Wer am Nachmittag des 12. März den öffentlichen Nahverkehr zum Hauptbahnhof nahm, konnte schnell ahnen, dass die dort beginnende Demonstration doch eine größere Nummer werden könnte. Gegen 15 Uhr erreichte eine S-Bahn den Bahnsteig, aus der eine Gruppe von dutzenden, schwarz-gekleideten Männern stieg, die sofort lauthals die Parole des Tages anstimmten: „Merkel muss weg!“ Veranstaltet wurde die Demonstration von Enrico Stubbe, Beisitzer im Bundesvorstand von „Pro Deutschland“. Stubbe hatte bereits am 3. Oktober vergangenen Jahres unter dem Label „Wir für Berlin und wir für Deutschland“ zu einer Demonstration nach Berlin-Mitte mobilisiert, zu der allerdings weniger als 200 Personen kamen. Diese Erfahrung und der Umstand, dass sowohl die AfD als auch PEGIDA sich im Vorfeld öffentlich von der Demonstration distanziert hatten, machte eine Einschätzung der Mobilisierungsfähigkeit kompliziert. Sowohl die beharrlichen Aktivitäten der Organisatoren in den sozialen Netzwerken (etliche Mobilisierungsvideos) als auch der Umstand, dass spätestens mit den Übergriffen zur Silvesternacht in Köln die rassistische Stimmung gegen Geflüchtete noch einmal deutlich an Fahrt genommen hat, dürften zu dem Mobilisierungserfolg beigetragen haben.1
Bundesweite Beteiligung der organisierten Neonaziszene
Aus diversen Bundesländern waren organisierte Neonazis angereist. Bereits bei den polizeilichen Vorkontrollen wurden dutzende Pfeffersprays beschlagnahmt. Dennoch war das Gewaltpotential während der Demonstration omnipräsent, es waren Teilnehmer mit verbotenen Quarzsandhandschuhen zu sehen, etliche zeigten sich vermummt. Dennoch hielt die Polizei es nicht für nötig, dagegen vorzugehen. Aufgrund ihres mitgebrachten Transparentes deutlich zu erkennen war die Kameradschaft Northeim, angeführt von dem langjährigen Neonazi Thorsten Heise. Aber auch andere altbekannte Neonazis waren vor Ort, so etwa der Hamburger Thorben Klebe, einst Führungsfigur des im Jahr 2000 verbotenen Blood & Honour-Netzwerkes und ehemaliger Landesvorsitzender der NPD in Hamburg. Auch der Brandenburger NPDler Alexander Bode, Haupttäter der tödlichen Hetzjagd auf Farid Guendoul in Guben 1999 nahm teil, ebenso wie Mario Messerschmidt, Waffennarr und Vorstandsmitglied der Partei „Die Rechte“. Auch aus Berlin waren etliche Neonazis und NPD-Funktionäre aus den verschiedenen Bezirken zugegen, darunter der einstige Landesvorsitzende Uwe Meenen, der Pankower Kreisvorsitzende Christian Schmidt, der Kreisvorsitzende der NPD in Marzahn-Hellersdorf, Andreas Käfer und der sonst kaum außerhalb des Nordostens der Stadt auf Demonstrationen anzutreffende Marcus B., der bereits seit den frühen 1990er Jahren in der neonazistischen Szene aktiv ist. Es ist daher wenig erstaunlich, dass auf der Demonstration, neben den derzeit üblichen Parolen wie „Merkel muss weg“, „Lügenpresse“ und „Volksverräter“ auch eindeutig neonazistische Sprechchöre wie „Nationaler Sozialismus jetzt“ und „Frei, sozial und national“ skandiert wurden.
Darüber hinaus waren auch etliche Teilnehmende der BÄRGIDA-Demonstrationen anwesend, darunter die jungen Männer der „Identitären Bewegung“ und die von Karl Schmitt verharmlost titulierten „Fussballfreunde“ vom ehemaligen „Bündnis Deutscher Hools“. Letztere fungierten als OrdnerInnen, ebenso wie Personen aus dem Umfeld von LEGIDA. Auch die regelmäßigen BÄRGIDA-Redner Heribert Eisenhardt von der AfD Berlin-Lichtenberg und Manfred Rouhs, Bundesvorsitzender von „Pro Deutschland“ waren anwesend. Rouhs trat auch als Redner auf.
Diese Gemengelage hielt Redner wie Frank Geppert, Organisator der EnDgAmE-Demonstrationen in Halle, die der rechten Friedensbewegung zuzurechnen sind, nicht davon ab, die neonazistische Beteiligung auf den aktuellen Anti-Merkel-Demonstrationen zu leugnen. Curd Schumacher, Redner auf diversen Veranstaltungen des Spektrums, reagierte auf die Rufe der Gegendemonstration: „Haut ab sagen se, ich sag euch jetzt mal was, die stehen jetzt schön da hinten und rufen „Haut ab“ und stellen wir uns jetzt mal eine Sekunde vor, der Wagen würde hier nicht stehen, die Polizisten würden da nicht stehen…“ Die Menge skandiert: „Auf die Fresse“. Tatsächlich wurden am Rande der Demonstration, die nur am Anfang und am Ende von der Polizei begleitet wurde, immer wieder Journalist_innen massiv bedrängt.
Beliebige Feindbildbestimmung: „Ami go home“, „Islamisierung“ und die „Zionisten“
Den Auftakt auf dem zur Bühne umfunktionierten Kleinlaster machte Eric Graziani, der zuvor bereits Reden bei BÄRGIDA und LEGIDA gehalten hatte. In seiner Rede gab er die völkische Argumentation vor, die auch in den nachfolgenden Reden zum Ausdruck kam: „Noch nie, noch nie musste in der Weltgeschichte ein Volk soviel Unrecht über sich ergehen lassen wie die letzten Jahrzehnte das deutsche Volk. Hunger, Elend, Verlust und Verzweiflung, und Schuldgefühle bedeuteten Jahrzehnte lang ihr Leben, bis heute noch.“ Wie in vielen Reden aus der völkischen Bewegung des vergangenen Jahres folgt der Rückbezug auf eine „tausendjährige deutsche Geschichte“ und schließlich das Jahr 1945, in dem „die anglo-amerikanischen Verbände und Terrorverbände Deutschland in Schutt und Asche hinterließen.“ Das „deutsche Volk“ und allen voran die „Trümmerfrauen“, für die eigentlich „goldene Statuen“ aufgestellt werden müssten, hätten das Land jedoch wieder aufgebaut: „Patrioti, dies ist einer der tausend Gründe, warum wir jetzt dieses Deutschland aus dieser von Merkel ausgelösten Invasion aus aller Herren Länder bewahren und befreien müssen.“
Die im Vorfeld durch die Organisatoren angekündigte und nicht zuletzt der Selbstlegitimation dienende Schwerpunktsetzung (Nicht gegen Flüchtlinge, sondern gegen Merkel) wurde beispielsweise in der Rede der PEGIDA-Mitbegründerin Kathrin Oertel deutlich, die auf die innerhalb der rechten Bewegung geäußerte Distanz zu der Demonstration reagierte: „Zu den Personen, die diese Veranstaltung maßgeblich mit diskreditiert haben, würde ich gerne sagen: Wer das Volk in dem Glauben lässt, etwas Grundlegendes in diesem Land zu verändern, Freiheit und Selbstbestimmung verspricht, dabei aber zu keinem Zeitpunkt die fehlende Souveränität durch die US-Besetzung unseres Landes anspricht, die NATO-Mitgliedschaft nicht kritisiert, und auch nicht das Zinsgeldsystem an den Pranger stellt, welche die Menschheit versklavt, macht sich beim Verrat am Volk mit schuldig.“ Frank Geppert forderte, dass „Linke und Rechte nicht aufeinander einschlagen“, sondern gemeinsam auf „Mutti Merkel“ zeigen sollten.
Nicht zuletzt an der fast schon beliebigen Feindbildbestimmung wurde deutlich, wie sehr es der aktuellen völkischen Bewegung nach wie vor gelingt, bestehende inhaltliche Widersprüche zugunsten einer propagierten Gemeinsamkeit zu ignorieren. Auch in Berlin ist dies schon seit über einem Jahr auf den Veranstaltungen von BÄRGIDA gängige Praxis. Enrico Stubbe ist dort regelmäßig anzutreffen. Am Samstag wurde dies besonders deutlich: Während der Buchautor Zahid Ali Khan als zweiter Redner eine strikte Flüchtlingsabwehr einforderte, da „der Islam“ nicht nach Europa gehöre, fokussierte der Münchener Hendra Krenzow in seiner prototypisch antisemitischen Rede auf die Allmacht der „Zionisten“, denen das Feindbild Islam zur Aufrechterhaltung ihrer Macht dienen würde: „Dieses Feindbild gegen den Islam hat ein ganz einfaches Ziel, ich erklär‘ es euch, es ist wirklich, man will Kriege vorbereiten. Man zieht nicht in einen Krieg gegen Mitmenschen, darum machen die den Islam schlecht, ich mein der Zionismus oben liegt nunmal in den arabisch-islamischen Ländern und wir sollen dort in den Kriegen mitmachen und damit wir das leichter machen versucht man uns ein Bild vorzugaukeln, dass die Moslems schlecht seien und dass das alles Terroristen seien. Das ist alles Quatsch mit Soße, das ist die Falle der Zionisten.“
Mit Widersprüchen zum Mobilisierungserfolg
Die Akzeptanz von Widersprüchen gehört zu den aktuellen Bedingungen für eine erfolgreiche völkische Straßenmobilisierung, wobei die offensichtliche neonazistische Beteiligung zugunsten eines gemeinsamen Ziels gerne in Kauf genommen wird. Ob in Berlin auch zukünftig an diesen Mobilisierungserfolg angeknüpft werden kann, wird sich zeigen. Zumindest die wöchentliche BÄRGIDA-Demonstration am 14. März konnte mit ihrer erneut durchschnittlichen Anzahl von rund 120 Teilnehmenden davon nicht profitieren. Für den 7. Mai hat Stubbe nun die nächste Großdemonstration in Berlin-Mitte angekündigt.
1 Auch wenn die Demonstration deutlich besser besucht war, als im Vorfeld vermutet worden war, lässt sich die von der Berliner Polizei veröffentlichte und von der Mehrzahl der Medien übernommene Zahl von 3000 Teilnehmenden aus unserer Sicht nicht bestätigen. Unserer Einschätzung nach handelte es sich um eine Anzahl von rund 2000 Teilnehmenden.