängigkeitsverhältnisse. Und wer bestimmt überhaupt, was für Unterstützung gebraucht wird? Oft wird von außen entschieden, welche Art der Unterstützung notwendig und vermeintlich gut ist. Die Stimmen von geflüchteten Menschen werden dabei nur selten berücksichtigt.
In diesem Zusammenhang ist es auch unerlässlich, sich die Frage nach der Motivation des eigenen Engagements zu stellen. Warum und für wen engagiere ich mich? Was haben die Geflüchteten davon? Was habe ich selbst davon? Was ist leichter, Hilfe zu geben oder anzunehmen? Die Position, helfen zu können, ist ein Privileg. Dankbarkeit zu erwarten auch, denn fast niemand ist gern auf Hilfe angewiesen. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen kann und sollte ein Anfang sein, sich kritisch mit der eigenen Rolle als Unterstützer_in auseinanderzusetzen. Nur durch eine bewusste Auseinandersetzung kann es schließlich vermieden werden, dass in Begegnungen mit Geflüchteten Rassismus und Paternalismus ständig reproduziert werden.
Solidarität muss politisch werden
Durch die Zusammenschlüsse von Unterstützer_innen in Willkommensinitiativen und deren gemeinsame Aktivitäten entsteht ein großes Potential politischen Handelns. So können Räume entstehen, die über eine rein praktische Solidarität hinaus weisen und zu einer Politisierung bis hin zu politischen Aktionen führen können. Aber warum ist es wichtig, den größeren politischen Kontext im Blick zu behalten? Nicht selten werden Probleme und die vielen tragischen Geschichten, aber auch die Behördenwillkür, die Ehrenamtliche täglich bezeugen können, individualisiert. Schikanen, Ungleichbehandlung, Zwang und Abschiebungen sind jedoch nicht individuell, sondern struktureller Teil deutscher Asylpolitik. Abschiebungen sind nicht nur für die Familie, zu der aktuell ein persönlicher Bezug besteht, schlimm, sondern zerstören immer Träume und Existenzen – sie sind politisch gewollt. Es ist daher wichtig zu realisieren, dass individuelles Handeln nicht die strukturellen Probleme löst. Der konkrete Einzelfall ist darum immer auch in einem größeren politischen Zusammenhang zu betrachten. Neben der kurzfristigen Unterstützungsarbeit sollte schließlich gemeinsam dafür gekämpft werden, dass sich langfristig und strukturell etwas ändert. Hierbei ist es wichtig, dass Selbstorganisationen von Geflüchteten solidarisch unterstützt und gemeinsame politische Aktivitäten kritisch refektiert werden. Dies bezieht sich insbesondere auf die Machtpositionen und Privilegien, die aus den sozialen Kategorien Hautfarbe und Staatsbürgerschaf resultieren. Um der Marginalisierung und den Ausschlüssen von Geflüchteten entgegenzutreten, ist es zudem entscheidend, dass die Stimmen und Ansichten von Geflüchteten hörbar sind und auch ein tatsächliches Gewicht haben. Denn wie die Karawane für die Flüchtlinge und Migrantinnen bereits vor über zehn Jahren in einem Grundsatzpapier klargestellt hat, bilden paternalistische Gründe, die Geflüchtete nur als „arme Opfer“ betrachten, keine Grundlage für eine politische Allianz gegen die Politik der Abschottung und des Ausschlusses. „Grundlage bildet [stattdessen] die Solidarität mit den Flüchtlings- und MigrantInnenkämpfen. Dies gründet sich aus der Überzeugung, dass die Gesellschaft rassistisch und das herrschende System ungerecht ist, genauso wie aus dem Bewusstsein über die Rolle des deutschen Staates im Zusammenhang mit den Gründen, aus denen Flüchtlinge und MigrantInnen ihre Heimatländer verlassen.“
Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildungsarbeit
Politische Bildungsarbeit kann ein Ansatz sein, um Raum für eine kritische Reflexion gesellschaftlicher Verhältnisse zu eröffnen. Sie kann die rassistischen, sexistischen, antiromaistischen und sozialdarwinistischen Denkmuster und Strukturen der Gesetze und gesellschaftlichen Debatten zum Thema machen und damit gegen die in der sogenannten Mitte der Gesellschaft vorhandenen Ideologien der Ungleichwertigkeit agieren. Durch zielgruppenspezifsche Methoden sowie im Austausch mit anderen Teilnehmenden können eigene Eingebundenheiten in rassistische Strukturen hinterfragt, eine kritische Reflexion der Haltung angeregt und Handlungsalternativen erarbeitet werden. Bildungsarbeit ist in diesem Kontext immer auch als politische Bildung und als Intervention zu begreifen.
Vor diesem Hintergrund ist es als sehr positiv zu bewerten, dass sich Ehrenamtliche in Berlin verstärkt mit den rechtlichen und sozialen Bedingungen sowie ihrer eigenen Rolle als Helfende auseinandersetzen wollen. Sowohl die Nachfrage nach als auch die Angebote von Workshops zu diesen Themenbereichen sind im Jahr 2015 gestiegen. Der Berliner Flüchtlingsrat, Wohlfahrtsverbände und auch kleinere Initiativen haben mitlerweile Bildungsangebote speziell für die Zielgruppe Ehrenamtliche erarbeitet. Durch gebündelte und alltagspraktische Informationen zum Asylverfahren können Unterstützer_innen ihrem Engagement mit mehr Sicherheit nachgehen. Auf Fragen der Geflüchteten können sie besser reagieren, behördliche Dokumente richtig einschätzen und Geflüchtete bei Bedarf an die richtigen (Beratungs-)Stellen weiterleiten. Sie sind sich der Möglichkeiten und der Grenzen ihre Handelns bewusster. Zum anderen können durch Workshops Räume eröffnet werden, um die eigene Motivation und Haltung zu reflektieren und Fragen und Unsicherheiten in der Unterstützungspraxis gemeinsam zu besprechen.
Der Anspruch an politische Bildungsarbeit hat aber auch Grenzen. Politische Bildner_innen stehen bei aller Selbstreflexion und kritischer Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit nicht außerhalb gesellschaftlicher Diskurse – von rassistischen Prägungen beispielsweise sind auch sie nicht frei. Materieller Zwänge, wie die Projektlogik, Zeitzwänge und prekäre Arbeitsbedingungen zwängen die Bildungspraxis zudem ein.
„Wir helfen nicht, wir lernen von einander.“
Eine umfassende Beschäftigung mit verschiedenen Aspekten der Unterstützungsarbeit und der eigenen Positionierung kann im Rahmen von Kurzzeit-Bildungsarbeit aber nicht stattfinden. Ein einziger sechsstündiger Workshop kann nur ein Anstoß sein, Impulse setzen und dazu motivieren, sich auch über den Tag hinaus weiter mit sich selbst und der Thematik auseinanderzusetzen. Sinnvoll wäre eine langfristige Begleitung. Auch andere Formate wie etwa eine regelmäßige Supervision in Willkommensinitiativen könnte hier Abhilfe schaffen. Bildungsarbeit kann Menschen letztlich dazu anregen, sich zu bewegen und sich aktiv für eine solidarische und diskriminierungsfreie Gesellschaft einzusetzen. Es braucht aber auch mehr Ehrenamtliche, die bereit sind, sich ehrlich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Bildungsangebote werden in den meisten Fällen freiwillig angefragt. Dabei muss aber auch die Frage gestellt werden, wer diejenigen sind, die nicht freiwillig einen Workshop besuchen; sollte und kann politische Bildung auch diese Gruppen erreichen? Aber auch unter der Gruppe derjenigen, die sich freiwillig für Bildungsangebote anmelden, besteht teils sehr große Heterogenität. Ehrenamtlich Engagierte bringen sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Erfahrungswerte mit. Dies wird besonders deutlich in der Auseinandersetzung mit Rassismus, weißen Privilegien und der eigenen Positionierung in der Gesellschaft. Auch bezogen auf die eigene Motivation und das Selbstverständnis gibt es eine große Bandbreite an Überzeugungen. Um so beeindruckender, wenn es einer Willkommensinitiative gelingt, ihr Selbstverständnis und ihre Grundhaltung auf einen einfachen und bestechenden Satz herunterzubrechen: „Wir helfen nicht, wir lernen von einander.“
* die Autor_innen sind weiß positioniert
bildungbewegt – Kollektiv für politische Bildung Berlin ist ein Kollektiv für politische Bildung in Berlin. Aktuell werden vor allem Workshops, Seminare und Projekttage für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu den Themen Flucht und Asyl angeboten. Dabei geht es zum einen um die Sensibilisierung für die Lebensbedingungen geflüchteter Menschen in Deutschland, zum anderen um die Auseinandersetzung mit eigenen Vorurteilen, strukturellen Rassismus und die Reflexion der eigenen Rolle in der Unterstützungsarbeit. Das Kollektiv bietet zudem handlungsorientierte Fortbildungen und Workshops zu den Grundlagen des Asylverfahrens und den sozialen Rechten von Geflüchteten an. Im Kollektiv sind Menschen mit und ohne eigener Flucht- und Migrationserfahrung aktiv.