Zackig knallen die beiden Stiefelpaare zusammen, als sich die zwei Freunde mit ausgestreckten rechten Armen begrüßen. Der eine trägt einen Stahlhelm und dazu ein Shirt der griechischen Naziband Der Stürmer, der andere ist im klassischen Skinhead-Outfit gekleidet und hat den SS-Doppelblitz in den Nacken tätowiert. Erst nach dem Hitlergruß folgt eine kurze Umarmung und dann der Smalltalk. Dies ist nicht die einzige konsternierende Szene beim Konzertabend am 16. März im Kulturzentrum »Sapņu Fabrika« in der lettischen Hauptstadt Riga.
Unter den geschätzt 600 Gästen tragen Dutzende T-Shirts, die die lettische Waffen-SS verherrlichen; ein, zwei Shirts mit Reichsadler und Hakenkreuz gibt es ebenfalls zu sehen, Blood&Honour-Skins sind vor Ort, gar nicht wenige sind kreuzbrav in Hemd, Jackett und Anzughose erschienen. Sie alle tummeln sich im Konzertsaal, der mit riesigen lettischen Nationalfahnen ausstaffiert ist. Neben der Bühne läuft über einen Videobeamer eine Präsentation, in der Kampf- und Alltagsszenen lettischer SS-Soldaten mit heldischer Musik kombiniert werden.
Der dominierende Look unter den Gästen jedoch: ganz normale Metalfans, von denen die meisten Fanartikel der Attraktion an diesem Abend zur Schau tragen. Skyforger heißt die Hauptband. Die 1995 gegründete lettische Gruppe hat mit ihrem Pagan-Metal in der internationalen Metalszene einen hohen Bekanntheitsgrad. In Europa veröffentlichen Skyforger über das Berliner Plattenlabel Folter Records. Über diese Verbindung kommen mutmaßlich auch die annähernd jährlichen Gastspiele, zuletzt 2011 im Friedrichshainer Klub »K17« in Berlin, zustande.
»Legionärstag«
Das Konzert in Riga fand einige Stunden nach der Gedenkveranstaltung zum »Legionärstag« statt und war als Abendprogramm für die jüngeren Marschteilnehmer_innen konzipiert. Beim »Legionärstag« liefen insgesamt rund 2000 lettische Ultranationalist_innen, darunter auch Neonazis, vom Rigaer Dom zum Freiheitsdenkmal, um den »Gefallenen« der lettischen Waffen-SS zu gedenken. Etwa 50 ehemalige SSler nahmen an der Veranstaltung teil. Die wenigen Dutzend Gegendemonstrant_innen wurden von den Marschierenden teilweise rigoros antisemitisch beschimpft.
SS als Kriegshelden
Rund 140.000 Letten kämpften während des zweiten Weltkriegs in zwei SS-Freiwilligen-Divisionen auf der Seite der Besatzungsmacht Nazideutschland. Unter ihnen waren auch Angehörige des Kommandos um Viktors Arājs, die zentral am Holocaust in Lettland beteiligt waren. In großen Teilen der heutigen lettischen Öffentlichkeit werden die Waffen-SS-Freiwilligen nicht als nazistische Besatzungs-Soldaten, sondern als Kämpfer für ein unabhängiges Lettland gegen eine drohende Sowjetbesatzung angesehen. 1998 und 1999 war der »Legionärstag« in Lettland sogar ein offizieller Feiertag. Im Vorfeld des diesjährigen Marsches hatte Lettlands Präsident Andris Berzins im Fernsehen erklärt, dass die SS-Legionäre »Respekt« verdienten: »Sie hatten das Ideal, Lettland zu verteidigen. Die lettischen Legionäre waren keine Kriegsverbrecher.«
Skyforger jedenfalls, die beim Konzert zum Waffen-SS-Gedenken aufspielten, bezeichnen sich im englischsprachigen Teil ihrer Homepage als »komplett unpolitische Band«. Die Band schöpfe ihre »Inspiration aus der lettischen Geschichte, aus lang vergessenen Geschichten der alten Götter, über mutige Schlachten, die Taten der alten Häuptlinge glorifizierend.« Die Musik von Skforger kombiniert klassischen Metal mit Elementen des Black Metal. Die Texte widmen sich der bandeigenen Wahrnehmung der lettischen Altgeschichte und haben eine heidnische Ausrichtung. Bei Konzerten und in Videos sind die Bandmitglieder wie Reenactment-Darsteller in Nachahmungen historischer Kleidung gekleidet. Neben E-Gitarren kommen Flöten, Dudelsack oder Kokle – ein altes Saiteninstrument – zum Einsatz.
Haken- oder Donnerkreuz?
Am Nationalsozialismus oder an irgendeiner anderen Ideologie sei man, so der Internettext weiter, nicht interessiert. Das Logo der Band habe mal ein Symbol enthalten, dass Unwissende mit einem Hakenkreuz verwechseln könnten. Tatsächlich handele es sich jedoch um ein uraltes lettisches Symbol, das Pērkonkrusts (»Donnerkreuz«). Um Missverständnisse zu vermeiden, werde das Symbol von der Band nun schon seit einigen Jahren nicht mehr verwandt. Die meisten Fans trugen beim Konzertabend in Riga jedoch T-Shirts mit dem alten Logo – und auch am offiziellen Verkaufsstand gab es die Fanartikel mit beiden Logos. Pērkonkrusts war übrigens der Name einer faschistischen Partei in den 1930ern in Lettland.
Vor Skyforger traten in Riga – neben zwei weiteren Bands – Diktatura auf. Die in den 1990ern gegründete litauische Naziskinhead-Gruppe hat Titel wie »Negrą užpulk« (»Neger schlagen«) oder »Juden raus« in ihrem Repertoire. Die Texte auf den letzten Veröffentlichungen von Diktatura haben sich etwas gemäßigt, drehen sich aber immer noch um »patriotische« Themen – und weiterhin ist das Hakenkreuz fester Bestandteil des Bandlogos. Beim Konzert schwenkten die litauischen Fans, die zuvor am Waffen-SS-Gedenkmarsch teilgenommen hatten, eifrig die litauische Fahne und sangen die meisten Songs mit.
_______________________________________________________
Nachtrag:
Wie eingangs erwähnt wollen wir auf einzelne Aspekte einer Stellungnahme von Skyforger eingehen, die im aktuellen RockHard abgedruckt wurde:
– Skyforger: »Mit diesem Konzert [gemeint ist besagtes Konzert am 16. März 2012] sollte all derer gedacht werden, die im Zweiten Weltkrieg für die Freiheit Lettlands gekämpft haben und gestorben sind (das steht auch so auf dem Konzertposter). Der Gig hieß „Für Lettland“. Es war nirgendwo etwas von SS, Nazis oder irgendwas zu lesen, das auch nur ansatzweise in diese Richtung ging.«
Das entspricht nicht den Tatsachen. Der 16. März ist der sogenannte „Legionärstag“, an dem ausschließlich der lettischen Waffen-SS gedacht, deren Protagonisten an der Vernichtung der lettischen Jüdinnen und Juden beteiligt waren. Es gibt keinerlei andere Bedeutung für diesen Tag, an dem jedes Jahr zahlreiche Altnazis und Neonazis durch Rigas Innenstadt marschieren. 2012 waren es etwa 2.000 Personen. Das Konzert in der Sapnu Fabrika wurde als Programmpunkt des „Legionärstages“ auf mehreren unterschiedlichen Flyern angekündigt.
– Skyforger: »Das Konzert wurde von derselben Metal-Crowd besucht, die auch zu jedem anderen Gig kommt, egal ob Skyforger oder Judas Priest in Riga spielen. Da waren keine Nazis oder ähnliche Gestalten, sondern nur unsere ganz normalen Metalheads.«
Auch das stimmt einfach nicht. Die Beschreibung des Publikums durch den Kollegen, der beim Konzert vor Ort war, lässt einen anderen Schluss zu. Außerdem stand mit Diktatura eine klare Naziband mit auf der Bühne, die keinesfalls unproblematischen „patriotinis metalas“ („patriotischen Metal“) machen, wie sie es gern suggerieren. Diktatura ist fester Bestandteil des Rechtsrock-Konzertes „Rokas Pries Kommunizma“ (sinngemäß „Rock gegen Kommunismus“), bei dem sie jedes Jahr mit wechselnden internationalen Neonazibands spielen. Am 12. Januar traten sie in diesem Rahmen unter anderem mit Die Lunikoff Verschwörung auf, der aktuellen Band des verurteilten Landser-Sängers Michael Regner. Wie gut sich Diktatura mit dem unverbesserlichen Neonazi Regner verstanden haben, zeigen Bilder die auf der Facebook-Seite von Diktatura noch heute zu finden sind.
Skyforger scheinen nicht nur einmal die Bühne mit der Neonazi-Band Diktatura geteilt zu haben. Für den 11. März 2013, nur wenige Wochen nach dem Konzert von Dikatura mit Die Lunikoff Verschwörung, wurde ein Konzert von Skyforger mit Diktatura in Vilnius angekündigt.
Anmerkung:
Der Text „Stahlhelm und Dudelsack – Heidenlärm für die Waffen-SS: Die lettische Metalband Skyforger“ wurde erstmals in monitor #55 von Mai 2012 veröffentlicht. Aus aktuellem Anlass publizieren wir ihn an dieser Stelle noch einmal online. Skyforger werden vom 16. bis 25. Oktober 2015 unter anderem mit den ebenfalls zweifelhaften Varg, aber auch der sich laut RockHard „für ihre antifaschistische Einstellung bekannten“ Band Die Apokalyptischen Reiter als Teil der „Heidenfest 2015“-Tour erneut bundesweit live auftreten, unter anderem auch am Montag, den 19. Oktober 2015 im Berliner Postbahnhof.
Wie in der aktuellsten Ausgabe der Metal-Szenezeitung RockHard nachzulesen ist, hat es im Vorfeld der anstehenden Tour eine Debatte anlässlich unseres Artikels gegeben. Mit den unten beschriebenen Fakten konfrontiert reagierten Die Apokalyptischen Reiter und veranlassten Skyforger zu einer Stellungnahme, die in der aktuellen RockHard-Ausgabe abgedruckt ist. Im Anschluss des Artikels werden wir auf einzelne Punkte aus dieser Stellungnahme ergänzend eingehen.